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3 Enge Freundinnen

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Gina Berri sass im «Sprüngli» Café am Paradeplatz im ersten Stock und nippte an einem Prosecco. Sie war schon lange nicht mehr hier gewesen, doch heute war sie verabredet. Evita hatte den Tisch reserviert. Sie musste gute Kundin hier sein, sonst hätte man ihr kaum über Mittag einen Platz am Fenster zugewiesen. Gina sah sich im Café um. Das Lokal war gerammelt voll und schien das bevorzugte Ziel einzelner oder kleiner Gruppen von Frauen zu sein. Immerhin waren auch einige Paare anwesend, und sogar drei Herren ohne Damenbegleitung hatten es gewagt, hier einzukehren. Am Tisch neben ihr sass eine prächtig aufgemachte junge Frau, die besser ausgesehen hätte, wenn sie ihre aufgespritzten Lippen nicht so knallig rot bemalt hätte. Sie sah aus, als hätte sie vergessen, ihren Schnuller herauszunehmen. Bei ihrer Ankunft hatte sie ihren beigen Nerzmantel auf dem noch leeren Stuhl an Ginas Tisch abgelegt und sie dabei herausfordernd angesehen. Sie schien sich sicher, dass kein Mensch es wagen würde, sie zurechtzuweisen. Das wäre auch riskant gewesen, denn sie war von zwei massigen, kahl geschorenen Männern begleitet, die wohl ihre Leibwächter waren und argwöhnisch die anderen Kunden im Lokal musterten, als ob jeden Moment einer von ihnen eine Kalaschnikow unter dem Tisch hervorziehen und ihren Schützling erschiessen könnte. Gina nahm an, dass sie die Tochter eines Potentaten eines östlichen Landes sei. Die Sprache, in der sich die drei unterhielten, kannte Gina nicht.

Wo blieb Evita? Sie war schon über zehn Minuten verspätet. Das sah ihr ähnlich. Evita war nie pünktlich, aber diesmal hatte sie angerufen und in ihrer Kindersprache «ganz, ganz dringend» ein Zusammentreffen verlangt. Gina konnte nur hoffen, dass ihre Freundin zu selbst angesetzten Verabredungen bloss eine halbe Stunde zu spät kam und nicht, wie sonst üblich eine ganze. Was auch immer, in fünf Minuten würde sie sich etwas zu Essen bestellen, und dann gehen. Um zwei Uhr musste sie bei der Arbeit sein. Trotzdem hoffte sie, Evita wiederzusehen. In ihren wilden Jahren waren sie zusammen durch Kneipen und Nachtlokale gestreift, hatten harmlosen jungen und oft auch älteren Männern den Kopf verdreht und sich zu teuren Drinks einladen lassen. Manchmal hatten sie sich zwei ähnliche Typen als Zielobjekte ausgesucht und gewettet, wer das erwählte Opfer rascher ins Bett lotsen könne. Evita hatte fast immer gewonnen. Bei dieser Erinnerung lächelte Gina müde.

In ihrer damaligen Clique war Fred Sutter ein wichtiger Pol gewesen. Als er nach seinem Studienabschluss nach England verreiste, war es etwas ruhiger geworden. Nach seiner Heimkehr war sie – für ihre Verhältnisse sehr lange – nur noch mit ihm ausgegangen. Diesmal gab es keine Rivalität mit Evita, die gerade eine kurze Freundschaft mit einem grossspurigen italienischen Industriellen pflegte, ihn aber rasch wieder entsorgte, als sie herausfand, dass er pleite war.

Auch ihre Freundschaft mit Fred hatte ein abruptes Ende gefunden. Eines Abends feierte neben ihnen an der Bar eine reizende blonde Studentin mit ihrem Begleiter ein bestandenes Examen. Fred hatte sich sofort in die Schönheit verguckt und die beiden zu Champagner eingeladen. Danach waren Fred und die Kleine nur noch für sich da und kümmerten sich nicht mehr um ihre versetzten Anhängsel. Fred musste danach eine längere Beziehung mit der Studentin gepflegt haben, denn er zeigte sich nicht mehr in den gewohnten Lokalen. Das Nächste, was sie von ihm hörte, war, dass sein Vater gestorben sei und ihm ein riesiges Vermögen hinterlassen habe, und kurz danach hatte Evita sie gebeten, bei der Vermählung als Trauzeugin zu amten. Wenn es um eine gute Partie ging, war Evita wirklich schnell. Das musste sie ihr lassen.

«Ciao Gina, lange nicht mehr gesehen.» Gina hätte ihre Freundin kaum mehr erkannt. Evitas bislang rotbraunes, gewelltes Haar war nun lang, gerade und platinblond. Das Gesicht hatte sich wenig verändert, nur die Lippen waren frisch aufgespritzt und silbrig-braun bemalt, was ihr ein weniger kindliches Aussehen verlieh, als der rosa Schmollmund, den sie früher bevorzugt hatte. Nach dem Austausch von Küsschen wollte Evita sich setzen, doch auf ihrem Stuhl lag noch der Pelzmantel der Nachbarin, die keine Anstalten machte, ihn wegzunehmen. Ohne zu zögern, hob Eva das teure Stück hoch und warf es achtlos neben der Besitzerin auf den Boden. «Das ist ja grosszügig von Ihnen, aber ich habe schon so einen.» Das Dämchen war sprachlos, und ihre zwei Leibwächter wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Evita kümmerte sich nicht um die bösen Blicke, setzte sich ungerührt und winkte die Kellnerin zu sich. «Krevetten Cocktail und ein Glas Champagner, bitte – und was nimmst du, Gina?»

Während des Essens unterhielten sie sich über die alten Zeiten und amüsierten sich köstlich, bis die erotische Chronik bei Fred und der Vermählung ankam. Evitas Gesichtsausdruck wurde düster. «Ich weiss nicht, wie ich je auf die Idee gekommen bin, ihn zu heiraten.»

Gina hätte ihrem Gedächtnis gern nachgeholfen, doch zu ihrem Erstaunen kam Evita selbst zum richtigen Schluss: «Wahrscheinlich hat mich seine hübsche Erbschaft auf diese dumme Idee gebracht.» Nach einer langen Pause fügte sie an: «Und jetzt ist das schöne Geld weg. Das ist auch der Grund, weshalb ich dich sehen wollte.»

«Da bist du an der falschen Adresse. Meine Glanzzeiten als Model sind vorbei. In unserer Branche ist man mit einunddreissig bereits alt und muss froh sein, wenn man noch gebraucht wird, auch wenn es nur dazu wäre, Strickjacken für ältere Damen vorzuführen. Ich verdiene gerade genug, um anständig leben zu können. Hat Fred wirklich sein ganzes Geld in die Firma gesteckt?»

«Wohl die Hälfte, doch ich glaube, der Rest ist auch verloren, wenn sein Start-up in Pleite gehen sollte. Da gibt es unbezahlte Rechnungen, Abfindung des Personals, was weiss ich. Wie ich Fred kenne, wird er für alles aufkommen. Die Lage muss katastrophal sein. Er hat mich tatsächlich gebeten, ich solle gefälligst meine Kauflust ein wenig eindämmen. Ich habe mich geweigert und er hat umgehend meine Kreditkarte sperren lassen. Kannst du dir vorstellen, wie peinlich das für mich ist? Als gute Kundin kann ich zwar noch an vielen Orten auf Pump einkaufen, aber es verdirbt mir die Freude.»

Gina fragte sich, worauf Evita hinauswolle. Sie nahm an, dass ihre raffinierte Freundin mit einem Trick versuchen wollte, bei einer Scheidung möglichst gut davonzukommen. Eine Möglichkeit dazu war, dass der Gatte sich des Ehebruchs schuldig machte. Heute waren derartige Vergehen juristisch wahrscheinlich nicht mehr von Bedeutung, aber seltsamerweise hatte ihre Freundin eine Vorliebe für altmodische Romane. Gina versuchte, die Diskussion abzukürzen: «Du willst dich scheiden lassen und möchtest, dass ich mit Fred schlafe und dies danach an die grosse Glocke hänge?»

«Ich bin froh, dass du das auch für eine gute Lösung hältst.» Evita hatte die Ironie in Ginas Frage nicht herausgehört. «Die Sache wäre für dich ja einfach. Fred würde keinen Moment zögern, mit dir ins Bett zu steigen, wenn du ihn auch nur anlächelst – bei uns läuft gar nichts mehr. Allenfalls könntest du auch einfach behaupten, mit ihm geschlafen zu haben. Aber wie ich dich kenne, würdest du keine falsche Aussage machen.»

Gina war Evita für diese Einschätzung dankbar. Eine Falschaussage war wirklich unmöglich, nur schon deshalb, weil sie nicht falsch gewesen wäre. Aber das brauchte Evita nicht zu wissen.

Fatale Manipulation

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