Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 17

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Lou Feldmann parkte seinen Wagen in einer Nebenstraße zur Yorckstraße. Der Weg zum Yorckschlösschen war nicht weit. Drinnen ging er, vorbei an den Jazzplakaten und den schwach besetzten Tischen, direkt in den Hinterraum zu den Billardtischen, wo er seinen Neffen Manu entdeckte, der gerade dabei war eine Partie zu gewinnen. Lou stellte sich dazu. Manu hatte Lous Kommen registriert, ließ sich aber nicht ablenken und versenkte die letzte Kugel im richtigen Loch.

Ohne weiteren Kommentar stellte sein Mitspieler, der Informatikstudent Erik Bahr, seinen Queue in die Ecke, nahm einen Zwanziger aus seiner Geldbörse und streckte ihn Manu hin. „Für heute hab ich genug.“

„War mir ein Vergnügen, Erik“, sagte Manu, „bis zum nächsten Mal.“ Dann wandte er sich Lou zu. Er strahlte ihn an. „Ich hab einen Job. In einer Zimmerei. Ab Donnerstag. Ist das nicht toll?“

Lou nickte. „Freut mich für dich, Manu. Und für mich auch. Weil du dann endlich mal deine Schulden bei mir abzahlen kannst.“ Lächelnd griff er sich aus dem Ständer einen Queue und kreidete die Spitze ein. „Und den Schein, den du gerade gewonnen hast, nehme ich dir jetzt gleich ab.“

Lou holte Kugeln aus dem Auffangnetz, legte sie in das Dreieck, Manu nahm die Kugeln aus dem Netz an seiner Seite, legte sie dazu. Lou schob sie mit dem Dreieck zurecht, stieß an.

„Musst du eigentlich nicht arbeiten?“, fragte Manu.

„Ich muss gar nichts. Nachdenken vielleicht. Heftig nachdenken.“

Sie spielten so konzentriert, dass keiner von ihnen bemerkte, wie Hauptkommissarin Eva Hennings den Billardraum betrat. Erst als sie direkt neben ihnen stand, blickte Feldmann kurz auf. Er nickte ihr zu, widmete sich jedoch gleich wieder seinem Spiel.

„Lou“, fauchte Eva ihn an, „kannst du dir vorstellen, wie satt ich es habe? Seit einer Stunde klappere ich die Cafés und Bars nach dir ab. Wenn du wenigstens dein Handy nicht wieder ausgestellt hättest ...”

„Wieso?“, fragte Lou unschuldig. „Brennt es irgendwo?“

Eva atmete hörbar einige Male ein und aus. Ihr Gesicht glühte. „Darf ich dich vielleicht daran erinnern, dass wir gemeinsam am Fall Iwanowa arbeiten? Das Siegel an ihrer Wohnung ist nämlich aufgebrochen worden, die Wohnung offenbar verwüstet. Der Hausverwalter erwartet uns dort.“ Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. „Seit einer Viertelstunde.“

Lou schaute Manu an, blinzelte ihm zu und hob bedauernd die Schultern. „Tut mir leid. Du siehst ja, ich bin noch im Dienst. Dann muss ich dir wohl dein Geld beim nächsten Mal abnehmen. Bis dann - und viel Glück beim neuen Job.“

Er lehnte seinen Queue an die Wand und folgte Hennings nach draußen.

Wortlos saßen sie dann in Feldmanns Wagen. Sie ist sauer, dachte er. Und mit Recht. Ich lasse sie in letzter Zeit ziemlich hängen. Als sie an einer Ampel anhalten mussten, gab er sich einen Ruck. „Wie war das denn mit der Zeugenaussage?“, fragte er vorsichtig. „Ich bin einfach nicht dazu gekommen ...” Eva Hennings lächelte vor sich hin. „Schon gut“, sagte sie. „Versuchs gar nicht erst. Aber du hast ohnehin nicht viel versäumt. Es war die Nachbarin, die sie gefunden hat. Sie hat kurz vor dem Mord einen Mann zu Elena Iwanowa in die Wohnung hineingehen sehen. Allerdings war sie nicht in der Lage, uns eine Personenbeschreibung zu liefern, mit der sich was anfangen lässt. Hat ihn wohl bloß von hinten gesehen.“

„Ein Mann, immerhin“, sagte Feldmann.

Sie stellten den Wagen ab, gingen auf das Wohnhaus aus der Gründerzeit zu. Elena Iwanowa hatte nicht eben billig gewohnt. Sie stiegen ein ausladendes holzgetäfeltes Treppenhaus empor – eines der wenigen Treppenhäuser, die den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hatten. In jeder Etage gab es drei Wohnungstüren. Im dritten Stock wartete der Hausverwalter Emil Wittmann von der Firma Wittmann & Co. GmbH auf sie, ein etwa sechzig Jahre alter, äußerst gepflegt wirkender, etwas untersetzter Mann im hellgrauen Anzug. Er lehnte gegenüber der mittleren Wohnung mit dem Rücken am schmiedeeisernen Geländer, hatte eine schmale schwarze Ledermappe unter den Arm geklemmt und hielt sich sein Handy ans Ohr. „Tut mir leid“, sagte er ins Telefon hinein, „aber ich kann Ihnen die Wohnung im Moment nicht zeigen. Ich melde mich bei Ihnen, wenn es so weit ist.“ Er lächelte Feldmann und Hennings an, die nun vor ihm standen, steckte sein Handy ein, reichte ihnen die Hand. „Die Leute rennen mir schon die Bude ein. In dieser Lage zahlen sie Höchstpreise.“ Er strahlte selbstsicher.

„Vorläufig ist die Wohnung noch gar nicht freigegeben“, stellte Hennings nüchtern klar.

„Die Spurensicherung war doch fertig.“ Das klang schon etwas weniger selbstsicher.

„Haben etwa Sie das Siegel aufgebrochen?“, fragte Feldmann.

Jetzt machte Wittmann eine abwehrende Handbewegung und verzog das Gesicht, als habe er auf eine Zitrone gebissen. „Wo denken Sie hin? Nein, ich doch nicht. Ich bin nur von der Nachbarin angerufen worden, die bemerkt hatte, dass die Tür offen stand. Und da habe ich Sie gleich verständigt. Ich dachte, das war in Ihrem Sinn, oder nicht? Frau Iwanowa war ja ...”

Lou Feldmann schnitt ihm das Wort ab: „Wir geben Ihnen Bescheid, wenn Sie in die Wohnung hinein dürfen.“ Er verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken, zog sich die Einweghandschuhe, die immer in seiner Jackentasche steckten, über und schob die Tür so weit auf, dass sie die Wohnung betreten konnten. „Dann gehe ich jetzt“, sagte der Hausverwalter enttäuscht und machte einen Schritt auf die Treppe zu. Von seiner anfänglichen Forschheit war nichts mehr zu hören. „Wenigstens habe ich das Café gleich wieder vermietet.“

Lou wandte sich erstaunt um. „Wer war denn da so schnell?“

Wittmann stand sofort wieder neben ihm. „Ein Landsmann von Frau Iwanowa. Ein Herr Medwed. Sergej Medwed. Er handelte aber offensichtlich nur im Auftrag einer Londoner Firma.“

Eva Hennings notierte den Namen. „Das heißt, dass das Café weiterläuft?“

Wittmann nickte beflissen. „Café Lilo. Ja. Als wäre nichts geschehen.“

Als er gegangen war und Hennings die Wohnungstür vorsorglich von innen zugedrückt hatte, griff Feldmann diese Bemerkung noch einmal auf: „Das Café, das die Iwanowa mehr oder weniger zur Tarnung ihres Hostessenservices betrieben hat, läuft also einfach weiter.“ Er sah sich um. Es war eine helle, ehemals geschmackvoll eingerichtete Wohnung. Jedenfalls bevor jemand hier wie ein Berserker gewütet hatte. Großformatige Bilder an den Wänden, die auf eine Vorliebe für russische Expressionisten schließen ließen, eine helle Couchgarnitur, Beistelltische, Tischlampen. Alles, was jetzt chaotisch kreuz und quer auf- und durcheinander lag, war unübersehbar teuer gewesen. Nicht einmal die herausgerissenen Schubladen und deren auf dem Boden verstreuter Inhalt konnten darüber hinwegtäuschen. Auch nicht die markierte Stelle auf dem Boden, wo die Tote gelegen hatte, und die Blutspuren auf dem Teppich.

Hennings stand ratlos vor einem Wandregal. „Musikanlage, TV, Recorder – alles da. Die CDs und DVDs sind bei der KT. Fragt sich nur, was die Spurensicherung übersehen hat, wonach die jetzt noch hier gesucht haben.“ Sie stellte sich neben Lou, der die Kreidemarkierungen auf dem Boden betrachtete. „Was glaubst du, warum sie sie totgeprügelt haben?“

„Unser Mediziner geht von einem einzelnen Täter aus. Sagt, die Spuren an ihrem Körper sähen anders aus, wenn sie von einem zweiten festgehalten worden wäre. Ja, warum prügelt man jemanden tot? Aus Hass? Oder vielleicht, weil man etwas wissen wollte, was der andere nicht verraten hat? Könnte sein, dass die Iwanowa etwas wusste, womit sie nicht herausrückte. Und irgendwann konnte sie es nicht mehr sagen ...” Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube allerdings nicht, dass er jetzt gefunden hat, was er suchte.“

„Warum nicht?“

„Da war jemand mit Wut an der Arbeit. Nicht mit Verstand.“

„Dann muss die Spurensicherung noch mal ran“, sagte Hennings, „und überprüfen, ob sie was übersehen haben.“

Sie waren sich schnell einig, dass sie hier nicht weiterkommen würden. Nachdem Eva Hennings telefonisch die für die erneute Versiegelung der Wohnung zuständigen Kollegen angefordert hatte, machten sie sich auf den Weg zum Café Lilo.

Ein schickes Café. Viel Glas und Spiegel, kühle Metallrohrtische und -stuhle, schwarze Lederkissen. Eine große, blitzende Kaffeemaschine hinter dem schlanken Tresen, ein gläsernes Büfett mit Kuchen und Sandwiches. Nur sehr leise Musik. Gäste unterschiedlichen Alters.

Lou Feldmann passte die langbeinige junge Kellnerin ab, als diese von einem Tisch, an dem sie kassiert hatte, wieder zurück hinter den Tresen wollte. „Wo ist der Chef?“

Sie schaute ihn irritiert an, man sah ihr an, dass sie blitzschnell überlegte, ob ihr ein Fehler unterlaufen war. „Sind Sie mit ihm verabredet?“, fragte sie dann.

Als Feldmann und Hennings ihre Ausweise zückten, rief sie nach hinten in Richtung Küche: „Chef! Da will dich jemand sprechen!“

Umgehend tauchte ein beeindruckend muskulöser Bodybuildertyp im Türrahmen hinter dem Tresen auf. „Was gibt s?“

„Polizei.“ Das Mädchen nestelte an den Ärmeln ihres T-Shirts, strich sich über die Schürze.

Der Muskelmann kam freundlich lächelnd um den Tresen herum und baute sich vor Feldmann und Hennings auf. „Hab ich was falsch gemacht?“

„Vorläufig wollen wir nur ein paar Auskünfte von Ihnen“, sagte Feldmann. „Sie sind doch Sergej Medwed?”

„Ja. Wollen Sie meinen Ausweis sehen?“

„Ja“, sagte Eva Hennings. „Das wollen wir. Sind Sie als Tourist hier?“

„Nein. Ich arbeite hier.“

„Dann haben Sie sicher auch eine Arbeitserlaubnis?“

„Selbstverständlich. Allerdings nicht zur Hand.“ Er bat sie mit einer Handbewegung, sich einen Moment zu gedulden, ging hinter den Tresen und zog eine Schublade auf, der er eine Brieftasche entnahm. Er holte einen Pass daraus hervor und reichte ihn Eva Hennings. Während sie ihn prüfte und zurückgab, sagte Feldmann: „Sie kannten Elena Iwanowa.“ Eine Feststellung, keine Frage.

Sergej Medwed schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Sie wissen aber, dass sie ermordet wurde?“

„Ich habe davon gehört.“

Hinter dem Tresen klingelte das Telefon. Mit einer Kopfbewegung signalisierte Medwed der jungen Kellnerin, das Gespräch anzunehmen.

„Sie haben sich nicht gefragt, ob das vielleicht mit der Art ihrer Geschäfte zu tun hatte?“

„Soll das heißen, Sie glauben, dass hier lebensgefährliche Geschäfte abgeschlossen wurden?“ Es klang spöttisch. Im selben Moment rief das junge Mädchen vom Telefon her: „Chef, kannst du mal kommen? Ich kann kein Russisch.“ Medwed hob entschuldigend die Schultern. „Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Wollen Sie inzwischen etwas trinken?“

„Nein danke“, sagte Lou Feldmann. Dann wandte er sich der jungen Frau zu, die sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. „Dürfen wir Ihren Ausweis auch sehen?“ Sie nickte stumm, verschwand in der Tür zur Küche und kam umgehend mit einem Personalausweis in der Hand wieder.

„Daberkow, Inge“, las Feldmann. „Alles klar, danke.“ Er gab ihr den Ausweis zurück. „Haben Sie früher auch schon hier gearbeitet?“

Sie nickte. „Als Aushilfe. Vierhundert-Euro-Job. Ich bin Studentin.“

„Verstehe. Gab es oder gibt es auch Festangestellte?“

„Ich glaube nicht. Da müssten Sie die Kollegin fragen, die auch die Buchführung gemacht hat.“

„Und wo finden wir die?“, fragte Eva Hennings.

„Das weiß ich nicht. Ich hab sie seit dem Tod von Frau Iwanowa nicht mehr gesehen.“

„Aber ihren Namen wissen Sie doch?“

„Sie heißt Remy. Remy Straub.“

Hennings und Feldmann wechselten einen Blick. Im selben Moment war Sergej Medwed wieder neben ihnen. „Kümmere du dich um die Gäste“, sagte er barsch. Und zu Feldmann: „Wo waren wir stehen geblieben?“

Feldmann zog die Augenbrauen in die Höhe. „Bei Ihrer Arbeitserlaubnis. Ich schlage vor, Sie bringen sie uns morgen früh im Kommissariat vorbei.“

Medweds breiter Mund verzog sich zu einem angriffslustigen Grinsen. „Soll ich das als Vorladung auffassen?“

„Das können Sie auffassen, wie Sie wollen“, sagte Feldmann. Eva Hennings hielt Medwed eine Visitenkarte hin. „Damit Sie uns auch wirklich finden.“

„Unangenehmer Typ“, sagte sie, als sie wieder auf der Straße standen. Sie schüttelte sich. „Rausschmeißer.“

„Beschützer“, sagte Lou Feldmann.

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