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Zynismus

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Ich möchte mich jetzt an jene unter Ihnen wenden, die sich von den zuvor beschriebenen Prinzipien des Interbeing provoziert fühlen, die, wie ich zugebe, nach New-Age-Marktgeschrei klingen. Aber lassen Sie mich hier brutal ehrlich sein: Ich verwende die Phrase »New-Age-Marktgeschrei« nur deshalb, um Ihnen implizit zu versichern, dass ich solchen Dingen nicht auf den Leim gegangen bin, dass ich zu den nüchternen Realisten gehöre. Sehen Sie? Dadurch schlage ich mich auf Ihre Seite und mache mich auch darüber lustig.

Das ist eine übliche Taktik. Den Linken macht es besonderen Spaß, die radikaleren Linken zu kritisieren; die UFOlogen machen sich extra lustig über Berichte von angeblichen UFO-Entführungen; der Junge, der schikaniert wurde, gibt es an einen noch schwächeren weiter. Die unbeliebten Kinder in der Schule vermeiden es peinlichst, nur ja nicht mit den besonders unbeliebten Kindern in Verbindung gebracht zu werden. Indem wir so handeln, versuchen wir uns aber genau durch das System zu legitimieren, das wir zu unterlaufen hoffen. Indirekt bestärken wir dadurch seine Legitimität, weil wir unsere eigene daran knüpfen. Wir begehen den gleichen Fehler, wenn wir uns zu sehr auf die akademischen oder professionellen Referenzen unserer Verbündeten berufen, um jene zu überzeugen, die sich von so etwas beeindrucken lassen. Wenn ich mich darauf berufe, dass Dr. Eben Alexander ein Professor der Neurochirurgie ist, um Sie davon zu überzeugen, dass es außerkörperliche Nahtoderfahrungen gibt, bekräftige ich damit implizit, dass man Leuten von diesem sozialen Rang allgemein vertrauen sollte – und dem ganzen Gebäude der akademischen Wissenschaft, das ihn umgibt, gleich dazu. Aber im Allgemeinen lassen gerade Menschen von diesem Status und aus dem akademischen Umfeld seine Argumente nicht gelten. Appelliert man an Autorität, so stärkt man die Autorität. Welche unausgesprochene Botschaft steckt hinter der Aussage: »Sehen Sie, dieser Professor, jener Politiker, dieser Geschäftsmann, jener Mainstream-Fachgelehrte stimmt mir zu«? Sie lautet, dass diese Menschen und nicht die Außenseiter, die Hippies, die Nicht-Zertifizierten und Unveröffentlichten ein legitimes Glaubwürdigkeitssiegel tragen. Mit dieser Taktik gewinnen wir vielleicht die Schlacht, den Krieg aber werden wir verlieren. Audre Lorde formulierte das treffend: »Des Meisters Werkzeuge werden nie des Meisters Haus niederreißen«.

Eine ähnliche Logik trifft auf die nutzenorientierten Argumente für Umweltschutz zu. Haben Sie jemals gehört, wir müssten die Umwelt bewahren, weil die »Leistungen des Ökosystems« einen so großen wirtschaftlichen Wert besitzen? Eine solche Argumentationsweise ist problematisch, weil sie genau jene Annahme stützt, die wir infrage stellen müssen: dass Entscheidungen aufgrund ökonomischer Berechnungen getroffen werden sollten. Auch sie können nicht überzeugen. Sind Sie Umweltschützerin, weil es Sie bewegt, wie viel Geld wir damit einsparen könnten? Eben, auch sonst wird niemand aus diesem Grund zum Umweltschützer werden. Wir müssen das ansprechen, was uns bewegt: die Liebe zu unserem schönen Planeten.

Obwohl ich all das weiß, warum war ich immer noch versucht, den abfälligen Begriff »New-Age-Marktgeschrei« zu benutzen und dadurch genau die von mir benannten Prinzipien zu verleugnen, nur um möglichst meine Glaubwürdigkeit zu behalten? Wie Sie, geschätzte Leser, lebe ich immer noch in zwei Geschichten, einer alten und einer neuen. Selbst wenn ich eine Geschichte des Interbeing erzähle, bleibt ein Teil von mir in der Welt der Separation zurück. Ich bin eben kein erleuchtetes Wesen, das Sie auf einer Reise führen möchte, die ich selbst schon abgeschlossen hätte. Auch das ist ein altes Modell; es gehört zu einer Form von spiritueller Hierarchie, die auf einer linearen Vorstellung von der Bewusstseinsentwicklung basiert. Im gegenwärtigen Übergang ist jeder von uns ein Pionier auf seinem speziellen Gebiet im Reich der Wiedervereinigung. Dementsprechend muss ich Ihnen genauso Einblick in meine Zweifel und inneren Konflikte wie in meine Einsichten gewähren. Diese spirituellen Wahrheiten – und ich zögere mit diesem Ausdruck – provozieren mich auch; vielleicht fast so sehr, wie sie den erbittertsten Verteidiger der orthodoxen Wissenschaftlichkeit provozieren. Der einzige Unterschied ist, dass mein Spott nach innen gerichtet ist.

Ich bediene mich nicht nur der Worte des Skeptikers, um nicht als naiv zu erscheinen. Was reizt meinen inneren Zyniker? Die oben genannten Prinzipien sind furchteinflößend, weil sie eine zarte, verletzliche Hoffnung nähren, die wie schon so oft zuvor leicht wieder zerschmettert werden könnte. Nach meinen Vorträgen fragen mich die Leute: »Damals in den 1960ern sprachen wir ähnlich über ein anbrechendes neues Zeitalter, aber es kam nicht. Stattdessen ging es weiter mit Gewalt und Entfremdung, und sie erreichten sogar neue Extreme. Wie können wir wissen, dass nicht wieder das Gleiche passieren wird?« Das klingt wie ein vernünftiger Einwand. Ich behaupte in diesem Buch, dass die 1960er-Jahre grundlegend anders waren als unsere heutige Zeit, aber meine Argumente können entkräftet werden, und diese Einwände können ihrerseits widerlegt werden. Unter alldem liegt ein Schmerz, und solange diese Wunde schwärt, wird kein Argument den Zyniker überzeugen.

Denken Sie daran, wenn Sie einem hartnäckigen, zynischen Kritiker begegnen (sei er nun in Ihnen oder außerhalb). Wenn Sie sich daran erinnern, dass der Zynismus von einer Wunde herrührt, wird es Ihnen vielleicht möglich sein, in einer Weise zu antworten, die auf diese Wunde Bezug nimmt. Ich kann Ihnen nicht von vornherein sagen, wie Sie am besten antworten. Die Weisheit kommt vom genauen, anteilnehmenden Zuhören und von der Achtsamkeit gegenüber dem Schmerz. Es mag sich in Ihnen spontan eine Geste der Vergebung oder der Großzügigkeit regen, die Ihnen vielleicht erlaubt zu heilen. Wenn das geschieht, ändern sich die verstandesmäßigen Meinungen oft von selbst, weil sie ja nur ein Ausdruck der jeweiligen Seinsweise sind. Ansichten, die einst erstrebenswert schienen, sind es jetzt plötzlich nicht mehr.

Der Spott der Zyniker stammt aus der Wunde vom zerschmetterten Idealismus und von den betrogenen Hoffnungen. Sie wurde uns auf kollektiver Ebene zugefügt, als sich das Zeitalter des Wassermanns in das Zeitalter von Ronald Reagan verwandelte; und auf individueller Ebene, als unser jugendlicher Idealismus, durch den wir noch wussten, dass eine schönere Welt möglich ist, durch den wir an unsere eigene einzigartige Bestimmung glaubten, etwas Bedeutsames für die Welt beitragen zu können, der sich nie, unter keinen Umständen, verraten ließ und uns in Sicherheit wiegte, dass wir nie so werden würden wie unsere Eltern, einem Erwachsensein Platz machte, in dem die Träume zurückgestellt und die Erwartungen heruntergeschraubt wurden. Alles, was an diese Wunde rührt, wird uns veranlassen, sie zu schützen. Ein solcher Schutz ist der Zynismus, mit dem alle Äußerungen der Wiedervereinigung zurückgewiesen und als dumm, naiv oder irrational verspottet werden.

Der Zyniker verwechselt seinen Zynismus mit einem Realismus. Er will, dass wir alles ablegen, was Hoffnungen weckt, die seine Wunde berühren, damit es mit seinen zurückgeschraubten Erwartungen stimmig bleibt. Das, sagt er, sei realistisch. Paradoxerweise ist gerade der Zynismus unpraktisch. Ein naiver Mensch versucht, was der Zyniker für unmöglich hält, und hat damit manchmal Erfolg.

Wenn Sie denken: »All das Gelaber über das Einssein ist ein Haufen Blödsinn«, wenn Sie Empörung oder Verachtung empfinden, bitte ich Sie ernsthaft nachzuforschen, woher diese Abweisung kommt. Könnte es sein, dass es da einen einsamen, ängstlichen Teil von Ihnen gibt, der glauben möchte? Fürchten Sie sich vor diesem Teil? Ich weiß, ich tu’s. Wenn ich ihm erlaube zu wachsen, wenn ich ihm erlaube, mein Leben zu leiten, wenn ich auf all diese Beschreibungen der neuen Geschichte vertraue, die ich oben aufgezählt habe, dann öffne ich mich und riskiere eine große Enttäuschung. Es ist eine außerordentlich verletzliche Position, zu glauben, auf Sinn zu vertrauen, auf Führung und darauf, dass es mir gut gehen wird. Besser zynisch bleiben. Besser auf der sicheren Seite bleiben.

Wenn Sie auf diese Reden vom Einssein nicht mit Zynismus reagieren, sondern das Bedürfnis haben, sie zu rechtfertigen, heißt das nicht, dass Sie nicht dieselbe Wunde wie der Zyniker haben. Statt sie wahrzunehmen wie der Zyniker, ignorieren Sie sie vielleicht. Könnte es sein, dass Sie, wann immer sich der Zweifel einschleicht, die damit verbundenen Schmerzen betäuben, indem Sie zum neuesten Buch über Engelsheilung, Kornkreise oder Reinkarnation greifen? Begehen Sie hier ein spirituelles Ausweichmanöver? Ob Ihr Glaube an das Einssein und die damit verbundene Weltsicht eine offene Wunde verdeckt, können Sie auch daran erkennen, ob der Spott der Skeptiker bei Ihnen Ärger oder eine persönliche Verteidigungshaltung auslöst. Wenn das so ist, dann geht es um mehr als eine bloße Meinung. Zweifler und Glaubende sind gar nicht so verschieden, weil beide einen Glauben heranziehen, um eine Wunde zu bedecken. Wenn es Sie also empört hat, dass ich UFOs erwähnte, oder wenn Sie die dogmatische Ablehnung der Skeptiker von UFOs ärgert, möchte ich Sie ermuntern, zu ergründen, woher diese Gefühlsregung kommt. Wir wollen sehen, was in uns versteckt liegt, damit wir das nicht blindlings in dem Neuen wiederholen, das wir schaffen wollen.

Ich wage kaum, mir vorzustellen, was ein nüchterner Realist wie James Howard Kunstler (jemand, den ich bewundere) wohl über dieses Buch sagen würde, wenn er es liest. Keine Frage, mein innerer Kritiker kann es mit ihm aufnehmen. »Du bildest dir ein, dass irgendwelche magischen ›Techniken des Interbeing‹ uns retten werden?«, schnaubt er. »Das ist genau die Art von Wunschdenken, die uns gefügig macht und lähmt. Du kannst dich einfach nicht der Wahrheit stellen. Es gibt keinen Ausweg. Die Lage ist hoffnungslos. Wenn nicht ein Wunder geschieht, bei dem alle morgen aufwachen und es plötzlich schnallen, ist die Menschheit dem Untergang geweiht. Weiter über ›Sinn‹ oder ›Bewusstsein‹ im Universum zu labern, wofür es keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, macht die Sache nur schlimmer.«

Ich habe aber entdeckt, dass mein innerer Zyniker genau falsch liegt. Die Weltuntergangsstimmung ist das Lähmende, und die naive Hoffnung ist das, was mich inspiriert, etwas zu unternehmen. Beides kann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Was geschieht, wenn Millionen Menschen beginnen, im Sinne der Geschichte des Interbeing zu handeln, nach der keine Tat unbedeutend ist? Die Welt wird sich ändern.

Genauso lähmend ist der Glaube, dass die Welt durch eine schändliche bösartige Intrige gesteuert wird. Warum sollte man versuchen, irgendetwas zu erreichen, wenn jede sinnvolle Veränderung von einer alles sehenden teuflischen Macht abgeschmettert wird? Ich habe in diesen Theorien geplantscht, die mich in einen schwerfälligen, belasteten Zustand versetzen, der sich anfühlt, als würde ich in einem sumpfigen Tümpel ertrinken. Aber man sagt mir, ich sei naiv und abgehoben, wenn ich das abstreite. Ich solle doch meine Augen öffnen und hinsehen!

Trotzdem bringen diese Verschwörungstheorien eine psychologische Wahrheit zum Ausdruck. Sie verleihen dem Gefühl von hilfloser Wut eine Stimme, der Ur-Empörung, in eine Welt geworfen zu sein, die von Institutionen und Ideologien beherrscht wird, die dem Wohlergehen der Menschen nicht dienen. Die »teuflische Intrige« repräsentiert also einen Schattenaspekt von uns selbst, die wir getrieben sind, zu herrschen und zu kontrollieren – ein unvermeidlicher Auswuchs des abgetrennten Selbst in einem gleichgültigen oder feindseligen Universum. Der ständige Drang, Verschwörungstheorien zu beweisen, ist eine Art von Protest. Er will sagen: »Bitte glaubt mir. Es sollte nicht so sein, wie es ist. Etwas Schreckliches hat die Macht über die Welt an sich gerissen.« Dieses Etwas ist die Geschichte von der Separation und alles, was sich daraus ergibt.

Bedeutet das, dass die neue Geschichte eine List ist, uns zu motivieren, ein Trick, der uns zum Handeln zwingt, als ob es einen Unterschied machte, was wir tun? Der letzte Ausweg meines inneren Kritikers besteht darin, zu sagen: »Na gut, vielleicht ist die Geschichte des Interbeing nützlich, um die Leute zum Handeln zu bewegen, aber sie ist nicht wahr.« Dann wäre ich wie ein Prediger, der die Menschen ermahnt, fromm zu sein, aber selbst nicht glaubt. Hinter dieser besonderen Form von Zynismus stoße ich wieder auf einen Schmerz, eine qualvolle Einsamkeit. Sie möchte Beweise, dass die Geschichte des Interbeing wahr ist, Beweise, dass das Leben einen Sinn hat, dass das Universum Bewusstsein besitzt und dass ich mehr bin als mein abgetrenntes Selbst. Ich wünschte, ich könnte mich auf Beweise stützen, um mich für meinen Glauben zu entscheiden. Aber das geht nicht. Welche Geschichte ist wahr, die von der Separation oder die des Interbeing? Ich werde in diesem Buch Anzeichen aufzählen, die für Letztere sprechen, aber keines davon wird ein endgültiger Beweis sein. Kein Beweis wird je ausreichen. Es wird immer eine alternative Erklärungsmöglichkeit geben: Zufall, Betrug, Wunschdenken etc. Ohne schlüssige Beweise werden Sie sich also auf Basis einer anderen Grundlage entscheiden müssen, wie zum Beispiel: »Welche Geschichte steht am ehesten im Einklang damit, wer Sie wirklich sind und wer Sie sein möchten?« »Welche Geschichte bereitet Ihnen die meiste Freude?« Allein eine solche Entscheidung zu treffen, die auf etwas anderem als Beweisen und Verstand beruht, ist schon ein großer Schritt weg aus der Geschichte von der Separation und ihrem objektiven Universum.

Lege ich Sie also herein? Gewiss, würde ich Ihnen die neue Geschichte als ein heimlich Zweifelnder antragen, so wäre ich ein erfolgloser Geschichtenerzähler. Meine Doppelzüngigkeit würde sich in der einen oder anderen Form zeigen und den Fluss des Erzählstranges stören. Ich sage aber nicht, dass ich ganz in die Geschichte des Interbeing eingetreten bin und den totalen Glauben und das Vertrauen habe, die das mit sich bringt. Weit gefehlt. Zum Glück ist meine Fähigkeit, diese Geschichte zu erzählen, aber nicht allein von meinem Glauben abhängig. Ich bin von vielen, vielen anderen Menschen umgeben, die ihrerseits – und auch so unvollkommen wie ich – an die gleiche Geschichte glauben. Gemeinsam bewegen wir uns immer weiter in sie hinein. Erleuchtung ist ein Gruppenprozess.

Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich

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