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Der Sonntagspflicht wurde auf Bellomont vor allem durch das pünktliche Erscheinen des eleganten Pferdewagens Genüge getan, der dazu bestimmt war, die Gesellschaft zu der kleinen Kirche vor den Toren des Anwesens zu befördern. Ob jemand ihn bestieg oder nicht, war weniger wichtig, denn allein dadurch, dass er bereitstand, legte er nicht nur Zeugnis für die orthodoxen Absichten der Familie ab, sondern vermittelte Mrs. Trenor, wenn sie ihn schließlich abfahren hörte, außerdem das Gefühl, sie hätte ihn auf irgendeine stellvertretende Weise auch benutzt.

Es war Mrs. Trenors feste Überzeugung, dass ihre Töchter wirklich jeden Sonntag zur Kirche gingen; aber weil die Konfession ihrer französischen Erzieherin diese in die rivalisierende Kirche rief, und die Mühsal der Woche die Mutter der Mädchen bis zum Mittag in ihrem Zimmer bleiben ließ, war selten jemand da, diese Tatsache nachzuprüfen. Ab und zu, in unregelmäßig auftretenden Anfällen von Tugendhaftigkeit – wenn es in der Nacht im Haus gar zu hoch hergegangen war – zwängte Gus Trenor seine joviale Fülle in einen engen Gehrock und riss seine Töchter aus dem Schlaf, aber normalerweise waren, wie Lily Mr. Gryce erklärt hatte, seine Vaterpflichten vergessen, bis die Kirchenglocken über den Park hinweg erklangen und der Pferdewagen leer wieder abgefahren war.

Lily hatte Mr. Gryce andeutungsweise zu verstehen gegeben, dass eine solche Nachlässigkeit religiösen Pflichten gegenüber ganz und gar im Widerspruch zu den Traditionen stehe, zu denen man sie von Kind an erzogen habe, und dass sie während ihrer Besuche auf Bellomont Muriel und Hilda stets zur Kirche begleitete. Dies entsprach ihrer Versicherung – ihm ebenso vertraulich mitgeteilt –, dass sie, die doch nie zuvor Bridge gespielt hatte, am Abend ihrer Ankunft in das Spiel »hineingezogen« worden war und eine entsetzlich hohe Summe Geld verloren hatte, weil ihr das Spiel und die Regeln für den Einsatz gar nicht richtig bekannt waren. Mr. Gryce genoss Bellomont ganz offensichtlich. Die unbefangene Leichtigkeit und der Glanz des Lebens dort gefielen ihm ebenso wie die Bedeutung, die er als Person dadurch gewann, dass er zu dieser illustren Gruppe reicher Leute gehörte. Andererseits empfand er sie aber als sehr materialistische Gesellschaft; es gab Zeiten, da versetzte ihn die Unterhaltung der Männer und das Aussehen der Damen in Angst und Schrecken, und er war froh, als er hörte, dass Miss Bart trotz all der Leichtigkeit und Selbstsicherheit, mit der sie sich in dieser Gesellschaft bewegte, in einer so zweifelhaften Atmosphäre doch nicht ganz zu Hause war. Aus diesem Grunde war er besonders erfreut zu erfahren, dass sie die beiden Trenor-Mädchen wie gewöhnlich am Sonntagmorgen zur Kirche begleiten würde, und wie er so auf dem Kiesweg vor dem Hauseingang auf und ab ging, seinen leichten Mantel über dem Arm und ein Gebetbuch in der sorgfältig behandschuhten Hand, empfand er den Gedanken an ihre Charakterstärke, die sie den Grundsätzen ihrer Erziehung auch in einer Umgebung die Treue halten ließ, welche religiösen Prinzipien abweisend gegenüberstand, als überaus angenehm.

Lange Zeit hatten Mr. Gryce und der Pferdewagen den Kiesweg für sich, aber weit davon entfernt, die traurige Gleichgültigkeit auf Seiten der anderen Gäste zu bedauern, merkte er, wie er die Hoffnung nährte, Miss Bart möge ohne Begleitung erscheinen. Die kostbaren Minuten vergingen jedoch wie im Flug; die großen Braunen scharrten mit den Hufen auf dem Boden, ihre Flanken waren vor lauter Ungeduld scheckig von Schaum; der Kutscher schien auf seinem Sitz langsam zu versteinern, genau wie der Pferdeknecht auf der Türschwelle, und noch immer erschien die Dame nicht. Plötzlich jedoch hörte man Stimmen und das Rascheln von Frauenröcken im Eingang; Mr. Gryce steckte seine Uhr in die Tasche und wandte sich nervös aufgeschreckt der Tür zu, aber nur, um dann Mrs. Wetherall in das Gefährt zu helfen.

Die Wetheralls gingen immer zur Kirche. Sie gehörten zu der großen Gruppe menschlicher Automaten, die durchs Leben gehen, ohne auch nur eine einzige Handlung, die von den übrigen Marionetten ausgeführt wird, ausgelassen zu haben. Es stimmte schon, dass die Bellomonter Marionetten nicht zur Kirche gingen, aber andere, die ebenso wichtig waren, taten es – und Mr. und Mrs. Wetheralls Bekanntenkreis war so groß, dass auch Gott mit auf ihrer Besucherliste stand. Sie erschienen also pünktlich und in ihr Schicksal ergeben, mit dem Gesichtsausdruck von Leuten, die eine langweilige Abendgesellschaft vor sich haben, hinter ihnen die Nachzügler Hilda und Muriel, die gähnten und sich noch gegenseitig ihre Schleier und Bänder festmachen mussten. Die beiden erklärten, sie hätten Lily versprochen, mit ihr zur Kirche zu gehen, und Lily sei ein so lieber Kerl, dass sie nichts dagegen hätten, wenn sie ihr damit einen Gefallen täten, obwohl sie sich gar nicht vorstellen konnten, wieso sie sich das in den Kopf gesetzt hatte, und obwohl sie persönlich ja viel lieber draußen mit Jack und Gwen Tennis gespielt hätten, wenn Lily ihnen nicht gesagt hätte, dass sie kommen würde. Den Misses Trenor folgte Lady Cressida Raith, eine vom Wetter gegerbte Frau in Liberty8 mit ethnologischem Schmuck behangen, die, als sie den Pferdewagen sah, ihrer Überraschung darüber Ausdruck verlieh, dass sie nicht zu Fuß durch den Park gehen würden; auf Mrs. Wetheralls entsetzten Protest hin, die Kirche liege doch eine ganze Meile weit entfernt, fügte sich ihre Ladyschaft nach einem Blick auf die Höhe von Mrs. Wetheralls Absätzen in die Tatsache, dass man würde fahren müssen, und der arme Mr. Gryce sah sich gezwungen, zwischen vier Damen davonzurollen, für deren geistiges Wohl er nicht das leiseste Interesse verspürte.

Es hätte ihn vielleicht etwas getröstet, wenn er gewusst hätte, dass Miss Bart wirklich vorgehabt hatte, zur Kirche zu gehen. Sie war sogar früher als sonst aufgestanden, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie hatte so eine Ahnung, dass der Anblick, den sie in einem grauen Kleid von schlicht frommem Schnitt bieten würde, ihre berühmten Wimpern auf ein Gebetbuch gesenkt, Mr. Gryces Unterwerfung zur Vollendung bringen und ein gewisses Ereignis unvermeidlich machen müsste, das, wenn es nach ihr ging, während des Spaziergangs, den sie nach dem Mittagessen unternehmen würden, stattfinden sollte. Kurz und gut, ihre Absichten waren nie bestimmter gewesen, aber die arme Lily war, wenn sie nach außen hin auch eine hartglänzende Hülle zur Schau trug, innerlich doch so weich und formbar wie Wachs. Ihre Fähigkeit sich anzupassen, sich in andere Menschen einzufühlen, erwies sich ihr zwar ab und zu bei kleineren zufälligen Ereignissen als hilfreich, stellte in den entscheidenden Augenblicken ihres Lebens jedoch nur ein Hindernis dar. Sie war wie eine Wasserpflanze im Strom der Gezeiten, und heute trug der Lauf ihrer Gefühle sie zu Lawrence Selden. Warum war er gekommen? War es, um sie oder um Bertha Dorset zu sehen? Das war die letzte Frage, die sie im Moment beschäftigen sollte. Sie hätte sich damit zufrieden geben sollen, dass er einfach einer verzweifelten Einladung seiner Gastgeberin gefolgt war, die alles daransetzte, ihn zwischen ihr, Lily, und der üblen Laune von Mrs. Dorset intervenieren zu lassen. Aber Lily hatte nicht eher Ruhe gegeben, als bis sie von Mrs. Trenor erfahren hatte, dass Selden aus eigenem Antrieb gekommen war.

»Er hat mir nicht einmal telegraphiert – er hat ganz zufällig den Zweisitzer am Bahnhof vorgefunden. Vielleicht ist doch noch nicht Schluss mit Bertha«, schloss Mrs. Trenor nachdenklich und ging dann, um ihre Tischkarten entsprechend anzuordnen.

Vielleicht war die Sache wirklich noch nicht zu Ende, überlegte Lily, aber sie würde es bald sein, es sei denn, sie hätte all ihre Geschicklichkeit verloren. Wenn Selden Mrs. Dorsets Ruf folgend gekommen war, so würde er auf Lilys Wunsch hin bleiben. So viel hatte ihr der vergangene Abend schon verraten. Mrs. Trenor hatte, wie immer ihrem Prinzip folgend, dass ihre verheirateten Freunde zufrieden gestellt werden mussten, Selden und Mrs. Dorset beim Dinner nebeneinander gesetzt, hatte aber, den althergebrachten Traditionen der Ehestifter gehorchend, Lily und Mr. Gryce getrennt, Erstere mit George Dorset zu Tisch geschickt, während Mr. Gryce und Gwen Van Osburgh ein Paar bildeten.

George Dorsets Konversation störte die Gedanken seiner Tischnachbarin nicht weiter. Er war ein vergrämter Dyspeptiker und immer bemüht, die gesundheitsschädlichen Bestandteile einer jeden Mahlzeit ausfindig zu machen, von dieser Sorge konnte nur die Stimme seiner Frau ihn ablenken. Bei dieser Gelegenheit nahm Mrs. Dorset jedoch nicht an der allgemeinen Unterhaltung teil. Sie sprach in leisen Tönen mit Selden, wobei sie ihrem Gastgeber verächtlich eine entblößte Schulter zuwandte; der seinerseits war weit davon entfernt, Einwände gegen sein Ausgeschlossensein zu erheben, und warf sich in die Exzesse des Menüs mit der glücklichen Verantwortungslosigkeit, die nur ein freier Mann empfindet. Für Mr. Dorset gab die Haltung seiner Frau offensichtlich Anlass zur Besorgnis, so dass er, wenn er nicht gerade die Sauce von seinem Fisch kratzte oder die feuchten Brotkrumen aus dem Innern seines Brötchens herauslöffelte, seinen dünnen Hals verrenkte, um sie zwischen den Kerzen hindurch wenigstens kurz sehen zu können.

Mrs. Trenor hatte zufälligerweise den Ehemann und seine Gattin einander gegenübersitzend platziert, und auch Lily war deshalb in der Lage, Mrs. Dorset zu beobachten, und wenn sie ihren Blick ein wenig weiter schweifen ließ, einen schnellen Vergleich zwischen Lawrence Selden und Mr. Gryce anzustellen. Es war dieser Vergleich, der ihr Verhängnis in die Wege leiten sollte. Warum sonst hätte sie sich plötzlich für Selden interessiert? Sie kannte ihn seit mehr als acht Jahren, er hatte zu ihrer Welt gehört, seitdem sie nach Amerika zurückgekommen war. Sie hatte sich immer gefreut, wenn sie neben ihm beim Dinner saß, hatte ihn angenehmer als die meisten Männer gefunden und hatte vage gewünscht, er möge auch jene anderen Qualitäten besitzen, die notwendig waren, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, aber bisher war sie zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen und hatte ihn nur als eine der erfreulicheren Begleiterscheinungen des Lebens angesehen. Miss Bart verstand es, in ihrem eigenen Herzen zu lesen, und sie erkannte, dass sie plötzlich so sehr mit dem Gedanken an Selden beschäftigt war, weil seine Gegenwart ein neues Licht auf ihre Umgebung warf. Nicht dass er auffallend brillant oder außergewöhnlich gewesen wäre, in seinem Beruf wurde er von mehr als einem Mann übertroffen, der Lily schon so manches ermüdende Dinner über gelangweilt hatte. Es lag vielmehr daran, dass er sich einen gewissen gesellschaftlichen Abstand erhalten hatte, eine beneidenswerte Haltung, die erkennen ließ, dass er die Vorführung, die sich ihm bot, objektiv betrachtete, dass er Kontakte außerhalb des großen goldenen Käfigs besaß, in den sie alle gezwängt waren, damit der Mob etwas zu gucken hatte. Wie verlockend Lily die Welt außerhalb dieses Käfigs erschien, als sie seine Tür hinter sich zuschlagen hörte! In Wahrheit wusste sie aber, dass die Tür nie zuschlug, sie stand immer offen, aber die meisten Gefangenen waren wie Fliegen in einer Flasche, die, einmal hineingeflogen, nie wieder ihre Freiheit erlangen konnten. Das Besondere an Selden war es, dass er den Weg nach draußen nie vergessen hatte.

Darin lag das Geheimnis, dass es ihm immer wieder gelang, ihre Sichtweise zurechtzurücken. Als sie den Blick von ihm abwandte, merkte Lily, wie sie ihre kleine Welt mit seinen Augen prüfend betrachtete, es war, als ob man die rosaroten Lampen weggeräumt und das Tageslicht eingelassen hätte. Sie sah den langen Tisch entlang und betrachtete eingehend die Menschen, die an ihm saßen, einen nach dem anderen, von Gus Trenor mit dem schweren Raubtierkopf tief zwischen seinen Schultern, wie er einen Kiebitz in Aspik verschlang, bis zu seiner Frau am andern Ende einer langen Reihe Orchideen, die mit ihrer auffällig zurechtgemachten Schönheit an das Schaufenster eines Juweliers erinnerte, wenn es von elektrischem Licht grell beleuchtet wird. Und zwischen den beiden, welch eine Leere die ganze lange Strecke über! Wie öde und banal diese Leute waren! Lily ging sie mit verachtungsvoller Ungeduld durch: Carry Fisher mit ihren Schultern, ihren Augen, ihren Scheidungen, ihrem ganzen Gehabe, als verkörpere sie einen »pikant geschriebenen Zeitungsartikel«; der junge Silverton, der einmal vom Korrekturlesen leben und dabei ein Epos hatte schreiben wollen und jetzt vom Geld seiner Freunde lebte und eine kritische Meinung in Bezug auf Trüffel entwickelte; Alice Wetherall, eine lebendig gewordene Besucherliste, deren glühendste Überzeugungen der Formulierung von Einladungen und dem Schriftbild von Tischkarten galten; Wetherall mit seinem ständigen nervösen Nicken der Zustimmung, seiner Gewohnheit, mit anderen einer Meinung zu sein, noch bevor er wusste, was sie sagen wollten; Jack Stepney mit seinem zuversichtlichen Lächeln und den ängstlichen Augen, eine Mischung aus einem Polizeibeamten und einer reichen Erbin; Gwen Van Osburgh mit all dem arglosen Vertrauen eines jungen Mädchens, dem man immer wieder gesagt hat, es gäbe niemand Reicheren als ihren Vater.

Lily lächelte über die Beurteilung ihrer Freunde. Wie anders waren sie ihr noch vor wenigen Stunden erschienen! Da waren sie Symbole dessen gewesen, was sie gewinnen würde, jetzt standen sie für das, was sie aufgab. Heute Nachmittag schien es so, als seien sie voller brillanter Eigenschaften; jetzt sah sie, dass sie nur auf laute Art nichtssagend waren. Unter dem Glanz ihrer Möglichkeiten erkannte sie, wie armselig das war, was sie erreicht hatten. Nicht, dass sie sich ihre Freunde selbstloser gewünscht hätte, nein, sie wünschte nur, sie wären lebensvoller, interessanter. Die Erinnerung daran, wie sie noch vor wenigen Stunden die Anziehungskraft der Werte dieser Leute gefühlt hatte, beschämte sie. Sie schloss ihre Augen für einen Moment, und die leere Routine des Lebens, das sie gewählt hatte, erstreckte sich vor ihr wie eine lange weiße Straße ohne jede Vertiefung oder Windung; es war schon wahr, sie würde in einer Kutsche die Straße entlangrollen, statt sich zu Fuß dahinschleppen zu müssen, aber manchmal hat der Fußgänger das Glück, eine vergnügliche Abkürzung zu finden, die denen auf Rädern versagt bleibt.

Sie wurde von einem glucksenden Lachen, das aus den Tiefen von Mr. Dorsets magerem Hals zu kommen schien, aus ihren Gedanken aufgeschreckt.

»Also wirklich, sehen Sie sich das an«, rief er und wandte sich mit kummervoller Heiterkeit Miss Bart zu –, »Entschuldigung, aber sehen Sie sich nur meine Frau an, wie sie den armen Teufel da drüben zum Narren hält! Man könnte meinen, sie wäre regelrecht hinter ihm her – und dabei ist es, das versichere ich Ihnen, genau andersherum.«

Auf seine dringende Bitte hin wandte Lily sich dem Schauspiel zu, das Mr. Dorset zu so berechtigter Heiterkeit veranlasste. Es schien ganz offensichtlich so zu sein, wie er gesagt hatte, dass Mrs. Dorset der aktivere Teil der kleinen Szene war; ihr Tischnachbar nahm ihre Annäherungsversuche mit so zurückhaltendem Interesse hin, dass sie ihn nicht einmal von seiner Mahlzeit abzulenken vermochten. Dieser Anblick stellte Lilys gute Laune wieder her, und weil sie wusste, auf welch sonderbare Art Mr. Dorset seine Ehesorgen zu verschleiern pflegte, fragte sie fröhlich: »Sind Sie nicht schrecklich eifersüchtig auf sie?«

Dorset nahm diese witzige Bemerkung freudig auf. »O ja, schrecklich – Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen – hält mich die ganze Nacht hindurch wach. Die Ärzte sagen mir immer, dass eben das meine Verdauung so durcheinanderbringt – dass ich so höllisch eifersüchtig auf sie bin. – Ich kann keinen Bissen von dem Zeug hier essen, wissen Sie«, fügte er plötzlich noch hinzu und schob seinen Teller mit finsterer Miene von sich, und Lily, anpassungsfähig wie immer, wandte ihre strahlende Aufmerksamkeit seiner fortgesetzten Verurteilung von Köchen anderer Leute zu, die noch von einer langen Tirade über die giftigen Eigenschaften geschmolzener Butter ergänzt wurde.

Es kam nicht oft vor, dass er ein so bereitwilliges Ohr fand, und da er ein Mann war, nicht nur ein Dyspeptiker, war es gut möglich, dass er, während er seine Klagen in dieses Ohr goss, nicht unberührt blieb von dessen rosiger Symmetrie. Auf jeden Fall nahm er Lilys Aufmerksamkeit so lange in Anspruch, dass die Süßspeise gereicht wurde, als sie einen Satz auf ihrer anderen Seite auffing, wo Miss Corby, die Komikerin der Gesellschaft, Jack Stepney wegen seiner herannahenden Verlobung neckte. Miss Corbys Rolle war die der Immer-Lustigen, grundsätzlich fiel sie mit einer Kapriole in die Unterhaltung ein.

»Und natürlich wirst du Sim Rosedale zum Brautführer machen!«, hörte Lily sie als Höhepunkt ihrer Prophezeiungen hervorbringen, und Stepney antwortete, als wäre er beeindruckt: »Donnerwetter, das ist die Idee. Was für ein Mordsgeschenk ich dann aus ihm herausholen könnte!«

Sim Rosedale! Der Name, dessen Widerwärtigkeit durch die Verkleinerung noch gesteigert wurde, drängte sich in Lilys Gedanken wie ein lüsterner Blick. Er stand für eine der verhasstesten Möglichkeiten, die von einem hinteren Winkel des Lebens ihren Schatten warfen. Wenn sie Percy Gryce nicht heiratete, könnte der Tag kommen, an dem sie höflich zu Männern wie Rosedale würde sein müssen. Wenn sie ihn nicht heiratete? Aber sie wollte ihn ja heiraten – sie war sich seiner und ihrer selbst doch ganz sicher. Mit Schaudern wandte sie sich von den verlockenden Wegen ab, auf denen ihre Gedanken in die Irre gegangen waren, und setzte ihren Fuß wieder mitten auf die lange weiße Straße … Als sie an diesem Abend auf ihr Zimmer kam, entdeckte sie, dass die letzte Post ihr noch ein neues Bündel Rechnungen gebracht hatte. Mrs. Peniston, die eine gewissenhafte Frau war, hatte sie alle nach Bellomont weitergeschickt.

Also stand Miss Bart am nächsten Morgen auf, voll und ganz davon überzeugt, dass es ihre Pflicht sei, zur Kirche zu gehen. Sie riss sich frühzeitig genug von den Freuden ihres Frühstückstabletts los, klingelte nach ihrer Zofe, die das graue Kleid zurechtlegen sollte und dann noch zu Mrs. Trenor geschickt wurde, um ein Gebetbuch auszuleihen.

Aber Lilys Vorgehen war zu ausschließlich vernunftbestimmt, um nicht den Keim des Widerstands in sich zu tragen. Kaum waren ihre Vorbereitungen beendet, als sich auch schon eine unterdrückte Gegenwehr in ihr bemerkbar machte. Ein kleiner Funken genügte, um Lilys Vorstellungskraft zu entzünden, und der Anblick des grauen Kleids und des geborgten Gebetbuchs warf ein weitreichendes Licht auf die Jahre, die vor ihr lagen. Sie würde jeden Sonntag mit Percy Gryce zur Kirche gehen müssen. Sie würden einen Kirchenstuhl ganz vorn in der teuersten Kirche von New York haben, und sein Name würde einen herausragenden Platz auf der Liste der Gemeindespenden einnehmen. Nach ein paar Jahren würde er fülliger werden, und man würde ihn zum Kirchenvorsteher ernennen. Einmal im Winter würde der Pfarrer zum Essen kommen, und ihr Gatte würde sie bitten, die Besucherliste durchzugehen und zu überprüfen, ob auch keine Geschiedenen darauf stünden, abgesehen von denjenigen natürlich, die ihre Reue dadurch bewiesen hatten, dass sie sich mit jemandem, der sehr reich war, wiederverheiratet hatten. Es war nichts besonders Schwieriges an dieser Reihe religiöser Verpflichtungen, aber sie stand für einen Teil des überwältigenden Bergs von Langeweile, der drohend seinen Schatten auf ihren Weg warf. Und wer ließ sich an einem solchen Morgen schon willig langweilen? Lily hatte gut geschlafen, und ihr Morgenbad hatte ihr eine angenehm rosige Wärme verliehen, die sehr hübsch auf der klaren Linie ihrer Wange zu erkennen war. An diesem Morgen waren keine Fältchen zu entdecken, oder der Spiegel stand in einem glücklicheren Winkel.

Und der Tag erwies sich als Komplize ihrer Stimmung: es war ein Tag wie geschaffen für impulsive Einfälle und Schwänzerei. Die leichte Luft schien voller Goldstäubchen zu sein, unterhalb des taubedeckten Rasengrüns glühten rot die Wälder, und die Hügel am Fluss schwammen in geschmolzenem Blau. Jeder Tropfen Blut in Lilys Adern lud sie ein, glücklich zu sein.

Das Knirschen der Räder riss sie aus diesen Gedanken, sie lehnte sich gegen die Fensterläden und sah, wie der Pferdewagen seine Fracht aufnahm. Es war also zu spät – aber die Tatsache beunruhigte sie nicht. Ein Blick auf Mr. Gryces niedergeschlagenes Gesicht deutete sogar darauf hin, dass es ganz richtig gewesen war, nicht mitzufahren, denn die Enttäuschung, die er so offen zeigte, würde seinen Appetit auf den Nachmittagsspaziergang sicher eher noch anregen. Sie hatte nicht vor, diesen Spaziergang zu verpassen; ein Blick auf die Rechnungen auf ihrem Schreibtisch genügte, um sie daran zu erinnern, wie notwendig er war. Aber bis dahin hatte sie den Morgen für sich und konnte sich gemütlich überlegen, wie sie die Stunden verbringen sollte. Sie kannte die Gepflogenheiten auf Bellomont gut genug, um zu wissen, dass sie das Haus wahrscheinlich bis zum Mittag für sich haben würde. Sie hatte gesehen, dass die Wetheralls, die Trenor-Mädchen und Lady Cressida sicher im Pferdewagen verstaut worden waren; Judy Trenor würde sich wohl die Haare frisieren lassen, Carry Fisher hatte ihren Gastgeber bestimmt zu einer Ausfahrt mitgenommen, Ned Silverton rauchte wahrscheinlich die Zigarette jugendlicher Verzweiflung in seinem Zimmer, und Kate Corby spielte, so viel war gewiss, Tennis mit Jack Stepney und Miss Van Osburgh. Von den Damen blieb also nur Mrs. Dorset, von der sie nicht wusste, was sie vorhatte, und Mrs. Dorset kam nie vor dem Mittagessen herunter: Ihre Ärzte, behauptete sie, hätten ihr verboten, sich der rauen Morgenluft auszusetzen.

Über die verbleibenden Mitglieder der Gesellschaft machte Lily sich keine Gedanken, wo auch immer sie gerade waren, sie würden ihre Pläne nicht durchkreuzen. Diese bestanden zunächst einmal darin, ein Kleid anzuziehen, das ländlicher und sommerlicher im Stil war als die von ihr zuerst gewählte Garderobe, und dann mit raschelnden Röcken die Treppe hinunterzueilen, den Sonnenschirm in der Hand, mit der Zwanglosigkeit einer Dame, die ein wenig Bewegung braucht. Die große Halle war leer bis auf das Knäuel Hunde beim Feuer, die mit einem Blick erkannt hatten, dass Miss Bart für einen Spaziergang gerüstet war, und sich mit freigiebigen Angeboten, sie zu begleiten, auf sie stürzten. Sie schob die erhobenen Pfoten, die das freundliche Anerbieten zum Ausdruck bringen sollten, beiseite und versicherte den freudigen Freiwilligen, dass sie bestimmt gleich Verwendung für ihre Gesellschaft haben würde; dann schlenderte sie durch den leeren Saal zur Bibliothek am anderen Ende des Hauses. Die Bibliothek war nahezu der einzige Überrest des alten Herrenhauses von Bellomont, ein langer, weitläufiger Raum, der noch die Traditionen des Mutterlandes in den klassisch verkleideten Türen, den holländischen Kacheln des Kamins und dem reichverzierten Kamineinsatz mit seinen glänzenden Messingurnen verriet. Einige Familienporträts von hohlwangigen Herren mit Knotenperücke und Damen mit großem Kopfputz und kleinem Körper hingen zwischen den Regalen, in denen reihenweise behaglich abgegriffene Bücher standen, Bücher, die zumeist aus der Zeit besagter Ahnen stammten, und zu denen die nachfolgenden Trenors, soweit man sehen konnte, nichts hinzugefügt hatten. Die Bibliothek von Bellomont wurde in der Tat nie zum Lesen benutzt, sie erfreute sich dagegen einer gewissen Beliebtheit als Rauchzimmer oder als Zufluchtsort für Flirts. Lily war jedoch auf den Gedanken gekommen, dass vielleicht bei dieser Gelegenheit das einzige Mitglied der Gesellschaft, das die Bibliothek wahrscheinlich ihrem ursprünglichen Zweck wieder zuführen würde, sich in diesen stillen Raum zurückgezogen hatte. Sie ging geräuschlos über den dichten alten Teppich, auf dem hier und da ein paar bequeme Sessel standen, und noch bevor sie die Mitte des Raumes erreicht hatte, sah sie, dass sie sich nicht geirrt hatte. Lawrence Selden saß tatsächlich am anderen Ende des Raumes, aber obwohl ein Buch auf seinen Knien lag, wurde seine Aufmerksamkeit nicht von diesem in Anspruch genommen, sondern von einer Dame, deren in Spitze gekleidete Gestalt sich übertrieben schmal gegen das dunkle Polster abhob, als sie sich in einem benachbarten Sessel zurücklehnte.

Lily hielt inne, sobald sie der beiden ansichtig wurde; einen Moment lang schien sie sich zurückziehen zu wollen, aber sie überlegte es sich anders und kündigte ihr Kommen mit einem leichten Schwung ihrer Röcke an, der das Paar die Köpfe heben ließ, Mrs. Dorset mit einem Blick offensichtlichen Missvergnügens und Selden mit seinem üblichen ruhigen Lächeln. Der Anblick solcher Gelassenheit verunsicherte Lily, aber Verunsicherung hieß für sie nur, sich um noch beeindruckendere Selbstbeherrschung zu bemühen.

»Oje, komme ich zu spät?«, fragte sie und legte ihre Hand in die seine, als er ihr entgegenging, um sie zu begrüßen.

»Zu spät – wozu?«, erkundigte sich Mrs. Dorset bissig. »Zum Mittagessen ja wohl nicht – aber vielleicht hattest du eine frühere Verabredung?«

»Ja, allerdings«, sagte Lily zutraulich.

»Wirklich? Bin ich dann vielleicht im Wege? Aber Mr. Selden steht dir vollkommen zur Verfügung.« Mrs. Dorset war blass vor Zorn, und ihre Widersacherin empfand ein gewisses Vergnügen daran, ihre Qual noch etwas zu verlängern.

»Aber Liebste, nein – bleib doch«, sagte sie gutgelaunt. »Ich will dich um Gottes willen nicht vertreiben!«

»Du bist wirklich zu freundlich, aber ich mische mich grundsätzlich nicht in Mr. Seldens Verabredungen.«

Diese Bemerkung wurde mit einem besitzergreifenden Unterton geäußert, der demjenigen, den sie betraf, nicht entging; ein leichtes Erröten der Verärgerung verbarg er, indem er sich bückte, um das Buch wiederaufzuheben, das ihm bei Lilys Kommen heruntergefallen war. Deren Augen weiteten sich auf ganz reizende Weise, und sie lachte leise auf.

»Aber ich bin doch nicht mit Mr. Selden verabredet! Ich war verabredet zur Kirche zu gehen, aber ich fürchte, der Pferdewagen ist ohne mich abgefahren. Ist er schon abgefahren, wissen Sie das?«

Sie wandte sich an Selden, der erwiderte, er habe ihn vor einiger Zeit abfahren hören.

»Ah, dann werde ich wohl laufen müssen; ich habe Hilda und Muriel versprochen, mit ihnen zur Kirche zu gehen. Was, Sie meinen, es sei zu spät, um zu Fuß dorthin zu gehen? Na ja, man soll mir zumindest den Versuch zugute halten können – und noch besser ist ja, dass ich auf diese Weise einem Gutteil des Gottesdienstes entrinne. So brauche ich mir doch nicht mehr so sehr selbst leidzutun!«

Und mit einem strahlenden Kopfnicken für das Paar, das sie gestört hatte, schlenderte Miss Bart durch die Glastüren und trug ihre raschelnde Grazie die lange Flucht des Gartenweges entlang.

Sie nahm den Weg in Richtung Kirche, aber nicht mit sehr schnellen Schritten, eine Tatsache, die einem ihrer Beobachter nicht entging, der in der Tür stand und ihr mit verwundertem Amüsement nachsah. In Wahrheit empfand sie einen schmerzlichen Schock der Enttäuschung. All ihre Pläne für den Tag waren von der Annahme ausgegangen, dass Selden nach Bellomont gekommen sei, um sie zu sehen. Sie hatte, als sie herunterkam, erwartet, ihn dabei anzutreffen, wie er Ausschau nach ihr hielt, stattdessen hatte sie ihn in einer Situation vorgefunden, die durchaus darauf hinzuweisen schien, dass er Ausschau nach einer ganz anderen Dame gehalten hatte. War es vielleicht doch möglich, dass er wegen Bertha Dorset gekommen war? Bertha schien immerhin so weit von dieser Annahme auszugehen, dass sie zu einer Stunde erschienen war, zu der sie sich gewöhnlichen Sterblichen sonst nie zeigte, und Lily sah im Augenblick keine Möglichkeit, Bertha einen Irrtum nachzuweisen. Ihr kam nicht der Gedanke, Selden könnte einfach dem Bedürfnis gefolgt sein, einen Sonntag außerhalb der Stadt zu verbringen: Frauen lernen nie, in ihrer Beurteilung der Männer ohne gefühlsbedingte Motive auszukommen. Aber Lily war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen; Wettbewerb war für sie eher ein Anreiz zum Kampf, und sie überlegte, dass Seldens Kommen – wenn es nicht bedeutete, dass er sich noch in Mrs. Dorsets Fängen befand – ihn so vollkommen unabhängig von ihr zeigte, dass er nicht einmal ihre Nähe fürchten musste.

Diese Gedanken beschäftigten sie derartig, dass sie in ein Schritttempo verfiel, bei dem es kaum wahrscheinlich war, dass sie die Kirche noch vor der Predigt erreichen würde, und schließlich, nachdem sie die Gärten verlassen und den Waldweg eingeschlagen hatte, vergaß sie ihr Vorhaben völlig und ließ sich auf einer ländlichen Bank an einer Wegbiegung nieder. Der Ort war überaus reizvoll und Lily war nicht unempfindlich für seinen Zauber, ebenso wenig wie für die Tatsache, dass ihre Gegenwart diesen noch steigerte, aber sie war es nicht gewöhnt, die Freuden der Einsamkeit zu genießen, außer in Gesellschaft, und die Verbindung eines hübschen Mädchens und einer romantischen Szenerie schien ihr zu gelungen, als dass man sie so verschwenden durfte. Es erschien jedoch niemand, um die Gelegenheit wahrzunehmen, und nach einer halben Stunde fruchtlosen Wartens stand sie auf und ging weiter. Sie fühlte langsam das Gefühl von Müdigkeit aufsteigen; der Funke, der sie belebt hatte, war erloschen, und der Geschmack des Lebens wurde schal auf ihren Lippen. Sie wusste kaum, was sie denn gesucht hatte, und warum das Misslingen ihrer Suche so sehr das Licht an ihrem Himmel ausgelöscht hatte; sie war sich nur des vagen Gefühls bewusst, versagt zu haben, und einer inneren Isolation, die tiefer ging als die Einsamkeit um sie herum.

Ihre Schritte erlahmten, sie hielt an und starrte teilnahmslos vor sich hin, wobei sie mit der Spitze ihres Sonnenschirms in den farnbewachsenen Wegrand stach. Bei dieser Beschäftigung hörte sie Schritte hinter sich und fand Selden an ihrer Seite.

»Wie schnell Sie gehen!«, bemerkte er. »Ich dachte, ich würde Sie nie einholen.«

Sie antwortete fröhlich: »Sie müssen ja völlig außer Atem sein! Ich sitze seit einer Stunde unter dem Baum dort.«

»Und warten auf mich, hoffe ich«, gab er zurück, und sie sagte mit einem unbestimmten Lächeln:

»Nun ja – ich habe gewartet, um zu sehen, ob Sie wohl kommen würden.«

»Ich verstehe Ihre Unterscheidung, aber sie macht mir nichts aus, denn das eine ist mit dem anderen verbunden. Aber waren Sie nicht sicher, dass ich kommen würde?«

»Wenn ich lange genug gewartet hätte – aber sehen Sie, ich hatte nur begrenzte Zeit für das Experiment zur Verfügung.«

»Wieso begrenzt? Begrenzt wegen des Mittagessens?«

»Nein, wegen meiner anderen Verabredung.«

»Ihrer Verabredung, mit Muriel und Hilda zur Kirche zu gehen?«

»Nein, aber mit jemand anderem nach dem Gottesdienst heimzukommen.«

»Ah, ich verstehe, ich hätte mir denken können, dass Sie über genügend Alternativen verfügen. Und der andere Jemand kommt auf diesem Weg heim?«

Lily lachte wieder. »Das ist genau das, was ich nicht weiß, und um es herauszufinden, ist es meine Aufgabe, die Kirche zu erreichen, bevor der Gottesdienst vorüber ist.«

»Genau, und meine Aufgabe ist es, Sie daran zu hindern, in welchem Fall der andere Jemand über ihre Abwesenheit verstimmt den verzweifelten Entschluss fassen wird, im Pferdewagen zurückzufahren.«

Lily nahm das mit wiedererwachender Empfänglichkeit auf; seine Albereien erschienen ihr wie das Ubersprudeln ihrer inneren Verfassung. »Ist es das, was Sie in solch einem Notfall täten?«, erkundigte sie sich.

Selden sah sie mit ernster Miene an. »Ich bin hier, Ihnen zu beweisen«, rief er aus, »zu was ich in einem Notfall fähig bin!«

»Eine Meile in der Stunde zu gehen – Sie müssen zugeben, dass der Pferdewagen da schneller wäre!«

»Ah, aber wird er Sie schließlich und endlich auch finden? Das allein ist der Beweis für den Erfolg.«

Sie sahen einander an und weideten sich an genau demselben Vergnügen, das sie empfunden hatten, als sie solche Absurditäten an seinem Teetisch ausgetauscht hatten. Aber plötzlich veränderte sich Lilys Gesichtsausdruck, und sie sagte: »Nun, wenn das so ist, hat er Erfolg gehabt.«

Selden folgte ihrem Blick und erkannte eine Gruppe von Leuten, die von einer entfernteren Windung des Weges auf sie zukamen. Lady Cressida hatte offensichtlich darauf bestanden, den Rückweg zu Fuß zu machen, und die übrigen Kirchgänger hatten es für ihre Pflicht gehalten, mit ihr zu gehen. Lilys Begleiter sah schnell von einem Mann der Gruppe zum anderen; Wetherall, der respektvoll an Lady Cressidas Seite ging mit seinem versteckten Blick nervöser Aufmerksamkeit und Percy Gryce, der mit Mrs. Wetherall und den Trenors die Nachhut bildete.

»Ah – jetzt verstehe ich, warum Sie Ihr Wissen über Amerikana auffrischen wollten!«, rief Selden im Ton ehrlichster Bewunderung, aber das Erröten, mit dem seine Neckerei beantwortet wurde, gebot jedweder Ausführung, die er noch hatte machen wollen, Einhalt.

Dass Lily Bart etwas dagegen haben könnte, wegen ihrer Verehrer aufgezogen zu werden, oder sogar nur wegen der Mittel, mit denen sie diese für sich einnahm, war Selden so neu, dass ihm blitzartig eine ganze Reihe überraschender Möglichkeiten aufging. Aber sie bemühte sich tapfer, ihre Verwirrung zu verbergen, und sagte, als die Ursache dafür näher kam: »Deswegen habe ich ja auf Sie gewartet – um Ihnen dafür zu danken, dass Sie mir so viele Hinweise gegeben haben!«

»Ah, diesem Thema können Sie in so kurzer Zeit kaum gerecht werden«, sagte Selden, als die Trenor-Mädchen Miss Bart entdeckt hatten, und während sie auf ihr stürmisches Grüßen hin ihnen zuwinkte, fügte er noch schnell hinzu: »Wollen Sie nicht Ihren Nachmittag dafür opfern? Sie wissen, dass ich morgen zurückfahren muss. Wir könnten spazieren gehen, und Sie könnten mir in aller Ruhe danken.«

Das Haus der Freude

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