Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 13
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ОглавлениеZurück im LKA steuerte Lou Feldmann sein Büro an, ohne nach rechts und links zu schauen. Er war froh, die Tür hinter sich zuziehen zu können. Aufatmend ließ er sich in seinen Sessel sinken und begann, den Blick auf die von Eva Hennings ordentlich aufeinander gestapelten Unterlagen gerichtet, augenblicklich zu grübeln.
Nach wenigen Minuten stemmte er sich wieder in die Höhe, streckte sich, wandte sich vom Schreibtisch ab und stellte sich ans Fenster. Wann, fragte er sich, hat es angefangen, dass ich ständig aus dem Fenster schaue und dem Schreibtisch lieber meinen Rücken zuwende? Wann habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass ich nur dazu da bin, eine Ordnung aufrechtzuhalten, die nur denen nutzt, die eh schon von allem zu viel haben? Wann war ich mir zum ersten Mal nicht mehr sicher, ob es so etwas wie persönliche Schuld überhaupt gibt? Ob ein Täter überhaupt schuldig sein kann? Wann haben sich bei mir die Konturen zwischen Gut und Böse verwischt? Wann kamen die Zweifel?
Antworten fand er keine. Das Einzige, was er mit einiger Sicherheit zu wissen glaubte, war, dass er zwar immer noch Moralist war, dass aber seine Moral wenig gemein hatte mit der seiner Kollegen.
„Wollen Sie springen?“, fragte Staatsanwalt Benno Roth, als er, Hauptkommissar Klaus Winkler im Schlepptau, ohne anzuklopfen Lou Feldmanns Büro betrat.
„Ich warte darauf, dass mir Flügel wachsen“, sagte Feldmann und drehte sich um. „Dann werde ich mit großem Gelächter über diese ganze Trübsal hinwegfliegen.“
„Sie werden fliegen“, sagte der Staatsanwalt trocken, „wenn Sie Ihren Job nicht machen.“
Feldmann musterte den Staatsanwalt, den er noch nie hatte leiden können. Der schöne Ehrgeizling – gut fünfzehn Jahre jünger als er, immer korrekt gekleidet, mit dunkler Hornbrille, die seine Wichtigkeit eindrucksvoll hervorhob – gehörte in seinen Augen zu den Menschen, die ihr glattes Babygesicht nie verloren, weil sich nie Konturen in ihren Gesichtern abzeichneten. Weil sie anstelle von Konturen nur ihren Opportunismus hatten. „Können Sie sich der Abwechslung halber mal klar ausdrücken?“, fragte er. „Und verraten Sie mir dabei doch bitte auch, wie Sie auf die Idee kommen, dass ich meinen Job nicht mache.“
Roth zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wie ich höre, weigern Sie sich, Andersen festzunehmen.“ Wenn es etwas gab, was Feldmann an ihm noch mehr verabscheute als sein Babyface und sein geschniegeltes Äußeres, dann war es diese überaus wohl modulierte Stimme.
„Das sieht Kollege Winkler völlig richtig“, sagte er. „Diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun.“
„Es geht nicht um einen Gefallen.“ Der Staatsanwalt entnahm seiner Mappe einen vorgedruckten Bogen und legte ihn auf Feldmanns Schreibtisch. „Aber um Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern, habe ich vom Ermittlungsrichter schon mal einen Haftbefehl ausstellen lassen.“
„Tut mir leid.“ Feldmann wandte sich demonstrativ wieder dem Fenster zu. „Ich sehe keinen Grund für eine Festnahme. Wenn Kollege Winkler das anders sieht, dann soll er doch Andersen festnehmen.“
Nicht dass er glaubte, Roth damit los zu sein. Er wusste, wie hartnäckig der Staatsanwalt auf seiner Position bestehen konnte. Und in diesem Fall brauchte Roth noch nicht einmal besonders geschickt zu argumentieren, er saß einfach am längeren Hebel. Seine Stimme klang auch unüberhörbar zufrieden, als er sagte: „Falsch. Nicht Kollege Winkler wird Andersen festnehmen. Sie werden das selbst tun, Herr Kriminalhauptkommissar Feldmann. Und außerdem möchte ich, dass Sie diese Junkie-Braut Remy Straub vernehmen. Mit uns redet sie nämlich nicht. Nur mit Ihnen, hat sie gesagt. Wir brauchen Informationen über Hintermänner zu den Einbruchserien, in die sie verwickelt ist.“
Feldmann zuckte die Schultern. „Das ist nicht mein Job. Ich bin nicht beim Einbruch.“
„Das ist eine dienstliche Anweisung.“ Roths Stimme wurde schärfer. „Also werden Sie verdammt noch mal tätig. Schönen Tag noch.“
Als die Tür hinter dem Staatsanwalt ins Schloss fiel, drehte sich Feldmann um und nahm Klaus Winkler in den Blick.
Der sah ihn mit einem Anflug von Verzweiflung an. „Warum sperrst du dich so, Lou? Warum kannst du nicht ab und zu von deinen hehren Prinzipien abweichen? Du hast doch schon genug Abmahnungen gekriegt.“
Feldmann hob genervt die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Auf eine mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.“
Winkler schüttelte den Kopf. Er wirkte unentschlossen. Ob er es gut mit Lou meinte oder ihm lieber eins auswischen wollte. „Du weißt doch selbst, dieser Staatsanwalt ist gefährlich.“ Es klang ein wenig hilflos und drohend gleichermaßen. „Der hat schon ganz andere Kollegen geschafft. Also mach dir das Leben nicht unnötig schwer.“
„Kümmere dich um dein Leben, nicht um meins.“ Feldmann war nicht bereit, sich einwickeln zu lassen. Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür, öffnete sie und blickte Winkler auffordernd an. „Lass mich in Ruhe.“ Klaus Winkler zuckte bedauernd die Schultern, machte den Mund auf und wieder zu und ging dann doch wortlos an ihm vorbei nach draußen. Lou Feldmann schloss hinter ihm die Tür, ging zu seinem Schreibtisch, hob die Hand, als wolle er die Akten von der Tischplatte wischen, zögerte aber, ließ die Hand wieder sinken und stellte sich erneut ans Fenster. Er drückte die Stirn gegen die Scheibe. Ich muss fliegen lernen, dachte er.