Читать книгу Medusas Ende - Elisa Scheer - Страница 8

2 Mo, 03.11.2003

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Ich hatte mich prima erholt, zog ich am Montagmorgen nach den Ferien Bilanz. Meine bescheidene Habe war aufgeräumt und geputzt, die Exen waren korrigiert, die Noten ausgerechnet, der Unterricht für die nächste Zeit vorbereitet, mein Depot stand auf 302 Euro und einigen Cent, also hatte ich schon über zwei Euro erspekuliert, ich hatte alle Schmöker ausgelesen und mir schon wieder Nachschub geholt und mir alle negativen Gedanken energisch verboten.

Verena war knackbraun, aber die Bräune hatte einen grünlichen Unterton, und sie erzählte, dass sie seit vier Tagen an Montezumas Rache litt. Nadja trug eine Jacke aus einem silbernen nylonartigen Material und erzählte, das sei jetzt in London der allerletzte Schrei, im Übrigen sei die Stadt irrsinnig aufregend und irrsinnig teuer. Und was ich denn so gemacht hätte?

Ich berichtete wahrheitsgemäß von meiner gemütlichen Woche, und beide seufzten neidisch. „Total stressfrei, was? Und billig. Eigentlich hast du völlig Recht gehabt. Ich bin jedenfalls überhaupt nicht erholt. Der Flieger ist gestern um sieben hier angekommen, und der Jetlag bringt mich noch um“, stöhnte Verena.

„Und was in London so hip ist, kann man hier ja doch nicht anziehen“, murrte Nadja und zupfte an ihrem Spacegirl-Outfit herum, das ihr offenbar peinlich zu werden begann. Verena horchte in sich hinein, wurde noch einen Schein grünlicher und verließ das Lehrerzimmer eiligst.

Die Bernrieder kam vorbei und warf uns einen giftigen Blick zu. „Guten Morgen“, grüßte ich höflich, eingedenk meiner guten Vorsätze, nicht zuerst zuzubeißen. „Was soll an diesem Morgen schon gut sein?“, blaffte sie mich an.

„Weil keine Ferien mehr sind, meinen Sie? Ach ja“, seufzte ich mitfühlend, was mir von Nadja einen ungläubigen Blick eintrug.

„Unsinn!“, wurde ich sofort zurechtgewiesen. „Das ist doch mal wieder typisch für diese faule junge Generation. Immer das Gejammer wegen der Arbeitsüberlastung! Und sicher haben Sie sich in den Ferien auch nicht sinnvoll weiter gebildet, obwohl das gerade Ihnen nichts geschadet hätte.“

„Wie meinen Sie das?“, erkundigte ich mich, meine guten Vorsätze langsam vergessend. Sie schnaubte verächtlich. „Kommt direkt vom Seminar, hat von nichts eine Ahnung und glaubt, wenn es sich die Haare rot färbt, kann es sich bei den Schülern anbiedern und muss nichts von ihnen fordern.“

Das war so blöde, dass ich nur noch staunen konnte. „Was soll denn der Quatsch? Ich färbe mir doch die Haare nicht! Und bei den Schülern anbiedern muss ich mich auch nicht. Ich bringe ihnen einfach was bei. Das mögen die.“ Gut, das war gemein, aber sie hatte es provoziert. Und natürlich wich sie der eigentlichen Streitfrage aus: „Dieses ordinäre Rot soll echt sein? Da lachen ja die Hühner!“

„Dann lachen Sie doch!“, fuhr Nadja sie an und packte mich am Arm. „Komm, Eva, das hast du doch nun wirklich nicht nötig!“

„Sieht meine Haarfarbe echt ordinär aus?“, erkundigte ich mich besorgt bei Nadja, als wir außer Hörweite waren.

„Blödsinn, das ist eine megageile Farbe. Ist die ehrlich echt?“

„Echt echt“, bestätigte ich. „Wahrscheinlich von meinem Vater geerbt. Meinst du, ich sollte sie braun färben, damit die Leute sich nicht aufregen?“

„Wer regt sich denn auf? Bloß die Bernrieder, und die ist nur sauer, weil sie den Schülern eben nichts beibringt. Sie knallt ihnen den Stoff hin und prüft sie dann zu Tode. Du musst dir mal anhören, was die Kids so erzählen! Auch wenn man die üblichen Übertreibungen abzieht, bleibt noch verdammt viel übrig. Und hast du die Sache mit der Schulaufgabe vergessen?“

„Natürlich nicht. Was glaubst du, warum ich das mit dem Beibringen gesagt habe. Ich wollte ja freundlich sein, weil sie doch vor den Ferien schon so einen Ärger hatte, aber die will´s ja nicht anders haben.“ Nadja gluckste. „Und ich hab mich schon gewundert, warum du so nett zu ihr bist!“

„Nie wieder“, ärgerte ich mich. „Ab jetzt bin ich bei denen, die ihr noch einen Tritt versetzen, wenn sie schon auf dem Boden liegt. Die Alte soll sich noch wundern!“ Ein missbilligendes Räuspern ließ mich aufsehen. Wallner starrte mich an. „Sehr kollegial, Frau Prinz!“

„Halten Sie sich doch da raus“, entgegnete ich patzig. „Wenn Frau Bernrieder zu mir unverschämt ist, muss ich mir das nicht gefallen lassen.“

„Guter Stil ist das nicht“, rügte er und schritt an uns vorbei, der Zoll Ablehnung ausstrahlend. Ich streckte seinem Rücken die Zunge heraus.

„Der kann dir doch wirklich egal sein“, fand Nadja. „Der hat dir überhaupt nichts zu sagen. Auch bloß ein Studienrat.“

Ich musste lachen. „Ganz unten in der Hackordnung?“

„Ja, genau wie wir. Der soll sich nicht so aufmandeln. Und ob er den guten Stil gepachtet hat... ich hab mal gehört, wie er den Kelchow runtergeputzt hat, auch wegen irgendwelchem Englischkram. Gut, er hat nicht so rumgezetert wie die Bernrieder, es war mehr so leise und eiskalt, aber glücklich hat der Kelchow hinterher nicht ausgesehen.“

„Dabei macht der Kelchow gar keinen so üblen Eindruck.“

„Nur komisch, dass er so oft der Bernrieder Recht gibt“, wandte Nadja ein. „Und ich bin immer ein bisschen misstrauisch, wenn ein Mann gar so schön ist. Er wirkt ein bisschen unecht. Ich muss mich mal unauffällig umhören, was die Schüler von ihm denken. Die haben oft ein sehr gesundes Urteil.“

„Wenn er ihnen nicht gerade eine Fünf reingesemmelt hat.“

Es läutete zum ersten Mal, und ich begann, den Inhalt meiner Tasche zu sortieren. Das gab noch einen harten Tag!

Hart, aber erfolgreich. Müde und zufrieden kam ich um eins ins Lehrerzimmer zurück, wo ich erfuhr, dass Verena gleich nach der ersten Stunde wieder nach Hause gegangen war, um sich in der Nähe ihres Badezimmers aufzuhalten. Die Arme, Durchfall war wirklich das Blödeste, was einem in der Schule passieren konnte! „Ich werde nachher mal bei ihr vorbeischauen“, verkündete Nadja, „kommst du mit?“

„Gerne. Bringen wir ihr Cola und Salzstangen mit, damit ihr Mineralhaushalt wieder auf die Beine kommt.“

„Ich hab eher an dieses Medikament aus der Werbung gedacht, das mit der Ballonfahrt, wie heißt es doch gleich?“

„Ich weiß, was du meinst. Okay, Apotheke und Supermarkt.“

„Typisch“, fand die Bernrieder mal wieder in Hörweite. „Beim kleinsten Wehwehchen werfen diese Girlies alles hin. Keine Ausdauer. Und dafür noch ein Gehalt haben wollen!“

„Verena fehlt heute zum ersten Mal in diesem Schuljahr“, zischte Nadja sie an, „und Sie waren, wenn mich nicht alles täuscht, schon eine ganze Woche krank und mussten vertreten werden!“

„Ich war auch erkältet!“, verteidigte die Bernrieder sich.

„Eben! Mit ein bisschen Schnupfen kann man doch nun wirklich arbeiten. Keine Ausdauer, was?“

„Werden Sie nicht unverschämt, Frau Thiemig!“, blaffte die Bernrieder.

„Wieso nicht? Ist das etwa Ihr Privileg?“ Nadjas dunkle Augen blitzten gefährlich. „Vielleicht ist dieses rüde Benehmen bei Ihnen genetisch bedingt“, überlegte die Bernrieder und beobachtete scharf, wie dieser – für mich rätselhafte – Satz bei Nadja ankam. Die wurde blass und bekam ganz schmale Augen. „Was soll das heißen?“

„Das wissen Sie ganz genau“, behauptete die Bernrieder und wandte sich mir zu. Sie kam mir so nahe, dass ich ihre eigenartige Mischung aus einem penetranten Parfum und etwas undefinierbar Süßlichem riechen konnte. Unwillkürlich trat ich angewidert einen Schritt zurück. „Und Sie sollten erst einmal Ihre prekäre Finanzlage in den Griff kriegen, bevor Sie hier große Töne spucken! Von der Freundschaft mit dieser doch eher – hm – belasteten Person kann ich Ihnen jedenfalls nur dringend abraten, genauso wie vor zu engem Kontakt zu Kolleginnen mit mehr als zweifelhafter Vergangenheit. Ich sage nur – Drogen!“

Damit verließ sie hastig das Zimmer, und ich starrte ihr perplex nach. „Was meint sie denn jetzt? Und was soll das mit der prekären Finanzlage bedeuten? Mein Konto ist im Plus! Außerdem waren nur die Schnarchsäcke von der Bezügestelle daran schuld und meine geizige Mutter! So eine blöde Kuh!“ Ich warf Nadja einen Blick zu und registrierte überrascht, dass sie Tränen in den Augen hatte.

„Was ist denn? Was hat sie gemeint? Komm, jetzt reg dich doch nicht so auf!“

Nadja zitterte immer noch, dann packte sie mich am Arm und zerrte mich durch eine Tür in einen Nebenraum, den ich noch nie betreten hatte. Dort sank sie auf ein völlig durchgesessenes Sofa und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette aus einer herumliegenden Schachtel an, inhalierte, hustete und schluchzte auf.

Ich setzte mich neben sie und fühlte mich ganz hilflos. Schließlich umarmte ich sie schüchtern. „Sag schon. Dieser Giftzahn hat bei dir doch irgendeinen Nerv getroffen, oder?“

„Diese miese Schlampe“, stieß sie hervor. „Ich weiß nicht, woher sie es weiß – sie muss heimlich die Personalakten lesen, aber da kann es eigentlich auch nicht drinstehen. Ich hatte einen jüngeren Bruder, der – der behindert war.“

„Was hat ihm denn gefehlt?“, erkundigte ich mich teilnehmend.

Nadja zog an der Zigarette und stieß dichte Qualmwolken aus.

„So was wie Autismus. Und ein schwerer Herzfehler. Er war in einer speziellen Therapiegruppe. Da war er auch gerne, soweit man das sagen konnte. Damals war ich ja selber erst zwölf – und er zehn. Und eines Morgens hab ich ihn dort abgeliefert, er hat sich zufrieden an seinen Tisch gesetzt und irgendwas gespielt, alleine natürlich, und irgendwann im Laufe des Vormittags ist er aufgestanden, rausgegangen und davon gewandert. Und an der übernächsten Kreuzung ist er unter einen Lastwagen gekommen. Wahrscheinlich hatte er ihn gar nicht bemerkt, weil ihn irgendetwas anderes fasziniert hat. Er war sofort tot.“

„Das ist ja furchtbar traurig. Aber dafür kannst du doch nichts! Und warum tut die Bernrieder so, als sei das erblich?“

Nadja zuckte die Achseln, schniefte und drückte die Zigarette wieder aus. „Um mich zu verletzen. Es hat unsere Familie sehr belastet, meine Eltern haben sich bald darauf getrennt. Aber verdammt, woher weiß sie das?“

„Ich weiß ja auch nicht, woher sie wissen will, dass ich pleite bin. Aber da ist sie schief gewickelt, das sind überholte Informationen. Diese miese alte Schnüffelnase!“

„Und Verena hat sich einmal mit fünfzehn mit einem Joint erwischen lassen! Mein Gott, sie ist nicht einmal bestraft worden, wenn man von einem verschärften Verweis und einer Ohrfeige von ihrer Mutter absieht. So was ist doch nicht aktenkundig!“

„Ob die über alle so was weiß? Und woher kriegt sie die Informationen bloß?“

Frau Petri kam herein, eine burschikose Mittfünfzigerin, Mathematikerin und anscheinend Dauerbewohnerin des Raucherkämmerchens. „Ach, Frau Petri, ich hab ihnen eine Kippe geklaut“, entschuldigte sich Nadja verlegen.

„Kein Problem. Sie schauen aus, als hätten sie sie nötig gehabt. Möchten Sie noch eine?“ Nadja schüttelte den Kopf und die Petri zündete sich eine Zigarette an, inhalierte und lehnte sich zurück. „Ah... das hab ich mir jetzt aber verdient. Draußen tobt die Bernrieder herum, als hätte ihr einer was ins Essen gemischt. Total durchgeknallt, die Frau. Und besoffen, meiner Ansicht nach.“

„Betrunken? Meinen Sie ehrlich?“ Ich erinnerte mich an diesen süßlichen Unterton in ihrer Parfumwolke. „Klar. Die Frau hat sie doch nicht mehr alle. Diese überzogenen Ansprüche an alle anderen, da überfordert sie sich selbst doch auch. Im Moment streitet sie mit Wallner.“

„Ui, worüber denn?“ Nadja war sofort ganz Ohr und wischte sich hastig die Tränen aus dem Augenwinkel. „Weiß ich auch nicht. Er hat was von hysterisch gesagt, mehr hab ich nicht mitgekriegt. Ich wollte bloß noch an meine Zigaretten, alles andere war mir egal.“

„Macht ja nichts“, murmelte ich enttäuscht. „Kann man nichts machen“, stimmte Nadja zu. „Aber zur Zeit ist die Bernrieder echt übel drauf. Und woher weiß die eigentlich so viele Einzelheiten über die Leute im Kollegium?“

Frau Petri lachte spöttisch auf. „Na, weil sie schnüffelt! Die geht an die Personalakten, wenn sie glaubt, dass niemand sie sieht. Hab ich selbst mal mitgekriegt. Und dann versucht sie, Leute aus der Vergangenheit anderer zu finden und die auszuhorchen. Unmöglich finde ich das, ich hab´s dem Chef auch schon gesagt, aber der hat nur hilflos geschaut, wie immer eben.“

„Es kann doch nicht so schwer sein, die Personalakten besser unter Verschluss zu halten?“, wunderte ich mich.

„Nichts von dem, was er nicht macht, wäre schwer“, regte sich Frau Petri auf und qualmte erbost, „aber er macht ja gar nichts! Und dass ausgerechnet die versoffene Bernrieder an all diese Fakten rankommt...“

„Fakten ist gut – bei mir war sie nicht so ganz aktuell. Und bei den anderen, das sind Dinge, die dürften gar nicht in der Personalakte stehen, Jugendsünden, Familiengeschichte und so.“

„Ich sag´s ja, die schnüffelt auch weiter. Passen Sie auf, bei mir hat sie es auch gemacht. Nicht, dass mir irgendwas peinlich wäre- “ sie legte eine Pause ein, in der wir pflichtschuldigst kicherten, „aber ich hatte mit zwanzig mal eine ziemlich wilde Affäre mit einem Assistenten an der Uni. War toll – so als Erstsemester mit einer Lehrperson... na, davon abgesehen war es auch wieder nicht so besonders“ – sie grinste – „und so was taucht ja auch nicht in der Personalakte auf, oder? Ich hab dann verfolgt, wie sie gearbeitet hat. Aus der Akte hat sie mein Abiturdatum entnommen und die Uni, aus der Scheinliste dann die Veranstaltungen des ersten Semesters, und dann hat sie an der Uni anscheinend eine Teilnehmerliste aufgetan – ich wusste gar nicht, dass die den Krempel so lange aufbewahren, das ist jetzt vielleicht sechs Jahre her! – und sich zwei Leute gesucht, die noch unter dem damaligen Namen hier wohnen. Und denen hat sie weisgemacht, sie sammelt Studienerinnerungen an das Wintersemester 1968/69. Dann müssen die dermaßen ausgepackt haben! Jede Menge Müll, vermute ich mal, aber eben auch die Story von mir und der Lehrperson. So viele Margarethe Petris gibt´s in Leisenberg auch wieder nicht, also wusste sie, dass sie die Richtige am Wickel hatte. Und prompt gab´s Andeutungen über illegale Verhältnisse, erschlafene Scheine – dabei hab ich beim Klausi gar keinen Schein gemacht, damals – und möglicherweise ein erschwindeltes Examen. Ich hab ja schon überlegt, ob ich die Kuh anzeigen soll, aber das war mir dann doch zu blöd.“

Nadja seufzte. „Kann ich mir denken, wär´s mir wahrscheinlich auch. Aber über meine Familiengeschichte kann sie eigentlich nichts rausgekriegt haben, es sei denn, sie hat geguckt, wo meine Eltern leben, und dann die Nachbarn ausgehorcht.“

„Und warum soll sie das nicht gemacht haben?“

Nadja schüttelte den Kopf. „Hat die Frau denn kein sinnvolles Hobby? Alle Thiemigs in Leisenberg abklappern, die Nachbarn kennen lernen, sich Klatsch und Tratsch anhören – und wozu? Um einmal einen Treffer zu landen, der ihr vielleicht zwei Minuten lang Befriedigung bringt? Mir wäre das ja zu bescheuert.“

„Mir auch“, gab ich vorsichtig zu bedenken, „aber stell dir mal vor, sie findet wirklich was über jemanden raus. Etwas Schwerwiegendes. Meinetwegen jemanden, der sich sein Examen richtig erschwindelt hat. Den hätte sie doch dann total in der Hand. Diese Macht! Das berauscht so eine Frau doch bestimmt.“ Frau Petri nickte. „Genau das dürfte es sein, denke ich mir. Sie findet bestimmt hauptsächlich solchen Blödelkram wie bei uns raus, aber ab und an ist vielleicht wirklich eine Perle im Mist.“

„Wir müssen Verena warnen“, stellte Nadja fest. „Die erschrickt ja fürchterlich, wenn sie sich erholt hat und wiederkommt und dann hört, wie die Bernrieder rumerzählt, sie sei auf einem Trip gewesen oder so was.“

„Wir wollten doch eh zu ihr, um zu gucken, wie es ihr geht“, antwortete ich. „Dann packen wir´s jetzt, okay?“

Frau Petri winkte uns nach und zündete sich noch eine an.

Verena wohnte tatsächlich in einem richtigen Altbau, mit knarzenden Holztreppen, Vorsicht-frisch-gebohnert-Schildern, hundertmal dick überstrichenen Wohnungstüren und keinem Lift. Wir kletterten in den dritten Stock und klingelten schnaufend bei Ernst/Liebelt, unsere Mitbringsel griffbereit. Es dauerte ein bisschen, bis uns ein gestresst aussehender Mann öffnete.

„Hallo Arne, wie geht´s der armen Kranken denn?“, fragte Nadja und schob sich an ihm vorbei. „Schwankt“, antwortete er. „Im Moment ist sie mal wieder auf dem Klo. Hallo?“

Das galt mir. „Hallo, ich bin Eva, auch eine Kollegin von Verena“, stellte ich mich artig vor. „Ach so, ja, die Neue, nicht? Hab schon dir gehört. Am besten wartet ihr im Schlafzimmer auf sie. Wenn sie was braucht, soll sie rufen. Ich versuche gerade, Software zu installieren, und das ist kniffelig, wenn ihr also ohne mich zurechtkommt...“

„Klar doch“, versicherte Nadja und zog mich in ein winziges Zimmer.

„Ich dachte immer, Altbauwohnungen hätten riesige hohe Räume mit Parkett und Stuckdecken“, wunderte ich mich.

„Die besseren schon“, erklärte mir Nadja. „Aber das hier ist eher eine Kleine-Leute-Wohnung von 1904. Viele winzige Zimmer, ein vorsintflutliches Bad – und eine mikroskopisch niedrige Miete.“

„Auch nicht schlecht“, musste ich zugeben.

„Finde ich auch. Das Zimmer ist doch putzig, oder?“

Ich sah mich um. Putzig... es hatte vielleicht zehn Quadratmeter, die von einem großen Doppelbett dominiert wurden. Eine Seite war zerwühlt, die andere ordentlich gemacht. In einer Ecke stand ein altertümlicher, eher kleiner Schrank, daneben zwei über und über mit Klamotten behängte Kleiderständer. Ich hielt das Zimmer in erster Linie für unordentlich und vollgestopft, aber vielleicht fand Verena so etwas ja gemütlich?

Bevor ich mir ein verlogenes Lob abquälen konnte, klappte eine Tür, man hörte die Klospülung rauschen und Verena kam in Slip und T-Shirt ins Zimmer geschlurft, blass, mit Ringen unter den Augen und zerwühltem Haar.

„Was – ach, ihr seid es. Mann, geht´s mir beschissen!“

„Wir haben dir was mitgebracht“, verkündete Nadja und packte Cola, Salzbrezelchen und Durchfalltabletten aus. „Wieso ist dein Arne eigentlich so fit?“

„Keine Ahnung“, seufzte Verena. „Vielleicht liegt es daran, dass er zu diesem blöden Buffet dermaßen viel Rum gesoffen hat. Das muss ihn von innen desinfiziert haben oder so. Oder vor seinem doofen Rechner kapitulieren alle Viren. Unfair ist es auf jeden Fall.“ Sie spülte zwei Tabletten mit dem Cola herunter. „Hoffentlich nützt es was.“

„Dein Arne hätte dir ja auch mal was aus der Apotheke holen können“, tadelte Nadja. Verena schaute etwas schuldbewusst drein. „Ich hab ihm nichts gesagt. Weißt du, er muss ja dringend diesen Vortrag fertigmachen, und gestern Abend ist ihm alles abgestürzt, und jetzt hat er dieses Antivirenprogramm...“ Ihre Stimme wurde immer schwächer, wohl aus Verlegenheit.

„Und von selbst kommt er nicht darauf, dass er dir was besorgen könnte?“

Verena sah Nadja nachsichtig an. „Von alleine? Wenn ich ihm nicht aufschreibe, was, wie viel, was es kostet und wo die Apotheke ist? Ich bitte dich.“

„Naja, gut“, gab Nadja zu, „Wäre wohl auch zu viel verlangt. Und jetzt pusselt er an seinem Rechner rum und lässt dich alleine leiden?“

„Ich leide so schon genug, glaubst du, ich will auch noch Arne auf der Bettkante sitzen haben, der mir erzählt, wie oft er schon die Scheißerei hatte? Mit vielen schönen Details?“

Nadja gab auf. „Können wir denn noch was für dich tun?“

„Nein, danke. Genießt ihr nur euren Nachmittag. Ich glaube, dieses Zeug wirkt schon, jedenfalls war ich jetzt“ – sie sah auf die Uhr – „schon seit fast elf Minuten nicht mehr auf dem Klo. Die Lage scheint sich zu entspannen. Morgen kann ich bestimmt wieder kommen, ohne mitten in der Stunde aus dem Klassenzimmer stürzen zu müssen.“

Ich warf noch einen letzten Blick durch offen stehende Türen, als ich Nadja zur Wohnungstür folgte. Eine unordentliche Küche, ein Bad, in dem die Wanne noch auf Füßchen stand, ein Zimmer, das fast nur aus Kabelsalat am Boden, einem gebeugten Rücken und einer Flut von leisen Flüchen bestand, und in dem relativ großen, quadratischen Flur (ein richtiges Vorzimmer) Mantel und Jacken für mindestens zehn Leute.

„Wer wohnt denn da noch?“, fragte ich Nadja im Treppenhaus.

„Noch? Wieso noch? Verena und Arne, sonst niemand. Ach, du meinst, wegen der Jackenkollektion? Die haben zu wenig Schränke und wollen seit mindestens zwei Jahren demnächst mal zu IKEA fahren, aber sie kriegen nichts geregelt.“ Sie lachte und stieß die schwere Haustür auf; die eisige Luft draußen und der Lärm trafen mich wie ein Schlag. „Verena und Arne kriegen nie was auf die Reihe, was außerhalb ihrer Berufe liegt. Das wirst du schon noch merken.“

„Was macht dieser Arne?“

„Softwareentwicklung, soweit ich weiß. Freiberuflich, mehr oder weniger. Mal landet er einen Erfolg, mal läuft gar nichts, dann zoffen sich die beiden, weil sie ja ein festes Gehalt hat.“

„Das stelle ich mir ziemlich anstrengend vor“, bemerkte ich.

Nadja schloss ihr Auto auf und wischte prüfend über die Windschutzscheibe. „Gott sei Dank, nicht schon wieder angefroren! Ja, ich auch – aber Verena scheint das zu mögen. Oder besser ihn zu mögen. Und er ist meistens ein ganz netter Kerl.“ Ein ganz netter Kerl – und dafür Chaos und finanzielle Unsicherheiten? Mir wäre es das nicht wert, überlegte ich, während Nadja nach Selling kurvte. Aber wo die Liebe hinfällt... Mit Liebe hatte ich es eigentlich nicht so, die machte blöde, fand ich.

Nadja parkte vor unserem Haus. „So, und jetzt zeigst du mir dein Zimmerchen!“ Ich überlegte hastig. Doch, alles vorzeigbar! Sie lachte über das Lachsrosa im fünften Stock. „Im Sechsten ist alles veilchenfarben“, relativierte ich den schrägen Eindruck und schloss meine Tür auf. „Hier, bitte – alles auf einen Blick. Tritt ein und trink einen Tee.“

„Tee ist gut“, stimmte sie zu und sah sich um. „Echt praktisch eingerichtet. Und – Teufel, ist es hier ordentlich! Hast du überhaupt keinen Schnickschnack, der rumliegt?“

„Nö. Erstens kostet der bloß Geld“, argumentierte ich, während ich den Wasserkocher im Bad füllte, „und zweitens hast du hier im Handumdrehen ein fürchterliches Chaos. Das Zeug kann sich ja nicht richtig verteilen! Ordnung ist hier die blanke Notwehr. Aber wenn man sich mal an den Minimalismus gewöhnt hat, ist es ganz angenehm.“ Ich stöpselte den Wasserkocher ein und schüttete Kekse auf einen meiner drei kleinen Teller, dann stellte ich zwei Becher und den Zuckernapf dazu.

„Milch hab ich keine, weil ich keine mag. Tut mir Leid.“

„Ich mag auch keine, jedenfalls nicht im Tee.“ Nadja setzte sich aufs Bett und nahm sich einen Keks. „Eigentlich ist es saugemütlich hier.“ Ich lachte. „Danke. Mir gefällt es auch ganz gut. Aber auf die Dauer wären ein paar Quadratmeter mehr auch nicht schlecht.“

„Na, jetzt, wo der Rubel rollt...“

„Eben. Wenn jetzt noch die Bernrieder aufhören würde zu nerven, wäre alles perfekt. Und bei dir?“ Nadja zuckte die Achseln. „Geht schon. So anstrengend ist die Schule ja nicht mehr, ich hab schließlich schon sechs Jahre Erfahrung.“

„Dann warst du aber früh fertig?“

„Mit sechsundzwanzig. Vorher konnte ich nicht von meiner Mutter weg, kein Geld. Du kennst das ja. Und meine Mutter... gut, sie hat es bestimmt nicht leicht gehabt mit Florian... und dann die Scheidung... und mein Vater, der ganz schnell wieder geheiratet und sich zwei bessere Kinder zugelegt hat... das hat sie bestimmt hart getroffen. Aber wenn man sich täglich diese Jammerlitaneien anhören muss... und sie auch nach Jahren da gar nicht rausfinden will und sich auch nicht helfen lassen will. Irgendwann hab ich die Geduld verloren und gedacht Bloß noch fertig werden, was verdienen und raus hier! Und du?"

„Das Problem hatte ich schon mal nicht. Meine Mutter hat mich am Tag der Abifeier rausgeschmissen. Sie hätte jetzt ihre Pflicht erfüllt und genügend Jahre an mich verschwendet. Ihre besten Jahre... Komisch bloß, soweit ich weiß, hat sie sich danach keinen Kerl geangelt, dabei war sie noch keine vierzig. Seitdem telefonieren wir bloß noch ab und zu miteinander. Ich bin völlig frei von Familienbanden.“

„Geschwister? Vater? Nichts?“

„Nichts. Mein Vater ist einen Tag nach meiner Geburt verunglückt, und ich war das erste Kind. Er hat mich gar nicht mehr zu sehen gekriegt, und das nimmt meine Mutter der ganzen Welt übel. Vor allem ihm und mir. Zur Strafe erzählt sie mir nichts über ihn, ich weiß bloß seinen Namen und seine Geburtsdaten, weil die ja auf dem Grabstein stehen und ich mich um das Grab kümmern muss. Vermutlich hatte er rote Haare, meine Mutter hat jedenfalls keine. Die ist eher der dunkle Typ.“

„Daher die braunen Augen?“

Ich nickte. „Hauptsache, ich hab ihren Charakter nicht geerbt, der Rest ist mir egal. Hast du Kontakt zu deinem Vater?“

„Selten. Man muss immer die Kinder bewundern, und die wären ja vielleicht ganz nett, aber er hat sie dermaßen verzogen, dass sie ganz schön nerven. Und dann schwingt immer so was mit wie Guck, so sehen gesunde Kinder aus. Nicht solche Flops wie ihr.

„Wieso bist du ein Flop?“, fragte ich empört.

Sie machte eine ratlose Geste. „Weiß ich auch nicht. Weil ich ein Mädchen war? Jetzt hat er zwei Söhne. Ansonsten könnte er ganz zufrieden sein, finde ich. Hast du eigentlich einen Freund?“

Der rasche Themenwechsel verblüffte mich. „Nein, du?“

„Nö. Zu viele Frösche.“

„Und sie stehlen einem viel zu viel Zeit“, stimmte ich zu, erfreut, eine Gesinnungsgenossin gefunden zu haben.

„Ach, Zeit hätte ich schon, aber immer wenn ich einen kennen lerne, zeigt er binnen Kurzem dermaßene Macken, dass ich mich nur noch mit Grausen wenden kann.“ Sie nahm einen Becher Tee entgegen.

„Zum Beispiel?“, fragte ich neugierig.

„Naja – einer wollte möglichst schnell sieben Kinder, weil er das für die optimale Anzahl hielt, um das Rentensystem zu retten. Und ich sollte die liebe Mutti dazu sein. Einer wollte jeden Sonntag in die Berge und war stinkbeleidigt, als ich nach dem ersten Mal nicht mehr mitwollte. Einer wollte sofort mein Auto mal anständig tunen, aber das wollte ich nicht, ich will´s ja schließlich noch verkaufen können. Einer war sauer, weil ich ihm keine Knöpfe annähen wollte, einer suchte im Bett eine Sklavin – nicht mit mir, da steh ich nicht so drauf – und mit vielen kann man sich ja nicht einmal auf das Fernsehprogramm einigen. Gut, das ließe sich mit zwei Fernsehern lösen“, fügte sie schnell hinzu, als ich den Mund öffnete, „aber da sind Geschmacksverirrungen zutage getreten... bloß Fußball oder bloß RTL II. Aber einer hat Fernsehen prinzipiell abgelehnt, als Ausgeburt des Bösen. Der hat mein altes Ding gesehen und sofort fieberhaft gebetet. Da hab ich ihn rausgeschmissen, ich glaube, der hat bis heute nicht verstanden, warum.“

„Oder er hält dich für eine Abgesandte der Hölle“, schlug ich vor.

„Ja, kann auch sein. Himmel, wie hat der Kerl bloß geheißen? Arnold? Alfred? Irgendwas mit A. Als er beim Essengehen schon so komisch drauf war, ob ich wirklich die Leiche eines Tieres, eines Mitgeschöpfes, essen kann, hätte ich mir ja denken können, dass das nichts wird. Dabei bin gar keine fanatische Fleischesserin, ich kann mir ja nicht mal ein Steak braten, ohne dass es zäh wird. Aber wenn ich essen gehe, nehme ich doch nicht Pasta und Salat, das kann ich schließlich gerade noch selber!“

Dem konnte ich nur zustimmen.

Ich hielt dagegen, indem ich von Guntram erzählte. Guntram war mein Freund vom zweiten bis zum siebten Semester gewesen und ein netter Mensch, wenn er keine Paschaallüren hatte. Aber die wurden im Lauf der Zeit immer ausgeprägter, dauernd sollte ich etwas holen, machen, flicken, nachsehen, waschen oder für ihn erledigen, bis es mir schließlich zu dumm wurde, wir ein Grundsatzgespräch über ausnutzende Kerle und ungefällige Weiber führten und in gegenseitigem Einvernehmen unsere Schlüssel zurückgaben. Dass ich mal für ihn im Einwohnermeldeamt rumsitzen durfte, um seinen Pass verlängern zu lassen, weil er angeblich etwas Wichtigeres vorhatte, gehörte dabei zu den Highlights. Am schönsten war natürlich, dass es ihm gar nichts genutzt hatte – die Sachbearbeiterin weigerte sich, mich als Vertreterin anzuerkennen und verlangte, der Herr Tiefenberger möge seinen Hintern gefälligst höchstpersönlich herbewegen.

Das hatte ich ihm triumphierend mitgeteilt und mich hinfort auch geweigert, ihm etwas von der Post abzuholen („Beamte, du weißt ja!“). Damit war das Ende absehbar geworden.

Ach ja, und Markus natürlich. Achtes bis elftes Semester, beim Jobben aufgegabelt. Absolut entzückend, solange er es schaffte, den Mund zu halten: blonde Löckchen, Grübchen, ein bezauberndes Lächeln, strahlend grüne Augen mit direkt schwul langen Wimpern, ein göttlicher und sehr gepflegter Body. Deshalb durfte er zunächst auch den Publikumsverkehr bei der Landschaftsbehörde machen und ich legte im Hintergrund die Akten ab. Aber dann bekamen unsere Vorgesetzten sein Problem mit: Entweder versprach er den Hilfe- und Ratsuchenden das Blaue vom Himmel herunter („Kein Problem, natürlich können Sie ihre hundertjährige Eiche fällen lassen, Sie haben die Genehmigung nächste Woche schriftlich“), oder er hatte so wenig Ahnung, dass auch die kleinlautesten Kunden stutzig wurden („Leiching – gehört das noch zu Leisenberg?“ – „Was wollen Sie da pflanzen? Thujen? Was ist das denn?“).

Ab dann musste er nach hinten und ich durfte nach vorne. Ich war zwar nicht so göttlich schön, aber ich kannte die Stadt, die gängigen Gartenpflanzen und die Kompetenzen unserer Behörde, das war dann doch nützlicher.

Privat war er leider genauso – entweder gab er schamlos an und befremdete meine anderen Bekannten mit Geschichten vom Typ Und dann hab ich´s denen allen aber mal so richtig gezeigt oder er fragte in einem Kreis von Germanisten, wer Thomas Mann gewesen war, was die Gegenfrage provozierte, ob er nicht vorhin behauptet habe, das beste Abitur seines Jahrgangs gemacht zu haben.

Ich hatte sein Zeugnis übrigens mal gesehen und konnte mir nicht so recht vorstellen, dass in diesem Jahr niemand besser als 3,2 gewesen war. Nichts gegen schwache Schüler, aber diese Angeberei plus die langen Erklärungen, warum sowieso niemand, auf den es ankam, wissen musste, wer Thomas Mann gewesen war – da half auch alle Schönheit nichts mehr.

Nadja kicherte und futterte einen Keks nach dem anderen. „Männer sind ja schon was Putziges, was? Aber eben leider anstrengend in der Haltung.“

„Und wartungsintensiv. Nö, bis ich mehr Routine im Beruf und damit auch wieder mehr Zeit habe, kommt mir keiner mehr in die Bude. Bloß gut, dass es in der Schule nichts Brauchbares gibt.“

„Wart´s bloß ab, vielleicht schicken sie uns zum Halbjahr einen knackigen Referendar! Und nach dem elften Semester gab es keinen mehr?“

„Bloß noch Uli, in der Seminarschule. Hat sich gleich am ersten Tag der armen kleinen Kollegin angenommen und sie an seiner Weisheit teilnehmen lassen. Und dann hatte er eine Drei in der ersten Lehrprobe und ich eine zwei. Er hat nie mehr auch nur ein Wort an mich gerichtet. Hat mich hart getroffen.“ Ich feixte.

„Ja, kann ich mir vorstellen. Was du da noch alles hättest lernen können! Wie man eine Lehrprobe in den Sand setzt, zum Beispiel. Jammerschade. Mensch, halb fünf? Ich muss weg, ich hab noch nicht mal für die nächsten Tage eingekauft, und bei mir schaut´s aus, unbeschreiblich, und morgen kriege ich Besuch. Scheiße, und das blöde Ex hätte ich heute auch nicht schreiben sollen...“

„Du schreibst am ersten Schultag nach den Ferien ein Ex. Boah, bist du fies!“

„Die brauchen das. Dreiunddreißig Masochisten. Außerdem war es total einfach, nur Zeug aus dem Periodensystem ablesen.“

„Na, dann viel Vergnügen!“ Ich begleitete sie zur Tür, winkte ihr hinterher und überlegte mir danach vergnügt, dass ich überhaupt nichts zu korrigieren hatte. Bis Donnerstag, dann war die Schulaufgabe in der Neunten angesagt. Protokoll – da brauchte ich eine Doppelstunde, also musste ich noch jemanden beschwatzen.

Ob die Bernrieder wirklich am Saufen war? Ein Alkoholproblem hatte, wie es vornehmer hieß? Komisch. Sie hatte die totale Macht im Lehrerzimmer, und dann fing sie zu trinken an, quasselte Blödsinn und verlor ihre Macht? Ich hätte es ja noch verstanden, wenn der Abstieg zuerst gekommen wäre und sie sich aus Kummer über ihre vielen neuen Gegner an der Flasche festhalten müsste – aber so? Erst Saufen, dann Abstieg? Wirklich eigenartig!

Na, vielleicht hatte sie ja ein Beziehungsproblem. Nicht verheiratet hieß ja nicht keinen Freund. Oder sie war einsam – aber mit dem Mundwerk durfte sie sich wirklich nicht wundern. Oder vielleicht war sie irgendwie krank. So was wie das Tourette-Syndrom, wo man unkontrolliert vor sich hinpöbelte. Oder sie hatte finanzielle Sorgen oder musste ihre alten Eltern pflegen und war am Rande ihrer Kraft... aber musste sie deshalb in der Vergangenheit ihrer Kollegen herumstöbern und denen ihre Ergebnisse auch noch vor die Nase halten? Vielleicht ... vielleicht konnte mir das alles auch völlig egal sein!

Medusas Ende

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