Читать книгу Totengesicht - Eberhard Weidner - Страница 13
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ОглавлениеBeinahe hätte ich reflexartig den Abzug der Pistole gedrückt und auf ihn geschossen, ehe mir bewusst wurde, dass das gar nicht mehr nötig war.
Er war bereits tot!
Irgendjemand, vermutlich sein Mörder, hatte ihm den Schlauch der Duschbrause um den Hals geschlungen, sodass der Mann nun an der Brausestange hing und es so aussah, als wäre er noch immer am Leben und stünde halbwegs aufrecht in der Badewanne. Er war allerdings nicht mit dem Schlauch erdrosselt worden, sondern an einer Kugel gestorben, die so exakt zwischen seinen dichten, schwarzen Augenbrauen platziert worden war, als hätte der Mörder dafür Lineal und Zirkel benutzt. Die Augen des Toten, die mich bei unserer ersten Begegnung noch so zornig und bösartig angefunkelt hatten, wirkten nun so leblos wie Glasmurmeln, sahen mich unter den halb geschlossenen Lidern aber dennoch an, als wäre er vom Tod überrascht worden und machte mich für seinen momentanen Zustand verantwortlich.
Mein Blick fiel erneut auf das schwarz geränderte Loch in seiner Stirn, aus dem nur ein einzelner Tropfen Blut gequollen und an seinem Nasenrücken nach unten gelaufen war, wo er nun an seiner knollenartigen Nase hing wie zu Eis erstarrter, blutiger Rotz. Von der tödlichen Wunde wanderte mein Blick wie unter Zwang zu der Pistole in meiner Hand. Ich realisierte, dass ich möglicherweise die Tatwaffe in der Hand hielt, aus der der tödliche Schuss abgefeuert worden war. Entsetzt ließ ich sie fallen und beobachtete, wie sie zu Boden fiel. Zu spät fiel mir ein, dass sie beim Aufprall losgehen und ich mir versehentlich einen Zeh oder einen Hoden wegschießen könnte. Die Welt war schließlich gemein und voller verrückter Unglücksfälle. Und bei alldem, was mir heute schon widerfahren war, hätte es mich auch gar nicht verwundert. Doch die Waffe entlud sich zum Glück nicht, sondern landete nur mit einem in dem gekachelten Raum extrem lauten Scheppern auf den Bodenfliesen.
Alessia kam, entweder durch meinen Schrei oder den Lärms alarmiert, ins Bad und fragte mich vermutlich, was passiert sei. Ich hörte sie jedoch nicht und wurde mir ihrer Anwesenheit erst in dem Moment bewusst, als sie mich am Oberarm packte und heftig schüttelte. Ich zuckte so erschrocken zurück, als hätte die Leiche ihren Arm ausgestreckt und nach mir gegriffen, entzog mich ihrem Griff und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Erst dann erkannte ich, dass es nur Alessia war, entspannte mich und ließ mit einem zischenden Laut, in den sich ein leises Seufzen schlich, den Atem entweichen, den ich seit Entdeckung des Leichnams angehalten hatte.
Alessia entschuldigte sich ausnahmsweise nicht dafür, dass sie mich angefasst hatte. Sie sagte überhaupt nichts, während ihr Blick von mir zu der Waffe am Boden und dann zu der reglosen Gestalt wanderte, die am Schlauch der Brause hing.
Der Anblick schien sie nicht so sehr zu schockieren wie mich, was vermutlich vor allem daran lag, dass meine Reaktion sie darauf vorbereitet hatte, dass ich etwas Schreckliches entdeckt hatte. Außerdem hatte mich wahrscheinlich auch der Psycho-Effekt zusätzlich geschockt, weil ich den Duschvorhang zur Seite gezogen und dahinter einen lebenden Menschen und keine Leiche erwartet hatte.
»Scheiße! Was ist denn hier passiert?«, sagte Alessia und sah dann wieder zu mir. »Hast du ihn erschossen? Oder hat er das selbst getan?« Sie war vom sperrigen Sie zum einfacheren Du übergegangen, was mir in dieser Situation auch völlig angemessen erschien. Uns weiterhin zu siezen, während wir vor dem Leichnam des Mannes standen, der uns vor Kurzem noch das Lebenslicht hatte ausblasen wollen, wäre geradezu lächerlich gewesen.
Ich reagierte im ersten Moment wie ein kleiner Junge, der bei etwas Verbotenem erwischt worden war, schüttelte heftig den Kopf und sagte: »Ich war das nicht!«
Sie sah mich misstrauisch an, als glaubte sie mir nicht so recht, doch dann nickte sie. »Natürlich nicht.« Vermutlich war sie zu der korrekten Ansicht gelangt, dass ich nicht der Typ von Mann war, der andere Leute mit gezielten Kopfschüssen tötete. »Dann muss er Selbstmord verübt haben. Aber wieso?«
Ich schüttelte den Kopf und kam wieder einen Schritt näher. »Das war kein Selbstmord!«, sagte ich und deutete auf die Pistole am Boden. »Außer, er hat sich vor dem Spiegel erschossen, die Waffe auf die Ablage gelegt, ist dann in die Wanne gestiegen, hat den Vorhang zugemacht und sich anschließend den Brauseschlauch um den Hals geschlungen.«
»Die Pistole lag auf der Spiegelablage?«
»Ja! Das sagte ich doch gerade.«
»Dann kann er sich wirklich nicht selbst erschossen haben.«
»Meine Rede.« Ich verdrehte die Augen und hob die Schultern.
»Aber wenn du ihn nicht erschossen hast, und er es auch nicht selbst getan hat, wer war es dann?«
Ich schüttelte ratlos den Kopf, während mein Blick wieder zum Gesicht des Toten wanderte, das bleich war und mit jedem verstreichenden Moment mehr wie eine Totenmaske aussah. Er konnte noch nicht lange tot sein, doch das Blut in seinem Körper floss bereits, der Schwerkraft folgend, in die tieferen Regionen, nachdem es nicht länger von einem schlagenden Herzen in einem funktionierenden Blutkreislauf durch die Adern und Venen gepumpt wurde, um die absterbenden Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Was ich vor mir sah, war das wahre Totengesicht des Mannes. Der totenschädelartige Schatten über seinen Zügen, den ich zuvor gesehen hatte, als er versucht hatte, mich zu erdrosseln, war nur ein Vorzeichen seines Todes gewesen, gewissermaßen ein tödliches Omen. Dennoch hatte meine verfluchte Gabe erneut tadellos funktioniert. Ich hatte das Antlitz des Todes im Gesicht des Mannes gesehen, und gerade einmal eine Stunde später war er auch schon mausetot. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es immer schneller ging. Beim nächsten Mal würde die Person vielleicht schon unmittelbar nach unserem körperlichen Kontakt aus den Latschen kippen.
Ich erschauderte, wandte rasch den Blick ab und sah Alessia an, die selbst dann einen zigfach angenehmeren und schöneren Anblick geboten hätte, wenn der Killer noch am Leben gewesen wäre. »Woher soll ich wissen, wer ihn umgebracht haben könnte?«, sagte ich und dachte darüber nach, was während unserer Abwesenheit geschehen sein mochte. Es kam mir beinahe so vor, als würde ich mir die Handlung für einen Kriminalcomic überlegen, den ich zeichnen wollte. »Vielleicht war es ein Komplize oder sein Auftraggeber. Immerhin hatte er die Sache vermasselt und seinen Auftrag nicht ausgeführt. Darüber hinaus kannten wir sein Gesicht und hätten der Polizei eine gute Beschreibung liefern können. Ich glaube nämlich nicht, dass hier momentan allzu viele Typen mit so einer Gangstervisage herumlaufen. Vermutlich wollte der Komplize oder der Mann, der hinter dem Mordauftrag steckt, nicht riskieren, dass die Polizei ihm über die Identität des Killers auf die Spur kommt.«
Alessia runzelte die Stirn, während sie zuhörte, als würde sie intensiv darüber nachdenken. Nachdem ich geendet hatte, nickte sie langsam. »Vermutlich hast du recht, Rex. Es muss so oder ganz ähnlich gewesen sein, denn eine andere Möglichkeit sehe ich momentan auch nicht.«
Ich nickte, sagte allerdings nichts, denn mir war noch eine weitere Möglichkeit eingefallen. Allerdings hätte diese Alternative das Eingreifen einer weiteren, bislang unbekannten Partei bedeutet, die vollkommen andere Ziele als der Killer und sein Auftraggeber verfolgte und den Mann getötet hatte. Allerdings hätte das unsere ohnehin schon nicht ganz einfache Situation nur unnötig verkompliziert, und darauf hatte ich jetzt überhaupt keine Lust, nachdem ich erst vor wenigen Minuten die Leiche eines mutmaßlichen Berufskillers gefunden hatte. Ich behielt die Option einer dritten Partei im Hinterkopf, allerdings nicht als echte Alternative, sondern nur als Handlungsidee für einen Comic, den ich vielleicht demnächst, inspiriert durch die Realität, zeichnen würde.
Jäh fiel mir wieder ein, weswegen ich überhaupt ins Bad gegangen war. »Hast du wenigstens meine Arbeitsmappe gefunden?«
Alessia hatte mit nachdenklicher Miene die Leiche angesehen, wandte nun den Kopf und sah mich verwirrt an, als wüsste sie nicht, wovon ich sprach. Dann hellte sich ihre Miene auf, als ihr dämmerte, was ich meinte. Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir wirklich leid, Rex, aber ich hab die Mappe nirgends gefunden. Hast du schon im Wohnzimmer und auf der Toilette nachgesehen?«
Ich nickte zuerst, schüttelte dann aber den Kopf, als mir einfiel, dass ich meine Suche gar nicht beendet hatte, nachdem ich die Pistole entdeckt hatte. »Im Klo hab ich noch nicht nachgesehen. Aber ich glaube nicht, dass meine Mappe dort ist.«
Alessia nickte. »Wir sehen trotzdem nach, bevor wir gehen.«
»Gehen?« Ich sah sie irritiert an.
»Natürlich. Ich packe ein paar Sachen zusammen, und dann verschwinden wir schleunigst von hier. Oder glaubst du etwa, ich bleibe hier und leiste dem da Gesellschaft?« Sie deutete auf den toten Killer, sodass ich ihn unwillkürlich ansah. Er sah beleidigt aus, als hätte sie ihn mit ihren Worten gekränkt, aber das war natürlich Blödsinn. Wahrscheinlich war er nur zum Zeitpunkt seines Todes stocksauer und überrascht darüber gewesen, dass ihn, den Killer, jemand anderes gekillt hatte. Und dieser Gesichtsausdruck würde ihm jetzt erhalten bleiben, bis er vollständig verwest war. »Außerdem werde ich nicht hierbleiben und darauf warten, dass derjenige, der das getan hat, zurückkommt, den vermasselten Job zu Ende bringt und mich ebenfalls mit in die Badewanne packt.«
Ich runzelte die Stirn. Komisch, wie schnell wir es doch als Tatsache akzeptiert hatten, dass jemand Alessia umbringen wollte und dafür einen Killer engagiert hatte, obwohl wir uns nicht einmal erklären konnten, wieso. Eigentlich geschahen solche Dinge nur in Filmen oder erfundenen Geschichten und nicht in der Realität gewöhnlicher Menschen. Doch irgendwie war ich heute, ohne es zu bemerken, aus meiner Realität in exakt so eine Geschichte gepurzelt, in der sich derartige Dinge ereigneten und anscheinend völlig normal waren, zumindest in Alessias Augen. Andererseits war ich aufgrund meiner Gabe vermutlich alles andere als gewöhnlich und hatte in den letzten Monaten schon mehr Todesfälle als üblich miterlebt. Ich beendete den Gedanken, denn wenn ich zu lange darüber nachdachte und mir erst so richtig bewusst machte, in welcher Gefahr ich geschwebt hatte und mich augenscheinlich noch immer befand, würde ich vermutlich nur verrückt werden.
»Und was machen wir mir ihm?« Diesmal war ich es, der mit dem Zeigefinger auf den toten Mann am Brauseschlauch deutete.
Alessia sah mich mit gerunzelter Stirn an und zuckte dann mit den Schultern. »Was willst du denn mit ihm tun, Rex? Einpacken und mitnehmen etwa?«
Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht.« Ich kam mir in diesem Moment reichlich doof und naiv vor. Alessia schien mit der Situation viel besser klarzukommen als ich, dabei gehörte ich zum angeblich stärkeren Geschlecht und sollte sie vor derartigen Dingen beschützen. Vielleicht war sie von Haus aus kaltherziger oder durch ihre Arbeit in einem Nachtklub und den Kontakt mit kriminellen Elementen abgestumpfter und hatte schon früher Gewalt und Verbrechen erlebt, sodass sie leichter damit umgehen konnte, während ich derartige Dinge – Auftragsmorde und erschossene Auftragskiller in der Badewanne – nur aus dem Kino oder Kriminalromanen kannte und bis heute nicht gedacht hatte, dass ich selbst einmal damit in Berührung kommen könnte. »Aber vielleicht sollten wir jetzt doch besser die Polizei rufen.«
Sie sah mich an wie eine Lehrerin, die von ihrem Lieblingsschüler maßlos enttäuscht worden war. »Und wie sollen wir der Polizei deiner Meinung nach erklären, warum ein toter Mann in meiner Badewanne liegt? Die werden nicht lange nach anderen Verdächtigen Ausschau halten, sondern sich sofort auf die einzigen beiden Leute stürzen, die sie in Reichweite haben, und das sind dann dummerweise wir. Außerdem befinden sich deine Fingerabdrücke auf der möglichen Tatwaffe.«
Ich erschrak, weil ich Idiot überhaupt nicht daran gedacht hatte. Als Krimineller wäre ich vermutlich die größte Niete gewesen und sofort im Knast gelandet. »Ich wische sie einfach ab«, sagte ich und nahm ein weißes Handtuch vom Halter neben dem Waschbecken. Dann bückte ich mich, hob die Pistole mithilfe des Handtuchs auf und wischte sie überall ab.
»Und was ist mit den Abdrücken im Rest der Wohnung? Weißt du denn noch, was du alles angefasst hast.«
Ich runzelte die Stirn, während ich wie besessen jede einzelne glatte Fläche der Pistole und des Schalldämpfers polierte. »Wir sagen einfach, wir wären befreundet und ich hätte dich gelegentlich hier besucht. Dass sich meine Fingerabdrücke in der Wohnung befinden, bedeutet doch nicht automatisch, dass ich diesen Mann ermordet habe.«
»Da ist richtig. Aber hast du eigentlich die afrikanische Maske irgendwo gesehen, mit der du den Kerl hier geschlagen hast?«
Ich überlegte, während ich die Schusswaffe wieder vorsichtig auf den Boden legte und mich aufrichtete. Erst jetzt, nachdem Alessia sie erwähnt hatte, dachte ich wieder an die Elefantenmaske. Ich erinnerte mich, dass ich sie im Flur vor dem Badezimmer fallen gelassen hatte. Aber als ich vorhin an der Stelle vorbeigekommen war, war sie nicht mehr da gewesen. Ebenso wenig wie der kaputte Föhn, mit dem Alessia Carlo niedergeschlagen hatte. Und der Haken an der Wand, an dem die Maske aufgehängt gewesen war, war immer noch leer gewesen. Es hätte mich auch gewundert, wenn der Killer sie wieder dort hingehängt hätte, nachdem ich ihn damit geschlagen hatte. So ordnungsliebend hätte ich ihn auch gar nicht eingeschätzt.
Ich schüttelte den Kopf, während ich, ohne dass es mir richtig bewusst war, den Badewannenrand abwischte, obwohl ich ihn gar nicht berührt hatte. »Sie ist nicht mehr da, wo ich sie fallenließ!«
Alessia nickte mit unheilvollem Gesichtsausdruck. »Ich hab sie ebenfalls nirgendwo gesehen. Und auch mein Föhn ist spurlos verschwunden.«
»Das heißt …« Ich verstummte und schluckte schwer, als mir klar wurde, was das bedeutete.
»Ja. Das heißt, dass der Mann, der ihn erschossen hat, sowohl deine Arbeitsmappe als auch die afrikanische Maske mit deinen Fingerabdrücken und den Föhn mit meinen Abdrücken mitgenommen haben muss.«
»Aber wieso sollte er das getan haben?« Ich erinnerte mich, dass ich den Duschvorhang angefasst hatte, um ihn zurückzuziehen, und wischte hektisch über den Bereich, in dem sich vermutlich meine Fingerabdrücke befanden.
»Vielleicht will er sich die Möglichkeit offenhalten, dir und mir diesen Mord in die Schuhe zu schieben. Wenn die Polizei nachweisen kann, dass der Killer vor seinem Tod mit der Maske und dem Föhn geschlagen wurde, und diese Gegenstände mit unseren Abdrücken anschließend zugespielt bekommt, nützt uns auch der beste Strafverteidiger nichts mehr. Zusammen mit deinen Abdrücken in der restlichen Wohnung reicht das vermutlich schon für einen Schuldspruch. Und vielleicht hat dich sogar jemand gesehen, als du mir von der U-Bahnstation bis hierher gefolgt bist. Dann wäre sogar bewiesen, dass wir zum Zeitpunkt seines Todes hier waren. Willst du also wirklich, dass wir in einer derartig beschissenen Lage die Polizei rufen?«
Ich schüttelte den Kopf. Natürlich wollte ich das nicht! Sie hatte ja auch vollkommen recht. Für die ermittelnden Beamten der Mordkommission würden wir sofort zu den Mordverdächtigen Nummer eins und zwei avancieren, sobald die Elefantenmaske und der Föhn auftauchten, mit denen der tote Killer geschlagen worden war und auf denen sich zahlreiche Fingerabdrücke von uns befanden. Vermutlich konnten die Experten von der Spurensicherung anhand der Position der Abdrücke sogar feststellen, wie ich die blöde Maske gehalten und wie ich damit zugeschlagen hatte. Verdammter Mist!
Alessia nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. Sie richtete ihren Blick wieder auf den Leichnam und erschauderte sichtlich. »Wir sollten nachsehen, ob er etwas bei sich hat, das uns einen Hinweis auf seine Identität oder seinen Auftraggeber gibt.«
Ich erschauderte bei der Vorstellung, den Toten nun auch noch berühren zu müssen. »Wieso das denn?«
Alessia sah wieder zu mir und runzelte die Stirn, als fragte sie sich, was sie nur mit diesem Blödmann an ihrer Seite anstellen sollte. »Willst du denn nicht wissen, wer das getan hat?«
Ich hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Eigentlich nicht. Was hab ich denn schon mit dieser Geschichte zu tun. Ich bin schließlich nur zufällig hier hineingeraten. Und je weniger ich darüber weiß, desto besser.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du steckst doch schon viel tiefer drin, als du denkst, Rex! Wer auch immer diesen Mann ermordet hat, hat die Mappe mit deinen Zeichnungen und kennt daher deinen Namen und deine Anschrift. Nachdem er – aus welchen Gründen auch immer – mich erledigt hat, wird er auch alle anderen losen Enden abtrennen, um sämtliche Spuren, die möglicherweise zu ihm führen können, zu beseitigen. Was glaubst du wohl, was er mit dir tun wird?«
Ich zuckte erneut mit den Schultern, obwohl mir, wenn ich es nur versucht hätte, sicherlich genügend geeignete Antworten eingefallen wären, eine furchtbarer als die andere, denn in meinem Job brauchte man viel Fantasie. Ich versagte es mir jedoch, genauer darüber nachzudenken, um mich damit nicht weiter zu quälen.
Diese Aufgabe übernahm Alessia. »Ich könnte mir zwei Möglichkeiten vorstellen. Vielleicht schickt er den Killer, den er sicherlich anheuern wird, um den Auftrag abzuschließen und mich zu erledigen, anschließend einfach zu deiner Adresse. Schließlich kannst du dich nicht ewig irgendwo verkriechen und musst irgendwann nach Hause zurück. Oder er hängt dir, falls du die Polizei einschaltest, diesen Mord und unter Umständen auch noch den Mord an mir in die Schuhe und sieht anschließend genüsslich zu, wie du in den Knast wanderst, wo dir ein paar angeheuerte Insassen dann den Rest geben.«
Ich seufzte bei diesen alles andere als erfreulichen Zukunftsaussichten und sah erneut zu dem toten Killer, der zu all diesen Dingen allerdings nichts mehr zu sagen hatte.
»Ich für meinen Teil würde schon gern erfahren, wer es auf mich abgesehen hat und mich tot sehen will«, sagte Alessia. »Vielleicht finden wir einen Hinweis. Und sobald wir seine Identität kennen und wissen, wer diesen Mann beauftragt und anschließend erschossen hat, können wir damit auch zur Polizei gehen.«
Was sie sagte, klang vernünftiger als alles, was mir durch den Kopf gegangen war. Vor allem das letzte Argument gab den Ausschlag. Denn ich wollte nichts lieber, als die Polizei einzuschalten und diese Geschichte in die professionellen Hände von Leuten zu legen, die sich damit weitaus besser auskannten. Da ich momentan aber zum sehr überschaubaren Kreis der beiden Hauptverdächtigen gehörte und derjenige, der die Elefantenmaske in seinem Besitz hatte, diese Trumpfkarte nach Einschalten der Behörden sicherlich sofort ausspielen würde, war es tatsächlich vernünftiger, noch etwas zu warten. Auch wenn wir dadurch noch immer in großer Gefahr schwebten. Aber vielleicht brachte die Durchsuchung der Leiche uns einen Hinweis auf den Mörder, auch wenn ich ernsthaft befürchtete, dass dieser sein Opfer bereits gefilzt hatte, bevor oder nachdem er den Brauseschlauch um seinen Hals geknotet hatte, und alles mitgenommen hatte, was ihn belastete. Dennoch nickte ich. »Du hast recht. Wir sollten ihn unbedingt durchsuchen. Aber wie … ähm, wie machen wir das?« Ich empfand noch immer eine gehörige Portion Widerwillen bei der Vorstellung, den toten Mann berühren zu müssen.
»Ich schlage Arbeitsteilung vor.«
Ich nickte begeistert. Arbeitsteilung klang in meinen Ohren wunderbar, denn es hieß, dass ich mich nicht allein daran machen musste, Carlos Kleidung zu durchsuchen, während dieser sie noch am minütlich kälter werdenden Leib trug. Arbeitsteilung hieß geteiltes Leid. Außerdem wären wir dann auch in der Hälfte der Zeit damit fertig.
Doch Alessia hatte eine völlig andere Vorstellung, wie unsere Arbeitsteilung aussah. »Ich muss noch ein paar Sachen zusammenpacken. Während ich das tue, durchsuchst du unseren toten Freund.«
Ich erschauderte und warf erneut einen Blick auf den toten Killer, als wollte ich mich davon überzeugen, was er von dem Vorschlag hielt. Und ehrlich gesagt sah auch er nicht unbedingt begeistert aus.
Alessia musste meinen Widerwillen erkannt haben. Vermutlich war mein Abscheu deutlich auf meinem Gesicht abzulesen. »Ich würde dir ja helfen, Rex. Aber wir sollten nicht länger als nötig hierbleiben. Denn vielleicht kehrt der Mörder ja zurück.«
Der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen. Ich wandte erschrocken den Kopf und sah sie entsetzt an. »Du meinst …«
Sie nickte. »Vielleicht war er in der Zwischenzeit in deiner Wohnung, um zu überprüfen, ob wir dorthin gegangen sind. Und als er uns dort nicht fand, dachte er sich, dass wir vielleicht hierher zurückgekommen sind. Wir sollten uns daher wirklich beeilen und nicht länger als unbedingt nötig hier sein.«
»Du hast recht.« Ich wusste nicht, wie oft ich diesen Satz in den letzten Minuten gesagt hatte. Aber es stimmte nun einmal. Ich musste immer mehr einsehen, dass ich, wäre ich auf mich allein gestellt gewesen, in einer derartigen Situation überfordert und aufgeschmissen gewesen wäre. Gut, dass ich Alessia an meiner Seite hatte, die im Gegensatz zu mir in der Lage war, alle Eventualitäten zu berücksichtigen und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Andererseits wäre ich ohne sie erst gar nicht in diese Situation geraten, sondern würde jetzt gemütlich im Büro eines Mitarbeiters der Werbeagentur sitzen und mein Storyboard erläutern.
»Ich weiß, dass es nicht angenehm ist, einen Toten zu durchsuchen. Aber wir müssen uns Gewissheit verschaffen.«
»Ich weiß. Ich schaff das schon. Geh du lieber schon mal deine Sachen zusammenpacken.«
»Am besten ziehst du deine Handschuhe an«, sagte Alessia, bevor sie sich abwandte, und fügte, als sie das Badezimmer verließ, hinzu: »In fünf Minuten bin ich fertig.«
Sie hatte schon wieder recht. Ich schüttelte den Kopf, weil ich nicht selbst an meine Handschuhe gedacht hatte. Aber vermutlich trug ich sie noch nicht lange genug bei mir, um mir ihrer Gegenwart ständig bewusst zu sein. Außerdem wollte ich sie nicht pausenlos tragen, sondern nur als Vorsichtsmaßnahme im dichtesten Gedrängel in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, wo es meist eng zuging und Körperkontakt in der Regel unvermeidbar war. Deshalb trug ich in diesem Jahr sogar im Sommer immer langärmlige Shirts und Hemden.
Ich hängte das Handtuch wieder ordentlich über den Halter und zog meine Handschuhe aus der Jackentasche. Wenn ich sie bereits getragen hätte, als ich die Wohnung das erste Mal betreten hatte, hätte ich mir um Fingerabdrücke auf der Elefantenmaske und in der restlichen Wohnung überhaupt keine Gedanken machen müssen und sofort die Polizei einschalten können. Vielleicht sollte ich sie von nun an immer tragen, sobald ich aus dem Haus ging, auch wenn ich dann noch öfter irritierte Blicke meiner Mitmenschen erntete.
Ich streifte die Handschuhe über, überprüfte ihren Sitz und zog sie noch einmal glatt. Mir war allerdings klar, dass ich damit nur Zeit schinden und den Zeitpunkt, an dem ich mich dem Leichnam widmen musste, hinauszögern wollte. Doch es half ja nichts. Ich musste den Toten durchsuchen und hatte dafür nur ungefähr viereinhalb Minuten Zeit, weil wir uns beeilen mussten. Also sollte ich besser nicht länger zögern.
Ich seufzte, bevor ich mich auf den Badewannenrand setzte, den ich vorhin erst sauber gewischt hatte, und meine Aufmerksamkeit auf die Leiche richtete. Die Kleidung des Mannes – Rollmütze, Rollkragenpulli, Jogginghose und Turnschuhe, alles in schwarz – erwies sich für mich nun als Glücksfall, denn da er keine Jacke und Jeans so wie ich trug, gab es nicht viele Taschen, in die ich meine Hände stecken und die ich durchwühlen musste, ohne zu wissen, was ich darin finden würde. Ich hoffte, dass er nicht der Typ war, der angelutschte Bonbons oder gekaute Kaugummis in die Hosentasche steckte.
Die Jogginghose hatte nur vorn zwei Taschen, der Pulli überhaupt keine. Wenn ich mich endlich dazu aufraffen könnte, anzufangen, wäre ich vermutlich bald fertig und könnte die Leiche und das Bad verlassen.
Ich streckte beide Hände nach vorn, fasste mit der linken zaghaft nach dem Saum des Pullis und zog ihn ein Stück nach oben, damit ich in die rechte Hosentasche fassen konnte. Ich verzog angeekelt das Gesicht, als ich meine rechte Hand langsam in den Schlitz der Tasche schob. Ich bewegte vorsichtig meine Finger, konnte jedoch nichts ertasten. Also schob ich sie tiefer hinein, bis sie auf den unteren Saum der Tasche stießen und es nicht weiterging. Ich tastete ein bisschen hin und her, fand jedoch rein gar nichts. Die Tasche war leer. Entweder hatte der Typ, weil er ein Profi war, nichts bei sich gehabt, das den Behörden für den Fall, dass er gefasst wurde, einen Hinweis auf seine Identität liefern könnte, oder derjenige, der ihn umgebracht hatte, hatte ihn schon durchsucht und alles mitgenommen.
Ich zog meine Hand aus der Tasche, war froh über die Handschuhe und wiederholte die Prozedur dann auf der anderen Seite. Doch auch hier war das Ergebnis dasselbe. Obwohl ich durch den Stoff der Handschuhe nicht so gut fühlen konnte wie mit bloßen Fingern, fand ich nicht einmal einen Krümel in den Taschen der Jogginghose.
Ich zog die Hand wieder heraus und war erleichtert, den Kontakt – auch wenn es kein Hautkontakt war – beenden zu können. Eigentlich hätte ich jetzt aufstehen und gehen können. Ich hatte ihn durchsucht und nichts gefunden. Aufgabe erledigt! Allerdings konnte ich mir vorstellen, dass Alessia mich fragen würde, ob ich den Toten wirklich gründlich durchsucht hatte. Wenn ich ihr dann sagen musste, wo ich gesucht hatte, würde sie mich vermutlich wieder ansehen, als hätte ich sie über alle Maßen enttäuscht.
Ich seufzte, bevor ich beide Hände ausstreckte und den Körper des Toten systematisch abtastete, um zu überprüfen, ob er unter der Kleidung etwas bei sich trug. Die Leiche bewegte sich dabei ein bisschen, und der Schlauch, an dem sie hing, raschelte.
Als die Leiche plötzlich ein lautes Stöhnen von sich gab, zuckte ich erschrocken zusammen und riss meine Hände zurück. Im ersten Moment dachte ich, Alessia und ich hätten uns geirrt und der Kerl wäre trotz des Lochs in seiner Stirn gar nicht tot, sondern nur bewusstlos gewesen und würde in diesem Augenblick wieder zu sich kommen. Doch ein kurzer Blick in seine Augen verriet mir, dass er noch immer mausetot war. Sein Mund stand jetzt allerdings ein wenig offen und entließ einen üblen Geruch, der mich angeekelt das Gesicht verziehen ließ. Anscheinend hatten sich noch Luftblasen in seinem Magen oder seiner Speiseröhre befunden und waren durch die leichte Bewegung des Körpers gelöst worden und nach oben gestiegen, um durch seinen Mund zu entweichen – ein postmortales Bäuerchen gewissermaßen.
Obwohl es alles andere als witzig war, musste ich dennoch grinsen. Ich überlegte, ob ich die Leiche überhaupt noch weiter abtasten sollte. Vermutlich würde ich ohnehin nichts finden. Doch dann vergegenwärtigte ich mir Alessias missbilligenden Blick und machte weiter. Den Oberkörper hatte ich vor dem übelriechenden Rülpser bereits abgeklopft. Den Unterleib ließ ich aus. Selbst wenn er dort einen Ausweis, ein schriftliches Geständnis und eine Wegbeschreibung zu seinem Auftraggeber aufbewahren sollte, würde es mich dennoch nicht dazu bringen, an seinem Hintern oder seinem Intimbereich herumzufummeln. Igitt!
Also klopfte ich die Beine ab, so wie ich es Polizisten im Fernsehen bei Leibesvisitationen hatte tun sehen. Erst das linke und dann das rechte Bein. Ich war allerdings nur noch halbherzig bei der Sache, da ich mir ohnehin nichts davon versprach.
»Und? Was gefunden?«
Ich erschrak, als Alessia mich so unvermittelt ansprach, denn ich hatte sie gar nicht hereinkommen gehört, und wandte ruckartig den Kopf. Sie stand in der offenen Badezimmertür, hatte eine kleine Reisetasche in der Hand und sah mich fragend an.
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn er überhaupt etwas bei sich hatte, dann muss es der Mörder mitgenommen haben.«
Alessia sah enttäuscht aus. »Schade. Ich habe gehofft, wir würden etwas finden, das Licht ins Dunkel bringt und uns weiterhilft.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.«
»Tja. Da kann man nichts machen. Aber jetzt sollten wir uns beeilen und zusehen, dass wir von hier verschwinden.«
Ich erhob mich, warf einen letzten Blick auf den Toten und zog dann den Duschvorhang wieder zu, ehe ich mich der Tür näherte. »Hast du schon in der Toilette nachgesehen, ob meine Arbeitsmappe da liegt?«
Alessia nickte. »Leider auch dort Fehlanzeige. Sie befindet sich also definitiv nicht mehr in der Wohnung. Und auch von der Maske und meinem Föhn fehlt jede Spur.«
»Dann muss der Mörder die Sachen mitgenommen haben.«
Alessia sagte nichts, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Komm schon! Lass uns von hier verschwinden!« Sie wandte sich ab und setzte sich in Bewegung.
Ich folgte ihr ohne ein weiteres Wort, und wir verließen die Wohnung. Während sie die Tür abschloss, wartete ich auf dem Treppenabsatz und überlegte, ob ich die Handschuhe anbehalten sollte. Ich entschied mich allerdings dagegen, denn mit den Handschuhen würde ich nur unnötige Aufmerksamkeit erregen. Und das wollte ich momentan lieber vermeiden, denn möglicherweise wurden wir bereits von einem weiteren Killer gesucht.