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Hoffnung

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Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist schon im Entstehen. An einem ruhigen Tag kann ich sie atmen hören.

(ARUNDHATI ROY)

Die Hoffnung hat dieser Tage einen schlechten Ruf unter manchen Lehrern. Einerseits scheint sie zum Wunschdenken zu verleiten, das uns von der nüchternen Einschätzung der Wirklichkeit ablenkt und unrealistische Erwartungen nährt. Wie Nietzsche es formulierte: »Die Hoffnung … ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.« In der Sprache der »Spiritualität« impliziert Hoffnung mittlerweile eine Ablehnung des gegenwärtigen Augenblicks oder womöglich, dass sich ein Schatten von Zweifel über die kreative Kraft der eigenen Intentionen legt. Lassen Sie uns jedoch dieses Urelement der menschlichen Psyche nicht vorschnell verwerfen. Was sagt uns die Hoffnung, die immergrüne, die so oft wie eine Blume am Rand der öden Seitenwege der Verzweiflung blüht?

Ich gebe zu, die Menschen hoffen oft auf absurde Dinge, die ihre Wahrnehmung der Gegenwart und ihre Fähigkeit, vernünftig darauf zu reagieren, behindern: die kranke Frau, die hofft, dass der Knoten in ihrer Brust einfach verschwinden wird, wenn sie ihn ignoriert; das Kind, das hofft, dass Mama und Papa wieder zusammenkommen; unsere Gesellschaft, die hofft, dass sich die Wissenschaftler eine Lösung für den Klimawandel einfallen lassen. Wie auch immer sie formuliert wird, der Hoffnung liegt die emotionale Energie zugrunde: »Es wird alles wieder gut.« In gewisser Weise stimmt das auch – nicht weil unsere schlimmsten Befürchtungen nicht eintreten, sondern weil wir uns damit abfinden, wenn sie sich bewahrheitet haben. Der Frau wird es wieder gut gehen, nicht weil sie den Knoten ignoriert, sondern weil sie ihn zur Kenntnis nimmt und behandeln lässt, oder vielleicht weil sie ihre Brust verliert und danach eine Liebe und Selbstakzeptanz erlebt, die über ihre äußere Erscheinung hinausgeht, oder vielleicht durch das, was ihr im Sterbeprozess widerfährt. Ebenso haben Wissenschaftler schon Lösungen für den Klimawandel gefunden, viele Lösungen sogar.

Sie liegen vor unseren Augen: Naturschutz, Permakultur, erneuerbare Energien, einfaches Leben, Fahrräder, Zero-Waste-Produktion und so weiter. Aber erst wenn uns der Klimawandel ernstlich trifft, werden wir diese Lösungen im entscheidenden Maßstab umsetzen. Die Hoffnung zeigt uns ein Ziel, aber ein weites Land, das Terrain der Verzweiflung, liegt zwischen ihr und uns.

In der finstersten Verzweiflung glimmt ein Funke Hoffnung unauslöschlich in uns, bereit, von der kleinsten guten Nachricht angefacht zu werden. So beherrschend auch der Zynismus ist, lebt in uns doch ein kindlicher Idealismus, immer bereit zu glauben, immer bereit, andere Möglichkeiten mit neuen Augen zu sehen, immer noch lebendig trotz all der Enttäuschungen. Selbst in Zeiten der finstersten Resignation gegenüber der alten Normalität gaben wir uns ihr doch nur halbherzig hin, weil ein Teil unserer Energien nach etwas suchte, das außerhalb der Welt liegt, wie wir sie gekannt haben.

Innerhalb der Logik der alten Geschichte ist die Hoffnung eine Lüge, das Trugbild von etwas Unmöglichem, aber sie entsteht aus unserem angeborenen Idealismus, aus dem Wissen unserer Herzen von einer schöneren Welt. Die Ansichten, dass eine schönere Welt nicht möglich ist, stehen im Konflikt zum Herzen, das uns sagt, sie ist es. Erst wenn das Gerüst dieser Ansichten zusammenbricht, muss die Hoffnung sich nicht mehr ins Irrationale flüchten. Eine neue Geschichte von der Welt verleiht dem Wissen des Herzens, das wir Hoffnung nennen, eine geeignete Ausdrucksmöglichkeit; dann wird sie zu einem authentischen Optimismus. Unsere vernunftwidrige Hoffnung verweist uns auf etwas Wahres. Deshalb nenne ich sie einen Vorboten.

Diese neue Geschichte verwandelt auch unsere Auffassung von Zweckmäßigkeit, weil sie ein anderes Verständnis von Realität und Kausalität vermittelt. Aus Sicht der Geschichte des Interbeing steht das Wissen des Herzens, dass es wichtig ist, die 95-jährige Schwiegermutter zu pflegen, nicht mehr im Konflikt mit dem Verstand. Die Vorstellung von Verstand hat sich geändert. Herz und Verstand stehen zueinander nicht mehr im Widerspruch. Ihre Annäherung ist Teil einer größeren Strömung der Wiedervereinigung, die unsere Welt heilt, und die auch die Wiedervereinigung von Geist und Materie, Disziplin und Verlangen, Körper und Seele, Geld und Geschenk, Natur und Technologie, Mann und Frau, des Gezähmten und des Wilden, von Arbeit und Spiel, Leben und Kunst umfasst. Wir werden erkennen, dass jeder dieser vermeintlichen Gegensätze den anderen hervorbringt und in sich enthält. Wir werden nicht länger in der Illusion leben, dass sie voneinander getrennt sind.

Möglicherweise haben viele meiner Leser immer noch eine weite Strecke durch das Terrain der Verzweiflung zurückzulegen, bevor sie sich ganz auf die neue Geschichte einlassen können. Ich weiß, das gilt auch für mich. Aber trotzdem gewinnen wir, die wir stückchenweise das Terrain der Verzweiflung hinter uns lassen, das Vertrauen und den Mut, Dinge zu tun, die im Rahmen der alten Geschichte sinnlos sind. Diese Erkenntnis ist befreiend. So viele Menschen unterdrücken ihr Potenzial, weil sie meinen, sie müssten etwas Großes damit tun. Was man selber tut, ist nicht genug; man muss schon ein Buch schreiben, mit dem man Millionen Menschen erreicht. Wie schnell gerät das zu einem Wettkampf darum, wessen Ideen gehört werden. Wie sehr entwertet das die kleinen, schönen Gesten und Bemühungen so vieler Menschen; entwertet paradoxerweise genau diese Dinge, die wir im großen Maßstab zu tun beginnen müssen, um einen lebenswerten Planeten aufrechtzuerhalten. Wieder und wieder fragen mich junge Leute: »Ich würde mich wirklich gerne mit Permakultur beschäftigen – aber habe ich nicht die Verantwortung, etwas Größeres als nur das zu tun?« Ich antworte, dass diese Entscheidung nur aus der Perspektive der Separation gering erscheint. Aus der Sicht des Interbeing ist ihre Entscheidung nicht weniger wichtig als eine Entscheidung des Präsidenten.

Die Logik der Separation hält uns in einem Paradox gefangen. Die Welt kann sich nur ändern, wenn Milliarden von Menschen andere Lebensentscheidungen treffen, aber auf individueller Ebene spielt keine dieser Entscheidungen eine Rolle. Die Dinge, auf die es ankommt, bewirken nichts. Wenn nur ich es tue, aber sonst niemand? Es sieht gewiss so aus, als täte es sonst fast niemand. Warum sollte ich es dann tun?

Ich will hier nicht suggerieren, dass wir diese kleinen Dinge tun sollten, weil sie auf mysteriöse Weise die Welt ändern werden (obwohl sie das tun). Ich schlage eher vor, dass wir uns mehr danach orientieren sollten, woher unsere Entscheidungen kommen, als danach, worauf sie abzielen. Die neue Geschichte bestätigt unsere Entscheidungen und führt sie uns klar vor Augen, aber die Motivation dafür kommt von woanders. Woher nämlich können wir wirklich wissen, was die Auswirkungen unserer Handlungen sein werden? Die Komplexitätstheorie lehrt uns, dass in dem chaotischen Bereich zwischen zwei Attraktoren geringe Störungen gewaltige, unvorhersehbare Auswirkungen haben können. Wir sind heute an solch einem Ort. Unsere Zivilisation nähert sich einem Phasenübergang. Wer kann die Auswirkungen unserer Handlungen vorhersagen? Ein Polizist gibt einem barfüßigen obdachlosen Mann ein Paar Stiefel, eine unscheinbare Geste der Freundlichkeit. Wie konnte er wissen, dass ihn jemand fotografierte und dass seine Handlung bei einer Unzahl von Menschen die Güte wachrufen würde? Der Mann verkauft dann die Stiefel, um dafür Drogen zu kaufen, was den Zynismus von weiteren Tausenden anfacht. Ob sichtbar oder unsichtbar, Handlungen von großem Vertrauen, Handlungen, die aus einer Grundhaltung tief verankert in der Wiedervereinigung kommen, senden wirksame Wellen hinaus in das Gefüge der Kausalität. So oder so, vielleicht über Wege, von denen wir nichts wissen, kommen sie an die Oberfläche der sichtbaren Welt.

Als meine Kinder noch klein waren, gingen sie in einen Montessori-Kindergarten. Nie zuvor oder danach habe ich eine Schule gesehen, die so voll von Liebe, Lachen und Freundlichkeit war. Die Erzieherinnen behandelten die Kinder mit tiefem, ehrlichem Respekt, ohne sie je zu bevormunden oder zu etwas zu zwingen, ohne sie mit Lob oder Tadel zu manipulieren, wodurch sie ihnen die Möglichkeit einer Erfahrung von bedingungsloser Liebe gaben. Diese Kindergartenzeit ist jetzt nur mehr eine nebelhafte Erinnerung für die Kinder, die von dort aus in die harte, erniedrigende Welt der Separation hinausgingen, aber vor meinem geistigen Auge sehe ich einen kleinen goldenen Schimmer in ihnen, und in diesem Schimmer sehe ich ein Samenkorn. Es ist der Same von bedingungsloser Liebe und Respekt, die sie dort erfuhren, und er wartet auf eine Gelegenheit, zu keimen und zu erblühen und die gleiche Frucht, die meine Kinder erhielten, an andere weiterzugeben, denen sie begegnen. Vielleicht sind ein oder zwei Kindergartenjahre nicht genug, um die brutale Maschinerie der Separation zu überwinden, die eine Kindheit heute prägt, aber wer kann schon wissen, wann und wie diese Erfahrung Knospen treiben wird? Wer weiß schon, welche Auswirkungen sie haben wird? Ein oder zwei Jahre während eines so entscheidenden Lebensstadiums an einem Zufluchtsort voll Liebe und Respekt zu sein, das prägt einen Menschen mit der Neigung zu Mitgefühl, Sicherheit, Selbstliebe und Selbstrespekt. Wer kann schon wissen, wie diese Prägung die Entscheidungen des Kindes in seinem späteren Leben verändern wird? Wer kann schon wissen, wie diese Entscheidungen die Welt verändern werden?

Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich

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