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(4) Die Fahrgeschwindigkeit des Lkw

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Die ersten Daten aus dem GPS des Lkw wurden von der Generalbundesanwaltschaft (GBA) in ihrer Erklärung vom 4. Januar 2017 veröffentlicht: „Anhand der GPS-Daten des Lkw konnte die Route vom Friedrich-Krause-Ufer zum Anschlagsort nachverfolgt werden.“ Aus den GPS-Daten kann auch die jeweilige Geschwindigkeit des Lkw errechnet werden. Das wurde mir in einem Brief des Bundeskriminalamts vom 13. Mai 2017 bestätigt. Der Grund für die Verheimlichung dieser Daten wird dem Leser im Laufe dieses Abschnittes einleuchten.


Laut Polizeisprecher Winfried Wenzel soll der Lastwagen sich „zwischen den Ständen mit hoher Geschwindigkeit bewegt“ haben.{45} Ungenannte Experten sprachen von 50 bis 60 km/h.{46} Bei der Bild-Zeitung hieß es, der Lkw wäre „[m]it hoher Geschwindigkeit [...] etwa 60 bis 70 Stundenkilometer“ auf den Weihnachtsmarkt gerast.{47} Zwei ausländische Zeugen, Emma Rushton{48} und Mike Fox{49}, behaupteten, der Lkw wäre mit genau 40 mph (65 km/h) durch das Gelände gefahren. Sie sagten, sie hätten keine Anzeichen einer Verlangsamung beobachtet. Eine andere Zeugin, Lana Sefovac, behauptete, dass der Lkw sogar mit 80 km/h gefahren sei.{50} Eine ähnliche Äußerung machte ein anderer Zeuge, Lucas Vandenberg, in einem privaten Gespräch mit mir. Keiner der in diesem Buch angeführten Zeugen erwähnte, eine Verlangsamung des Lkw wahrgenommen zu haben. Ein 40-Tonner braucht laut Bremstabellen mindestens 60 Meter, um aus 65 km/h zum vollkommenen Stillstand zu gelangen. Wäre der Lkw mit mehr als 60 km/h ins Gelände hineingefahren, wäre seine Verlangsamung für jeden Zeugen wahrnehmbar, denn er kam nach etwa 50 Metern zum Stehen. Nur bei einer langsamen Fahrt wäre seine Verlangsamung kaum wahrnehmbar gewesen. Aber in diesem Fall hätte kein Erlebniszeuge behaupten können, der Lkw wäre gerast.

Die Frage bezüglich der Geschwindigkeit des Lkw spielt eine zentrale Rolle bei der Aufklärung des Ereignisses, weil nur ein rasender Lkw die hohe Zahl der Toten und Verletzten erklären kann. Aus diesen Gründen hätte man erwartet, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender professionelle Lastwagenfahrer zu einer Gesprächsrunde eingeladen hätten, um zu klären, ob ein 40-Tonner unter den gegebenen Umständen mit mehr als 60 km/h die erforderlichen Manöver am Breitscheidplatz zuwege bringen konnte. Den Sendern fiel diese Idee anscheinend nicht ein, oder die Verantwortlichen bangten um ihre Karriere.

Und dann kam der 5. April 2017.

An diesem Tag publizierte die Wochenzeitung Die Zeit einen mehr als 6500 Wörter langen Artikel über Anis Amri und das Berliner Ereignis mit der Überschrift „Ein Anschlag ist zu erwarten.”{51} Nicht weniger als fünf Journalisten waren an der Recherche zu diesem Artikel beteiligt. Der Artikel enthielt Informationen, die die offizielle Darstellung des Berliner Ereignisses hätten erschüttern müssen. Sie sind im folgenden Abschnitt, im hinteren Teil des Beitrags, enthalten:


„Laut den GPS-Daten des Wagens fährt Amri den Laster durch den Tiergartentunnel, unter dem Regierungsviertel hindurch, am Potsdamer Platz entlang, vorbei an der Neuen Nationalgalerie. Er fährt nicht schneller als 50 km/h, die meiste Zeit langsamer. Dann erreicht er den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Er fährt daran vorbei, die Hardenbergstraße entlang, um den Kreisverkehr am Ernst- Reuter-Platz und dann wieder zurück. Um kurz nach 20 Uhr hält [der Lkw] an einer roten Ampel. Als die Ampel auf Grün springt, fährt Amri an. Es ist 20.02 Uhr. Mit rund 15 km/h schiebt sich der Lkw auf den Weihnachtsmarkt. [...]


Amri schafft es nicht, den Wagen stärker zu beschleunigen. Laut einem Ermittler wickelt sich die Lichterkette eines Weihnachtsbaums um die Achse und blockiert das Rad. Der Lkw wird langsamer, zieht nach links durch das Spalier der Buden und kommt auf der Budapester Straße zum Stehen.“


Dieser Abschnitt wurde in keiner Weise hervorgehoben. Explosiv waren diese Informationen nur für Leser, die den ganzen Artikel lasen und sich der Brisanz dieser Informationen bewusst waren. Die Redakteure waren sich über die Brisanz des Abschnitts jedenfalls im Klaren, denn sie schrieben:

„15 km/h sind nicht besonders schnell, doch an diesem Abend auf dem überfüllten Markt genug, um Menschen zu überrollen und Buden niederzureißen. Die Opfer haben keine Chance.“

Ob der Markt an diesem Abend tatsächlich „überfüllt“ war, ist zu bezweifeln. Dafür gibt es keinen Beleg.

Die neuen Informationen stellten die öffentliche These unmittelbar in Frage, dass der Lkw neun Personen tödlich getroffen und bis zu 30 Personen schwer verletzt hatte. In Untersuchungen über die Folgen eines Verkehrsunfalls wurde nachgewiesen, dass der Aufprall eines Fahrzeugs auf einen Passanten bei 15 km/h selten dessen Tod verursacht. Die hohe Zahl der Berliner Opfer, die von den Behörden bereits am Abend des 19. Dezember angekündigt wurde, lässt sich nicht mit einer langsamen Fahrgeschwindigkeit des Lkw vereinbaren.


Die Zeit wiederholte diese brisanten Informationen nicht. Redakteure der anderen Leitmedien erwähnten diese Veröffentlichung mit keinem Wort. Die Redaktion der Zeit publizierte ihrerseits keinen Rückzieher und gab damit zu verstehen, dass sie die Daten nicht in Frage stelle.

Am 17. April 2017 schrieb ich Mohamed Amjahid und Yassin Musharbash, zwei der Autoren des besagten Berichts, und stellte ihnen folgende Fragen:

1. Haben Sie eine Erklärung, warum keines der Medien die neuen Infos übernommen hat?


2. Wieso sprachen viele Zeugen von einer „irren” Fahrt des Lkw (bis zu 80 km/h), wenn er bloß mit 15-20 km/h durch den Weihnachtsmarkt fuhr? Haben Sie dafür eine Erklärung?


3. Erhielt das Autorenkollektiv des Beitrages Zugang zu den originalen GPS-Daten? Wenn ja, welche Parameter enthielten diese Daten? Wie oft wurden die Daten gespeichert (Zeitraster)?


4. Von welcher Behörde erhielt Die Zeit die GPS-Daten?

Eine Antwort erhielt ich nicht.


Die Frage stellt sich nun, wie man die in Die Zeit publizierten Daten einschätzen soll. Gibt es hinreichende Gründe für die Verlässlichkeit der neuen Daten über die Fahrgeschwindigkeit des Lkw oder gibt es überzeugende Gründe, diese Daten zu ignorieren?


Argumente, die neuen Daten zu ignorieren:


1. Die Daten beruhen auf einem Irrtum.


Kontra: Die Journalisten haben geschrieben, dass der Lkw bei einer roten Ampel anhielt, bevor er sich auf den Weihnachtsmarkt schob. Sie erwähnten auch die Verwicklung einer Lichterkette eines Weihnachtsbaums um die Achse des Lkw, die die Fahrt noch weiter verlangsamte. Schließlich erkannten sie die Brisanz der Zahlen, nämlich dass 15 km/h „nicht besonders schnell“ sind, um Menschen zu töten und erwähnten deshalb, dass der Markt mit Menschen überfüllt war. Die Brisanz der neuen Informationen war ihnen also offenbar bewusst. Daher darf man davon ausgehen, dass sie die Verlässlichkeit der Informationen gründlich geprüft hatten.


2. Die Daten wurden zur Desinformation der Öffentlichkeit publiziert, z.B. um Kritiker der offiziellen These zu verunsichern.


Kontra: Theoretisch ist diese These plausibel. Sie macht aber keinen Sinn, denn warum sollte eine staatliche Behörde absichtlich die öffentliche Darstellung des Berliner Ereignisses erschüttern wollen? Die wenigen Kritiker der offiziellen These haben sowieso keinen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Viel mehr scheint es sich hier um ein Informationsleck zu handeln. Die nachträglichen Bemühungen, diese Veröffentlichung zu „begraben“, deuten darauf hin, dass die brisanten Daten ungewollt an die Öffentlichkeit gelangt sind.


3. Niemand nahm diese neuen Daten ernst.


Kontra: Dass sämtliche Leitmedien in Deutschland die Veröffentlichung dieser Daten ignorierten, bedeutet nicht, dass sie diese nicht ernst nahmen. Erstens ist Die Zeit eine ernstzunehmende Wochenzeitung, die Leitmedien nicht einfach ignorieren würden. Zweitens waren diese Informationen von hoher politischer Brisanz. Es mag sein, dass andere Medien die Veröffentlichung dieser Daten übersahen oder ihre Brisanz nicht erkannten. Es scheint mir doch wahrscheinlicher, dass bewusst kein Wort darüber berichtet wurde, damit die Öffentlichkeit nichts von der Enthüllung merkt.


4. Die Daten wurden vom Bundesanwalt Thomas Beck widerlegt.


Kontra: Bundesanwalt Thomas Beck berichtete vor dem Abgeordnetenhaus Berlin am 3. Juli 2017, dass der Lkw „von der Kantstraße kommend, mit einer Geschwindigkeit von ca. 49 km/h in die Einfahrt des Weihnachtsmarktes an der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz” fuhr.{52} Er sagte nicht, auf welcher Grundlage seine Informationen beruhen. Er sagte offensichtlich nicht die Wahrheit, denn ein 40-Tonner konnte nicht mit 49 km/h die Kurve aus der Kantstraße zur Einfahrt in den Weihnachtsmarkt schaffen, ohne umzukippen. Vielleicht versuchte Beck durch diese Aussage, die These des “rasenden Lkw“ durch eine Kompromisszahl zu retten.


Argumente zur Annahme der neuen Daten:


• Die Geschwindigkeitsangabe schreiben die Journalisten ausdrücklich dem GPS-Gerät des Lkw zu.

• Die geringe Geschwindigkeit ist nachvollziehbar, weil der Lkw vor seiner Einfahrt auf den Weihnachtsmarkt an einer roten Ampel hielt.

• Die Journalisten erkannten die Brisanz der Daten. Sie gingen also von der Echtheit der Daten aus.

• Die Redaktion der Zeit erkannte die Brisanz der neuen Daten, denn sie veröffentlichte keine Korrektur.

• Die Herkunft des Lkw aus der Kantstraße ist nur mit einer langsamen Fahrt vereinbar.

• Die Herkunft des Lkw aus der Kantstraße gehörte zum ursprünglichen Narrativ.

• Der Lkw gelangte nach etwa 50 Metern zum Stillstand. Das wäre mit einer Geschwindigkeit über 60 km/h nicht machbar gewesen. Mit 49 km/h wäre die Verlangsamung der Fahrt wahrnehmbar, aber kein Zeuge erwähnte diese Verlangsamung. Eine Verlangsamung aus 15 km/h wäre hingegen nicht unbedingt wahrnehmbar.

• Das Fehlen konkreter Beweise über neun Tote und mehr als 18 Schwerverletzte am Weihnachtsplatz ist mit einer rasenden Fahrt des Lkw nicht vereinbar.

• Wenn die GPS-Daten des Lasters eine relativ hohe Geschwindigkeit bestätigt hätten, bestünde kein plausibler Grund, diese Daten zu verheimlichen. Ihre Verheimlichung deutet daher darauf hin, dass durch ihre Veröffentlichung die offizielle Darstellung der Ereignisse in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise geraten könnte.

Grundsätzliche Feststellung

Wenn der Lkw überhaupt durch den Weihnachtsmarkt gefahren ist, so kann er nur mit niedriger Geschwindigkeit gefahren sein, also mit höchstens 15 km/h. Mit dieser Geschwindigkeit wäre kein Massenmord möglich gewesen. Dass der Lkw nicht weiter geradeaus fuhr, sondern nach 50 Metern zur Budapester Straße abbog und anhielt, belegt weiter, dass der Fahrer keinen Massenmord begehen wollte.

Die Feststellung, dass der Lkw mit niedriger Geschwindigkeit durch den Weihnachtsmarkt gefahren ist, spielt bei der Bewertung von Zeugenaussagen eine zentrale Rolle, denn jeder Augenzeuge, der behauptet, der Lkw wäre durch den Markt „gerast“, muss es gegen besseres Wissen gesagt haben.

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