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7. Kapitel

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Ihm war zuwider, was ihn erwartete, doch Decgalor sagte sich, der Zweck heiligt die Mittel. Sich zu verstellen war eben eine List, und wer die gerechte Sache vertritt, wird von der Nachwelt selten für schlecht befunden. Es gab auch Menschen, die pflegten so etwas Diplomatie zu nennen.

Ein kurzes Klopfen an der Tür ließ ihn augenblicklich hochfahren.

„Du willst mit mir reden?“, fragte eine kalte Stimme, und Decgalor wusste, wen es zu ihm trieb. Vermutlich kam Hiram nicht allein.

„Ich habe Hunger“, bemerkte Decgalor.

„Du bekommst sauber geschmorte Tauben in Nuss-Tunke, die keiner besser zubereitet als unser Kaleb“, gab ihm Hiram hocherfreut zu verstehen, hustete trocken und legte ihm nahe: „Brauchst bloß bei den Göttern von Babylon und Egypten zu schwören, du willst ab heute einer von uns sein.“

Der kluge Atlanter zählte für sich bis fünf, um nicht zu sehr bereit zu wirken und dadurch Misstrauen zu wecken. „So könnte es sein“, sagte er endlich, „doch habe ich noch eine Bedingung.“

„Nein!“ rief hinter der Tür Hiram. „Du bist unser Gefangener. Du stellst mir keine Forderungen.“

Das kathegorische Nein ermahnte den Atlanter, seine Vorbehalte hintenan zu stellen und sie auf den verlangten Schwur nicht länger warten zu lassen. „Ich habe Hunger“, sagte er anschließend, als sei alles geklärt.

Energisch bremste ihn Hiram. „Seit wir dich hier ohne Futter halten, habe ich mir den Kopf zerbrochen, ob es klüger wäre, sich neuen Jagdgründen zuzuwenden. Sag, kennst du dich aus in den Gewässern hinter dem Sperrturm?“

„Das will ich meinen.“

„Dann ist es gut.“

Also hoben sie ohne Hast den Riegel und ließen den Gefangenen, der ab jetzt kein Gefangener mehr war, heraus. Kaum erschienen sie gemeinschaftlich an Deck, erwies sich sein Einlenken als segensreich, denn am Vorsteven rang Semiris unter dem hämischen Beifall der Mannschaft mit drei rauschaligen Seeleuten. Wie ein Knäuel umdrängten sie die Arme, und sie wand sich unter der zudringlichen Hand des Assyrers. Sanherib fasste sie grob von hinten um und drückte ihr alle Luft aus dem Bauch, und ihre um Hilfe flehenden Augen duldeten keinen Aufschub mehr. Flink wie ein Beutelschneider rupfte Decgalor dem Assyrer das Kurzschwert aus dem Gürtel und drückte ihm dessen Spitze an die bebende Gurgel. „Nimm die Finger von ihr“, fauchte ihn der Atlanter an. „Bei uns achten wir Frauen und schreiten ein, wird ein Mann ausfallend in der Wahl seiner Mittel. Wollt ihr mich zum Bruder, dann führt euch nicht in meinem Dabeisein auf wie eine Horde geiler Paviane.“

Er schleuderte den Assyrer von sich, worauf der mit dem Genick hart gegen den Balken der Rahe stieß und sich verdattert über den Hinterkopf fuhr.

„Soll ich dir zeigen, wer hier bestimmt?“, knurrte Hiram zornig, aber ihre Bruderschaft hatte vor Tagen durch ihn fünf seiner besten Leute verloren und keiner verspürte Lust, sich an dem Atrlanter zu messen.

„Das ist lächerlich“, empörte sich Hasdrubal.

Decgalor strafte ihn mit einem verächtlichen Lächeln. „Denkt nicht, ihr könnt mich noch einmal mittels Netz überwältigen, wer die Waffe zieht, büßt dafür mit seinem Leben.“

Das genügte wahrhaftig, sich durchzusetzen. Hiram lag einfach zu viel daran, diesen Mann im Gefolge zu haben, und mit versteinerter Miene tat er ihm den Gefallen. „Da hast du uns aber einen untergejubelt“, schnaubte Hasdrubal ärgerlich. Und er rechtfertigte sich mürrisch. „Ich halte mich an das, was Suteman angeordnet hat. Keiner rührt die Kleine an.“

Die Frage, ob er sich westlich des Sperrturmes auskannte, hatte den Atlanter hellhörig gemacht. Sicher, seit Menschengedenken patrouillierten zwei Dutzend Schiffe zwischen der Nordspitze Libyens und der Küste Siziliens. Jeden Handelsfahrer, der nicht aus freien Stücken den Turm anlief, verwies man auf die Zollstation. Bei wiederholtem Auffallen drohte eine Beschlagnahme des Schiffs. Das östliche Mittelmeer war somit perfekt von der Westsee abgeteilt. Viel Zeit rieselte durch die Sanduhr der Ewigkeit, seit man zuletzt einen nicht legitimen Besucher der Westsee aufgabelte, und die Menschheit fing an, den Nimbus zu akzeptieren, von der Höhe des Sperrturmes würde jeder Passant gesichtet werden. Vielleicht wäre denkbar, dass ein Schlupfloch blieb; sein Oheim Dëialis, der Herr aller Flotten, zog einmal die Möglichkeit in Betracht. Zweifellos mieden die Schwertfischer die offizielle Passage am Zollturm, doch gab es Berichte, nach denen populäre Seeräuberbanden, die im östlichen Mittelmeerraum und im Nebelmeer ihrem verruchten Gewerbe frönten, ebenso westlich dem freien Handel bedeutenden Schaden zufügten. Ein Atlanter glaubt nicht an Zauberei, und die Antwort blieb immer die gleiche, wenn er vor dieser Frage stand: Es gab eine Lücke im Zeitplan der Turmwache...

Um nicht den Verdacht alter Vertrautheit zu erregen, ließ er Houke und Semiris vorläufig links liegen. Allmählich stießen sie in die Provinzen des Pharaonenreiches vor. Auf einem Steg flickten halbnackte Fischer ihr Netz und winkten ihnen zu. In einer Baumkrone, die das letzte Sonnenlicht in Rotschimmer hüllte, turnten zwei Äffchen umher, und auf einer Sandbank trompetete ein Elefant und spritzte ihnen Wasser nach. Einmal rauschte ein Schwarm Flamingos über ihr Schiff, und die Gegend war wenig von Menschenhand geprägt, als sie sich mit geblähtem Segel dem ersten Katarakt näherten. Der Fluss zwängte sich hier durch eine Felspforte, Stromschnellen bahnten sich an. Das Schiff fing an zu stampfen, und der Bug bäumte sich bedrohlich auf, da der Nil dahinter abknickte. Kaleb wollte eben die Stiege zum Laderaum nehmen, da fand er sich am Boden des kleinen Flurs wieder und rieb sich den dröhnenden Schädel. Sonst war nichts geschehen, das man als besonderes Pech bezeichnen könnte, abgesehen davon, dass sie nach der Erschütterung schlingernd flussab trieben. Hiram befahl alle Mann auf die Ruderbänke, und Strudeln und stäubender Gischt zum Trotz erlitten sie keinen Schiffbruch, da Larban an der Ruderpinne der richtige Mann war, und natürlich, weil alle vereint ruderten.

Diesmal stellten sie getreu Hasdrubals Anweisungen in der Flusskurve das Segel um, und während Kaleb an Deck seine Beule herumzeigte, gesellte sich der braungebrannte Atlanter endlich zu seinem heimlichen Freund Houke. „Ab heute“, begrüßte ihn Decgalor, „steht es Semiris frei, bei wem sie schläft. Das habe ich zur Bedingung gemacht.“

Offenen Mundes nahm Semiris es auf, und in den klaren Augen des Atlanters lachte eine Erheiterung, die ihr gefiel. „Der Rest wird sich finden, denke ich.“

„Du meinst, den Brocken hat Hiram geschluckt?“, fragte Houke ungläubig.

„Das will ich meinen. Ich habe gesagt, ich kämpfe für euch und mit euch, aber wo ich herkomme, verehrt man Frauen und stellt ihnen nicht nach wie die Paviane.“

Es genügte, ihm dankbar zu sein, aber nach der ersten Freude schluckte Semiris. „Was mag aus Kirsa geworden sein?“

„Auch für sie forderte ich die Freiheit“, sagte Decgalor leise. „Aber Hiram weigert sich, damit herauszurücken, was sich zwischen Kirsa und Sanherib ereignete. Er sagte, sie sei zu zerbrechlich gewesen... und das klang wie ein Nachruf.“

Sie stöhnte auf und schlug die Augen nieder, denn sie hatte es nicht wahrhaben wollen.

Noch mehr traf es Houke, der sich nach Pollugs Niederlage nicht getraute, einzuschreiten, und Decgalor bemerkte mitfühlend, „manche Dinge sollen wohl geschehen.“

Den achtundzwanzigsten Tag segelte die »Zerberus« schon stromauf, aber mit dem Atlanter an der Seite wendete sich Houkes’ und Semiris’ Situation zum Guten. Selbst der Berber oder Sanherib legten es nicht darauf an, es sich mit diesem Mann zu verderben.

„Es dauert keinen Tag mehr bis Abu Simbel“, bemerkte Decgalor.

„Wir segeln daran vorbei“, klärte ihn Houke auf. „Da, wo die Egypter große Figuren von Pharaonen aus dem Granitmassiv geschlagen haben, beginnt ein versteckter Seitenarm, der fast versandet sein soll. In der Bucht, in welcher der endet, liegt der Ort, zu dem Hiram uns bringen will.“

Als Freund des Atlanters galt er wieder etwas unter den Schwertfischern. Das war bei Pollugs so gewesen, und unter dem herrischen Blick von Decgalor nahm er erst recht eine Sonderstellung ein, das musste ihm keiner flüstern. Hinter der Dschungelwand des Nilufers eröffnete sich eine urweltliche Landschaft mit glasgrünen Seen, und alle Augen hefteten sich auf die in Sicht gerückten Kunstwerke, die von früheren Pharaonen erzählten.

Archaz zwinkerte ihm schelmisch zu. „Und für wen haben da nun Steinmetze über Jahre geschuftet? Sollen sich die Affen dran freuen?“

Innerhalb von zwei Wimpernschlägen waren die aus dem Granit des Berghanges gehauen Skulpturen in Gestalt des thronenden Osiris wieder aus dem Sichtfeld. Eigentlich hätte der Eindruck zu Abydos gepasst, der Stadt des Osiris, einstmals die Hauptstadt, lang vor Pi-Ramesse, der türkisblauen Stadt an der Deltaküste, und auch vor Theben oder der Blüte von Memphis.

Beipflichtend schmunzelte Houke und empfand erneut Sympathie für den nie um einen Kommentar verlegenen, charmanten Armenier. Auf eine andere Art als Decgalor wirkte er wie ein geborener Prinz. Es glich einer Feuerprobe, unbefangen den Blick zu erwidern, aber dadurch besserte sich für ihn das Klima an Bord. Kaleb erteilte ihm zwar eine Abfuhr, bei dem Versuch, einen Brotleib nachzufordern, aber lachenden Mundes. „Versuchen kann man’s ja“, tat er es ab und griente.

Es war das kleine Lächeln im Umgang mit den Leuten, was plötzlich wieder auflebte, und Houke fühlte sich von Grund auf erleichtert. Am Abend erreichten sie den unter Akazien und Sykomoren versteckten Seitenarm. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit warf der Sarde an einem Pfahlanleger Leinen über, und sie drifteten mit der Bordschale an den Steg.

Die Strömung des Nils brachte unsichtbare Schätze aus den Bergen Nubiens mit, die sie an dieser halb verlandeten Mündung ablagerte. Es führte dazu, dass hier eine Siedlung für Goldwäscher aus dem Boden schoss. Die lehmbeworfenen Flachdächer aus Binsen verrieten es, und vor allem die vielen Leute, die sich im Wasser tummelten und mit Sieben die Goldkiesel aus dem Fluss wuschen.Sie lachten und scherzten bei der Arbeit, doch ihre Sprache prallte unverstanden an Houke ab. Als er Schulter an Schulter mit Decgalor hinter Hiram und Hasdrubal her zog, und sie durch die Gassen aus staubigem Lehm streunten, bot die Siedlung ein anderes Gesicht. Unter einem Sonnendach wurde um eine Feuerstelle wild gestikulierend miteinander geschachert, nebenan Wein ausgeschenkt, es roch nach Anis und Koriander. Jemand bot kleine Elefanten aus Jade feil, Fruchtbarkeitsketten, Silberschlangen, Schlangenhäute und Leopardenfelle, sowie Antilopenleder, aufgespannt an einem Gerbgeländer. Menê war ein Schlupfwinkel für geflohene Verräter, Wegelagerer und Beutelschneider. Es hatte einen egyptischen Namen und gehörte zum Reich am Nil, aber hier walteten eigene Gesetze, und der Pharao wusste, warum er diese Enklave des Bösen unbehelligt ließ. Besser die bösen Elemente alle an einem Ort, als übers Land verteilt.

Aus einer dämmerigen ehemaligen Lagerhalle drang Lachen und lautstarkes Prahlen, und solcher Art Lärm zog Hiram an wie eine Schmeißfliege. „Aha“, raunte der Atlanter, als sie sich in einer Welt des Schattens wiederfanden und in vielen dunklen Nischen Tropfkerzen flackerten. Die plattnasigen Gesichter vieler Nubier glänzten blauschwarz im Kerzenschimmer, und Houke saß dann neben Decgalor an einer langen Tafel. Wein wurde über den Tisch geschoben, gleich ein Dutzend Karaffen. Hiram neckte ein kleines Äffchen, das er vom Nachbartisch herübergelockt hatte. Da er die Dattel nicht hergeben wollte, biss es ihn, und er jagte das an einer feinen Kette hängende Tier mit wegwerfender Hand vom Tisch und schielte boshaft auf die Dattel. Dann verkündete er hüstelnd, „auf unseren Neuen“, und schob die ersten der irdenen Schalen, die bei ihnen abgestellt wurden, zu Houke und dem Atlanter hinüber.

„Sardes soll sehr reich sein“, bemerkte er mit einem verstohlenen Augenaufschlag. „Kennst du den Ätna und die Sikulerküste, oder eine von Klippen geschützte Bucht, wo man mit einem Schiff wie der »Zerberus« unsichtbar bleiben kann, bis Beute kommt?“

Decgalor nickte. „Das will ich meinen. Doch wir müssten dafür zum Sperrturm, und der heißt nicht grundlos so. Man sieht uns von dort, ehe der Turm vor uns aus dem Horizont steigt.“

Hiram bleckte wölfisch die Zähne. „Wer sagt das denn überhaupt? Na und? Sobald der Turm sichtbar ist, segeln wir nördlich die Küste hoch und dann irgendwo durch die Klippen. Es heißt, auf einmal ist man drüben.“

„Ach… ja“, erwiderte Decgalor und nickte beifällig. „Ganz einfach vorbei, abseits vom Turmbau, meinst du?“

„Na was?“ Hirams Augen funkelten begeistert. „Das ist doch altes Gewäsch. Aber einen Atlanter mag es wohl wundern, da dein Volk doch meint, die alten Völker im Griff zu haben.“

Decgalor hob gänzlich unbekümmert die Schultern. „Es ist mir lieber, als am Turm unbequeme Fragen zu hören. Meine dunkelblaue Tunika verrät jedem, ich habe mich der Flotte verschrieben, und es zieht mich nicht zurück, zum Drill.“

„Du kannst ein Schiff führen?“, fragte Hiram neugierig. Er hatte seinen alten Steuermann verloren und war umso mehr auf Larban angewiesen. Hasdrubal fiel nach wie vor aus, und Larban könnte bei ihrem Lebensstil leicht etwas zustoßen.

„Bist du ein Hauptmann gewesen?“

„Ein einfacher Mann, aber einer, auf dessen Rat du etwas geben kannst“, wischte Decgalor seine weiteren Fragen dazu vom Tisch. „Ihr habt mir mein Schwert noch nicht zurückgegeben“, bemerkte er bei der Gelegenheit. „Ohne Schwert bin ich keine gute Leibwache. Du solltest es mir nicht länger vorenthalten.“

„Ich trage es selbst“, sagte er. Decgalor hatte das schon lange vorher bemerkt. Da jener ihn offenbar hofierte, wollte er sehen, wie weit Hiram ihm wirklich vertraute.

Der würgte angegriffen und spuckte übelriechenden Schleim unter den Tisch, gab ihm aber tatsächlich sein Schwert. „Auch einem Fuchs unterlaufen Fehler. Aber es ist in Ordnung, Decgalor, dass du mich daran erinnert hast. Das steht dir zu. Ich denke, du bist ein Kämpfer wie Sanherib und unser Berber.“

Semiris wurde fast zerdrückt zwischen Houke und dem Berber und nippte befangen an ihrer Schale. Dieser Ort war ihr nicht geheuer. Von Gästen wie sie hier verkehrten, ging Gefahr aus. Die bulligen, rabenschwarzen Gesichter mit den leuchtenden weißen Augen waren ihr unheimlich, und Erinnerungen an das, was Kirsa mitunter aus ihrer Heimat erzählte, stiegen auf. Eine Geschichte um einen Hexenmeister beschäftigte sie, der mit seinen Dämonen über eine Stadt namens Llanka herrschte. Von den Schwarzen dort sagte man, sie glichen den Dämonen der Nacht.

Fünf Nubier gesellten sich zu ihrer Runde und wurden mit einem Gelage in die Bruderschaft der Schwertfischer eingeführt. Einer war größer als der andere. Nampamos überragte selbst den Berber noch um einen Kopf und trug ein quer über die Brust gezogenes Leopardfell mit dazu passendem Köcher um den massigen Leib. Er besaß einen Bogen, so gewaltig wie er selbst und ein vier Ellen langes Schwert, bezeichnete sich als Schwertjünger der Rakshana und sprach drei Sprachen, das Altbabylonische, Punisch und die Buschsprache. Es bereicherte die Bruderschaft um einen Jünger, mit dem sich auch Decgalor ungern anlegen würde. Außer den Nubiern traten noch Tubal und Seneb bei, einer in einer staubigen Kutte, der andere ein Egypter und ausgemergelt wie ein Bettler. Hiram nahm jeden. Die meisten Ruderbänke füllten sich wieder, und was sie nach Menê trieb, war erledigt. Um in der Gunst seiner Mannschaft zu steigen, zeigte sich Hiram von seiner besten Seite. „Suteman hat offenbar seit Jahren alle Perlen, die in ihre Hände fielen, in eine Amphore geworfen“, verkündete er. „Joktan hat sie gestern gefunden.“

Das bedeutete für Houke wie für seinen Freund, den Atlanter, 13 Perlen. Sie beschlossen, sich mit Semiris und zwei Karaffen Wein an den Rand des Palmenhains am Wasser zu setzen und ganz für sich zu feiern. Bald saß der Atlanter alleine dort und wohnte aus der Ferne dem nächtlichen Treiben im Schein der Lagerfeuer bei. Houke hätte kaum zu hoffen gewagt, sobald mit Semiris unter vier Augen zu sein und wollte sie verführen. Doch ihr war mehr nach Reden zumute. So streckte sie zwar angenehm berührt das Bein aus, während er ihr den nackten Fuß massierte, fragte aber leise, „an was glaubst du?“

„Wie meinst du das?“

„Ich meine: Wie stellst du dir die Götter vor?“

Houke blickte sie an, als hätte er Spaß daran, ihr diese Frage zu beantworten. „Ich habe meinen Vater des Öfteren begleitet beim Opfergang zum Baal. Als ich ihn fragte, ob ihn das Lamm nicht dauerte, erwiderte er: Es gibt Götter oder nicht, und es ist darum nicht unklug, wenn man ihnen vorsorglich opfert. Aber das hat mich nicht überzeugen können.“

„Ich denke, irgendwo gibt es sie doch“, widersprach Semiris. „Weißt du, es gibt Leute wie Pollugs – oder den Atlanter, und von denen geht etwas aus, das sich schwer in Worte fassen lässt. Hinterher meint so mancher wohl, wenn er mit einem besonders tatkräftigen und starken Menschen zu tun hatte - das war sicherlich Apollon, oder Hermes, der Götterbote. Die Egypter glauben ja sogar steif und fest, die Pharaonen seien lebende Götter, egal ob sie aus Fleisch und Blut sind. Und das Reich am Nil währt seit Jahrtausenden – welches Reich ist älter?“

„Gut, wenn du so willst“, pflichtete Houke bei, „kann sich durchaus der eine oder andere hellenische Gott auf diese Welt verirrt haben.“

Er betrachtete sie verliebt. „Mir gefällt, was der Atlanter dazu sagt. Es geht darum, mit ganzem Herzen um eine Sache zu kämpfen, dann braucht man keine Götter. Aber was soll ich tun, damit du wieder so lieb zu mir bist wie das eine Mal in Hirams Kabine?“

Sie lachte vergnügt. „Sei so zärtlich wie du es vermagst“, flüsterte sie ihm.

Houke versuchte es, und begriff: Semiris genoss es, begehrt zu werden. In den Pfützen des nie wirklich stillen Urwalds quakten die Frösche, während sie sich gegenseitig von den Kleidern befreiten und in die Arme fielen. Hinterher unterhielten sie sich wieder. Anfangs über einen kecken Bettler, der einmal in der kühlen Felsgruft überwinterte, die dem Haus Nowa als Keller diente, dann regte sie die Frage an, ob sie einmal Kinder haben wollten. Sie plauderten, bis der Mond verblich und zur Morgendämmerung die Frühnebel über der versandeten Bucht wallten. Gegen morgen fanden sich alle wieder am Anleger ein und Hiram berichtete seinen Leuten von einem vielversprechenden Gespräch der letzten Nacht: „Es gibt einen Händler in Menê, der gibt jedem, der ihm guten Schmuck bietet, Schwerter mit einer Stahlklinge, wie sie nur das Seevolk herzustellen vermag.“

Nach der Beschreibung des Zuträgers gelangten Houke und Semiris mit den anderen zu einem abbruchreifen Haus aus Akazienholz, das sich an einen hohen Uferfelsen lehnte. Sanherib, der mit Hasdrubal und Hiram die Spitze ihrer Gruppe bildete, klopfte an eine verwitterte Holztür. Niemand antwortete, da trat er ein und führte sie eine kleine Treppe hinab, in ein von einer Fackel erhelltes Gewölbe unterhalb des Wohnraums. Im Schatten einer Ecke stand ein Schwarzer mit leuchtenden Augen und fragte dumpf: „Wer schickt euch?“

„Motta“ entgegnete Hiram mit seiner meistens heiseren Stimme, und Semiris schlug das Herz bis in den Hals, ohne zu wissen, wovor sie sich eigentlich fürchtete. Da schwang im undurchschaubaren Dunkel des Raumes eine Tür auf und ein Dutzend Schwarze mit langen Schwertern brachen herein. Decgalor war mit einem Satz bei der Treppe und streckte den schwarzen Krieger, der sie versperrte, mit einem schnellen Streich nieder. Hastig nach Semiris Hand angelnd, hetzte Houke ihm nach.

Seine Geistesgegenwart vereitelte den Anschlag auf ihr Leben. Der Sarde nutzte nämlich die Schreckenssekunde aus, spuckte sich in die Hand und griff nach der Fackel. Leise zischend wurde es stockduster. Houke erreichte mit Decgalor und Semiris das Freie und fand sich atemlos unter einem klaren Sternenteppich wieder.

Durch den fast vollen Mond war es nicht einmal besonders dunkel, und sie erreichten außer einem allesamt die frische Luft. Hiram musste husten und verschluckte sich, während Nampamos jeden seiner Landsleute, der ihnen folgten wollte, niederhieb und beweisen konnte, was in ihm steckte.

„Ein verdammter Hinterhalt war das“, fluchte Hasdrubal, und Decgalor setzte einem verletzten Wegelagerer das Schwert an den Kehlkopf. „Wer trachtet uns nach dem Leben?“, fuhr Hiram den Mann an und trat nach ihm.

„Sprich, sonst bist du gleich tot“, forderte der Atlanter und drückte die Klinge gegen den Hals, bis ein Blutstropfen hervorsickerte.

„Einer, der sich Marach nennt“, raunte der Schwarze stockend.

Decgalor ließ ihn aufstehen und verabreichte ihm einen Tritt, woraufhin der Nubier sein Heil in der Flucht suchte.

„Das ist ein alter Freund von Suteman“, besann sich Hasdrubal.

„Musstest du auch in tönender Lautstärke erzählen, ich hätte Suteman das Lebenslicht ausgeblasen!“ brüllte ihn Hiram an. Dann knirschte er mit den Zähnen. Sein zorniger Blick streifte den Atlanter im Kreis. „Und du lässt ihn laufen. Weshalb?“

„Ihm werden wir andernorts kaum wieder begegnen“, beschwichtigte der ihn.

„Na denn“, beschloss Hiram in seiner Ohnmacht. „Ich glaube, wir haben hier keine Freunde. Fehlt eigentlich nur: gleich kommt ein Köter und pinkelt mir ans Bein. Mögen die Heuschrecken über dieses heimtückische Nest kommen! Mich zieht es zum Schiff, Leute.“

Der Tod des Houke Nowa

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