Читать книгу Der gefundene Sohn - Edeltraud-Inga Karrer - Страница 8
Оглавление4. Kapitel
Abends kehrt Andy in einer Jugendherberge ein. Er will sparsam mit seinem Geld umgehen. Irgendwann gegen Mittag hatte er an einer Imbissbude angehalten und zwei Würstchen und Pommes gegessen. Im Supermarkt kaufte er ein paar Flaschen Wasser. So, nun muss er noch irgendwo etwas vespern.
Auch das ist geschafft und er legt sich nach einer kurzen Dusche in sein Bett. Es ist noch früh am Abend, aber er ist von der ungewohnt langen Wanderung müde. Irgendwann in der Nacht hört er, dass sich jemand in das Bett nebenan legt. Nichts ungewöhnliches in einem Schlafsaal. Man muss sich bei der wirklich günstigen Übernachtungsmöglichkeit damit abfinden. Bald darauf ist er wieder eingeschlafen.
Am Morgen scheint die Sonne durch die Fenster und er rappelt sich auf. Neben ihm liegt ein junger Mann, wohl der, der ihn in der Nacht geweckt hat. Sehr kurze dunkle Haare liegen auf dem Kissen. Vom Gesicht sieht man nicht sehr viel. Er hat es mit der Decke fast komplett eingepackt.
Als Andreas gestern ankam, las er auf einem Hinweisschild, wo der Frühstücksraum ist. Also, noch einmal unter die Dusche und auf zum Magenfüllen!
Es duftet im Haus nach Kaffee und es gibt tatsächlich frische Brötchen. Er lässt es sich gut gehen und hat Zeit. Nach dem eigentlichen Frühstück holt er sich noch ein Glas Saft und will wieder Platz nehmen. Da stellt er fest, dass sich sein Bettnachbar an seinen Tisch gesetzt hat und ebenfalls sein Frühstück verzehrt. Sie begrüßen sich und kommen ins Gespräch.
Jonathan ist – wie Andreas – auf der Wanderschaft. Auch er will ein wenig von der Welt sehen, bevor das harte Berufsleben beginnt. Sie stellen fest, dass sie ähnliche Vorstellungen haben und planen, ihren Weg ab sofort gemeinsam zu gehen. Sie wollen sich heute die Stadt ansehen, noch einmal übernachten und sich morgen früh in das Abenteuer stürzen.
Inzwischen sind sie schon eine Woche miteinander unterwegs und lernen sich immer besser kennen und vertrauen. Große Städte meiden sie. Beide sind sich einig, dass sie sich so weit wie möglich von der Zivilisation entfernen wollen. Das gelingt ihnen nicht immer, doch sie marschieren durch viele Wälder und über viele Wiesen, um asphaltierten Straßen und Betonwegen auszuweichen. Hier, wo sie sich gerade befinden, kennen sie sich nicht mehr aus. Ein Kompass, den Jonathan vorsorglich in seinem Gepäck mitgenommen hat, zeigt ihnen oft ihren weiteren Weg.
Sie hatten sich darauf geeinigt, ganz oben im Norden anzufangen, um Deutschland zu erkunden. So kommen sie irgendwann an der Küste an, die im strahlenden Sonnenschein vor ihnen liegt. Rechts und links zieht sich der Deich, Schutzwall gegen stürmische Tage, dahin. Sie gehen die Stufen hinauf und laufen über Grasstücke, die die vielen Schafe bereits abgeweidet haben.
Vom Meer sehen sie zunächst einmal nichts. Die Nordsee hat sich weit zurückgezogen und ihren nassen Grund entblößt, der den Möwen einen reich gedeckten Tisch präsentiert. Muscheln, Seesterne, Algen aber auch Treibholz, leere Dosen und Plastikflaschen nehmen ihren vorübergehenden Platz ein. Es wird nur noch ein paar Stunden dauern, bis sich das Bild wieder ändert. Dann wird das grüngraue Nass den Strand wieder zurückerobern und das Gelage der Möwen beendet sein.
Es riecht nach Teer und Salz. Der ständige Wind verfängt sich in ihren Schildkappen und lässt sie davonfliegen. Durch Andreas blonde, nun doch zu lange Haare und Jonathans dunkle Stoppeln weht er hindurch. Lachend rennen sie hinter ihren Mützen her und fangen sie wieder ein. Die Möwen sehen sich das Wettrennen an und müssen laut über soviel Übermut lachen.
In der Teestube, an der sie vorhin vorbeigekommen waren, lassen sie sich nieder und genießen, dass sie ihre Beine ausstrecken und sich erholen können.
Der nächste Morgen findet sie fröhlich bei ihrem Frühstück draußen im Freien. Schon früh haben sie sich aus den viel zu weichen Matratzen gerollt, ihren Rücken ein bisschen gedehnt und sich vorgenommen, sich östlich zu halten.
Sie bestaunen auf ihrer Wanderung die Kieler Förde, müssen ihren Kopf weit in den Nacken legen, um die Spitze des Marineehrenmals zu sehen und stapfen in dem engen U-Boot schön geordnet in Reih und Glied hinter den anderen Besuchern her, weil Gegenverkehr nur sehr schwer zu bewerkstelligen ist. Als Andy rechts und links schaut und nicht genug auf seine Füße achtet, tritt er einem Mann in die Hacken. Dieser dreht sich sofort um und herrscht ihn an: »Kannst du nicht aufpassen, du Stoffel!« Andy hätte am liebsten erwidert: »Selber Stoffel!« Aber er verkneift es sich. Hier ist eine, über das Verbale hinausgehende Auseinandersetzung wegen der schmalen Gangmöglichkeiten nur sehr schwer umzusetzen.
Draußen wartet der Getretene auf Andy. Er hat offensichtlich große Lust auf eine ordentliche Prügelei. Andy ebenso, doch der abgeklärte Jonathan verhindert seelenruhig das Duell.
»Kommt, hört auf zu spinnen. Das ist doch kein Grund zur Schlägerei. Lasst uns lieber ein Bier darauf trinken. Wir laden dich ein – wie heißt du eigentlich?«
»Hinnerk«, antwortete dieser und sieht ihn völlig überrascht an. Mit einer solchen Wendung der Sache hat er nicht gerechnet.
»Also kommt, du bist eingeladen Hinnerk.«
»Aber nicht von mir«, mault Andy, geht aber letztendlich doch mit.
Nach ein paar Stunden trollen drei gutgelaunte, etwas zu laut und falsch singende Burschen durch den Ort. Andy und Hinnerk schlagen sich in trauter Zweisamkeit ständig auf die Schultern, um sich zu versichern, dass sie die besten Freunde sind. Hinnerks rote Locken schauen unter der schief sitzenden Kappe hervor, was ihm ein verwegenes Aussehen gibt.
Jonathan hat auch zu tief in mehrere Gläser geschaut und es ist nicht beim Schauen geblieben. Er muss sich mächtig anstrengen, einigermaßen gerade zu gehen, um nicht lächerlich zu wirken. Bei dem Freudentaumel der beiden frischversöhnten Kameraden kann er nicht mitmachen. Er fürchtet sich übergeben zu müssen, wenn er sich mehr als unbedingt notwendig bewegt.
Sie finden sich in ihren Betten wieder und Jonathan kämpft gegen die Karussellfahrt an, aus der es ihm einfach nicht gelingt, auszusteigen. Doch irgendwann findet auch er einen beruhigenden Schlaf, während Andy längst mit seinem Schnarchen beginnt.Es hört sich an, als würde er sämtliche Bäume in der Umgebung absägen.
Der nächste Tag fängt für alle drei nicht besonders früh an. Sie versuchen vergeblich, sich ihren Kater nicht anmerken zu lassen.
Ja, auch Hinnerk wollte keinen Tag mehr zuhause bleiben. Er hatte einen Riesenkrach mit Dörte gehabt. Dörte war seine Freundin. Sie hatte ihn vorgestern hochkant rausgeschmissen. Muss man sich mal überlegen. Sie waren drei Jahre zusammengewesen und er hatte alles für sie getan – sagt er.
»Und nun kommt da ein Jüngling vorbei, wisst ihr, so ein hochgestochener, feiner, mit sauberen Fingernägeln, und ich muss dem Platz machen. Das kann doch wohl nicht angehen. Wartet mal, die wird sich noch umgucken und mich wiederhaben wollen. Aber dann hat sie sich geschnitten.«, schnaubt immer noch vor Wut. Es sieht so aus, als wenn das auch noch eine Weile anhalten würde.
Das Frühstück schmeckt ihnen trotzdem und sie beschließen, den weiteren Weg miteinander zu gehen.