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5 Gefälschte Resultate
ОглавлениеDie im Sitzungszimmer versammelten fünf Personen entsprachen dem gesamten Personal der «KOKI». Neben Otto Egli, der seine Resultate präsentieren sollte, waren auch Céline und Juri Bobrow anwesend, ein frisch gebackener Molekularbiologe aus Moskau, der wegen der knappen Finanzen als Techniker und Tierpfleger angestellt war. Zur Feier des Tages hatte Sutter auch Frau Widmer, die Sekretärin, zur Sitzung eingeladen, damit sie ausnahmsweise an einem erfreulichen Ereignis in der Bude teilhaben konnte. Die finanziellen und administrativen Geschäfte, mit denen sie sich beschäftigte, waren in letzter Zeit nicht gerade erbauend gewesen.
Otto holte weit aus und fasste die Wirkungsweise des Transportproteins Anhang I + II kurz zusammen. Das war eigentlich unnötig, denn ausser Frau Widmer waren die Anwesenden bestens informiert, und die Sekretärin schien eh nicht zuzuhören. Dann kam Otto auf die langwierigen und ergebnislosen Versuche mit synthetischen Peptiden zu sprechen, deren Misserfolg ebenfalls allen hinlänglich bekannt war.
«Angesichts dieses Fiaskos, habe ich einen Weg eingeschlagen, den Ihr für ungangbar gehalten habt.» Mit dieser etwas hochnäsigen Bemerkung ging Otto endlich zu den neuen Resultaten über. Er erläuterte die Rolle der Follikel Zellen, die durch kleine Kanäle Nähr- und Reservestoffe an die Eizellen abgaben und hormonelle Signale übermittelten, die zur deren Reifung führten. Leider waren auch hier keine Proteine bekannt, die ausschliesslich an Follikel Zellen andockten. «Und so habe ich den Liganden des Follikel-stimulierenden Hormons FSH gewählt, das sich an diese Zellen anbindet und von ihnen aufgenommen wird.»
Otto warf sich in die Brust: «Es hat funktioniert! Der Shuttle mit dem FSH Signal muss nicht nur mitsamt der gebundenen DNA in die Follikel Zellen, sondern von dort durch die Verbindungskanäle auch in die Eizelle gelangt sein! Eure Unkenrufe, diese Gap-Junctions würden keinen Transport grösserer Moleküle zulassen, sind unberechtigt gewesen. Ich habe jedenfalls auf diese Weise ein defektes Gen in der Eizelle reparieren können!» Er projizierte stolz ein Schema des Versuchs zur Rettung eines defekten Pax6AEI11 Gens Anhang V und stellte Bilder der daraus hervorgegangenen Jungtiere vor. Sutters Allergie wegen durfte er keine lebenden Mäuse mitbringen. Zuerst zeigte er einige gelbe Mäuschen mit kleinen Augen, die auch ohne Genmanipulation zur Welt gekommen wären. Dann stellte er stolz die Nachkommen vor, die nur dank einer erfolgreichen Genkorrektur entstehen konnten, nämlich gelbe Jungtiere mit grossen Augen, sowie graue Mäuschen.
Beim dritten Beispiel eines grauen Tierchens schoss Céline hoch. «Stopp, halte das Bild, bitte!» Sie stand auf, ging zum Screen und zeigte mit dem Finger auf das Auge des Tieres, als wollte sie es ausstechen. «Das ist ein normales Auge! Ich gebe zu, dass die Augengrösse in diesem Alter schwer zu erkennen ist, aber die Pax6AEY11 Augen sind nicht nur etwas kleiner, sie sind zudem nicht genau rund und haben oft einen hellgrauen Fleck mitten auf der Hornhaut, ähnlich einem Katarakt. Das hier ist ein grosses, klares, völlig normales Auge! Graue Mäuse mit grossen Augen können aus deiner Kreuzung nicht hervorgehen. Was ist da passiert?»
Die Zuhörer zogen hörbar die Luft ein und selbst Frau Widmer war aufgeschreckt. Otto wusste nicht, was er sagen sollte, und starrte stumm auf das verräterische Auge auf dem Screen. Dann fasste er sich und antwortete von oben herab: «Vielleicht erinnerst du dich, dass ich ein gesundes Pax6 Gen eingeführt habe.»
«Ich erinnere mich daran, dass du es zumindest versucht hast», bemerkte Céline schnippisch, ging an ihren Platz zurück und schloss ihren Computer an den Projektor an. «Hier zeige ich nochmals Ottos Versuchsanordnung Anhang V. Wie ihr sehen könnt, sitzt das angeblich korrigierte PaxAEY11 Gen der Mutter auf demselben Chromosom wie ein normales Agouti Gen. Graue Nachkommen haben zwei normale Agouti Allele, sonst wären sie ja gelb. Das zweite Gen kommt vom Vater und auf demselben Chromosom sitzt ein defektes Pax6AEY11 Gen. Graue Nachkommen dieses Paares können also nur kleine Augen haben, auch wenn das mütterliche Pax6 Gen in der Eizelle korrigiert worden wäre.»
Es herrschte betretene Stille, bis Céline entschuldigend beifügte: «Tut mir leid, dass ich euch die Freude verderbe, aber dieses vermeintliche Glanzresultat ist ein infamer, plumper Schwindel.»
Fred und Juri waren noch zu benommen, um klar zu denken und Fragen zu stellen. So fuhr Céline weiter: «Unter Ottos Jungtieren befinden sich zwei grauen Mäuschen mit grossen Augen. Das hat mich stutzig gemacht, schon als Otto mir am Montag seine Wunderkinder vorgestellt hat. Deshalb habe ich mich bei Juri erkundigt, ob Otto vielleicht andere Kreuzungen angesetzt habe. Tatsächlich hat er am selben Tag, an dem seine Versuchstiere verpaart wurden, auch ein gelbes Weibchen mit normalen Augen mit einem grauen Männchen mit kleinen Augen zusammengesetzt.»
«Die entsprechende Kreuzung habe ich auf diesem Schema aufgezeichnet Anhang VI», fuhr Céline fort. «Daraus gehen, unter anderem, auch gelbe Mäuse mit grossen Augen und graue Tiere mit kleinen Augen hervor, die Otto in seinem Experiment zu finden hoffte. Aber daneben entstehen auch graue Mäuse mit grossen Augen. Otto hat leider den grauen Mäuschen, die er unter die Nachkommen seines Experiments geschmuggelt hat, nicht tief genug in die Augen geschaut.» Etwas hämisch fügte sie bei: «Es wäre manchmal nützlich, wenn Molekularbiologen auch nur eine leise Ahnung von Genetik und Morphologie hätten.»
«Das ist eine perfide Unterschiebung, du eifersüchtige Gans», brauste Otto auf. «Du hast mir diesen Wechselbalg mit den grossen Augen untergejubelt.»
«Ich war über die Tage, in denen du die Kreuzungen angesetzt hast, gar nicht im Labor. Ich habe an der ETH den Viva CT Micro-Scanner ausprobieren dürfen, mit dem ich die Entwicklung meiner Maustumore verfolgen will. Du kannst ja anhand der Zugangsüberwachung feststellen, ob ich in der kritischen Zeit in den Tierställen gewesen bin.»
«Dann hat eben Juri mir diesen verdammten Wechselbalg ins Nest gesetzt. Er beneidet mich schon lange um meinen Posten und hat sicher gern Hand zu diesem Komplott geboten.»
Sutter wäre es lieber gewesen, wenn Ottos Experiment funktioniert hätte. Doch er war Wissenschaftler genug, den Tatsachen ins Auge zu sehen – wenn es wirklich Tatsachen waren. «Ich nehme an, du würdest dich nicht so weit hinauswagen, Céline, wenn du nicht weitere, definitive Beweise für deine Anschuldigung erbringen könntest.»
Sie nickte: «Otto hat die benötigten Neugeborenen aus dem Käfig genommen, als Juri nicht anwesend war. Die restlichen Jungtiere und die Eltern hat er eingeschläfert und entsorgt. Juri ist es verdächtig vorgekommen, dass die eigens angesetzten Tiere so plötzlich eliminiert worden sind. Er hat die Kadaver herausgefischt und tiefgefroren. Ich habe Blutproben davon genommen und die Pax6 Gene analysiert.» Céline hob mahnend den Finger, um die Anwesenden um Aufmerksamkeit zu bitten und fuhr fort: «Otto hat wohlweislich versäumt, einen wichtigen Aspekt zu erwähnen: Um das defekte Gen zu durchschneiden und damit den Austausch zu erleichtern, brauchen wir CRISPR-Cas9. Dieses zerstört aber auch den Pax6 Donor, den man einführen will, falls man dessen Nukleotid Sequenz nicht abändert. Deshalb hat Fred die Sequenz in einer Weise abgeändert, dass es von CRISPR-Cas9 nicht mehr geschnitten wird. Dank der Degeneration des genetischen Codes Anhang VII, können mehrere Dreiergruppen von Nukleotiden für dieselbe Aminosäure kodieren, und das produzierte Protein bleibt unverändert Anhang VIII.»
Céline machte eine kunstvolle Pause, bevor sie zum Schluss ihres Plädoyers ausholte: «Ich habe aus der DNA der grauen Jungtiere die kritische Region mit PCR herauskopiert und zum Sequenzieren geschickt. Das Resultat ist heute Morgen eingetroffen. Die Sequenz entspricht dem normalen Pax6 Gen, wie es in gesunden Mäusen vorkommt, und nicht dem modifizierten Donor, den Otto eingeführt haben will.»
Niemand wusste etwas dazu zu sagen. Otto starrte ungläubig vor sich hin. Endlich hob er den Kopf und jammerte: «Das kann nicht sein. Das Experiment hat funktioniert. Ich bin doch kein Betrüger!»
Céline hatte plötzlich Mitleid mit ihrem Kollegen. Er war sich anscheinend nicht bewusst, seine Resultate gefälscht zu haben, und hielt sie für echt, wie ein Kind, das an seine Lügen glaubt.
Für Sutter standen andere Aspekte im Vordergrund. «Glücklicherweise habe ich in Basel die Geschichte nicht an die grosse Glocke gehängt. Ich habe die Resultate zuerst sehen wollen. Bist du dir bewusst, Otto, was geschehen wäre, wenn ich brühwarm über deinen angeblichen Durchbruch berichtet hätte?» Sutter wartete vergeblich auf eine Antwort und fügte nachdenklich bei: «Betrügereien kommen leider immer wieder vor, sei es, um leichter an Forschungskredite zu gelangen oder um die eigene Karriere zu beschleunigen. Und jetzt, da viel Geld aus der Forschung herauszuholen ist, wird die Sache noch heikler. In meinem Betrieb akzeptiere ich das nicht. Ich will saubere Forschung betreiben und lasse mir meinen Beruf nicht von einem Idioten kaputtmachen.»
Sutter war in Rage geraten, atmete tief durch und kam zum unvermeidlichen Schluss: «Du bist hier fehl am Platz, Otto. Am besten verschwindest du sofort und ohne Aufsehen zu erregen.» Er tippte kurz auf seinem Tablet herum. «Deine privaten Sachen und den Computer kannst du mitnehmen. Die Daten darauf sind in unserem internen Netzwerk abgespeichert. Deinen Zugriff darauf habe ich soeben gesperrt. Auch dein Fingerprint für den Zutritt zum Labor und zu den Tierställen ist gelöscht. Frau Widmer wird dir drei Monatslöhne überweisen und dich von der Gehaltsliste streichen. Adieu!»
«Das kannst du mir nicht antun, Fred. Ich finde so schnell keine neue Stelle.»
«Wir sind hier weder an einer Universität noch in einer grossen Firma, wo solche Vorkommnisse so lange wie möglich vertuscht werden. Vielleicht findest du eine Stelle in einem Institut, das nichts Rechtes zustande bringt. Davon gibt es ja einige. Ein sogenanntes Forschungsinstitut hat ja letzthin einem vermeintlich grossen Namen Unterschlupf gewährt, der gefälschte Resultate publiziert hat, und das ist bereits bekannt gewesen. Die Institutsleiter haben wohl gehofft, mit diesem famosen Zuzügler ihre mangelnde Reputation aufzupolieren. Aber für solche Aktionen bist du leider nicht berühmt genug.»
Otto stand auf und schlich aus dem Raum. Sutter winkte Juri zu, ihn zu begleiten, um zu verhindern, dass er Plasmide oder anderes wichtiges Material mitlaufen liess.
Sutter entliess die Sekretärin mit einer undankbaren Aufgabe: «Frau Widmer, Sie haben wohl einiges damit zu tun, drei Monatslöhne für Otto zusammenzukratzen, aber sie schaffen das bestimmt. Sonst müssen sie Herrn Draghi fragen, ob er Ihnen einige von den Banknoten abgibt, die er in Unmengen drucken lässt. Das merkt kein Mensch. Dafür lade ich Sie heute Abend zum Nachtessen im ‹Dolder› ein. Ich hole Sie um sieben bei Ihnen ab.»
«Du willst das Festessen nicht absagen?», fragte Céline überrascht, nachdem die anderen gegangen waren.
«Enttäuschungen spült man am besten mit einem guten Wein hinunter», meinte Sutter leichthin und fügte bei: «Zudem habe ich von Basel aus telefonisch einen Tisch für uns reserviert, und das Hotel Dolder ist im Moment in. Heute ist Nikolaustag und da gehen viele Leute auswärts essen. Wenn ich unsern Tisch leer lasse, komme ich auf die schwarze Liste, und als ehemaliger Star der Zürcher Cüpli Society kann ich mir das nicht leisten. Einen Grund zu feiern haben wir trotzdem: Die ‹RareMed› hat ein Gebrauchsrecht für unseren Shuttle erworben, um Proteine in Wachteleiern produzieren. Das gibt uns für ein paar Monate Luft.»
Nach einer kurzen Pause fasste er seine Kollegin am Arm. «Danke für dein knallhartes Einschreiten, Céline. Du hast uns vor dem Abgrund gerettet. Es wäre nur nett gewesen, wenn du mich vorgewarnt hättest.» Er schnitt ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. «Nein, es ist besser gewesen, einen Überraschungsangriff zu lancieren. Otto hätte vielleicht Wind davon bekommen, dass sich etwas gegen ihn zusammenbraut, und die Sache noch vertuschen können. Zudem wäre deine Intervention nicht so atemberaubend spannend gewesen.»
Juri kehrte zurück. «Otto ist gegangen. Jetzt brauche ich dringend einen Kaffee? Nehmt ihr auch einen?»
Nachdem sie den Espresso heruntergestürzt hatten, kam Sutter zur Sache: «Wir haben einiges zu besprechen. Nach dieser Pleite müssen wir uns neu orientieren. Juri, du übernimmst den Posten von Otto, und ich engagiere einen Tierpfleger. So kannst du, dich endlich voll einem eigenen wissenschaftlichen Thema widmen.»
Sutter hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Ottos Versuch funktionieren würde, und sich schon lange zurechtgelegt, wie die Forschung der «KOKI» weitergehen sollte. Den Gentransport bei Säugern würden sie vorläufig ruhen lassen, bis ein Protein beschrieben wurde, das im Verlauf der Entwicklung in die Eizellen einwanderte. Célines bereits angelaufenes Projekt, Gene gezielt in adulte Körperzellen und vor allem kanzeröse Hautzellen zu transportieren, sollte fortgeführt werden. Das Ziel war, Krebszellen zu eliminieren, indem sie ein Gen einschleuste, das den programmierten Zelltod auslöste. Alternativ dazu wollte sie das P53 Gen einführen, das in vielen Krebszellen defekt war oder ganz fehlte. Durch das Einsetzen einer normalen Kopie dieses Gens konnte bösartiges Wachstum in vielen Fällen gehemmt werden. Sutter schlug nun vor, dass Juri mit dem gleichen Ansatz versuchen sollte, Brustkrebs zu heilen. Mausmodelle für diese Krankheit waren vorhanden und konnten angefordert werden. «Die Techniken sind ähnlich. So könnt ihr eng zusammenarbeiten und benötigt fast dasselbe Material, was uns hilft, Geld zu sparen. Aber jeder ist für sein eigenes Projekt verantwortlich.»
Er brauchte Juri, der vor Glück strahlte, nicht um Zustimmung zu bitten. Die Planung der technischen Details dauerte den ganzen Nachmittag, bis es Zeit wurde, sich für den vorgesehenen, den Umständen entsprechend reichlich grossspurigen Nikolausabend zurechtzumachen.