Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 16
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ОглавлениеEmil, der Wirt der Kneipe, die nur wenige Häuser vom Mordkommissariat in der Keithstraße entfernt war, hatte kein Pardon gekannt und seiner Wirtschaft den Namen Bullenschwemme gegeben. Denn er hatte gewusst, dass die meisten kommen würden. Die Kommissare hatten keine Kantine. Früher gab es eine im DGB-Gebäude, aber die hatte dichtgemacht. Eine andere Ausweichmöglichkeit war die nah gelegene Kantine im DIN-Institut, doch die war inzwischen nur noch für die dort Beschäftigten zugänglich. Die Küche in der Cafeteria der Urania, die nicht weit entfernt war, war auch für Polizistenmäuler zu karg. Also hatte Wirt Emil eine Polizeikantine auf seine Art geschaffen. Und der Plan war aufgegangen. Längst kamen auch die Polizisten aus anderen Stadtteilen. Mittags und am Abend nach Dienstschluss – die Ledigen wollten nicht heim, auch nicht die Geschiedenen und die Verheirateten. Vor allem Polizistinnen waren abends hier und ließen sich gerne anbaggern. Emils Gäste hatten es nicht leicht, denn Polizisten waren unbeliebt. Also blieben sie lieber ganz unter sich. Tagsüber und in ihrer Freizeit. Und seine Küche war gut. Einfach, gut und günstig.
Als Lou Feldmann in die Kneipe kam und am Stammtisch ein paar Kollegen sah, war ihm plötzlich klar: Es war vorbei. Er würde aufhören. Wie schnell oder wann genau, würde sich zeigen. Er wusste nur, so bald wie möglich. Mit dieser Erkenntnis fehlte ihm schlagartig jede Lust, sich, als sei nichts geschehen, zu den anderen an den Tisch zu setzen. Aber noch war er nicht bereit, sich unangenehme Fragen stellen zu lassen. Er ging an den Tresen. „Grüß dich, Emil“, sagte er zu dem einarmigen Wirt, der zwar eine Prothese hatte, sie aber nie anlegte und mit der einen Hand und dem Armstumpf gut klar kam.
„Lou“, sagte Emil, während er ein Bier zapfte.
„Ein Bier für mich“, sagte Lou und schaute dabei auf die Tafel hinter dem Tresen, wo die täglich wechselnden drei Gerichte mit Kreide angeschrieben waren. „Ich nehme das Pichelsteiner.“
„Einmal Pichelsteiner“, rief Emil in die Küche, zapfte ein zweites Bier und platzierte es mit dem anderen vor Feldmann auf den Tresen. „Das eine ist für Ricardo.“ Emil kannte nach nur ein paar Monaten schon alle mit Namen.
Feldmann nahm die beiden Gläser und brachte eines zu Ricardo, der eigentlich Richard Mittelberger hieß, aber niemand nannte ihn so. Ricardo war vom Präzisionsschützen-Kommando. Auf Feldmann machte er immer den Eindruck, als schwebe er irgendwo über dem Ganzen. Feldmann setzte sich neben Eva Hennings. Kriminalrat Norbert Möller, Chef der Abteilung Glücksspiel, war auch da und neben ihm sein Knecht, Hauptkommissar Arno Schneider. Und eine junge Kommissarin, deren Namen Lou vergessen hatte, die mit Winkler ihre Zeit im Souterrain verbrachte und den typischen Radfahrerblick hatte: nach unten treten, nach oben buckeln.
„Sag mal Lou“, sprach sie ihn mit einer unangenehmen Schärfe an, „wie kommst du dazu, dieser kleinen Junkie-Nutte zur Aussageverweigerung zu raten? Du tickst doch nicht mehr ganz richtig.“
Vom Tresen her tönte Emils Stimme dazwischen: „Einmal Pichelsteiner.“
Lou stand auf, holte den Teller vom Tresen, nahm sich aus dem Tonkrug in der Mitte des Tisches einen Löffel und eine Serviette, kostete, es fehlte ihm ein wenig Salz und Pfeffer, er würzte nach und lächelte die Kollegin sanft an. „Mädchen, vielleicht solltest du noch mal auf die Polizeischule gehen. Jeder Mensch hat das Recht auf einen Anwalt, bevor wir ihn in die Pfanne hauen. Und zwar auf einen Anwalt seiner Wahl. Auch kleine Junkie-Nutten. Aber dein Umgang mit den lieben Kollegen färbt offensichtlich schon auf dich ab.“
Ricardo mischte sich ein. Seine grauen Augen strahlten, das ganze lange Pferdegesicht verzog sich vor amüsiertem Lachen. „Leute, ich liebe euch. Ich komme zwar nur alle vierzehn Tage hierher, aber ich sollte wirklich öfter bei euch vorbeischauen. Euer Frust, eure permanente Unzufriedenheit und eure dummen Sprüche sind so aufbauend. Ich ...”
Noch bevor Ricardo den Satz beenden konnte, war Hauptkommissar Klaus Winkler an den Tisch gestürmt und ihm ins Wort gefallen. „Kennt ihr schon das neueste Ei, das Lou uns gelegt hat? Er hatte den Haftbefehl für einen Gangster, hinter dem wir seit zwanzig Jahren her sind. Und was passiert? Der Typ verschwindet, bevor wir ihn uns krallen können.“ Er knallte wütend seinen Teller auf den Tisch, nahm dann Lou Feldmann in den Blick und schnaubte: „Warst du vielleicht absichtlich zu langsam, Lou? Oder hast du ihn etwa sogar gewarnt, damit er noch rechtzeitig die Fliege machen konnte?“
„Nein“, sagte Lou trocken. „Ich habe ihn nicht gewarnt. Ich hab ihn vor euch versteckt.“
„Bravo, Lou“, sagte Kriminalrat Norbert Möller. „Ich kann mir sogar vorstellen, dass das gerade kein Scherz war.“
Einige Augenblicke lang sagte niemand ein Wort, alle schienen ihren Gedanken nachzuhängen und kauten still über ihre Teller gebeugt vor sich hin. Es war die junge Kollegin, die als Erste wieder das Wort ergriff.
„Wie, verdammt noch mal, sollen wir mit jemandem zusammenarbeiten, der unsere Arbeit sabotiert?“, fragte sie und schaute Zustimmung heischend in die Runde.
Eva Hennings griff nur wortlos und demonstrativ nach ihrem Teller, brachte ihn an den Tresen zurück und ging.
„Du wirst dich mit deiner Auffassung nicht mehr lange halten können, Lou“, sagte Arno Schneider, ohne direkt auf die junge Kommissarin einzugehen.
„Wer sagt denn, dass ich das will?“, erwiderte Feldmann und schob seinen Teller weg.
„Du glaubst doch nicht etwa, dass du in deinem Alter noch einen anderen Job findest“, höhnte die zornige junge Kollegin.
Feldmann schaute ihr direkt ins Gesicht, er versuchte gar nicht, seine Verachtung zu verstecken. „Irgendwas gibt es immer. Hauptsache, ich muss nicht so werden wie ihr.“ Damit nahm er Teller, Besteck und Glas, stellte alles auf dem Tresen ab und verließ das Lokal.
Ricardo grinste. „Endlich mal ein Bulle mit aufrechtem Gang.“ Auch er stand auf. „War wieder sehr aufbauend bei euch. Danke. Bin schon gespannt, was ihr euch bis zum nächsten Mal ausdenkt.“ Er klopfte zum Abschied auf den Tisch. Dann ging er hinter Lou Feldmann her. Sein Geschirr ließ er stehen.