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Kapitel Vier
ОглавлениеKatelyn
Erleichtert steige ich in den Leihwagen und atme aus. Was passiert hier nur? Da ist dieser Mann und er sieht mich mit einer Intensität an, die mein Herz zum Glühen bringt. Richard hat mich noch nie so angesehen. Doch Jackson gibt mir das Gefühl, dass er mich wirklich sieht. Und dass er sich für mich interessiert. Das jagt mir Schauer über den Rücken, zugleich fühlt es sich aber auch aufregend an. Er begehrt mich wirklich, ich kann das Feuer in seinem Blick sehen. Und ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, dem zu widerstehen, weil es mir etwas verspricht, das ich noch niemals erlebt habe. Wahrhaftes Verlangen, echte Sehnsucht. Ich darf nicht zulassen, dass wir uns noch einmal sehen. Dieses Spiel ist viel zu gefährlich. Richard hat seine Augen überall.
Ich biege in die Straße ein, in der sich die kleine Bäckerei befindet, in der es die Erdbeertörtchen gibt, die Richard so liebt. Letzte Woche noch habe ich diese Törtchen geholt, um ihm eine Freude zu machen. Jetzt hole ich sie, um dieses schlechte Gefühl in mir herunterzuspülen. So wie Männer, die fremdgehen und ihren Frauen Blumen mitbringen. Aber ich gehe gar nicht fremd. Er tut es. Und Richard scheint nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben, denn ich bekomme keine Blumen von ihm. Ich schüttle den Kopf. Denk nicht mehr darüber nach. Du musst es akzeptieren wie es ist. Für Olivia. Aber wie lange kann ich so tun, als wäre alles in Ordnung?
Ich öffne die Tür zum Shop, über mir läutet das kleine Glöckchen das verkündet, dass jemand hereingekommen ist. Der süße, schwere Duft von Gebäck steigt mir in die Nase und lässt meinen Magen knurren. Die Verkäuferin begrüßt mich lächelnd.
»Erdbeertörtchen?«, will sie wissen.
»Ja, und für Olivia einen rosafarbenen Doughnut.« Die mag sie besonders gerne. Ich denke an die Reaktion von Jackson auf meine Feststellung, dass ich nicht Olivias Mutter wäre, wenn ich es anderen überlassen würde, sich um sie zu kümmern. Natürlich hatten wir immer ein Kindermädchen, aber sie war viel mehr eine Unterstützung für mich, als die Person, zu der ich Olivia abgeschoben habe. Nein, ich könnte nicht anders. Es war richtig, alles für sie aufzugeben. Weil ich schuld daran bin, dass sie nicht gesund ist. Ich bin verantwortlich für das, was ihr geschehen ist.
Ich tauche aus meinen Gedanken auf, als die Verkäuferin das Päckchen vor mich hinlegt und mir den Betrag nennt, den ich bezahlen muss. Ich gebe ihr das Geld und verlasse das Geschäft. Als ich auf den Gehweg trete, sehe ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung, eine schwarze Lederjacke und breite Schultern, aber als ich nach rechts blicke, ist niemand zu sehen. Aber da ist dieses Flattern in meinem Magen und dieses Kribbeln auf meiner Haut, dieses Gefühl, als wäre Jackson in der Nähe. Aber außer mir ist niemand hier. Er schwirrt eindeutig zu viel in meinem Kopf herum.
Ich steige in das Leihauto und fahre langsam los. Als ich an die Hausecke komme, werfe ich einen Blick in die Gasse. Nur um sicherzugehen. Aber auch die Gasse ist leer. Ich muss Jackson unbedingt aus dem Kopf bekommen.
Seit ich gestern Richard mit dem Kindermädchen gesehen habe, gehen mir Ginas eindringliche Worte nicht mehr aus dem Kopf. Mich von Richard scheiden lassen. Ich denke schon eine Weile darüber nach, aus dieser kalten, lieblosen Ehe auszubrechen, in die meine Eltern mich gedrängt haben. Aber wenn ich an die Verzweiflung in Mutters Augen zurückdenke, dann weiß ich zumindest, warum ich mich darauf eingelassen habe, obwohl ich von Anfang an wusste, dass Richard diese Verbindung nur als Sprungbrett für seine politische Karriere gesehen hat. Ein reicher Unternehmer, der in eine Familie einheiratet mit politisch hohem Ansehen. Eine Familie, in deren Vergangenheit es schon Generäle, Gouverneure und sogar einen Vizepräsidenten gegeben hat. Eine Familie mit genau dem Ansehen, das man braucht, um die richtigen Hebel in Bewegung setzen zu können.
Aber so kurz vor den Wahlen eine Scheidung, Richard würde das nie zulassen. Wenn er wüsste, dass ich von seiner Freizeitbeschäftigung weiß, dann würde er Olivia als Druckmittel gegen mich einsetzen, weil ihm sehr bewusst ist, dass ich sie nie zurücklassen würde. Und dabei hat er alle Karten in seiner Hand, denn dass unsere Tochter am Marker-X-Syndrom leidet ist nur meine Schuld. Ich wusste nicht, dass ich schwanger bin, als ich rückfällig geworden bin und schon zum Frühstück Whisky mit Tilidin gemixt habe, nur um alles um mich herum abzudämpfen und mich nicht so hilflos eingesperrt in dieser Ehe zu fühlen. Damals wollte ich die Wut auf meine Eltern betäuben, weil sie einfach gestorben waren und mich hier zurückgelassen hatten. Es war nur ein kurzer Rückfall. Nur zwei oder drei Kontrollverluste.
Ich schniefe und wische mir die Tränen von den Wangen. Diese Dinge werde ich niemals wiedergutmachen können. Aber ich kann es für Olivia zumindest besser machen, indem ich sie nie im Stich lassen werde. Und da ich wahrscheinlich von keinem Richter des Staates das Sorgerecht zugesprochen bekommen würde, heißt das, ich muss bei Richard bleiben. Meine Gefühle interessieren nicht. Es geht um Olivia. Nur sie ist wichtig. Und Olivia ist nicht der einzige Grund, der mich an Richard fesselt. Da ist auch noch ein Mensch, der wegen mir gestorben ist.
Ich biege in die Einfahrt zur Schule ein und stelle das Auto auf dem Parkplatz ab. Ich habe noch etwas Zeit bis zum Unterrichtsschluss. Kaum habe ich den Motor ausgeschaltet, klingelt mein Handy. Ich nehme es aus der Handtasche und gehe ran.
»Hallo?«
»Wie gefällt Ihnen der Leihwagen?«
»Jackson?« Mein Herz klopft wild in meiner Brust, als ich seine Stimme erkenne.
»Ich wollte nur nachfragen, wie Sie mit dem Auto klarkommen.«
»Danke, super.«
»Das freut mich.«
Ich weiß nicht, was ich antworten soll, aber er wartet wohl darauf, dass ich etwas sage, denn er schweigt und ich kann nur seinen Atem hören. Es ist fast, als würde er direkt hinter mir stehen, sich über meine Schulter beugen und mir ins Ohr atmen. Ein wohliger Schauer durchläuft meinen Körper. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn sein heißer Atem über meine Wange streichen würde.
»Woran denken Sie gerade?«, fragt er mich.
An deine faszinierenden Augen, den Bartschatten, die Art, wie du mich ansiehst und das, was ich empfinde, wenn du in meiner Nähe bist. All diese widersprüchlichen Gefühle, die ich nicht haben dürfte, die sich aber so wundervoll anfühlen.
»Ich frage mich, warum Sie anrufen.«
Er lacht dunkel und atmet seufzend aus. »Das frage ich mich auch. Ich weiß nur, ich sollte es nicht. Aber Katelyn, ich kann nicht anders. Ich bekomm dich nicht aus meinem Kopf.«
»Wir kennen uns doch gar nicht.« In meinen Ohren rauscht das Blut und ich kann kaum das Telefon halten, so sehr zittern meine Hände. Solche Dinge habe ich noch nie empfunden.
»Um sich zueinander hingezogen zu fühlen, braucht es nicht mehr als einen Blick. Und ich kenne dich besser, als du glaubst.«
»Ich … ich kann nicht«, sage ich heiser und lege schnell auf. Ich lasse das Handy auf den Beifahrersitz fallen und reibe meine Schläfen. Warum fühlt sich das so aufregend und richtig an? Liegt es daran, dass Richard mich betrügt? Liegt es daran, dass zum ersten Mal ein Mann Interesse an mir zeigt? Dass ich zum ersten Mal Interesse an einem Mann habe? Mein Herz rast so sehr, ich spüre es überall im Körper. Ich fühle mich so verloren.
Jackson
»Ich bin so ein Idiot!«, schreie ich und hämmere auf mein Lenkrad ein. Wieso habe ich das getan? Weil alles in mir mich dazu bringen will, diese Frau zu beschützen, für sie da zu sein. Weil ich den Schmerz in ihren Augen nicht länger ertragen kann, den dieses Arschloch in ihr hervorruft. Katelyn ist so unschuldig, so zart. Wie kann man eine solche Frau verletzen? Wie kann man ihr so was antun?
Nein. Ich schüttle verzweifelt den Kopf. Sie ist nicht unschuldig. Das wissen wir noch nicht genau. Ich will sie nur gerne so sehen. Ich fahre auf den Parkplatz vor dem Campbell Building und sehe am Gebäude nach oben. Von diesem Dach dort habe ich letzte Nacht Stone geworfen. Er ist keine zehn Meter von meinem Parkplatz entfernt auf ein parkendes Auto gestürzt. Auf seinem Weg nach unten hat er so laut geschrien, dass ich nicht mal dafür sorgen musste, dass die Polizei ihn noch vor Sonnenaufgang findet. Irgendjemand aus der Nachbarschaft hat angerufen.
Stone war der Bodyguard neben Campbell. Der, der all die kleinen Geheimnisse mitbekommen hat. Der, der überall dabei sein durfte. Der, der alles wusste. Da ich mich in den letzten sechs Monaten langsam nach oben gearbeitet habe, sollte ich gute Chancen haben, jetzt nachrücken zu dürfen. Und wenn nicht, dann haben wir noch immer Plan B.
Ich steige aus dem Auto und gehe auf das Gebäude zu. Die Stelle um den Fundort der Leiche ist mit schwarz-gelbem Absperrband abgeriegelt. Wahrscheinlich haben sie nur vergessen, sie wieder freizugeben, denn die Leiche und das Auto sind weg. Sogar sämtliche Glassplitter der Frontscheibe scheinen beseitigt zu sein. Nichts weist mehr darauf hin, dass hier gestern ein Mensch gestorben ist. Damit ich meinen Job machen kann.
Ich durchquere die Lobby und fahre mit dem Fahrstuhl ganz nach oben in die fünfzehnte Etage, wo Campbell wahrscheinlich schon in seinem Büro sitzt. Als sich die Fahrstuhltüren öffnen, straffe ich meine Schultern und knöpfe mein Jackett zu. Ich hasse diesen Aufzug, aber Campbell besteht darauf, dass seine Männer sich in Armani kleiden, also muss ich mich jedes Mal, bevor ich herkomme, erstmal umziehen. Ich zerre wütend an meinem Schlips. Ich habe das Gefühl, das Ding will mich erwürgen. Die Empfangsdame lächelt mir zaghaft zu. Ich lächle zurück und zwinkere. Ein bisschen flirten kann nicht schaden. Dass das Mädchen mich jedes Mal mit ihren Blicken auszieht, wenn ich an ihr vorbeigehe, würde nicht mal ein Blinder nicht bemerken.
»Ist er da?«, will ich wissen. Eigentlich wäre heute mein freier Tag. Ja, auch Typen wie Campbell versuchen zumindest die offensichtlichen Gesetze einzuhalten. Bei ihnen ist es sogar noch wichtiger, dass sie gegen keine Regeln verstoßen, um so wenig wie möglich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber vorhin hat Campbell mich angerufen und mich über den Tod von Stone unterrichtet. Natürlich war ich sehr überrascht und bestürzt. Da er mich ins Büro zitiert hat, hoffe ich, dass ich nun zu seiner rechten Hand befördert werde.
Ich klopfe an die Bürotür und öffne, als ich Campbells Stimme höre. Im großen, luxuriösen Büro stehen etwa zehn Personen verteilt. Mindestens fünf von ihnen sieht man das Gesetz an. FBI. Verdammter Mist.
»Da sind Sie ja, Jackson«, begrüßt mich Campbell. Ist das Erleichterung in seinem Gesicht? »Meine Herren, das ist Jackson Edlund. Er ist für die Sicherheit zuständig.«
Campbell kommt um seinen überdimensionalen Schreibtisch aus schwerem Holz herum und bittet mich mit einer Handgeste, näherzutreten. Zögernd trete ich in den Kreis aus Männern und reiche dem ersten die Hand.
»Jackson, das sind die Agents Summer, Caplan und Trent vom FBI. Und hier haben wir ein paar Kollegen der hiesigen Polizei«, sagt Campbell übertrieben freundlich. Die Erleichterung ist längst aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt funktioniert dieser Mann wieder wie eine Maschine. Ganz so, als könnte nichts ihn beunruhigen. Nur die Schweißperlen auf seiner Stirn unter seinem langsam ergrauenden Haar verraten, dass er nicht ganz so entspannt ist, wie er tut.
Ich gebe den Männern vom FBI die Hand. Beim FBI gibt es drei Haupttypen: Die, die ihren Job nur noch machen, weil sie ihn brauchen, um sich und ihre Familien zu ernähren. Die Fanatiker, die sich in jeden Fall verbeißen, als hätte man ihnen persönlich den Krieg erklärt. Und die gefährlichen Hunde, die so tun, als würde ihnen alles am Arsch vorbeigehen, in Wirklichkeit entgeht ihnen aber nichts. Sie sind die intelligenten Schlitzohren, die jeden noch so kniffligen Fall lösen. Von jedem Typ steht in diesem Moment einer vor mir. Summer ist der Familientyp, mittleres Alter, kleiner Bauchansatz, schütter werdendes mittelblondes Haar, Ehering am Finger. Als er mir die Hand gibt, wirkt er so genervt, dass ich weiß, mit ihm habe ich leichtes Spiel. Der will nur nach Hause.
Trent ist der Fanatiker. Sein Blick verrät mir, dass er mit seinem Gebiss schon an meinem Arsch hängt. Er hat längst sein Opfer gefunden und wird nicht mehr loslassen. Aber diese Typen sind so besessen, dass sie nicht um die Ecke denken können. Sie sehen nur nach vorn auf das Ziel und lassen sich nur schwer davon abbringen, ihrem Weg zu folgen. Genau wie bei jedem Fanatiker sieht man die Tollwut schon im braunäugigen Blick dieses Mannes. Die Fanatiker sind unruhige Geister, immer nervös und sie wirken immer irgendwie gestresst. Dem hochgewachsenen, schlaksigen Trent steht Fanatiker auf die Stirn geschrieben. Noch ein leichtes Spiel.
Ganz anders ist dieser Caplan. Er ist durchschnittlich groß, obwohl alle drei Männer Anzüge tragen, sitzt seiner am besten. Caplan ist sehr gepflegt. Seine schwarzen Haare liegen perfekt, sein Gesicht ist glattrasiert. Und er ist absolut ruhig. Völlig entspannt sieht er mich an. Ganz so, als würde er mir vertrauen. Aber wenn ich nicht hinsehe, mustert er mich, schätzt mich ab, prägt sich alles genau ein und beobachtet genau, wie ich reagiere, wie Campbell auf mich reagiert und ob nicht irgendwo ein Fussel oder ein Haar an meiner Kleidung haftet, das dort nicht sein sollte. Pech gehabt Junge, ich kenne die Regeln. Er wird kein leichtes Spiel für mich sein, aber ich auch nicht für ihn.
»Guten Tag, die Herren«, begrüße ich die Männer mit einer Stimme, in der sich nicht die geringste Emotion erkennen lässt. Ich schaue Caplan dabei direkt in die Augen. Er ist der Mann, den ich von mir überzeugen muss. »Meine Schicht beginnt eben erst. Ich hatte leider noch keine Zeit, in mein Büro zu gehen. Worum geht es denn?«
»Sie haben also nicht von dem Mord gehört?«, fährt Trent mich an und wirft mir eine wutverzerrte Grimasse zu. Ich sehe ihn kurz an und bleibe dabei ganz ruhig. Das Wichtigste ist, mich nicht von seiner Stimmung anstecken zu lassen. Nervosität ist absolut verboten.
»Ein Mord? Hier in der Gegend?« Ich setze eine künstliche Pause ein, dann reiße ich im gespielten Begreifen die Augen auf und sehe kurz zu Caplan, dann wieder zu Trent, weil er mir die Frage gestellt hat.
»Die Absperrung unten. Wurde jemand vor diesem Gebäude erschossen?« Erschossen ist gut, damit stelle ich eine Vermutung in den Raum, die meilenweit von der Wahrheit entfernt ist. Das weckt zumindest Zweifel an meiner Schuld, sollte jemand aus irgendeinem Grund annehmen, dass ich der Mörder bin.
Trent runzelt die Stirn und blinzelt verunsichert. Der Hundebiss in meinem Arsch ist eben etwas lockerer geworden. Aber mit dieser Reaktion hat er mehr verraten, als er wollte. Sie haben mich tatsächlich im Verdacht. Nur warum? Hat jemand mich gesehen? Die Überwachungskameras kenne ich alle. Ich habe sie gemieden, um sie nicht manipulieren zu müssen. Manipulationen sind zu leicht zu entdecken. »Nicht erschossen. Vom Dach geworfen.«
Ich nicke verstehend. »Also soll ich Ihnen die Aufzeichnungen der letzten Nacht geben?« Ich wende mich wieder Caplan zu und setze meine professionelle Miene auf. Er soll glauben, dass ich absolut dazu bereit bin, mit ihm zusammenzuarbeiten.
»Die haben wir schon gesichtet«, sagt er und sein Blick huscht kurz zu Campbell, ohne dass er den Kopf auch nur einen Millimeter wegdreht. »Mr. Campbell war so nett uns seine volle Unterstützung zuzusichern.«
»Was es auch ist, ich werde Ihnen behilflich sein«, sage ich trocken.
»Nun ja«, sagt Caplan und sieht mich direkt an. »Wir befragen jeden mit Zugangsberechtigung für das Gebäude. Sie sind einer davon.«
Ich presse die Lippen aufeinander. Ein bisschen Frustration ist an dieser Stelle angebracht. Würde ich die Ankündigung einer Befragung zu emotionslos hinnehmen, wäre es verdächtig. Keiner wird gerne befragt, weder schuldig noch unschuldig.
»Sie können gerne das Protokoll einsehen. Ich bin gestern nach dem Schichtwechsel gegen 22:00 Uhr gegangen. Ich bin keine der Nachtwachen, ich teile die Männer nur ein und trage die Verantwortung für sie.« Was Campbell natürlich nicht wissen kann, ist, dass ich meine Karte unten am Haupteingang durchgezogen und tatsächlich das Gebäude verlassen habe. Aber ich habe es durch einen der rückwärtigen Eingänge im Keller wieder betreten und mich dort versteckt. Es gibt keine Kameras im Keller. Dafür einen alten Speisenaufzug, der von ganz unten bis ganz nach oben führt. Diesen habe ich genommen, um mich in Stones Büro zu schleichen, das sich direkt neben diesem Aufzug in dieser Etage hier befindet. Ich wusste ja, dass Stone sich gerne spät abends noch mit einer der weiblichen Securitys in seinem Büro vergnügt. Der Rest war wirklich einfach, die Frau arbeitet nämlich für mich. Sie hat ihn zwischen ihre Beine gelassen und ich hab ihm die Flasche Sekt, die er mit ihr geleert hat, über den Schädel gezogen. Nicht zu heftig, um keine Dellen in seinem hässlichen Schädel zu hinterlassen, die verraten könnten, dass der Mann vor seinem Sturz schon einen anderen Unfall hatte. Die Chance so etwas zu entdecken war bei einem Sturz aus der Höhe wahrscheinlich nicht groß, aber besser kein Risiko eingehen.
»Wie kommen Sie darauf, dass es Mord war? Vielleicht ist er selbst gesprungen«, werfe ich ein. Jetzt wird es Zeit, das FBI zu verunsichern und von ihrer Fährte abzulenken, um sie in eine andere Richtung zu schubsen.
»Warum sollte er selbst gesprungen sein?«, mischt sich Campbell ein. »Stone war ein guter Mann, der beste, den ich hatte.«
Ich sehe Campbell mit bedauerndem Blick an. »Dann wussten Sie nicht vom Tod seiner Frau?«
»Was? Nein?«
»Seine Frau ist gestorben?«, hastet der Fanatiker vor und mustert mich fast schon panisch. Seine Zähne lösen sich ein weiteres Stück aus meinem Fleisch.
»Woran?«, will Trent wissen.
Gleich werde ich auch die volle Aufmerksamkeit des Langweilers bekommen. Ich sehe kurz zu ihm hin. Noch schaut er eher teilnahmslos.
»Sie wurde von einem Betrunkenen überfahren. Sie war hochschwanger.« Auch wenn dieser Unfall bedauerlich ist, er hat uns in die Hände gespielt. Summer löst seinen Blick von der Aussicht vor dem Fenster und sieht mich interessiert an. Na bitte, der Familientyp kann unmöglich kalt bleiben, wenn eine tote Ehefrau und ihr Ungeborenes ins Spiel kommen.
Campbell sieht mich nachdenklich an. »Davon hat er nichts erwähnt.«
Ich lege Bedauern in mein Gesicht und in meine Stimme. »Stone hat Arbeit und Beruf strikt getrennt. Er hat es mir vor ein paar Tagen bei ein paar Bier in der Bar unten an der Ecke erzählt.« Nichts hat er mir erzählt. Der Schweinehund hat wahrscheinlich nicht mal das Gesicht verzogen, als er von dem Unfall gehört hat. Ein paar Bier haben wir trotzdem getrunken. Aber das habe ich nur getan, um mir sein Vertrauen zu erschleichen.
Campbell schluckt und seine Stirn legt sich vor Wut in Falten. »Wir waren Freunde.«
»Bei allem Respekt, Sir. Aber er hat in Ihnen seinen Boss gesehen. Er hat seinen Job ernstgenommen.« Ich ziehe vielsagend eine Augenbraue hoch, um Campbell zu verdeutlichen, dass ich genau weiß wie ernst. »Das wissen Sie so gut wie ich.« Campbell weicht meinem Blick aus. Vorsichtig, alter Junge. Du willst die Wachhunde doch nicht aufscheuchen.
»Warum wussten Sie das nicht?«, wendet Caplan sich jetzt an den Fanatiker. Ja, das hätten sie wissen müssen. Aber sie wussten es nicht, weil sie unvorbereitet hier reingeplatzt sind. Der Mord interessiert sie gar nicht. Er ist nur die Eintrittskarte ins Paradies. »So was hätten Sie doch prüfen müssen.«
Er sieht mich an. »Gab es denn irgendwelche Anzeichen, dass er labil war?«
Labil? Der Mann hat sich den feuchten Dreck für seine tote Frau interessiert. Oder das Kind. Hätte er sonst sofort rumgevögelt? Der hatte Eiswasser in seinen Adern.
»Er hat versucht, es zu überspielen. Aber sein Alkoholkonsum war nicht von dieser Welt.« Auch dieser Punkt hat uns sehr geholfen, diesen Plan umzusetzen. Stone hat eine Menge vertragen, ohne Zweifel, aber sein Frühstück war Whiskey. Der Gerichtsmediziner wird das sicher prüfen, und er wird feststellen, dass Stones Leber auf den Schrott gehört. Oder als Warnung an unsere Jugend als Foto auf sämtliche Whiskeyflaschen und Alkopops. Außerdem hatte er gestern Abend kurz vor seinem Tod eine halbe Flasche Sekt. Und natürlich hatte er keinen verräterischen Sex. Meine hilfreiche kleine Freundin und ich haben den Kerl gesäubert. Auch seinen verfickten Schwanz.
Ich wende mich wieder an Trent. »Wenn Sie seine Flugbahn überprüfen, werden Sie mit Sicherheit feststellen, dass der Mann gesprungen ist.« Ist er tatsächlich. Nur mit etwas Hilfe von mir.
Trent zieht misstrauisch eine Augenbraue hoch. Ich sehe ihm an, dass er glaubt, ich hätte mich eben verraten. Dieser Mann ist wirklich aufgeweckt. Ganz anders als unser Fanatiker. Der hat nichts mitbekommen. Er hat in Gedanken schon abgeschlossen und seine Zähne eingefahren. Aber das hier ist nur die Endrunde, Junge. »Sie kennen sich aus?«
»Natürlich. Bevor ich hier angefangen habe, waren wir Kollegen.« Jetzt reißt er erstaunt die Augen auf. Das hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich leiere ihm meine Dienstnummer und meine Dienststelle runter und Trent notiert alles sofort. Er wird das prüfen. Das darf er ruhig. Alles in bester Ordnung, Junge. Nichts davon ist gelogen.
»Warum haben Sie aufgehört?«, will jetzt der Familienvater wissen. Ich könnte ihm jetzt sagen, dass ich die Kurve nicht bekommen habe, bevor es zu spät war. Er könnte das noch schaffen. Aber ich sage nichts. Sie werden es in meiner Akte finden.
»Persönliche Gründe.« Womit wir beim Abschluss wären in dieser Spielrunde. »Wie kommt es, dass ihr Jungs euch für diesen Fall interessiert? Normalerweise kommt ihr nicht wegen eines einzigen eventuellen Mordes.« Ich setze bewusst ein provozierendes Lächeln auf. Alle drei wissen genau, dass ich recht habe. Ein einziger Mord lockt das FBI nicht hinterm Ofen vor. Dazu braucht es ein paar mehr. Ein Mord an einem unbedeutenden Security ist Sache der örtlichen Polizei.
Summer und Trent schauen zur Seite. Caplan sieht mich ungerührt an. »Wir waren in der Nähe.«
»Ein Mord?«, frage ich grinsend. Trent lügt, das weiß ich genau. Dass sie hier sind, kann nur eins bedeuten: Das FBI pfuscht mir ins Handwerk.