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Blick in eine Gemäldegalerie
ОглавлениеGemäldegalerien sind zuweilen eine Fundgrube für versteckte Erotik. Man kann jemanden mit der Erklärung eines Bildes neugierig machen. Auch in barocken Fresken sind oft erotische Darstellungen versteckt, man muss sich nur zuweilen den Hals verdrehen.
Welche erotische Ausstrahlung hat die Malerei aus der Renaissance, dem Barock, dem Impressionismus und dem Expressionismus auf den heutigen männlichen Betrachter?
Das Urteil kann nur subjektiv sein. Es müsste möglich sein zu ergründen, was der Maler dem Neugierigen vermitteln möchte.
Für ihn gibt es Möglichkeiten, die Form im weitesten Sinn, am genausten mit einer Kontur. Er kann Farbe, Perspektive und das Ambiente variieren, um das zu zeigen, was er sieht und fühlt.
Eindeutig konturiert sind die schattenrissigen Darstellungen auf den griechischen Vasen und die plastisch ausgearbeiteten Stellungen der Liebenden der indischen Skulpturen, die aber selten ein erotisches Gefühl beim Betrachter erwecken.
In allen großen Städten gibt es Museen, in denen man einen Querschnitt der Bilder der oben genannten Epochen mehr oder weniger zahlreich sieht.
Die Frauen- und Mädchendarstellung in der Renaissance: Die Gesichter meist ohne Ausdruck monoton bildlich real, in Posen dargestellt, selbst bei nackten jungen Mädchen findet sich keine erotische Ausstrahlung (Cranach, Baldung, Altdorfer).
Es gibt nicht einmal eine Andeutung zur Bewegung, nur bei der sitzenden Frau von Giorgione wird man neugierig und hat den Wunsch, dass sie sich einmal umdrehe. Seine »Schlummernde Venus«, in den Jahrhunderten danach immer wieder dargestellt, erzeugt kein Gefühl im Betrachter, kein Verlangen, sie zu lieben.
Man könnte sich vorstellen, das Mädchen von Jan Gossaert, National Gallery London, zu küssen. Die »Junge Frau mit Flügel-Haube« von Rogier van der Weiden in Berlin wäre mein Fall.
Selbst beim Gesichtsausdruck der Mona Lisa ist man nicht sicher, ob sie sich hingeben würde.
Was hat Leonardo veranlasst, das Bild jahrelang mit sich zu führen und es später in Frankreich vor Franz I. hinter einem schwarzen Vorhang zu verbergen?
Bei seinem ambivalenten Wesen hatte er ihr wohl doch Avancen gemacht, sicher ohne Erfolg und deshalb hat er ihr spöttisches, ein wenig hochmütiges Lächeln festgehalten, um immer wieder an sie erinnert zu werden. Vielleicht hat er sich aber auch Gedanken darüber gemacht, ob es ihm nicht doch gelungen wäre, ihre Gunst zu erlangen, wenn er mehr Geduld bewiesen hätte. Wie sehr es ihn beschäftigt haben muss, zeigt sein Festhalten an ihrem Portrait.
Eine Ausnahme bildet »Leda und der Schwan« von Correggio, Berlin, erotisch, man sieht, wie Leda als kindliches Mädchen sich vor dem Schwan fürchtet, wie sie ihm sehnsüchtig nachblickt und wie sie nachher von ihm beglückt wird.
Einen Besucher hat ihr Gesicht so betört oder auch in seiner vermeintlichen Obszönität so geärgert, dass er es herausschnitt, es wurde ersetzt.
Man hat es damals vor lauter Marien, Heiligen, Persönlichkeiten, Allegorien der Tugend und Szenen der Antike verhindert, den Hauch der Erotik in Bildern darzustellen, selbst versteckt nicht, es sei denn, man kennt die Geschichten dahinter. Anders war es in der Literatur, wo sie auch damals in großer Zahl zu finden war.
Im Barock und Rokoko dagegen explodiert die Erotik in der Malerei, zuerst in biblischen Darstellungen: »Lot und seine Töchter«, Lazarus van der Borcht, Wien. Ein relativ deutliche Verführungsszene, aber noch nicht völlig nackt, man sieht deutlich, wie es weitergeht, die zweite Tochter im Hintergrund. Der Augenaufschlag der Tochter auf Lots Schoß .
Reizvoll ist auch das Mädchen in Domenichinos »Die Jagd der Diana«, nackt in einem Teich liegend. Es interessiert sie nicht, was die hinter ihr sitzende Freundin ihr zeigen will, sie blickt den Maler an. Ihr Gesicht verrät, dass sie an etwas anderes denkt. Domenichinos stellt es dar, für ihn ist sie begehrenswert.
»Zwei zechende Männer mit einer Frau unter der Gartenlaube im Hof«, Pieter de Hooch, Edinburgh. Ob sie wohl mit den beiden in ihre Schlafkammer geht?
Wer Fatties mag, muss schon bei Rubens suchen.
In zahllosen Zeichnungen ist am deutlichsten in all seinen Möglichkeiten dargestellt, wie man liebt, doch dadurch animiert zu werden, bedarf einer eignen Vorstellungskraft, sie induzieren keine plötzliche Lust. Zu schematisch in Mimik und vorauszusehender Bewegung, eventuell mit Fortsetzungen, nur einen Moment des Geschehens zu deutlich darstellend.
Der Impressionismus bevorzugt Farben, die exakte Form ist zweitrangig. Die Farbe dominiert zur atmosphärischen Darstellung des Lichts. Die Konturen sind verwischt, Details dadurch undeutlich. Stimmung entsteht, Erotik kaum. Wenig Möglichkeit, Erotik zu erzeugen. Es ist eben nur der Eindruck.
Ein gerader Pinselstrich zeigt das Motiv dennoch sachlich, wie im »Selbstbildnis« von van Gogh.
Anders ist Renoirs runde Pinselführung, sie vermittelt etwas genuin Weibliches und Erotisierendes, seine Mädchenbilder verführen. Obwohl keine Bewegung dies verrät, kann man sich die entsprechende Hingabe der jungen Frauen vorstellen.
Der Expressionismus wiederum legt Wert auf zum Teil exzessive Veränderungen von Form und Farbe. Selten kommt hierbei ein Lustgefühl auf. Anatomische Verbildungen des Körpers und seiner Gliedmaßen, selbst in narzisstischer Darstellung, bewirken zum Teil das Gegenteil, siehe Schiele.
Die Fotografie hat die größte Möglichkeit, in Bildern Lust zu bereiten. Doch das, was man sieht, reicht zwar zum Praktikum aus, aber zum Lustempfinden muss man dem Bild eine Bewegung hinzufügen, Fantasie ist gefragt, um es zu bewirken.
Im Film wird uns das alles geboten, man muss nur noch das entsprechende Gefühl beitragen.
Literatur ist, geschickt gemacht, am erfolgreichsten, um Lust zu erzeugen, man ist mit der Bedeutung des Wortes, der Vorstellung, und sich selbst allein in einer verborgenen Schatzkammer.