Читать книгу Der gefundene Sohn - Edeltraud-Inga Karrer - Страница 6

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2. Kapitel

Die beiden sind ungefähr vier Jahre alt. Brav spielen sie miteinander im Garten. Jack schreit, Andy wirft mit Erdklumpen nach seinem plärrenden Bruder. Magda sieht aus dem Fenster – alles in Ordnung, alles wie immer.

Eine Stunde später steht Jack mit schmutzigem und tränenverschmiertem Gesicht vor seiner Mama, schaut sie vorwurfsvoll an und gibt noch den einen und anderen Restschluchzer von sich. Wieso ist sie nicht sofort gerannt und hat ihren Sohn gerettet? Sie schnappt ihn sich und es geht ab ins Badezimmer. Als sie nach einer Viertelstunde mit dem sauberen Junior wieder herauskommt, wundert sie sich, dass Andy noch nicht erschien, der doch jede Gelegenheit nutzt, sich in die Küche zu stehlen, um nach einem Butterbrot, einem Apfel oder etwas anderem Essbaren zu greifen. Man sieht es ihm nicht an, dass er immer Appetit hat, so hoch aufgeschossen und dünn wie er ist.

Im Garten findet Magda ihn nicht. Wo steckt er nur? Besorgt läuft sie die Straße hinauf und hinunter. In der Nähe entsteht gerade eine neue Siedlung. Die Baugruben sind schon ausgehoben und hier hat sich inzwischen der Regen gesammelt. Besorgt geht sie zu jeder Senke und schaut voller Angst hinein. Das Wasser steht Gott sei Dank nicht sehr hoch. Sie könnte ihn sehen, wenn er dort hineingefallen wäre.

Nun wird sie immer unruhiger. So lange hat sie ihn bislang noch nicht aus den Augen verloren. Unschlüssig geht sie zurück ins Haus. Vielleicht ist er inzwischen ja wieder aufgetaucht und steht in der Küche. Nein, hier ist er auch nicht. Im Moment fällt ihr nicht ein, was sie noch machen könnte. Da klingelt es an der Tür. Ein Nachbar steht davor und fragt, ob ihre Söhne zuhause seien. Der Mann schaut in angstgeweitete Augen. Hastig schreit sie fast: »Nein, Andy ist weg! Haben Sie ihn gesehen?«

Er sei eben vom Einkaufen heim gefahren, da habe er auf der Bundesstraße einen kleinen Jungen mit einem Dreirad gesehen. Ob er eine rote Jacke anhabe? Ja, hat er.

»Ich hole ihn!« Schnell läuft er zu seinem Auto und ist einen Moment später auch schon vom Hof in Richtung Bundesstraße gefahren.

Ein paar Minuten später ist er wieder zurück – mit Andy im Schlepptau.

Magda kann sich nicht entscheiden, ob sie sehr glücklich oder sehr sauer sein soll. Vor lauter Unentschiedenheit bedankt sie sich noch nicht einmal bei dem netten Helfer.

Andy macht nicht den Eindruck, als wenn er besonders schuldeinsichtig sei. »Wie kommst du bloß auf die Idee, zur Bundesstraße zu fahren? Das ist doch gefährlich! Ich kann es nicht fassen! Tausendmal habe ich euch gesagt, dass ihr nicht weggehen sollt, ohne mich oder Papa zu fragen.« Letztendlich hat sie sich doch für das Sauersein entschieden.

Als Andy endlich dazu kommt, auch mal etwas zu sagen, entgegnet er: »Ich wollte doch die Oma besuchen. Die hat gesagt, sie ist immer so allein. Und da wollte ich mal zu ihr fahren.«

Nun kommt sie doch mit sich überein, sich glücklich fühlen zu wollen. Sie nimmt ihren Großen in die Arme: »Ich bin so froh, dass du wohlauf bist. Und wenn du wieder einmal die Oma besuchen willst, dann fahren wir mit dem Auto hin, dann sind wir viel schneller bei ihr. Einverstanden?«

Ja, Andy ist einverstanden. Magda zieht sich schnell eine Jacke über und läuft zum Nachbarn, der ihren Sohn geholt hat und bedankt sich herzlich bei ihm.

Jack sitzt derweil in seinem Zimmer und baut etwas mit seinen Legosteinen zusammen. Er ist so versunken in seine Aufgabe, dass er kaum mitbekommt, als seine Mama das Zimmer betritt und ihm erzählt, dass Andy wieder da ist. Irritiert schaut er hoch: »War der weg?«

Jeden Tag gibt es etwas Neues zu entdecken, für Andy draußen in der Natur, für Jack eher drinnen bei seinen Legos.

Seit der Geburt ihrer Kinder ist auch für Magda und Jo nicht mehr jeder Tag wie der andere. Es ist schwer, sich immer wieder auf die neuesten Anforderungen einzustellen, denen sie durch ihre Söhne, vor allem durch Andy, sie ausgesetzt sind. Wenn dann beide im Bett liegen und sich ebenfalls endlich ausruhen können, dauert es nur Minuten, bis die strapazierte Mutter vom Schlaf übermannt wird.

So sitzen die Eltern nur noch hin und wieder vor dem Fernsehapparat. Heute wird ein spannender Abenteuerfilm gesendet, den Jo gern anschauen möchte und Magda setzt sich dazu. Plötzlich bemerkt sie aus dem Augenwinkel heraus, dass sich die Wohnzimmertür ganz vorsichtig und leise öffnet. Sie wartet ab, was weiter geschieht. Die Tür ist vielleicht zehn Zentimeter offen und der Sehschlitz wird auch nicht größer. Für den geschickten Andy reicht das jedoch völlig aus, um der Handlung des Filmes zu folgen. Seit einer Stunde sollte er eigentlich schlafen. Doch offensichtlich ist sein Erschöpfungszustand noch nicht so hoch wie der seiner Mutter.

Sie dreht sich plötzlich zu dem kleinen Spanner um und er fährt erschrocken zusammen, dabei öffnet sich die Tür ganz.

»Du gehst sofort wieder in dein Bett!«, kommandiert seine Mama. »Warum?«, mault er. »Weil du sechs Jahre alt bist und diesen Film nicht sehen darfst.« Ist das nun Erklärung genug? Sie hat keine Lust auf eine Debatte. So steht sie auf, schnappt sich den meuternden Sohn und schleift ihn mehr oder weniger ins Kinderzimmer. »So, und nun ab ins Bett!« Sie hat sich durchgesetzt! Nun kann sie sich vielleicht noch ein bisschen zu Jo kuscheln.

Es dauert einige Minuten, vielleicht eine Viertelstunde, da hört sie erstens, dass ihr Mann schnarcht und zweitens fällt die Wohnungstür ins Schloss.

»Hm, was war das jetzt?« Sie springt auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie hört jemand die Treppe hinabschlurfen, möchte aber erst noch ein bisschen beobachten. Sie schaut aus dem Fenster und siehe da, ihr Ältester schleift einen Koffer hinter sich her, aus dem ein paar Sachen heraushängen. Sie sieht ihn deutlich unter der Straßenlaterne. Damit er nicht über die gefährliche Straßenkreuzung läuft, rennt sie jetzt hinterher. Andy hat noch ungefähr zehn Meter zu gehen, bis er auf dem Bürgersteig ist, der zur Kreuzung führt.

Sie folgt ihm und versteckt sich immer wieder hinter geparkten Autos oder Hausecken. Sie möchte sehen, wie er sich in dieser Ausnahmesituation verhält. Dann stellt er seinen, für ihn scheinbar zu schweren Koffer auf den Weg, schaut noch einmal zurück zur Wohnung und setzt sich auf das Gepäckstück.

Als Magda die Ratlosigkeit und Unentschlossenheit ihres kleinen Ausreißers sieht, läuft sie zu ihm, nimmt ihn in den Arm und trägt seinen Koffer nach Hause. Er ist sehr erleichtert.

»Wo wolltest du denn hin?«

»Weiß ich nicht. Vielleicht zu Oma, weil …, da darf ich immer fernsehen, wenn ich will.« Seine Mama ist nicht wirklich von dem Wahrheitsgehalt seiner Worte überzeugt.

Sie kennt ihre Mutter genau und weiß, die ist noch viel strenger, was das Fernseh anschauen angeht. Aber das diskutiert sie jetzt nicht.

Als sie kurze Zeit später ihren Sohn wieder ins Kinderzimmer geschickt hat und das Wohnzimmer betritt, schläft ihr Jo immer noch tief und fest. Gut so, es reicht, wenn sich einer aufregt.

Der gefundene Sohn

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