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2. Kirchliches und weltliches Wirken

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Wie lange oder wie oft sich Vincentius in Italien oder Frankreich aufgehalten hat, sollte er dort tatsächlich studiert haben, bleibt unklar. Im Jahr 1180 hat er wahrscheinlich in Lęczyca an einer Synode teilgenommen61, während er 1184 in Krakau Augenzeuge der Überführung der Florians-Reliquien gewesen zu sein scheint.62 Er könnte sich mithin entweder vor 1180 oder zwischen 1180 und 1184 und/oder zwischen 1184 und 1189 zumindest zeitweise im Ausland aufgehalten haben. Er könnte in den 1180er Jahren aber ebenso gut auch als Domschullehrer („magister“) in Krakau gewirkt und seine in der Chronica Polonorum demonstrierte, über das Curriculum einer polnischen Domschule hinausgehende Gelehrsamkeit und Belesenheit aus der Krakauer Kathedralbibliothek63 und – was römisches und kanonisches Recht angeht – aus dem Umgang mit italienischen Domkapitularen geschöpft haben, die damals augenscheinlich im Umfeld Bischof Gedkos tätig waren.64 Auch einige Anhänger eines Auslandsstudiums nehmen im Übrigen an, dass Vincentius seit 1183 die Krakauer Domschule geleitet hat.65

Als schriftgelehrter Mann, Kenner der Rechte und guter Rhetoriker dürfte er in dieser Zeit zudem in der noch wenig formalisierten herzoglichen Kanzlei tätig gewesen sein. Dafür spricht seine intime Kenntnis der Krakauer politischen Verhältnisse der 1180er/1190er Jahre sowie die große Nähe zu Herzog Kasimir II., die in seiner Chronik zum Ausdruck kommt. Ein weiteres Indiz dafür, dass Vincentius zumindest zeitweise auch die Funktion eines Hofkaplans ausgeübt haben mag, scheint jene Urkunde Kasimirs II. vom 12. April 1189 für das Krakauer Domkapitel zu bieten, in der Vincentius als „magister“ begegnet. Ihr Stil und ihre Rechtsterminologie weisen gewisse Parallelen zum Duktus der Chronica Polonorum auf, so dass vielleicht mit Recht vermutet worden ist, dass sie von Vincentius selbst diktiert worden bzw. er an ihrer Ausfertigung beteiligt gewesen sein könnte.66 Nicht gänzlich auszuschließen ist allerdings, dass er – sollte es sich bei der fraglichen Urkunde um eine Empfängerausstellung gehandelt haben – an dem Vorgang auch als Mitglied des Krakauer Domkapitels beteiligt gewesen sein kann. Dessen ungeachtet erscheint es mehr als wahrscheinlich, dass Vincentius bis zum Tod Herzog Kasimirs II. (1194) in der einen oder anderen Form auch an dessen Hof tätig war.67 Eindeutige Belege lassen sich dafür – über Vincentius eigene Andeutungen in seiner Chronik hinaus – jedoch nicht beibringen.

Nicht vor dem ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts tritt Vincentius erneut in sicheren Quellenbelegen hervor. Im Jahr 1206 ist er als Propst des Sandomirer Kollegiatstifts zur hl. Jungfrau Maria bezeugt.68 Wann er dieses Amt übernommen hat, ob bereits zum Zeitpunkt der Stiftsgründung im Jahr 1191 durch Herzog Kasimir oder erst nach dessen Tod 1194 oder noch später, vielleicht nachdem der langjährige Gegner Kasimirs, Mieszko III., 1196–1198 erneut den Krakauer Senioratsthron bestiegen hatte, wissen wir nicht. Durch das neue Amt ist Vincentius dem Krakauer Milieu keineswegs entfremdet worden, war das Sandomirer Stift doch zugleich Sitz einiger Mitglieder des Krakauer Domkapitels. Zudem konnte es, wie eine Urkunde von 1238 belegt, auch als zusätzliche Pfründe an Personen verliehen werden, die zugleich als „iuris professores“ an der Krakauer Kathedralschule tätig waren.69 Das könnte so auch bereits zu Vincentius’ Zeiten der Fall gewesen sein, so dass er den Krakauer Entwicklungen und dem zunächst von der Witwe Kasimirs, später von dessen Sohn Leszek geführten herzoglichen Hof unmittelbar vor Ort verbunden geblieben sein mochte. Die nach dem Tod Kasimirs II. einsetzenden politischen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Senior der Piasten, Mieszko III., zweimal kurzfristig die Herrschaft in Krakau übernahm (1196–1198 und 1201–1202), werden in der Chronica Polonorum jedenfalls aus so unmittelbarem Erleben geschildert, dass kaum vorstellbar ist, dass sie der Chronist nur aus der Ferne beobachtet hätte.

Dass Vincentius auch als Sandomirer Propst dem herzoglichen Hof und dem Krakauer politisch-kirchlichen Milieu eng verbunden blieb, belegt eindrucksvoll seine Erhebung zum Bischof von Krakau. Bischof Pełka, dessen Einsatz für Kasimir II. und dessen Sohn Leszek in der Chronica Polonorum eingehend gewürdigt wird70, verstarb am 11. September 1207. Ein Teil des Krakauer Domkapitels sprach sich daraufhin, wie eine Bulle Papst Innozenz’ III. vom 28. März 1208 berichtet, für Gedko aus, der über zwanzig Jahre als Propst des Kapitels gewirkt hatte, in Krakau entsprechend gut vernetzt war und erst im Jahr zuvor den Płocker Bischofsstuhl bestiegen hatte.71 Ein anderer Teil des Kapitels wählte allerdings einmütig den Sandomirer Propst Vincentius („vero dilectum filium magistrum Vincentium […] unanimiter elegerunt“). Papst Innozenz hielt beide Kandidaten grundsätzlich für geeignet („utraque persona idonea censeretur“), legte aber augenscheinlich Wert darauf, den Vorgang zur Durchsetzung einer zentralen Forderung der Kirchenreform zu nutzen, die bis dahin im piastischen Polen auf taube Ohren gestoßen war: die freie kanonische Bischofswahl.72 Noch ein gutes Jahr zuvor, Anfang Januar 1207, hatte Innozenz auf Anregung des Gnesener Erzbischofs die polnischen Herzöge streng ermahnt, sich künftig nicht mehr in die Besetzung der Bischofsämter einzumischen, in dieser Frage vielmehr die „libertas ecclesiastica“ anzuerkennen und die Bischöfe fortan ausschließlich von Klerikern wählen zu lassen.73 Nun, ein Jahr später, der spontanen Postulation eines Teils des Krakauer Domkapitels stattzugeben, hätte bedeutet, eine große Chance zu verpassen, dieser zentralen kirchenpolitischen Forderung erstmals auch in Polen zum Durchbruch zu verhelfen. Gegen den Płocker Bischof sprach aus Sicht des Papstes zudem der kirchliche Rechtsbrauch, an die Spitze einer Diözese nach Möglichkeit einen Mann aus dem eigenen Sprengel zu stellen, statt ihr aus einer anderen Diözese einen dort bereits gebundenen Bischof zuzuteilen. Überdies wurde ihm Vincentius als ein – wohl aufgrund seiner Gelehrsamkeit – viel gerühmter Mann präsentiert („virum utique multimoda laude preclarum“). Und so entschied der Papst, dem zwischenzeitlich offenbar signalisiert worden war, dass sich im Fall einer Ablehnung Gedkos die Mehrzahl seiner Fürsprecher der Wahl des Konkurrenten anschließen würde, schließlich im März 1208, die Postulation nicht zuzulassen und den am Ende von der Mehrheit der Domkapitulare kanonisch gewählten Vincentius zu bestätigen („… postulationem prefatam non duximus ad mittendem, et sic intelligentes electionem predictam a pluribus de persona idonea canonice celebratam, ipsam de consilio fratrum nostrorum curauimus confirmare“).74

Über die Amtsführung des in der zweiten Jahreshälfte 1208 vom Gnesener Erzbischof Heinrich Kietlicz geweihten75 neuen Bischofs ist so gut wie nichts bekannt. In der Forschung ist die Kontroverse um seine Wahl auch dahingehend gedeutet worden, dass in ihr ein Ringen zwischen anti-gregorianischen Traditionalisten und den von Erzbischof Kietlicz angeführten polnischen Kirchenreformern zum Ausdruck gekommen sei. Dabei wird Gedko als Vertreter der Traditionalisten, Vincentius als Anhänger der Reformer gesehen.76 Wahrscheinlich hat der engagierte Erzbischof in Vincentius tatsächlich einen Mitstreiter für die Kirchenreform gewonnen, die damals auch vom Krakauer Herzog Leszek unterstützt wurde, der sie als Hebel gegen seinen großpolnischen Konkurrenten Władysław Dünnbein einsetzte, der wiederum ein vehementer Gegner der Reform bzw. des Gnesener Erzbischofs war. Sein Einsatz für die Kirchenreform wird Leszek gleichwohl nicht davon abgehalten haben, entgegen der päpstlichen Mahnung in seinem Sinn entscheidenden Einfluss auf die Bischofswahl zu nehmen, so dass der Erfolg ‚seines Mannes‘, als der Vincentius damals zweifellos galt, sicher auch dem Eingreifen des Krakauer Herzogs zu verdanken war.77

Dass Vincentius als Bischof kaum Spuren hinterlassen hat, könnte bedeuten, dass er sich im Kirchenkampf oder bei der Durchsetzung herzoglicher Interessen eher zurückgehalten hat, nicht radikal, sondern eher ruhig und kompromissbereit aufgetreten ist.78 Selbstverständlich musste er als Oberhaupt der nach dem Gnesener Erzbistum wichtigsten Diözese des Piastenreiches aktiven Anteil am kirchlichen und politischen Leben nehmen. So war er auf den Fürstentreffen von Borzykowo (Juli 1210)79, Mstów (März 1212)80, Mąkolno (Mai 1212)81, Sieradz (Juni 1213)82 und Wolborz (1215)83 zugegen, nahm 1215 am Laterankonzil in Rom teil84 und dürfte auch an den Synoden von Witów (1216), Chalno und Kamień bei Kalisz (1217) beteiligt gewesen sein.85 Dabei trat er dem Rang eines Bischofs entsprechend mit beträchtlichem Gefolge auf und wusste als der nach dem Erzbischof zweithöchste polnische Kirchenhierarch zweifellos standesgemäß zu repräsentieren.86 Doch wird ihn seine Intellektualität und Frömmigkeit, wie sie uns in seiner Chronik entgegentritt, wohl eher davon abgehalten haben, auf solchen Zusammenkünften mit lautem politischen Gepolter hervorzutreten oder sich bei anderen Gelegenheiten in den Vordergrund zu drängen.87 Bezeichnenderweise sind für die zehn Jahre seines Pontifikats – anders als im Fall seiner beiden Vorgänger – für ihn keinerlei politische Handlungen bezeugt, sondern nur einige unspektakuläre Vorgänge, in denen Vincentius als Aussteller von Urkunden und Stifter begegnet.

Von den sechs überlieferten Urkunden, die er als Bischof ausgestellt hat, gilt das auf den 15. August 1214 datierte Diplom für den Orden der Wächter vom Heiligen Grab in Miechów als Empfängerausfertigung.88 In den übrigen fünf Urkunden, von denen eine nur als Transsumpt Bolesławs des Schamhaften bekannt ist89, erkennen manche hingegen den typischen „vincentianischen Geist“90, ein spezifisches Diktat, das sich durch ein entwickeltes Formular, eine ausgesuchte Rhetorik und eine römisch-rechtliche Terminologie auszeichnete. Sie scheinen im Übrigen zu belegen, dass sich Vincentius um eine gewisse Optimierung der bischöflichen Urkundenausstellung bemühte, ohne dabei jedoch bereits eine regelrechte Kanzlei zu etablieren.91

Inhaltlich betreffen fünf seiner sechs bischöflichen Urkunden Schenkungen an Ordensgemeinschaften.92 Die bereits erwähnte Urkunde für Miechów bestätigte 1214 die Übertragung des Zehnten von einem Dorf namens Świnarowo an die Ritter vom hl. Grab, wobei Vincentius im Konsens mit seinem Kapitel agierte, es sich also wohl nicht um eine Stiftung aus seinem eigenen Patrimonialbesitz handelte. In zwei anderen Fällen wird 1208 und 1212 eine ältere Schenkung des Vincentius an das Zisterzienserkloster Sulejów bestätigt93, die erstmals in einer Bestätigungsurkunde Herzog Leszeks aus dem Jahr 1206 bezeugt ist.94 Der mithin gleich dreimal bestätigte Schenkungsakt betraf die Dörfer Czerników/Okalina und Gojców, die Vincentius aus seinem Patrimonialbesitz dem von Kasimir II. um 1176/77 gestifteten Zisterzienserkloster Sulejów übertragen hatte. Die Schenkung wurde seinerzeit mit der Auflage verknüpft, dass die Mönche für das Seelenheil („pro remedio animarum“) des Krakauer Herzogs Kasimir und seiner Gattin Helena sowie von Vincentius’ Eltern beten mögen. Ihre dritte, 1212 von Vincentius selbst ausgestellte Bestätigung wurde um einen Passus ergänzt, demzufolge zwei seiner Neffen, Bogusław und Sulisław, bezüglich der fraglichen Dörfer auf ihr familiäres Rückkaufrecht verzichteten. Ein weiteres Dorf aus seinem Besitz, Niekisałka, übertrug Vincentius im gleichen Jahr dem 1185 ebenfalls von Kasimir II. gestifteten Zisterzienserkloster Koprzywnica.95 Jan Długosz ergänzte diese Information später um den Hinweis, dass Vincentius auch die Hälfte des Dorfes Karwów den Zisterziensern von Koprzywnica vermachte, dessen andere Hälfte bei dieser Gelegenheit aber seinen Neffen vorbehielt.96 Im Jahr 1210 weihte er die neue Klosterkirche in Jędrzejów und nutzte den Anlass, um ältere Schenkungen seiner Vorgänger Maurus, Radost und Gedko zu bestätigen. Diese hatten seinerzeit dem ältesten, schon in den 1140er Jahren gegründeten polnischen Zisterzienserkloster die Zehnten von einer Reihe von Dörfern übertragen, denen Vincentius bei dieser Gelegenheit seinerseits die Zehnten von drei eigenen Dörfern – Wilczyce, Niegosławice und Zdanowice – hinzufügte.97 Nach Auskunft des Krakauer Domkalenders verlieh er schließlich auch dem Krakauer Domkapitel Zehntabgaben, und zwar jene des Dorfes Czchów.98

Vincentius hat mit seinen Stiftungen also nicht ausschließlich die Zisterzienser bedacht.99 Dennoch scheint er gerade für diesen Reformorden eine besondere Vorliebe entwickelt zu haben. Ob diese allerdings so weit ging, dass er als Bischof andere Ordensgemeinschaften darüber erkennbar vernachlässigte, wie 1218 eine Klage des Generalabts der Prämonstratenser zu suggerieren scheint100, mag eher bezweifelt werden. Gleichwohl hat sich Vincentius am Ende mit päpstlicher Zustimmung in ein Zisterzienserkloster zurückgezogen. Über die Gründe und Motive, die ihn zwischen Sommer 1217 und Frühjahr 1218 zur Aufgabe seines Bischofsamtes veranlasst haben, ist in der Forschung viel spekuliert worden.101 In Vorschlag gebracht wurden gesundheitliche bzw. Altersgründe (die einen der wenigen kanonisch zulässigen Gründe für eine regelgerechte Amtsaufgabe darstellten), die Opposition innerkirchlicher, mit seiner Amtsführung unzufriedener Gegner, Intrigen eines ambitionierten Nachfolgers, herzoglicher Druck bzw. die im Laufe des Jahres 1217 zu Ungunsten des Reformlagers von Erzbischof Heinrich Kietlicz gewendete politische Lage, schließlich individuelle geistlich-spirituelle Motive.102

Sein Nachfolger, Iwo Odrowąż, wurde zwischen dem 15. August und 28. September 1218 geweiht. Ob Vincentius bereits zu diesem Zeitpunkt oder überhaupt das Mönchsgelübde abgelegt hat – vielleicht lebte er nur als Gast in Jędrzejów –, darüber ist ebenso wenig bekannt wie über seinen klösterlichen Alltag. Dass er 1223 „in medio chori monasterii“ beigesetzt wurde103, spricht, wenn auch nicht unbedingt dafür, dass er tatsächlich das Mönchsgewand angelegt hatte104, so doch dafür, dass die Mönche von Jędrzejów ihm an seinem Lebensende hohe Wertschätzung entgegenbrachten.

Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius

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