Читать книгу Der Tod des Houke Nowa - Eike Stern - Страница 5
3. Kapitel
ОглавлениеDas Gefühl, jeder in der Mannschaft lehne ihn heimlich ab, nagte an Houkes Stolz und verletzte sein Selbstwertgefühl. Ihn störte der Unterton, wenn man mit ihm sprach, und die verächtlichen Blicke, die Joktan ihm dann und wann zuwarf, vertieften es. Sie machten ihn sprachlos, denn sie konfrontierten ihn mit der Angst, für die Leute ein Tölpel zu sein. Instinktiv hielt er sich an Pollugs und vertraute dem an, was ihm zu schaffen machte. „Ich hasse diesen Hundesohn von Sidonier und wünschte, ich hätte mich nie mit ihm abgegeben. Zu Brei möchte ich ihn schlagen.“
„Lässt du dich zu einer Rauferei hinreißen, verlierst du jegliches Ansehen“, überlegte Pollugs.
Houke rieb sich die Stirn. „Ja, ja, ich weiß“, murmelte er und hörte hinter sich ein Räuspern. Am Mast lehnte mit verschränkten Armen der junge Armenier, den er inzwischen schätzen gelernt hatte, weil er gute Laune an Deck verbreitete. Seine Mutter gehörte dem Stamm der Hebräer an, der von den Egyptern zum Bau der Pyramiden eingespannt wurde, und floh in jungen Jahren auf abenteuerliche Weise nach Karkemisch, und er ähnelte eher ihr als seinem armenischen Vater. „Suteman und Hiram haben Kurs auf Kreta befohlen“, informierte er Pollugs.
Der sah Houke aufmerkend an. „Wir haben genügend Elfenbein im Laderaum, einen Thronsaal auszustaffieren. Hasdrubal wird das schon organieren. Ein Palast, wie der jüngst in Knossos in aller Pracht neuerstandene, schreit förmlich danach. Über drei Stadien zieht sich die Anlage hin, alles himmelblau verfliest… Die Minoer sind durch ihre Olivenhaine und Weinberge im Hinterland von Natur aus reich. Die Asche vom Ausbruch des Santurin beschert ihnen Ernteerträge von denen können andere Völker nur träumen. Die Kellereien laufen über, und die Speicher bersten. Und bei der Gelegenheit könnte man sich im Hafen umhören, welche Schiffe demnächst auslaufen.“
Houke senkte betroffen die Lider, es ging um die Stoßzähne, die seinem Vater gehörten.
Der Armenier dachte nach und schüttelte den Kopf über seinen Kapitän. „Für das Schiff hätten wir eine Hand voll Silber bekommen.“
„Ja, manchmal ist Suteman zu eifrig.“
„Dazu solltest du mal Hiram hören. Gestern war er drauf und dran, Suteman an die Gurgel zu springen und hielt ihm vor, es wäre klüger gewesen, die alte Holka nicht abzufackeln, dafür mitsamt Elfenbein nach Sidon oder Tyros zu schicken. Die Punier geben massig Kupfer für Elfenbein, und Hasdrubal verfügt über ausgezeichnete Verbindungen zu den maßgeblichen Leuten im Hafen von Tyros.“
„Eines Tages gehen die aufeinander los“, bemerkte Pollugs. „Das liegt in der Luft.“
„Die Sache hat einen Bart wie die Geschichte, die Jeris so gern mit leuchtenden Augen zum Besten gibt, vom Stammvater Abraham und Ismael und wem noch… aber sie spitzt sich auch zu wie Abrahams langer Bart.“ Verstohlen schmunzelte der Armenier. „In dem Fall wäre Sutemans Zeit um, schätze ich. Und Hiram dürfte alles umkrempeln. Heiliger Vater Abraham, wohin wird der den Pott steuern? Er ist krank, und es ist nicht sein Atem, der die Fliegen von den Wänden holt, was mich an ihm stört.“
„Wer weiß?“, raunte Pollugs und schürzte ungläubig die Unterlippe. „Suteman kämpft mit zwei Enterbeilen. Seine Würfe gehen selten ins Leere."
Houke hob hellhörig geworden den Kopf. „Bedeutet das, wir gehen in Knossos an Land?“
Und Pollugs ahnte, warum es so hoffnungsvoll klang. „Ich fürchte, Hasdrubal und Hiram suchen allein die Hafenmeisterei auf. Die anderen bleiben hier – vor allem du. Suteman lässt einen Neuen frühestens nach einem Jahr von Bord.“
Es kam, wie es Pollugs vorhersah. Drei Tage später, die Sonne erklomm eben den Zenit und ihnen perlte zur Mittagshitze der Schweiß von der Stirn, da tauchten in Gischtnebel gehüllt, die umschäumten Felsklippen auf, hinter denen Suteman gerne auf die Kreta ansteuernden Schiffe lauerte. Nach einer Stunde lief die Bireme in den Hafen von Knossos ein.
Von weitem erhaschte Houke ledig ein ungefähres Bild von den himmelblau funkelnden Terrassen dieser prachtvollen Palastanlage hoch über der Hafenstadt, die man wegen ihrer Weitläufigkeit heimlich ein Labyrinth schimpfte. Beeindruckend war, die Anlage verfügte über den Komfort beheizter Baderäume und fließendes Wasser, und hinter den rostroten Säulen mit gelb bemalten Kapiteln, reihten sich undeutlich bunte Fresken und Wandgemälde, ähnlich denen in Egypten, in knalligen Farben: Tiefblaues Wasser und das grelle Gelb von Stränden. Die sich darauf tummelnden Nereïden und Delphine schilderte ihm Pollugs - endlose Bilderketten aus dem minoischen Sagenkreis leuchteten in der Vormittagssonne.
Hinter der Hafenkulisse versteckte sich eine verträumte Altstadt, doch Houke sah wenig mehr als den Markt am Kai, mit seinen Lagerhallen und Werkstätten. Dattelpalmen beschatteten die Reihen fliegender Händler, der Einfluss des Pharaonenreiches war spürbar. Wohlhabende Frauen malten sich mit Ocker modisch die Lippen an und trugen Perücken wie in Memphis üblich. Ballenweise häuften sich vor Tandläden gefärbte Stoffe, eine üppige Auswahl an tönernen Amphoren, Krügen und gestapelten Tellern. Stimmengewirr, Möwengeschrei, und das Blöken eines störrischen Stieres tönte klagend herüber. Es stank nach Hafen, Teer und altem Fisch. Houke hielt sich bei Pollugs und Archaz auf, dem bartlosen Armenier mit den glänzenden braunen Augen und den ungewöhnlichen, fast schon weiblichen Wimpern. Aus dem Schatten der Heckflosse verfolgten sie mit gerümpfter Nase, was sich abseits des Getümmels auf einer Gerüstbühne zutrug.
„Der Sklavenmarkt“, raunte Pollugs angewidert.
Wohl hundert Leute umschwärmten das Holzgerüst, während einem vorgeführten Mädchen die Kleider von den Schultern gezerrt wurden. Houke hörte schon auf dem Markt von Aschkelon die Elite vom minoischen Sklavenmarkt schwärmen, aber heute sah er ihn und fühlte mit dem Mädchen. Nackt warf es sich seinem früheren Herren vor die Füße und der wandte sich hartherzig ab. Sie wurde mitgerissen und zur Holzstiege geschubst – weitergereicht in andere Hände.
Pollugs beobachtete, wie Houke die Lippen verpresste, und zupfte sich grüblerisch den Bart. „Du hast ein zu großes Herz“, warf er ihm vor. „Das wird dich früher oder später den Hals kosten. Ich frage mich, ob du dir das leisten kannst, mein Junge?“
„Soll ich mich dafür schämen? “
„Manchmal“, erklärte der Ältere, „bringt Suteman ein paar junge Dinger für uns mit. Hüte deine Zunge, bei dem, was du dann erlebst. Sie sind wie Wölfe und haben lange jeden Weiberrock entbehrt.“
„Du zählst dich nicht dazu.“
„Ich gehörte nie zu denen, die sich anpassen.“
Pollugs schnitt nicht auf, aber Suteman dachte sich heute etwas anderes für seine Wölfe aus. Hasdrubal und Hiram brachten zwei kunstvoll geschmiedete Bronzeschwerter und eine minoische Doppelaxt vom Markt mit. Die Bruderschaft wurde zusammengerufen und flugs ein Hahn geköpft. Hasdrubal wickelte andächtig einen blutgetränkten Leinenfetzen um einen Stecken und zog einen breiten Strich auf das hintere Deck. Die Mannschaft nahm begeistert daran Aufstellung.
Neu war das für Houke ja nicht mehr. Pollugs hatte es zweimal mit ihm geübt und riet ihm: „Steh’ bloß nicht abseits. Morgen oder übermorgen droht dir eine Enterfahrt. Du benötigst ein Schwert, willst du überleben.“
Der Siegelzylinder seines Vaters war alles, was Houke einsetzen konnte. Eine innere Stimme begehrte auf dagegen, denn womit sonst sollte er zu gegebener Zeit untermauern, einem reichen Haus anzugehören? In der Hackordnung war er Letzter, daher musste er zunächst beiseite treten, und das Herz hüpfte ihm vor Unsicherheit schier aus dem Hals. Doch er bewies eine glückliche Hand. Der Siegelzylinder berührte fast die Linie, und er nahm von Suteman stolz ein Schwert entgegen, um das ihn mancher beneidete. Als er es Pollugs freudig zeigte, zog ihn der in den Schatten der Kielflosse. „Gut getan“, raunte Pollugs. „Jetzt hast du eine Waffe, und du hast an Ansehen gewonnen. Das kannst du glauben oder nicht.“
Einer aus der Mannschaft hatte einen kleinen Lederbeutel eingesetzt, und Houke wusste, was ihm zustand und zögerte nicht, alles vor und hinter dem Blutstrich hitzig einzusammeln. Er schüttete den Inhalt zu Pollugs Füßen auf die Planken, und ein grüner Jadestein rollte aus dem Häufchen der Kleinode, den Houke mit strahlender Miene aufnahm. „Der gehörte meinem Freund, ein Glückbringer!“
Der Seewind sang und jubilierte durch die Rahen, und die sich blähende Leinwand knallte und knatterte in Freudensalven. „Glück wirst du jetzt brauchen können“, flüsterte Pollugs ihm verhalten zu. „Ich weiß von Archi, morgen um diese Zeit wird’s ernst.“
Als sich das Segel richtig spannte, klang das wie ein Paukenschlag, und Houke bekam klamme Hände. Er schluckte. „Oh – so bald.“
„Wir segeln zu den Klippen“, bemerkte Pollugs. „Ich habe sie dir gezeigt. Die Wasserstraße nach Argos führt daran vorbei. Morgen, gegen Nachmittag, wird ein Sidonischer Kaufmann auf diesem Weg kommen."
Houke wusste Bescheid und machte dicke Backen. „Ich vermag nicht zu töten, bin darin unbeholfen wie ein Kleinkind. Als Junge sollte ich beim Schachten helfen und konnte den Hammel nicht bändigen, vielleicht, weil ich bei uns das Vieh versorgte und einem so ein Wesen ans Herz wachsen kann. Eine scheußliche Angelegenheit! Hinterher musste ich zur Strafe das Blut von den Fliesen schrubben.“
„Bleib bei mir beim entern - immer gemach“, empfahl ihm Pollugs. „Halte mir den Rücken frei. Es ist nur ein kurzer Moment, in dem die Messer sprechen. Sei wachsam, das genügt. Jedenfalls, wenn man auf der Seite des Stärkeren kämpft.“
An diese Worte dachte er, als sie am nächsten Tag im Schatten einer Felswand dem Handelsfahrer auflauerten. Houke wurde immer stiller und verschlossener, während die Augen auf dem glitzernden Wasser ruhten und ihm nach einer schlaflosen Nacht beständig die Lider zufallen wollten. Wo die Gischt an einer einsamen schwarzen Klippe mit jedem Brandungsschlag hochstob und andauernd Nebel herrschte, tauchte ein gelbliches Segel auf. Der von Norden wehende Wind blähte es, und von da ab kam es zusehends näher – bis man die Wegelagerer gewahr wurde. Dann drehten sie bei.
„Das hilft ihnen wenig“, raunte Pollugs. Sie befanden sich unterhalb der Heckflosse, und er suchte Halt an der zum Mast führenden Stage, als auch sie ein Windstoß erfasste.
Im nächsten Augenblick saßen sie auf einer Ruderbank und zogen zum Takthammer ihr Ruder. Houke geriet in Schweiß, und es brannte wieder heftig in den Oberarmen. Er verbiss sich jedes Aufbegehren, gab, was an Kraft in ihm steckte und hielt ohne Aussetzer den Takt. Doch die Verfolgung streckte sich hin. Nur weil Pollugs ihm zuzwinkerte, als müsse es gleich so weit sein, hielt er durch. Suteman und Hiram begaben sich schon nach vorn in den Bug, während sie noch ruderten.
Dann wirbelte ein Enterhaken hinüber, und alle, die eben auf der Bank schwitzten, sprangen hoch und ergriffen ihre Waffen. Es war nicht schwer, mit Pollugs hinten zu bleiben, denn andere drängelten sich vor. Houke blieb keine Zeit, großartig Angst zu bekommen. In der Eile sprang er wie die anderen auf eine phönikische Galeere hinüber und merkte, da neben ihm die Leute mit Säbel und Axt um sich hauten, dieser Kampf wurde erbitterter als der um sein Schiff. Der Kaufmann heuerte zur Absicherung seiner Ladung in Knossos einige Hopliten an. Nur weil Suteman selbst wie ein Wirbelwind unter sie fuhr und im Handumdrehen vier niedermachte, ging es glimpflich ab. Und weil Hiram der Ehrgeiz beflügelte, noch mehr auszurichten, aber sechs der Mannschaft büßten den Überfall mit ihrem Leben.
Pollugs erledigte pflichtgemäß einen der Söldner, aber er hielt sich zurück, und Houke hatte hinterher als einziger kein Blut am Schwert. Es fiel kaum auf, da alle ihre Klingen am Zeug der Gefallenen abwischten, und ihm war zumute wie an dem Tag, als ihm beim Schächten der störrische Hammel entglitt. Die Hände zitterten noch, obwohl längst alles hinter ihm lag, so aufgewühlt war sein Innerstes. Wohlweißlich blieb er bei Pollugs, während Suteman über die Toten hinweg stieg und sich breitbeinig vor die Klappe zum Laderaum stellte. Anuhlada, der hochgewachsene Schwarze in der Mannschaft, hob die Klappe, und Hasdrubal reichte ihm eine Fackel. Suteman und Hiram verschwanden die Stiege hinab und kehrten mit zwei jungen Sklavinnen an Deck zurück. „Das“, grölte Suteman, als bestünde die Ladung somit aus Gold. „Und einige Barren grobes Eisenerz! Hat sich gelohnt, Leute! Ansonsten lagern im Laderaum Unmengen fertig gezogener Kerzen. Damit sollten wir uns nicht belasten, die schenken wir Poseidon.“
„Wozu das?“, widersprach Hiram und bleckte die Zähne. „Gib jedem zwanzig Kerzen, und ich für mein Teil habe die auf dem nächsten Markt an einem Vormittag verhökert. Die Übrigen eignen sich, uns für Jahre Licht zu spenden.“
In dem Fall gab Suteman nach, und sie hatten danach fünfhundert Kerzen im Bauch der »Zerberus« verstaut undließen wieder einmal ein brennendes Schiff an den Klippen zurück.
Für die, auf deren Kerbholz es ging, warf es die wesentliche Frage auf, was das Gemetzel einbrachte. Von Wert waren vor allem die Barren aus Eisenerz, auf die Suteman gleich den Fuß stellte, dazu eine mit Silber beschlagene Holztruhe mit einem zusammengefalteten Umhang aus dunkelroter Seide und einer blauen Schärpe darin. Auch einen Sack voll Goldstaub hatten sie aufgestöbert, Pantherfelle, Fächer und Straußeneier, die bei Vornehmen sehr beliebt waren - sowie das beim Fleddern der Toten zum Vorschein kommende. Man verband einander reihum die Wunden und ein unterdrücktes Tuscheln hub an. Aller Augen richteten sich auf die Frauen, die in Ketten hinter dem Kapitän warteten. Houke ahnte, was in ihnen vorging. Vermutlich stammten sie vom Sklavenmarkt und wähnten sich am Ende ihres Leidensweges. Tatsächlich sanken sie sich im ersten Moment vor Freude in die Arme, weil die Freiheit so nahe schien. Doch die wilden Gesellen, die sich um sie scharten, waren großteils halbnackt und sorgten für sofortige Ernüchterung: Narbengesichter mit abgrundtief bösen Augen, vor denen die Mädchen geknickt auf ihre Füße starrten.
Suteman hing finsteren Gedanken nach. „Ich frage mich“, herrschte er Hiram und Hasdrubal an, „wie ihr in der Hafenmeisterei aufgetreten seid.“
„Du meinst die Hopliten?“ Hasdrubal winkte ab. „So viele sind es auch wieder nicht gewesen.“
Hiram verschränkte die Arme. „Du meinst, ob die Wind gekriegt haben, als wir uns nach auslaufenden Schiffen erkundigten? Wenn ja, hätten sich nicht zwölf Bewaffnete, sondern drei Dutzend im Laderaum versteckt gehalten."
Andächtig nickte Suteman, und der Schwarze rief ihm zu: „Was ist mit den Frauen, willst du beide für dich?“
„Ihr wollt, dass ich einen Hahn köpfe? Bedauere, ich habe keinen“, erklärte Suteman schnippisch.
Der Schwarze grinste hämich. „Der Strich von Gestern ist noch deutlich sichtbar, einmal geht der noch.“
Die beiden Frauen waren genau genommen Mädchen. Eine war blond und zierlich, die andere wirkte befremdend. Es war die wie Bronze getönte Haut und die mandelförmigen, schrägen Augen. Beide nestelten vor Angst an ihren Leinenkleidern. Ihr Los bei der Verteilung der Beute war unschwer zu erraten. Aber Pollugs trat selbstbewusst aus den Versammelten vor, weil er bei der Situation nicht tatenlos zusehen wollte.
„Sie waren Sklaven und sollten ab heute frei sein. Wer anders redet ist schlimmer als der Kaufmann, der sie in Knossos erstanden hat!“
Berstendes Gelächter brach los und gab ihm Bescheid, wie andere darüber dachten.
Der Mann aus dem Kaukasus rief: „Was faselt der da? Man sollte ihm den Mund zunähen!“
„Sie werden es euch danken“, erwiderte Pollugs unbeirrt. „Oder gibt es unter euch einen, der wie ein Tier seine viehischen Triebe austoben will. In meiner Heimat jedenfalls nimmt sich kein Mann gewaltsam, was nur als Geschenk wirklich gut tut.“
Es beschämte die Leute und das war seine Absicht. Houke hätte es nicht für möglich gehalten, wie gekonnt sein älterer Freund mit Worten umzugehen vermochte. „Ihr solltet den Mädchen nicht weiter Angst machen!“ warf er der Meute vor. „Zeigt ihnen, dass auch Schwertfischer so etwas wie Ehre und Anstand kennen.“
Suteman blickte Pollugs scharf an. „Du bist nicht der Kapitän.“
„Sicher, Suteman – du entscheidest über das Schicksal der Weiber.“
„So denn“, schnaubte der Kapitän. „Wir segeln von hier in Richtung Nil-Delta. Bis wir in Memphis anlegen, wird keiner ihnen Gewalt antun. Und wenn doch - wird der Mann kielgeholt!“
Er war ein Draufgänger, stark und oft mürrisch, aber er war nicht dumm. Durch das, was ihm von Pollugs in den Mund gelegt wurde, hatte das alte Spiel um die Gunst des anderen Geschlechts an Bord begonnen, und ein väterliches Lächeln signalisierte, wie sehr er sich in seiner Rolle sonnte. „Seht ihr den Holzblock, den bei uns der Takthammer schlägt?“, wandte er sich an die Frauen. „Ihr braucht nur den Mut, euch davor zu knien. Kaleb, unser Koch und Schmied hat schon anderen den Armreif geknackt.“
Das blonde Mädchen mit dem hochgesteckten Haar und der spitzen Nase, das zuerst von seinen Ketten befreit wurde, sprach punisch, wie die meisten auf dem Schiff. Es hatte Pollugs’ Rede gehört und suchte instinktiv Schutz bei dem und einem, der ihn wie ein Schatten begleitete. „Ich bin Semiris“, stellte sie sich vor.
Houke fiel so rasch nichts ein, was er sagen könnte, aber das Kleid aus Leinen hing von ihren schmalen Schultern wie ein Sack, und er gab ihr das Stück Kordel, das von dem Sonnendeck am Heck des Handelsfahrers stammte.
Sie band es sich um und lachte ihn dankbar an. „Du kannst wohl Gedanken lesen. Dabei vergesse ich ja, dass ich eine Sklavin bin.“
„Eine Sklavin war“, verbesserte Houke.
Nun gesellte sich auch das andere Mädchen hinzu. Nie hatte Houke eine Frau getroffen wie diese. Nie würde er diese brennenden Augen vergessen können. Sie war nicht größer als in Aschkelon die Kinder, und die Heiterkeit, mit der Semiris das Kleid um sich gerade zupfte, ermutigte sie, Vertrauen zu Pollugs zu schöpfen.
Schnell merkte sie, der verstand wenig aus ihrem Sprachschatz, und ihre Schicksalsgefährtin nahm sie beiseite, hörte ihr zu und erklärte: „Kirsa stammt aus Batawe, einer großen Stadt am Gestade südlich des Pharaonenreiches. Kirsa wurde, wie alle vierzehnjährigen Kinder der Stadt, nach Llanka geschickt und auf dem Sklavenmarkt zu Llanka versilbert. Sie ging in den Besitz eines Assyrers über und kam mit einer Karawane nach Sidon… vor etwa zwei Jahren. Wir lernten uns kennen auf dem Sklavenmarkt zu Delos, an dem Tag als meine Mutter starb. Kirsa ist vor vier Tagen siebzehn geworden.“
„Du sprichst zwei Sprachen?“, staunte Houke.
„Nur das Phönikische richtig“, erklärte Semiris, „aber wir sind aus dem gleichen Stall. Ich kenne ihre Geschichte.“
Pollugs schaute sich beunruhigt um. Die Tatsache, dass die Ziele der allgemeinen Begierde sich mit keinem außer Houke und ihm abgaben, trug den beiden Freunden den Groll der übrigen Mannschaft ein. „Das hat Folgen“, raunte Pollugs.
„Was meinst du?“, fragte Semiris betroffen.
Pollugs lächelte entschuldigend. „Nichts. Es genügt bloß nicht, die Leute bei ihrem Ehrgefühl zu packen. Denen etwas von Anstand zu erzählen, hätte ich mir schenken können.“
Semiris zuckte hilflos die Achseln. „Was soll ich denn tun? Du machst mir Angst.“
Auch Houke vergewisserte sich über die Schulter, wie die Stimmung bei Sutemans Leuten war, und er merkte nicht, wie Semiris ihn mit Herzklopfen entzückt betrachtete. Pollugs mochte ein nettes, wenn auch ernstes Gesicht haben, sein schulterlanges Haar war schon schütter und an den Schläfen ergraut. Dem Alter nach hätte er ihr Vater sein können. Houke war jung und unverdorben, und was er bei den Schwertfischern erlebte, gab seinem Gesicht den nötigen Ernst, der ihm früher fehlte. Der breiten Stirn und seinen Augen aus Bernstein wohnte eine natürliche Heiterkeit inne, die ihr gut tat. Von Anfang an redete er mit ihr, als wären sie in der gleichen Gasse aufgewachsen, und sie überlegte ernsthaft, ob sie ihn von früher kennen könnte und verwarf das. Aber sie liebte dieses schüchterne Lächeln um seine Mundwinkel. Ihre Mutter, besann sie sich, hatte ihr einmal über Männer mit so ausgeprägten Lippen verraten, die seien leidenschaftlich und willensstark. Für sie war er ein ganz besonderer Mensch, und er hatte etwas gut bei ihr.
Am Blutstrich wartete unruhig die ganze Bruderschaft, weil auch eine Truhe und vier Amphoren Wein zur Beute zählten. Houke ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls sein Glück zu versuchen. Am Tag vorher, als er das kretische Bronzeschwert einstrich, hielten die meisten es für Zufall.
Heute bewies er sich und allen, er hatte tatsächlich ein goldenes Händchen für dieses Spiel, und Pollugs half ihm, die mit Seide gefüllte Truhe zur Heckflosse zu schleppen.
Als Suteman die Amphoren zum nächsten Preis erklärte, flüsterte Pollugs ihm zu: „Das ist egyptischer Wein, mein Freund, gewürzt mit Anis und Koriander, berühmt für seine süßen Träume. Das gäbe ein Fest! Komm, tritt noch einmal an.“
Houke winkte sachte ab. „Mir ist lieber, sie halten es für Anfängerglück.“