Читать книгу Die Erbschaft - Elisa Scheer - Страница 7
Kapitel 6
ОглавлениеNervös war ich trotzdem, als ich am Montag um kurz vor zehn, aufgebrezelt wie zu einem Meeting und die lässig gestylte Cora neben mir, in der Avenariusgasse läutete. Wahrscheinlich würde ich irgendwelche Möchtegernkunst erben und musste im Gegenzug hundert Jahre lang ein Hundegrab pflegen – oder es handelte sich wirklich um einen Irrtum! Leute wie Cora gingen in solchen Fällen ihre Verwandtschaft durch und kamen schließlich auf die durchgeknallte Großtante Erna, die seit dreißig Jahren in einem Stift in Schleswig-Holstein lebte und ihnen nun ein Meißner Service vermacht hatte, weil sie sie als einzige nicht mit Besuchen im Heim genervt hatten – oder so ähnlich.
Hatten meine Großeltern eigentlich Geschwister gehabt? Ich versuchte mich zu erinnern, was Mutti erzählt hatte. Oma war ein Einzelkind gewesen, mit der Cousine, die nun Irmas Großmutter war, als einziger etwa gleichaltriger Verwandter. Und Großvater? Geboren 1924, er war noch im Krieg gewesen, in der Normandie und am Rhein. Doch, er hatte einen Bruder gehabt, ein Jahr älter, hatte Mutti erzählt; der war ebenfalls unmittelbar nach dem Notabitur 1942 eingezogen worden und in Stalingrad gefallen. Mehr Familie gab es einfach nicht, und dass mein unbekannter Erzeuger Mutti im Auge behalten hatte – ohne sich jemals zu melden! – nur um mir später ein Vermögen zu hinterlassen, das gehörte doch wohl eher in den Bereich Fernsehschicksal der Woche.
Der Summer ertönte und wir drückten die schwere Tür auf. Eine Marmortreppe führte in den ersten Stock. Bevor die Kanzleitür dort geöffnet wurde, sah ich noch, dass die Treppen in die oberen Stockwerke weniger elegant gestylt waren – mit ordinärem, leicht verflecktem Teppichboden ging es weiter.
„Frau Ulitz? Bitte kommen Sie herein.“ Die Anwaltsgehilfin war ziemlich genauso zurechtgemacht wie ich, offenbar gab es tatsächlich eine Uniform für dienstbare weibliche Geister in Büros mit Publikumsverkehr.
„Wenn Sie noch einen Moment warten würden... Darf ich Ihnen Kaffee bringen?“
Ich schüttelte den Kopf, Cora nahm an. Das Vorzimmer sah so ähnlich aus wie in Christians Büro – renovierter Altbau, aber moderne Möbel, Fax, Computerterminals, Aktenordner. Ein Telefon läutete.
Ich war noch nie bei einem Anwalt gewesen und hatte mir solche Kanzleien mehr so vorgestellt wie in englischen Spielfilmen oder Romanen von Agatha Christie – holzgetäfelt, auf den Regalen Kästen mit vornehmen Aufschriften, Sir Marmaduke Fossingham, Esqu. oder so ähnlich, Bürovorsteher und Anwalt in korrektem Tweed (hatte ich deshalb heute das Tweedkostüm angezogen?), die Sekretärin mit gewelltem Bubikopf wie in den Zwanzigern. Ich schüttelte noch einmal den Kopf, um diese albernen Bilder zu vertreiben. Warum sollte eine hiesige und heutige Kanzlei auch aussehen wie im Templebezirk anno 1924? Damals war mein Großvater noch ein harmloser Säugling und nicht der totale Rabenvater.
„Kommen Sie bitte mit?“ Die Sekretärin führte uns in ein Zimmer, das genauso aussah wie ihr eigenes – Aktenordner, Möbel vom Büromöbeldiscount, schlecht gestrichene Bogenfenster (garantiert im Winter nicht richtig dicht). Christian hatte damals darauf bestanden, sein Büro mit Designerstücken einzurichten, als vertrauensbildende Maßnahme. Den Vorraum natürlich nicht!
Hier schien eine weniger strenge Hierarchie zu herrschen, und der Mann, der sich hinter dem Schreibtisch erhob und uns beiden die Hand schüttelte, sah ziemlich zerzaust aus. Der Anzug saß schief und war zerknittert (zweitklassiges Tuch, hätte Christian jetzt abfällig notiert), die Krawatte (Polyester, das sah auch ich sofort) war gelockert und die Brille vor den freundlichen Augen war nicht vom angesagten Optiker, sondern eher von der Krankenkasse. Der Mann war mir sofort sympathisch. „Frau Ulitz? Schön, dass Sie so bald kommen konnten. Sicher sind Sie schon recht neugierig?“
„Das kann man wohl sagen“, stimmte ich zu. „Wenn man bedenkt, dass ich überhaupt keine Familie habe, kann ich ja nur gespannt sein, wann sich herausstellen wird, dass es sich hier um einen Irrtum handelt.“
Er zwinkerte und fuhr sich durchs Haar, bis die spärlichen grauen Reste noch wilder abstanden als vorher. „Ich glaube nicht, dass hier ein Irrtum vorliegt. Sie sind doch Sarah Ulitz, geboren am 7.10.1971, wohnhaft Philippinengasse 26?“
„Ja, bloß die Adresse stimmt nicht mehr.“
„Ach ja? Würden Sie mir Ihre derzeitige Anschrift angeben?“
„Sie wohnt jetzt bei mir“, schaltete Cora sich ein und gab Namen und Adresse an.
„Sicher nur vorübergehend“, murmelte er beim Schreiben. „So lange sie möchte!“, gab Cora scharf zurück.
Er sah auf und zwinkerte wieder. „Natürlich!“ Hatte er eigentlich einen Tick? Dieses dauernde Zwinkern war etwas irritierend, fand ich. „Nun, es geht um das Testament Ihres Großvaters, Frau Ulitz.“
„Das kann doch gar nicht sein, der muss doch schon ewig tot sein!“, antwortete ich verblüfft. „Und warum sollte er der Familienschande irgendwas hinterlassen?“
„Familienschande?“ Der Anwalt schlitzte feierlich einen versiegelten Umschlag auf. „Er hat meine Mutter rausgeschmissen, als ich unterwegs war. Dann wird er mir jetzt gerade irgendwelchen Krempel vererben. Na, vielleicht exakt einen Euro, um mich von der Straße fernzuhalten. Sicher hat er gedacht, wie die Mutter, so die Tochter.“ Mein Ton klang mir selbst bitter in den Ohren. Der Anwalt räusperte sich. „Wir werden sehen. Ich würde Ihnen trotzdem gerne das Testament vorlesen. Ihr Großvater ist übrigens erst vor zwei Wochen verstorben, Herzinfarkt.“
„Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, murrte ich, „aber wenn er Unverschämtheiten über Mutti reingeschrieben hat, dann gehe ich sofort!“
„Das bleibt Ihnen unbenommen“, allmählich klang er leicht gereizt, „aber ich mache hier auch nur meine Arbeit.“
„Entschuldigung, ich höre zu“, murmelte ich und nahm mir vor, ruhig zu bleiben. Was sollte schon passieren?
Er entfaltete einen großen Bogen.
„Dies ist das Testament und der letzte Wille des Hermann Joseph Ulitz, geboren am 15. 05.1924. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte vermache mich mein komplettes Vermögen, bestehend aus der Wohnung Sophienstraße 12 samt Inventar und meinen Konten und Wertpapierdepots, meiner Enkelin Sarah Ulitz, geboren am 07.10.1971.“
Cora neben mir keuchte überrascht, ich war zu gar keiner Reaktion mehr fähig. Das war doch wohl ein Hörfehler gewesen! Der Anwalt warf uns einen prüfenden Blick zu und las weiter.
„Begründung: Eigentlich hätte meine Tochter Annemarie Ulitz Nutznießerin des Testaments sein sollen. Ich habe sie damals sehr hart behandelt, als ich ihr jede Unterstützung verweigerte. Trotzdem hat sie es geschafft, ihr Kind anständig großzuziehen, was Respekt verdient. Da sie nicht mehr lebt, kann ich nur meiner Enkelin zeigen, dass ich heute in einer vergleichbaren Situation anders handeln würde – und nicht nur, weil sich die Moralvorstellungen seit 1971 grundlegend gewandelt haben.
Ich bitte meine Enkelin, die Erbschaft nicht aus übertriebenem Stolz abzulehnen, sondern mir die Möglichkeit zu geben, etwas wieder gut zu machen, was mich schon lange belastet.
31.12.1998 Hermann Joseph Ulitz.“
„Die Unterschrift wurde in meiner Gegenwart eigenhändig geleistet, somit ist das Testament rechtsgültig“, stellte der Anwalt noch fest und faltete den Bogen zusammen. Ich saß ganz benommen da und starrte vor mich hin. Cora sah den Anwalt an und sagte nur „Wahnsinn!“ Er lachte kurz. „Frau Ulitz, nehmen Sie die Erbschaft an?“
Ich schreckte hoch. „Was? Ich weiß nicht. Ja – nein. Kann ich Sie was fragen?“
„Aber natürlich. Sie dürfen mich gerne als Ihren Rechtsbeistand betrachten. Ich bin schließlich auch der Testamentsvollstrecker. Was möchten Sie wissen?“
„Wie kann er mir eine Wohnung vermachen? Heißt das, ich kann in den Mietvertrag einsteigen? Da müsste ich erst mal wissen, ob ich mir die Miete überhaupt leisten kann.“
„Nein, Sie würden nicht einen Mietvertrag übernehmen, das ginge ja ohne Zustimmung des Vermieters gar nicht. Es handelt sich um eine Eigentumswohnung.“
„Oh, tatsächlich.“ Ich überlegte. „Wie hoch sind die monatlichen Belastungen?“ Christian hatte ja immer herumgejammert, dass die Hypothekenzinsen für Büro und Wohnung seinen ganzen Gewinn auffraßen.
„Nun, das Wohngeld eben, ich schätze, das dürften so um die zweíhundert Euro im Monat sein. Ansonsten ist die Wohnung schuldenfrei. Ihr Großvater war kein armer Mann, Frau Ulitz, alleine seine Wertpapiere dürften sich auf rund eine halbe Million Euro belaufen. Gewiss, Sie werden Erbschaftssteuer zahlen müssen, und auch von uns wird eines Tages eine Rechnung kommen, genauso vom Grundbuchamt, aber Sie werden sich diese Wohnung auf jeden Fall leisten können.“
Das klang fantastisch, aber völlig unglaublich. „Was muss ich denn dafür machen?“, fragte ich misstrauisch.
„Einige Unterschriften leisten. Den Kontakt mit den Ämtern nehmen wir Ihnen gerne ab.“
„Das hab ich nicht gemeint. Bei solchen Testamenten gibt es doch immer irgendwelche Auflagen, oder? Dass man einen Mops pflegen muss oder bestimmte Leute bei sich aufnehmen oder so was.“
„Du liest echt zuviel Mist“, murmelte Cora neben mir, und der Anwalt lächelte wieder, diesmal eindeutig nachsichtig. „Nichts dergleichen. In der Wohnung lebt zwar ein Untermieter, aber dem könnten Sie sofort kündigen, wenn er Ihnen unangenehm ist.“
„Die Wohnung ist also vermietet?“
„Nein, er bewohnt nur ein Zimmer und benutzt das Gästebad. Er wohnt noch nicht lange dort, seit einem halben Jahr etwa, und er rechnet wohl auch mit einer Kündigung Ihrerseits. Möchten Sie die Wohnung besichtigen?“
„Das sollte ich wohl“, murmelte ich schwächlich. „Mensch, Sarah, du hast jetzt eine Wohnung! Ist doch toll, oder?“
„Ja, toll“, echote ich benommen. „Wie groß ist die Wohnung eigentlich?“, fragte Cora, die meinen schwachen Auftritt offenbar nicht länger ertragen konnte.“
„Sechs Zimmer, Küche, drei Bäder, Südbalkon in den Hof hinaus. Das Haus wurde erst vor wenigen Jahren komplett saniert, Leitungen, Heizung und so weiter entsprechen den strengsten Normen; Sie fangen sich also keine denkmalgeschützte Ruine ein, wenn es sich auch um einen eleganten Altbau handelt.“
„Ich kann doch in so was nicht wohnen“, protestierte ich kleinlaut, „das ist doch viel zu groß! Das kann ich mir nicht leisten, ich hab gerade meinen Job verloren und erst nach Ostern wieder eine Aushilfsarbeit gefunden.“
„Wenn Ihnen diese Wohnung zu groß ist, können Sie den Haushalt Ihres Onkels natürlich auch auflösen und die Wohnung dann teuer vermieten. Von dem, was Sie Ihnen einbringen wird, können Sie sich leicht etwas Übersichtlicheres leisten, wenn Ihnen sechs Zimmer zu viel sind.“
Cora schnaubte neben mir. „Man kriegt auch sechs Zimmer locker voll!“
„Die Erfahrung habe ich auch schon gemacht“, stimmte Antrack zu. „Ich denke, Sie sollten wenigstens vorübergehend in die Wohnung Ihres Großvaters ziehen, um das Inventar zu sichten und zu überlegen, was Sie alles verkaufen wollen. Manches ist durchaus wertvoll – wie gesagt, Ihr Großvater war kein armer Mann.“
Ich konnte es immer noch nicht glauben. „Cora, kneif mich mal!“
Cora kniff kräftig zu. „Au! Okay, ich glaub´s immer noch nicht, aber ich nehme die Erbschaft an. Damit handele ich mir aber keinen Ärger ein, oder?“
„Ärger?“
„Ich weiß doch nichts über meinen Großvater! Als er meine Mutter rausgeworfen hat, war er Geschäftsmann, und sie wusste auch nicht viel. Nicht, dass er ein Unterweltkönig war oder ein Handlanger der Mafia, und jetzt halten die sich an mich?“
„Keine Sorge, Ihr Großvater war Elektronikgroßhändler, völlig legal. Und das Unternehmen hatte er schon vor Jahren verkauft, um den Ruhestand zu genießen.“
„Elektronik Ulitz hab ich ja noch nie gehört“, murmelte ich verstockt. „Die Firma hieß Hi-fi-drei. Einige Filialen gibt es noch, die meisten wurden von einer Großmarktkette übernommen.“
„Ich bin doch nicht blöd?“, fragte Cora nach.
„Ja, ich glaube. Jedenfalls haben Sie damit nichts mehr zu tun. So, wenn Sie mir bitte hier und hier unterschreiben würden... das ist eine Vollmacht, damit ich mit den Behörden für Sie verhandeln kann... das ist wegen der Eigentumsübertragung an der Wohnung, das kann ein befreundeter Notar noch in dieser Woche erledigen, wenn Sie wollen... hier, dass Sie die Erbschaft annehmen und uns mit der Abwicklung beauftragen...“
Ich unterschrieb, was man mir hinhielt. Vage erinnerte ich mich, dass man sich alles vorher gründlich durchlesen sollte (Agatha Christie, Der Tod auf dem Nil), aber ich hatte jetzt nicht den Nerv, alles durchzuackern. „Das Vermögen darf Sarah aber dann schon selbst verwalten, oder?“, fragte Cora scharf nach. „Selbstverständlich. Ich kann Ihnen zwar mehrere gute Finanzberater empfehlen, aber diese Dokumente beziehen sich nur auf den Verwaltungskram, der mit dem Eigentumsübergang zusammenhängt.“
Ich schob die Blätter und den eleganten silbernen Kugelschreiber wieder zurück; Antrack zerlegte alle Dokumente und reichte mir eine Handvoll Zweitschriften. „Für Ihre Unterlagen! Haben Sie mir eine Telefonnummer angegeben?“
Ich nannte ihm meine Handynummer. „Würde Ihnen der Dienstag nach Ostern passen – um die Wohnung zu besichtigen? Ich denke, bis dahin kann auch der notarielle Teil erledigt sein. Wir müssten auch das Inventar grob schätzen, wegen der Erbschaftssteuer.“
„Ab Dienstag arbeite ich wieder, das ist ungünstig.“
„Dann sagen wir doch, kurz nach sechs? Bis dahin haben Sie doch bestimmt Feierabend. Ansonsten rufen Sie mich einfach an. Aber Sie wissen schon, dass Sie solche Jobs jetzt eigentlich nicht mehr nötig haben?“
„Ich muss doch was arbeiten! Sonst werde ich ja wahnsinnig!“
„Einen so großen Haushalt aufzulösen, kann auch Arbeit sein. Sie werden es ja sehen! Nun, wenn Sie sonst keine Fragen mehr haben – ich glaube, ich kann es mir sparen, Ihnen zum Tod Ihres Großvaters zu kondolieren. Ich sollte Ihnen wohl eher gratulieren, nicht?“
„Das glaube ich auch“, gab ich mit schiefem Lächeln zu, „aber das kommt mir jetzt auch wieder pietätlos vor. Albern, was?“
„Nein, gar nicht. Das war doch sicher ein Schock für Sie! Also, machen Sie sich erst einmal mit dem Gedanken vertraut, dass Sie jetzt eine einigermaßen wohlhabende junge Frau sind, und ich rufe Sie wegen des Notartermins dann an oder schicke Ihnen eine SMS, einverstanden?“
Ich nickte kraftlos und erwiderte den festen Händedruck wahrscheinlich genauso schwach. Cora hakte mich energisch unter und schleppte mich hinaus. Draußen nahm sie mein Gesicht in beide Hände und küsste mich schmatzend. „Mensch, Sarah, damit bist du doch alle Sorgen los! Klasse! Und stell dir bloß mal vor, wie blöde dein Ex-Christian schauen würde, wenn er das wüsste! Wahrscheinlich bist du jetzt eine bessere Partie als seine vornehme Bruthenne!“ Ich lachte zittrig.
„Komm, wir gehen uns das Haus gleich mal anschauen, und dann gibt´s Mittagessen, ja? Du darfst mich einladen!“
„Mach ich, das hast du dir echt verdient. Ich glaube, alleine hätte ich mich gar nicht hierher getraut. Und was ich fragen soll, hätte ich auch nicht gewusst. Woher kennst du dich da so gut aus?“
„Tu ich gar nicht. Aber nachdem Freddy ja Anwalt ist, schnappt man ab und zu etwas auf. Und bei MediaService gibt´s auch ab und zu juristische Probleme. Was hat er gesagt? Sophienstraße 12? Prima Lage, das ist doch gleich beim Salads & More, nicht? Wenn wir das am Samstag schon gewusst hätten!“
Sie zerrte mich durch die Straßen; ich glaubte, Cora freute sich fast mehr als ich, denn ich konnte das immer noch nicht so ganz glauben. Ich hatte eine Wohnung geerbt? Eine riesige Wohnung? Voller Kram? Das mit dem restlichen Vermögen leuchtete mir nicht so ganz ein, aber wenn es für die anfallenden Kosten reichte, sollte es mir Recht sein. Die Sache mit dem Untermieter war vielleicht ganz praktisch, seine Miete reichte möglicherweise für einen Teil der Nebenkosten, dann kam mich die Wohnung gar nicht so teuer. Dann könnte ich mich ohne allzu große Existenzsorgen mit JobTime-Aufträgen durchs Leben schlagen...
„Hier, das muss es sein!“
Das Haus sah gut aus, grau gestrichen, die klassizistischen Verzierungen in dunklerem Grau, Weiß und sattem Gelb abgesetzt. Im ersten Stock gab es sogar kleine Säulchen zwischen den Fenstern; im Erdgeschoss befanden sich ein Café und ein Schreibwarenladen, dazwischen lag die Hofeinfahrt, mit einem schmiedeeisernen Tor zur Straße hin abgeschlossen, aber das Tür stand offen, also schlichen wir hinein. Links in der Einfahrt befand sich eine mächtige Tür, die offenbar ins Vordergebäude führte. Wir ließen sie unbeachtet und eilten weiter, bis wir die Rückfront betrachten konnten. Schlichter gestaltet – wie nicht anders zu erwarten – mit recht großen, säulenverzierten Balkonen und gut in Schuss. Der Hof war hübsch angelegt, mit Kopfsteinpflaster, einem kleinen Brunnen in der Mitte und zwei schmiedeeisernen Bänken. Auf einer saß eine alte Dame und döste.
Wir zogen uns schnell wieder zurück, bevor sie noch die Augen öffnete und uns ins Gebet nahm, was wir hier wollten. Lieber studierten wir draußen die Klingeltafel! Offenbar gehörte meinem Großvater die rechte Wohnung im ersten Stock – nicht übel. Beletage, sozusagen! Und einen Aufzug gab es auch, er führte direkt in die Hofeinfahrt und war, wie mir ein rascher Blick zeigte, nur mit einem Hausschlüssel zu benutzen. Sehr praktisch.
Eigentlich passte das alles nicht zusammen – das Haus war höchstens vor zehn Jahren renoviert worden, aber man hatte an den riesigen Wohnungen offenbar nichts geändert. Hätten sich Zwei- bis Dreizimmerwohnungen nicht viel besser verkauft? Cora schüttelte den Kopf, als wir vor unseren Salattellern saßen, und spießte eine Crevette in Knoblauchdillsauce auf. „Nicht, wenn die Wohnungen schon vorher in Privateigentum waren. Wie lange hat dein Großvater denn hier schon gewohnt?“
„Weiß ich nicht. Aber wenn ich es mir recht überlege, hat Mutti erzählt, dass sie hier in der Gegend aufgewachsen ist. Vielleicht haben sie immer schon hier gewohnt?“
„Ich find´s eher komisch, dass deine Großeltern, wenn sie schon gut bei Kasse waren, nie über ein eigenes Haus nachgedacht haben. Das ist doch meistens das erste, was junge Familien tun, sobald das Geld zu reichen scheint. Meine Eltern haben jedenfalls sofort nach meiner Geburt beschlossen, dass ihre Vierzimmerwohnung nicht mehr ausreicht, nicht mit drei kleinen Kindern, und sich ein Reihenhaus in Zolling gekauft. Ich glaube, sie zahlen immer noch ab, obwohl keiner von uns mehr dort wohnt.“ Coras ältere Geschwister wohnten nicht einmal mehr in Bayern; ihre Schwester lebte in Düsseldorf und ihr Bruder war in irgendeinem Bundesministerium beschäftigt und hatte sich demzufolge in Berlin niedergelassen.
„Sind deine Eltern jetzt nicht ziemlich einsam?“
„Ach, gar nicht. Papa bastelt ununterbrochen am Garten herum, und Mama ist sehr aktiv in der dortigen Kirche. Bastelgruppe, Altenpflege, Bazare, all so was, sie ist immerzu voll im Stress. Wenn ich vorbeikomme, zanken sich meine Eltern bloß, ob ich zuerst Mama mit drei Blechen Streuselkuchen ins Pfarrhaus fahren oder Papa helfen soll, die Hecke in Form zu schneiden. Sie fragen flüchtig, wie es mir geht, und texten mich dann total zu, Setzlinge, Turbopower-Rasenmäher, Häkelkreis, ob ich beim nächsten Bazar nicht helfen will. Eigentlich sind sie putzig, aber sie finden, dass wir drei nun alleine zurechtkommen sollten, und damit haben sie ja auch völlig Recht.“
Ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir, rührte in meinen Salaten herum und zerbröselte mein Parmesanbaguette. „Hast du schon wieder keinen Hunger? Oder hast du Angst, dass die neuen Jeans kneifen könnten?“
Ich musste lachen. „Die kneifen doch ohnehin, so eng, wie die sind. Nein, ich hab wirklich keinen besonderen Appetit, tut mir Leid. Weißt du, das ist alles ein bisschen viel. Am Donnerstag um die Zeit wusste ich noch ganz genau, wie mein Leben aussehen würde, dann verliere ich mit einem Schlag Freund, Wohnung und Job – und jetzt hab ich eine neue Wohnung, die ich noch gar nicht kenne, einen neuen Job, über den ich auch noch nichts weiß. Ich denke immer noch, ich wache auf und alles war bloß ein wüster Traum.“
„Verstehe ich. Soll ich dich noch mal kneifen? Mach ich gern“, bot Cora mit vollem Mund an.
„Kann ich mir denken, du hast mir vorhin schon einen blauen Fleck verpasst. Nein, ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit, um das alles zu verarbeiten.“
„Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Vor Dienstag nach Ostern wird sich ohnehin nicht viel tun, und dann guckst du dir deinen Arbeitsplatz und diese Superwohnung an. Du gewöhnst dich schon dran.“
Ich schob eine Spargelspitze auf dem Teller hin und her. „Findest du es richtig, dass ich die Erbschaft angenommen habe? Ich meine, hätte ich nicht wegen Mutti ablehnen sollen?“
„Spinnst du?“ Cora hätte fast die Gabel fallen gelassen. „Was hätte das gebracht? Der Alte würde deshalb auch nicht im Grab rotieren, du hättest das ganze höchstens dem Staat in den Rachen geworfen! Und deine Mutter wäre doch froh, wenn du wenigstens wieder gut wohnen und leben kannst, oder?“
„Vielleicht. Ich denke nur, ich habe nicht viel Stolz gezeigt, oder?“
„Als du Knall auf Fall bei Christian raus bist, hast du genug Stolz gezeigt, das reicht jetzt für die nächsten zehn Jahre. Und der hat doch wenigstens dumm geschaut! Wenn du dich an deinem Opa rächen willst, dann kannst du immer noch alles verscherbeln, so dass nichts von ihm bleibt, und dir mit dem ganzen Geld einen schönen Lenz machen. Das wäre doch eine gelungene Rache!“
„Ja, mag sein...“ Ich rührte weiter auf meinem Teller herum. „Ich kann mir das alles einfach noch nicht vorstellen.“
„Das kommt schon noch. Und ich glaube, dieser Antrack hilft dir auch, wenn du eine Frage hast. Zeig doch mal die ganzen Dokumente, die du unterschrieben hast!“
Ich fischte sie aus der Tasche und reichte sie ihr. „Nachher kaufen wir einen richtig peppigen Ordner dafür, im Uni-Lädle, da gibt´s immer noch die schönsten. Irgendein Muster, das dem guten Christian das Frühstück wieder hochtreiben würde.“
Ich musste lachen. „Ja, gut. Du darfst ihn aussuchen.“
Sie überflog Blatt für Blatt und gab sie mir zurück. „Nichts Arges, du hast nicht unterschrieben, dass er Mordssummen für seinen juristischen Beistand kriegt oder dass du auf irgendwas verzichtest. Wirklich nur das, was er gesagt hat. Ich glaube, der ist in Ordnung.“
„Denke ich auch. Ich meine, wenn er krumme Touren reiten würde, müsste er in dem Alter doch eine schickere Kanzlei haben, oder?“
„Stimmt. Bei Christian war es wohl eleganter?“
„Im Allerheiligsten schon. Das Vorzimmer kam mir sehr bekannt vor, ich hatte sogar unsere Ordner – Christians Ordner – genauso beschriftet.“
„Je mehr ich über deinen Christian höre, desto unsympathischer wird er mir“, antwortete Cora, „der hat wirklich an allem gespart, nur nicht an sich selbst, oder?“ Da hatte sie leider Recht.