Читать книгу Der Leuchtturmwächter - Edi Mann - Страница 5
Prolog
ОглавлениеUnd wir: Zuschauer, immer, überall, dem allen zugewandt und nie hinaus! ...
Wer hat uns also umgedreht, dass wir, was wir auch tun, in jener Haltung sind von einem, welcher fortgeht?
- Rilke
Zeit scheint nicht mehr als eine psychische Erscheinung zu sein, die von mir, vom Beobachter, abhängt. Hier wurde sie vergessen, das heißt sie hörte auf zu existieren. Deshalb vermag ich nicht einmal abzuschätzen wie viel von dieser Zeit seit meinem Aufbruch aus dem Grenzland, das einstmals so etwas wie eine Heimat für mich darstellte, vergangen ist. Die Erinnerungen daran verblassen wie die Fußspuren, die ich als einziges Zeugnis meiner Anwesenheit auf dieser so unbeständigen und wechselhaften Erde zurücklasse. Wo ist die vergangene Zeit? Sie scheint nie existiert zu haben und doch ist sie gerade jetzt da. In diesem vielgepriesenen Jetzt, das sich bei näherer Betrachtung jedoch nur als ein Zeugnis fragwürdiger vergangener Ereignisse herausstellt. Genauso wie der nächste und übernächste Moment auch. Selbst ganz aus dieser Vergangenheit hervorkommend gebe ich ihr den Namen Erinnerung.
Schon zu Anbeginn der Zeit, meiner Zeit, begann ich dieser Erinnerung einen Altar zu errichten, einem großen massiven Schrank gleich, den ich an zentraler Stelle in mir aufstellte. Der Schrank der vergangenen Zeit, angefüllt mit Erinnerungen und anderen einstmaligen Wichtigkeiten. Schublade über Schublade, es müssen Tausende gewesen sein, vollgestopft und überquellend mit gemachten Erfahrungen, scheinbar Erlebtem, gebildeten Meinungen und richtungsweisenden Vorurteilen. Ganz oben, ohne Leiter kaum zu erreichen, befanden sich eine ganze Reihe teils aufwendig und reich verzierte Glaubenskisten. Manche davon noch im Originalzustand, die wächserne Versiegelung vor den Schlössern intakt und ungebrochen. Obwohl sie hier in meinem Schrank standen scheinen sie noch nie geöffnet worden. Andere wiederum waren weit geöffnet, ihr Inhalt breitete sich wie ein bunter Lamettaregen über das Darunterliegende aus. Alles in allem ein ziemlich chaotisches Inventarsystem der ganz eigenen Art, meiner eigenen Art.
Doch jetzt ist der Inhalt verbrannt und der den Altar bildende Schrank gleich mit ihm. Schwelende Reste eines ganzen Lebens. Der Gott des Jetzt, dieser „Ich bin“, scheint keine anderen Götter neben sich zu dulden. In seiner Vernichtungsarbeit ist er radikal und unerbittlich.
Sogar mein Schatten, bis vor kurzem noch munter vor mir hergehend und mir den Weg weisend, hat mich verlassen. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Sonne sich direkt im Zenit, sprich über mir, befindet. Mein breitkrempiger Hut, frisch geflochten aus trockenen Palmwedeln, bewahrt das Hirn davor im Innern des Kopfes gekocht zu werden. Einige grundlegende handwerkliche Fähigkeiten machen die Existenz in dieser doch recht extremen Umgebung etwas erträglicher. Obwohl sich natürlich schon die Frage stellt, was ich in der glühenden Mittagshitze auf diesem Pfad durch eine lebensfeindliche Wüste zu suchen habe.