Читать книгу Die Mulgacamper Romane Band 7 und 8 - Elda Drake - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
Am nächsten Tag stand ein Besuch von Kurranda auf dem Programm. Dieses kleine Bergdorf lag nur wenige Kilometer außerhalb von Cairns und hatte sich über die Jahre zu einer Touristenattraktion entwickelt. Es gab drei Wege, wie man es erreichen konnte: Über die Straße, die Eisenbahn oder mit der Gondel. Jeder halbwegs normale Tourist machte das, was ein Besucher machen sollte und nahm einmal den Zug und für die andere Strecke die Seilbahn. Diese beiden Fahrgelegenheiten waren nämlich die zusätzlichen Attraktionen bei einem Besuch Kurrandas.
Auch Pat und Hetty leisteten sich das, nicht gerade günstige, Arrangement. Auf dem Hinweg setzten sie sich in die Skyrail, die alleine schon von der Art ihrer Erbauung her interessant war. Zu der Zeit hatte nämlich auch schon in Australien der Umweltschutz Einzug gehalten und so wurden die hundertfünfzig Betonmasten, welche die Kabel für die Seilbahn hielten, mit dem Hubschrauber eingeflogen. Dadurch wurde der Regenwald praktisch unberührt belassen und nun konnte man wunderschön, über den Wipfeln der Bäume, nach oben gleiten. Das einzige Geräusch, das man hörte, waren die Vögel im Wald und das leise Sirren der Bahn, welches bei den Umlenkstellen dann kurz in ein schwupp, schwupp, überging.
»Traumhaft!« Pat war hellauf begeistert.
Die Aussicht war aber auch wunderbar. Weites Land und bewaldete Hügelketten, irgendwie kam man sich vor, wie in einem Raumschiff, das leise über die Erde hinweg schwebte. In den lichten Baumkronen sah man zahlreiche Farne und sonstige Symbionten, die es sich an den Ästen der hohen Bäume gemütlich gemacht hatten. Den laubbedeckten Boden des Regenwaldes konnte man nur mit Mühe und Not ausmachen, denn dort in diesem Bereich kämpften alle mögliche Pflanzenarten darum, möglichst viel Licht zu bekommen und drängelten sich deswegen über- und untereinander.
Hetty deutete nach unten und mutmaßte. »Vielleicht war es ihnen auch einfach zu viel Arbeit, den Wald auszulichten, um ihre Masten bauen zu können. Man möchte sowieso nicht glauben, dass da irgendwo ein Durchkommen ist.«
Pat stimmte ihr zu. »Was meinst du, warum die Gegend hier oben nur so spärlich besiedelt ist. Und die Bäume, die hier wachsen, sind alles Hartholzbäume. Da brauchst du schon sehr gute Motorsägen, um die umzulegen.«
Hetty nickte. »Bei der Führung im botanischen Garten in Sydney hat der Volunteer erzählt, dass die einst mit ihren Nullachtfünfzehnäxten zehn Tage gebraucht haben, um einen einzigen Eukalyptus zu fällen.«
Sie schmunzelte. »Vielleicht hättet ihr, statt der Aga-Kröte, Biber einführen sollen!«
Doch dann schüttelte sie den Kopf. »Das wäre bloß auch wieder in die Hose gegangen, bei dem Thema habt ihr einfach kein Glück!«
Sie bezog sich damit auf das ganze Viehzeug das die Australier, aus welchen Gründen auch immer, nach und nach eingeführt hatten. Jedes dieser Tiere hatte sich innerhalb weniger Jahre zu einer Plage entwickelt, denn da es hier keine natürlichen Feinde hatte, fand innerhalb von kurzer Zeit eine Bevölkerungsexplosion statt.
Pat seufzte. »Hör mir bloß auf! Mein kleiner Neffe erzählt immer, er spielt Golf mit den Kröten.«
Hetty grinste. Ja, von der Methode hatte sie auch schon gehört. Andere Optionen waren einsammeln und über Nacht einfrieren, die Tourismusbranche stellte Krötengeldbeutel her und in manchen Gegenden waren jeden Abend Krötensuchkommandos unterwegs. Einhellig herrschte die Meinung, dass nur eine tote Aga-Kröte eine gute Aga-Kröte war. Vor kurzem hatte sie allerdings ein Gerücht gehört, das behauptete, dass mittlerweile einige der australischen Tiere gegen das Gift der Kröte immun wurden und somit wuchs die Hoffnung, dass sie doch nicht den Tod aller einheimischen Jäger und Amphibien bedeuten würde.
An der Mittelstation stiegen sie aus und schlossen sich der Führung an, die hier angeboten wurde. Ein Ranger erklärte, auf einem kleinen Rundweg, die Flora und Fauna des Regenwaldes und nannte wie immer schön brav alle botanischen Namen. Hetty hörte den Vortrag zwar schon zum x-ten Mal, fand die Schilderungen aber nach wie vor interessant. Ganz abgesehen davon, dass sie sich die Bezeichnungen sowieso nie merken konnte und sie deshalb für sie immer wieder neu waren.
»Alzheimer hat auch seine Vorteile!« Die Abteilung ihres Gehirn, die für das Dumm daherreden da war, meinte wieder mal einen Kommentar abgeben zu müssen.
Nachdem sie mit Pat noch zu dem Aussichtspunkt gegangen war, von dem aus man den Barron-Wasserfall sehen konnte, dessen, jetzt in der Trockenzeit, spärliche Wasserschleier an mehreren Stellen in die Tiefe stürzten, kehrten sie wieder zur Station zurück und warteten auf die nächste Gondel, die nach oben fuhr.
Hetty zeigte auf ein Vogelpaar aus Plastik, das als Dekoration die Wartezone schmückte. »Weißt du, welche Vögel das sind?«
Pat sah sie verdutzt an. »Na klar, Kasuare, kennt doch jeder!«
Hetty lachte. »Ja, jeder Australier. Aber als ich das erste Mal hier herauf gefahren bin, habe ich in meiner Einfalt gedacht: Aha, so haben also die Urzeitstrauße in Australien ausgesehen.«
Als Pat zum Kichern anfing, setzte sie nach. »Schau dir doch die Teile an: Blaues Gefieder, ein Hornschild auf dem Kopf – so einen Vogel kann es doch heutzutage gar nicht mehr geben. Mein Gesicht hätte in jeder Zeitschrift viel Geld gebracht, als ich oben im Vogelhaus den ersten lebendigen Kasuar gesehen habe.«
Während sie mit der Gondel weiterfuhren, diskutierten sie über die seltsame Tierwelt, die es in Australien gab und dass man hier immer noch ein eierlegendes Schnabeltier sehen konnte.
Hetty seufzte. »Weißt du, für einen Bayern ist es besonders schwer, an solche Dinge zu glauben.«
Pat war irritiert. »Wieso denn das, was ist denn in Bayern so anders, als im restlichen Deutschland?«
Hetty sah sie lächelnd an. »Bei uns gibt es Wolpertinger!«
Pat riss die Augen auf. »Was ist denn das?«
»Tja, das sind ganz seltene Viecher, haben so eher den Körper einer Ente und kleine Hörner auf der Stirn.« Hetty zuckte die Achseln. »Wenn Norddeutsche zu Besuch kommen, gehen unsere Bergbauern hin und wieder mit ihnen hinaus, um einen zu fangen.«
Sie konnte sich ein Grinsen doch nicht verbeißen. »Aber das ist ziemlich schwierig. Da gibt es bestimmte Rituale, die man durchführen muss, um einen anzulocken. Zum Beispiel mit einer Kerze in der Hand durch das Gebüsch kriechen und ganz laut Wouuu, Woouu rufen. Eigentlich hat noch nie ein Ausländer einen selber gefangen, da konnten sie schreien was sie wollten, die Viecher gehen nicht so leicht in die Falle. Aber wir haben etliche ausgestopfte Exemplare, die können sie dann für teures Geld kaufen.«
Pat war nicht auf den Kopf gefallen und hatte schon mitgekriegt, das da nicht alles mit rechten Dingen zuging. »Ihr verarscht die doch, oder? Bastelt die Teile zusammen und die Trottel kaufen sie euch für echt ab!«
Hetty lachte. »Jawohl! Ist immer ein Mordsspaß. Gibt sogar Bücher darüber, wie man Wolpertinger fängt und so. Aber das war dann eben auch der Grund, warum ich einen Kasuar nicht für echt ansah!«
In Kurranda gab es dann allerdings nur wirklich reale Dinge zu sehen. Zuerst gingen sie zum Schmetterlingshaus. Wie der Name schon vermuten ließ, gab es darin Schmetterlinge. Viele Schmetterlinge. Kleine Schmetterlinge, große Schmetterlinge, einfarbige, bunte, fransige Schmetterlinge und dazu noch Motten. Zumindest dachte Hetty das würden Motten sein, denn sie sahen aus wie Motten. Allerdings sehr große Motten. Wie kleine Fledermäuse.
»Womit wir wieder mal bei unserem Lieblingsthema wären!« Ihr Verstand seufzte auf.
Die Sarkasmusabteilung gab ihren Senf dazu. »Was wetten wir, dass sie bei den blauen Ullyseus eine Verbindung zu Kais Augen herstellt?«
Hetty fand, dass große Teile ihres Gehirns definitiv zu viel Redeanteil hatten. Während sie die wundervollen blauen Flügel von den handtellergroßen Schmetterlingen bewunderte, musste sie selbstverständlich an Pats Chef denken. Schließlich hatte Kai die tollsten blauen Augen, die sie je auf dieser Welt gesehen hatte.
»Was habe ich gesagt – rutsch gleich mal ne Portion Endorphine rüber!«
Murrend gab der Verstand etwas frei. »Die findet einfach immer eine Ausrede, an den Kerl zu denken!«
Doch das Schmetterlingshaus war viel zu interessant, um sich noch lange mit unergiebigen Themen zu beschäftigen und sich Gedanken über Kai zu machen gehörte bei Hetty ganz oben in die Liste der Dinge, die man besser nicht tun sollte.
In dem riesengroßen Glashaus – laut Informationsbroschüre dem größten in Queensland – gab es in jeder Ecke einen hübschen Falter zu entdecken. Und natürlich versuchten sie auch alle zu finden, die auf dem Prospekt, den sie in der Hand hielten, abgebildet waren. Ein betonierter Weg führte über einen kleinen Wasserlauf, zu einem der Futterplätze für die Tiere. Zwischen Palmen, Sträuchern und Blumen waren in einem eingezäunten Bereich auf hölzernen Haltern mehrere mit Zuckerlösung gefüllte Petrischalen angebracht, die als Lockmittel für die Schmetterlinge dienten, die wirr durch das Glashaus flatterten.
Ab und zu steuerten sie dann für einen kurzen Augenblick eines dieser Schüsselchen an, um mit ihrem langen Saugrüssel den Inhalt zu schlürfen. Da diese Gefäße direkt neben der Einzäunung standen, ergab sich dadurch eine wunderbare Möglichkeit für die Besucher, die Falter zu beobachten und zu fotografieren.
Natürlich hatten die Betreiber auch noch überall die in Australien allgegenwärtigen Informationstafeln angebracht, auf denen alles mögliche Wissenswerte über diese Insekten stand. Auf einer davon war unter anderem zu erfahren, dass es unmöglich gewesen wäre, die Menge an Tieren rein über den Nektar aus Blumen zu ernähren.
Pat drehte begeistert ihren Kopf. »Wunderschön!«
Hetty nickte. »So viele wie heute habe ich auch noch nie erlebt. Anscheinend kommt es immer darauf an, ob gerade wieder neue aus ihren Kokons geschlüpft sind. Bei der Zucht kann man inzwischen auch zusehen, komm mit.«
Sie gingen durch eine Doppeltüre in das angrenzende Nebengebäude, das als Aufzuchtstation diente. Zwei Mitarbeiter der Einrichtung waren hinter einer Glasscheibe an ihrem Arbeitsplatz zu sehen, der etwas an eine Gärtnerei erinnerte. Das kam wahrscheinlich daher, dass sie fortlaufend kleine Bauschen grüner Strauchzweige mit viel Blätteranteil, in eine Flasche mit Wasser steckten. Die kam anschließend in eine Plastikschüssel und dann wurden die entsprechenden Raupen auf die neue Futterquelle gesetzt. Nachdem noch eine Datierung auf dem Behälter angebracht worden war und die Artenbezeichnung, zogen sie ein Netz über das Ensemble.
Auf der Infotafel neben dem Glasfenster, wurde die Notwendigkeit der Beschriftung damit begründet, dass die unterschiedlichen Raupenarten eben auch nicht alle gleich lange Verpuppungsphasen hatten und die Pfleger natürlich wissen mussten, wann die Schmetterlinge schlüpfen würden, um sie rechtzeitig frei lassen zu können. In der Mitte der Raumes waren noch einige Glasterrarien aufgebaut, in denen die Raupen von einigen der im Gehege herumflatternden Schmetterlingen zu sehen waren.
»Sind wirklich schön die Teile!« Hetty zeigte auf zwei daumendicke Exemplare, die für die Riesenmotten zuständig waren.
Pat ging näher an die Glasscheibe heran. »Sehen irgendwie aus wie Seegurken!«
Hetty musste ihr recht geben. Mit den aufrechtstehenden gummiähnlichen Stacheln, war die Form dann doch sehr ähnlich.
Sie grinste. »Vielleicht ist die Seegurke ja auch nur eine Raupe und die Mutter der Mantas.«
Pat lachte laut auf. »Du meinst, weil die einem Schmetterling in der Form am nächsten kommt. Ich glaube, du solltest unbedingt mal mit einem Meeresbiologen reden, das sind ganz neue Denkansätze!«
Lachend gingen sie zurück, um erneut in Schwärmen bunter Falter zu schwelgen.
Hetty fluchte. »Ich werde es wohl nie schaffen! Meinst du, ich kriege einen von den blauen Ulysseus so auf das Bild, dass ich nicht nur ein verschwommenes Etwas habe? Jedes Mal, wenn ich hier bin, kann ich hinterher den kompletten Stick wieder löschen, weil nur Sträucher mit einem Fleckchen nicht identifizierbarem Blau zu sehen sind.«
Pat seufzte. »Rate mal, wies mir geht. Ich glaube, ich kaufe mir eine Postkarte.«
Während sie zahlte, stand Hetty grübelnd neben ihr und betrachtete das Foto. »Schätzungsweise ist der schon tot. Sonst kriegt man eine solche Aufnahme nicht hin.«
Die Kassiererin lachte. »Das kann ich jetzt nicht bestätigen, aber sie sind nicht die ersten, die rauskommen und keinen erwischt haben. Manche stellen sich stundenlang hin und haben keine Chance.«
Während sie zu nächsten Attraktion weitergingen überlegte Hetty, dass das Problem bei dieser Art eben war, dass sie grundsätzlich im unvorhersehbarem Zickzackkurs durch die Gegend flogen und sofort bei der Landung die Flügel zusammenklappten und man dann nur noch die langweilige schwarze Unterseite sehen konnte. Ganz abgesehen davon, dass die Schnelltrinker waren und nur Sekunden später wieder einen urplötzlichen Start hinlegten. Sie runzelte die Stirn. Der auf dem Foto war eindeutig tot.
Erst als sie im Vogelhaus ankamen, wurde sie aus ihren Gedankengängen gerissen. In dem befanden sich neben dem Kasuarpaar, das Hetty bei ihrem ersten Besuch so außer Fassung gebracht hatte, noch etliche andere Vögel. So ungefähr alles, was in der Arche Noah als Vogel drin gewesen war. Zumindest fand Hetty, das wäre der richtige Name für diese Einrichtung gewesen. Hier waren alle Vögel, die in Australien und um Australien herum lebten zu finden und natürlich alle paarweise.
Aras, Papageien jeglicher Färbung, Kakadus in allen Arten, Enten, Tauben, Lorikeets, Honigfresser und, und, und. Angeblich sollten über zweihundertfünfzig Vogelarten in dieser Riesenvoliere sein. Auch hier führte ein Rundweg durch die Anlage. Er begann und endete auf einer hölzernen Plattform, die als Hauptanlaufstelle für die Fotografen diente. Hettys Glaube, dass die australischen Tiere sich einen Spaß mit den Touristen machten, wurde hier immer wieder neu bestärkt.
Sie setzte sich mit Pat auf eine Bank und deutete auf eine Sitzstange, auf der gerade ein Papagei gelandet war. »Schau dir das mal an. Der spielt sich doch jetzt wie eine Diva mit dem Fotografen. Oh, jetzt den Kopf etwas links, ja noch eine Aufnahme im Profil, was? – ich soll die Flügel spreizen – Bitteschön!«
Pat kicherte. »Das schaut doch nur so aus.«
Hetty schüttelte den Kopf. »Pass einfach auf, jetzt ist der fertig mit seiner Show, nun kommt der Ara, der macht genau dasselbe!«
Einige Vögel später hatte Pat die gleiche Ansicht. »Ich glaube wenn es eine kleine Kamera geben würde, dann wären die Touries die Fotomotive der Vögel!«
Natürlich machte Hetty trotzdem einige schöne Aufnahmen, die Pat mit Papagei links und rechts auf der Schulter, auf der Hand und auf dem Kopf zeigten. Als sie über zwei Stunden später wieder auf die Straße traten, hatten sie sich keine Minute gelangweilt.
»Ich war jetzt schon so oft hier drin, aber ich genieße jeden Besuch.« Hetty strahlte Pat an. »Das war das Erste, was mir in Australien aufgefallen ist. Als sie mich zuhause fragten, was hier das Besondere ist, habe ich gesagt: Die Vögel. So viele Vögel.«
Pat runzelte die Stirn. »Ja, stimmt schon, wir haben ziemlich viele Vögel. Aber für mich ist das ganz normal und nichts Ungewöhnliches.«
Hetty zeigte auf einen großen Baum, in dem sich dutzende rosagraue Galas tummelten. »Ich bin jetzt schon fast zwei Jahre da und habe mich immer noch nicht sattgesehen.«
»Apropos satt – Zeit für Mittagessen!« Pat stiefelte Richtung Einkaufsstraße los.
Hetty folgte ihr lächelnd. Hungern würde sie dieses Mal sicher nicht. Pat wurde ihr immer sympathischer. Ein wirklich nettes Mädchen. Und eigentlich ziemlich hübsch. Wenn die mal ihre Militärklamotten gegen etwas Fraulicheres eintauschte, gab es sicher zahlreiche Männer, die kein Problem damit hatten, dass sie für eine Frau doch relativ groß war.
Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen hatten, machten sie sich auf den Weg die zahlreichen Shops zu erkunden. Und auch wenn Kurranda in den letzten Jahren immer mehr zum Touristenmagnet mutiert war, gab es doch noch genügend Läden in denen die alten Besitzer standen, mit denen man nett plauschen konnte.
Hetty hatte Pat vorgewarnt. »Wenn du etwas kaufen willst, dann nach Möglichkeit nur Unzerbrechliches, das nicht im Weg umgeht – der Camper ist nicht gerade die ideale Lagerstätte für Keramik und mein Stauraum ist begrenzt.«
Obwohl die erst noch den Kopf geschüttelt hatte, musste sie dann doch in einer Galerie sehr an sich halten, um nicht doch schwach zu werden. Da gab es wunderbare skurrile Keramiken von Papageien, Hühnern und Pelikanen und sie hätte zu gerne eine davon mitgenommen. So hörte sie dann aber nur zu, wie sich Hetty mit dem Ladenbesitzer unterhielt, der anscheinend überglücklich war, nur reden zu können und nichts verkaufen zu müssen. Hetty hatte ihm gleich am Anfang erklärt, warum das leider nicht möglich sei, aber das hielt ihn nicht davon ab, ihr detailliert und ausführlich die einzelnen Kunstwerke zu erklären.
Drei Stunden später hatten sie alle interessanten Läden und die Marktstände durch und Pat bekam langsam, aber sicher, eine Ahnung was das Besondere an Hetty war. Sie konnte einfach mit jedem. Und egal, wo sie hinkamen – jeder mochte sie. Pat hatte noch nie in ihrem Leben soviel Kaffee, Kuchen, Wein und Snacks angeboten bekommen, wie in dieser kurzen Zeit.
Doch Hetty war schon wieder unterwegs zu neuen Ufern. »Was hältst du davon, wenn wir jetzt den Wandertrack machen, der am Fluss entlangführt?«
Da der gut ausgebaute Weg nur eben dahinging, zuerst am Fluss entlang durch eine wunderbare Allee mit Eukalyptusbäumen und dann in Mäandern durch den Regenwald, konnten sie sich unterm Gehen problemlos unterhalten.
Pat deutete mit dem Daumen zurück Richtung Dorf. »Läuft das bei dir immer so ab?«
Hetty runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Na, dass du mit den Leuten sofort ins Gespräch kommst und sie ihren wohlgehüteten Kaffee rausrücken.«
Hetty erklärte nach kurzem Nachdenken. »Es ist ganz einfach so – ich unterhalte mich gerne und interessiere mich eigentlich für so ziemlich alles. Und fast jeder Mensch ist heilfroh, wenn ihm mal endlich einer zuhört und es auch noch spannend findet, was man ihm erzählt.«
Sie warf Pat einen Blick zu. »Die wenigsten meinen es wirklich ernst, wenn sie sagen „Erzähl doch mal“.«
Pat nickte. Das kannte sie selbst zur Genüge. Wenn man dann anfing, merkte man nach ein paar Minuten, dass das Gegenüber gelangweilt wirkte und man besser wieder aufhören sollte. Aber hier hatte sie tatsächlich den Eindruck gehabt, dass es Hetty wirklich interessierte, ob die Oma gerade aus dem Krankenhaus gekommen war oder das Baby gestern Schluckauf hatte.
Hetty setzte nochmal nach. »Weißt du, das sind doch alles Lebensgeschichten – besser als jeder Fernsehfilm – denn es ist die reine Wahrheit. Und gleichzeitig auch wieder nicht, da jeder Mensch nur seine Perspektive erzählt. Richtig toll wird es, wenn ich dieselbe Geschichte von mehreren beteiligten Personen zu hören bekomme. Da fällst du echt vom Glauben ab. Das wird aus schwarz – weiß gemacht und umgekehrt.«
Sie seufzte. »Wenn die Leute mehr miteinander reden würden – und ich meine wirklich reden – dann gäbe es viel weniger Missverständnisse auf dieser Welt.«
Dann lachte sie auf. »Aber vielleicht sollten sie nicht ganz soviel reden wie ich.«
Pat kicherte. »Du nimmst dich gerne selber hoch, oder?«
Hetty grinste. »Die beste Möglichkeit allen blöden Bemerkungen aus dem Weg zu gehen. Du musst immer ins Negative übertreiben. Damit zwingst du alle Leute, das Gegenteil zu behaupten. Und schon kriegst du ein Kompliment, das dich aufbaut.«
Ein paar Minuten herrschte Schweigen und dann kam von ihrer Begleiterin die Frage. »Also wenn ich jetzt sage, dass ich aus der Dachrinne saufen kann und groß und hässlich bin – dann sagst du?«
Hetty lachte los. »Das, was jeder sagen würde. Nämlich dass du gar nicht so groß bist, tolle Proportionen hast und außerdem die hübscheste Stubsnase mit Sommersprossen, die man je gesehen hat.«
Sie gab Pat einen Stoß mit dem Ellbogen. »Heute Abend machen wir einen drauf, dann lässt du deine tolle Selbsteinschätzung mal an der Bartheke los. Ich wette mit dir um einen Tetrapack Rotwein, dass die Männer das Gleiche sagen wie ich!«
Pat hatte nicht geglaubt, dass Hetty das auch durchziehen würde. Aber nachdem sie am späten Nachmittag mit der antiken Eisenbahn die kurvige Strecke durch die Berge ins Tal gefahren waren, steuerte Hetty zielsicher die nächste Kneipe an.
Vor der Türe sah sie Pat noch prüfend an und meinte. »Ich hoffe, du willst heute nicht früh ins Bett? Wir fahren mit dem Stadtbus nach Hause – der hält direkt vor dem Parkeingang, also müssen wir uns ums Heimkommen keine Sorgen machen. Und du bist ja noch in einem jugendlichem Alter, also machst du wohl nicht vor Mitternacht schlapp.«
Woraufhin diese grinsend antwortete. »Och, da bin ich nicht so mädchenhaft oder, wie meine Großmutter immer sagte: Morgenstund hat Gold im Mund!«
Ein paar Stunden später hatte sie endgültig verstanden, warum Kais Männer so von Hetty angetan waren. Denn dort wo Hetty war, da steppte der Bär. Obwohl steppen noch untertrieben war. In dieser Kneipe ging die Post ab. Und Pat stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass sich die anwesenden Männer nicht nur für Hetty, sondern auch für sie interessierten.
Hetty war sich bewusst gewesen, dass Pat unter Kais Leitung mit Sicherheit schon einige tolle Abenteuer erlebt hatte. Und anstatt nur selber das Wort zu führen, deutete sie zwischendrin immer wieder auf Pat und forderte sie auf. »Komm, erzähl uns doch noch eine von deinen tollen Agentenstorys!«
Gleichzeitig erklärte sie allen, dass Pat eine Art weiblicher James Bond sei und die Lizenz zum Töten hatte. Am Anfang peppte sie die Berichte von Pat noch mit kleinen Schnörkeln auf, doch die hatte bald den Bogen raus, wie man die Zuhörer fesselte und brauchte keine Hilfe mehr. Da die Aussies nichts mehr liebten als eine gute Story, hatten sie keine Probleme ausreichend Nachschub an kostenlosen Getränken zu bekommen und sogar fürs Essen wurde gesorgt. Schließlich erklärte Hetty den Abend für beendet und sie verabschiedeten sich aus der Runde, mit dem Versprechen am nächsten Tag wieder zu erscheinen.
Der Busfahrer ließ sie tatsächlich direkt am Tor vom Campingplatz aussteigen, winkte ihnen noch nach und Pat folgte, mit einem leisen Kopfschütteln, Hetty zu ihrem Camper. Wenn das so weiterging, dann würde das der tollste Urlaub in ihrem Leben werden. Sie grinste. Und morgen musste sie gleich als erstes den Tetrapack Rotwein kaufen, den sie Hetty schuldig war.