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Eins

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Ich war eigentlich immer schon ein sehr ordentlicher Mensch. Die Post holte ich täglich aus dem Briefkasten, und im Gegensatz zu Heiner öffnete ich auch alle Briefe sofort. Die Werbung natürlich nicht, die warf ich sofort weg, aber alles andere wurde geöffnet, glattgestrichen, beantwortet oder abgeheftet, damit nichts herumlag; die Wohnung war schließlich klein und vollgestopft genug.

Heiner häufte in seiner Ecke jede Menge ungeöffnete Umschläge auf und arbeitete den Haufen dann einmal im Vierteljahr ab. Er glaubte wohl, für einen Künstler gehöre sich das so. Dummerweise neigte ich aber dazu, Briefe, die keine Antwort erforderten, ungelesen abzuheften – zum Beispiel Kontoauszüge, und dieses Verfahren kann man eigentlich nicht zur Nachahmung empfehlen.

*

An diesem Freitag saß ich wieder vor meiner Post und riss Umschläge auf, warf flüchtige Blicke auf den Inhalt und machte zwei Häufchen.

„Spießerseele“, spottete Heiner und versuchte vor dem kleinen Spiegel im Flur, seine Haare so hinzufrisieren, dass die grüne Strähne vorne hochstand und genau zu seinem ebenso froschgrünen Poloshirt passte.

„Wie du meinst. Wo musst du eigentlich hin in deiner Froschverkleidung?“

„Besprechung in der Redaktion.“

„Schön für dich.“

Heiner arbeitete bei City News in der Szene-Redaktion, er besuchte neueröffnete Kneipen, Discos und Restaurants, berichtete von Vernissagen und trendigen Ausstellungen, schrieb ab und an auch Buchkritiken (an die ich mich bei meiner Lektüre nie hielt, unser Geschmack war doch zu unterschiedlich) und hielt sich für den Kulturpapst der Stadt. Sein erbitterter Konkurrent, Alex Dietersheimer, glaubte von sich allerdings das Gleiche.

Natürlich musste man sich dafür trendy stylen, das war mir auch klar, und ebenso klar war, dass mein künftiger Job nicht halb so glamourös war – ich hatte ab nächstem Monat eine Planstelle bei der staatlichen Museenverwaltung in Aussicht. Was heißt in Aussicht - sie war mir fest zugesagt, und beim Staat war das gleichbedeutend mit einer Lebensstellung. Das fand Heiner spießig, er zog mich schon dauernd mit meinem künftigen Beamtenstatus auf.

Ich schlitzte weiter Briefe auf und sortierte. Handyrechnung – ablegen. Steuerbescheid – ablegen. Kontoauszug – ablegen. Aboangebot – wegwerfen. Brief von der Museenverwaltung – beantworten, nachher. „Wenn du schon den ganzen Tag nichts zu tun hast, könntest du mir nachher ein Theater heute und Fine Arts besorgen.“

„Lass mir doch die kurzen Ferien, ich hab erst vor zwei Wochen meine letzte Prüfung gehabt“, wehrte ich leicht gereizt ab. „Die Zeitschriften kann ich besorgen, aber ich hätte das Geld gerne mal zurück. Fine Arts ist schweineteuer.“

„Mein Gott, bist du pingelig, ich hab letzte Woche neue Schuhcreme gekauft und die einsneunundneunzig auch nicht von dir zurückverlangt.“

„Die Schuhcreme benutzen wir beide, und Fine Arts kostet zehn Euro und ich kann es für nichts gebrauchen. So esoterischer Krempel wird mir in den staatlichen Museen nie begegnen.“

„Das siehst du mal, wie verschnarcht die sind. Also, vergiss die Zeitschriften nicht, du hast ja sonst nichts zu tun.“

„Ja, ja“, murmelte ich und öffnete den letzten Brief. Büchersonderangebote. Später mal durchlesen, vielleicht. Also, den Brief von der Museenverwaltung! Ich registrierte noch mit einem halben Ohr, wie Heiner die Wohnung verließ, und begann zu lesen.

Sehr geehrte Frau Holler,

Bezug nehmend auf unser Angebot einer Planstelle in der staatlichen Museenverwaltung müssen wir ihnen leider mitteilen, dass für die für Sie in Aussicht genommene Planstelle eine sechsmonatige Besetzungssperre verfügt wurde (Aktenzeichen...) und wir Sie deshalb erst zum 1. April 2003 einstellen können. Wir hoffen, dies bereitet Ihnen keine Unannehmlichkeiten, und freuen uns darauf, Sie am ersten April 2003 in den Räumen der Museenverwaltung, Schloss Ludwigskron, Ostflügel, begrüßen zu können.

Mit freundlichen Grüßen,

K. Lierheim, RegR´in

Der erste April war ein Montag, registrierte ich automatisch. Doofes Datum für einen ersten Arbeitstag, übrigens.

Klasse – wovon sollte ich denn eigentlich leben, während ich darauf wartete, dass die Besetzungssperre ablief? Das war sicher ein Teil dieser allgemeinen Sparmaßnahmen, aber mit meinen wüsten Studienfächern, einer Mischung aus Wirtschaft, Recht, Sprachen, Kunst und Medienwissenschaften, war ich für den Job einfach prädestiniert, und etwas anderes war mir auch gar nicht angeboten worden. Da blieb mir wohl nichts anderes übrig, als das halbe Jahr abzuwarten. Ich schrieb sofort einen entsprechenden Brief, eine gelungene Mischung aus Ungehaltensein und Geduld, und legte ihn für den Briefkasten bereit. Ein halbes Jahr, da brauchte ich wohl irgendwoher etwas Geld. Sechs- bis neuntausend Euro würde ich für Miete, Versicherungen und ab und zu einen Kanten Brot schon benötigen...

Ich hatte doch gerade einen Kontoauszug bekommen, wie sah der eigentlich aus? Nicht gut, musste ich feststellen – mein Konto war um die zweitausend Euro im Minus, und genau das war auch mein Dispolimit. Wenigstens war die Miete für Oktober schon abgebucht. Aber die Krankenkasse noch nicht, Mist!

Im Geldbeutel hatte ich noch elf Euro. Sollte Heiner sich seine dämlichen Kunstzeitschriften gefälligst selber kaufen! Und sonst... zwei Sparbriefe, noch nicht fällig. Auf diesem halb vergessenen Postsparbuch noch dreihundertfünfzig Mark – nicht mal umgeschrieben! Das war alles, damit kam ich nur noch eine Woche weiter. Dann musste Heiner eben mal den Haushalt finanzieren, bis jetzt war er ohnehin ziemlich billig davongekommen. Überhaupt, wieso zahlte ich eigentlich immer alles? Fast alles wenigstens?

Ich wollte mich gerade in einen gesunden Ärger auf Heiner hineinsteigern, aber dann brach ich diese fruchtlosen Überlegungen doch lieber ab und ging erst einmal zur Post, wo ich das Sparbuch auflöste und die Hälfte der lumpigen hundertachtzig Euro auf mein Girokonto einzahlte. Viel besser sah es damit nicht aus, aber für die Krankenkasse reichte es hoffentlich noch.

Brot hatten wir auch keins mehr. Bei Aldi kaufte ich extrem preisgünstig ein, obwohl ich wusste, dass Heiner meckern würde – Aldi war ihm zu spießig. Spießig – das war überhaupt sein Schreckenswort, und er war demzufolge so unspießig, wie es nur ging, angefangen bei der trendigen grünen Strähne bis hin zur Begeisterung für völlig unverständliche Kulturevents und eher befremdliches Essen, wenn es nur aus exotischen Ländern stammte. Meiner Ansicht nach war diese ängstliche Bemühtheit schon wieder eine andere Art der Spießigkeit, aber das wollte Heiner natürlich nicht hören.

Zu seinem Image passte es auch, dass er so bedürfnislos lebte. Kunststück, ärgerte ich mich auf dem Heimweg. Er brauchte kein Auto, weil er alles Schwere – inklusive seiner kostbaren Person – im Zweifelsfall von mir transportieren ließ, denn ich Spießerin hatte natürlich ein Auto, ich war dem Konsumwahn erlegen und fuhr einen uralten Fiat Panda, der klapperte und schepperte, aber immer noch durch den TÜV kam, auch wenn er aussah, als sei er der Schrottpresse schon mal zu nahe gekommen.

Er brauchte keine große Wohnung, weil er a) sich in Wirklichkeit nach dieser teuren Scheidung (haha, so geht´s, wenn man auch keinen Anwalt zu brauchen glaubt) gar nichts Besseres leisten konnte und b) genau genommen auf meine Kosten lebte. Die zweihundertfünfzig Euro warm für fünfundzwanzig Quadratmeter Chaos drückte ich ja alleine ab! Heiner zahlte dafür den Prosecco auf den abendlichen Kulturevents, zu denen ich aber nur mitging, wenn sonst ein Krach drohte.

Er musste kein Geld für Kondome ausgeben, weil ich eine Spirale trug, sparte teure und unökologische Ferienflüge, weil meine Eltern ein selten genutztes Ferienhäuschen im Schwarzwald hatten (wo wir dann regelmäßig im Regen saßen) und konnte sich auf Flohmärkten und in Secondhand-Shops einkleiden, weil er sich darauf verließ, dass ich die versifften Fetzen schon mitwaschen würde.

Als ich mit billiger Nahrung und ohne teure Kulturkäseblätter wieder zu Hause ankam, war es nur Heiners Glück, dass seine Redaktionssitzung länger dauerte – ich war so richtig in Stimmung für eine Grundsatzdebatte.

Während ich weiter an rhetorischen Geschossen feilte, die ich wahrscheinlich doch nie einsetzen würde, putzte ich die Wohnung durch, was bei dem beengten Raum recht flott ging, spülte ab, bügelte – sogar einige T-Shirts von Heiner – und räumte meine Unterlagen ordentlich in ein abschließbares Regalfach. So, nun stammte alle Unordnung nur noch von ihm. Und warum mussten eigentlich T-Shirts, die man als Erinnerung an Live Art oder Ähnliches erworben hatte, immer aus so besonders schlechter Baumwolle sein und besonders stark verdrehte Nähte haben? Genau wie seine Super-Öko-Jeans mit natürlicher Färbung, die musste ich immer noch separat waschen, sonst hätte ich nur noch dunkelblauen Kram besessen.

Ich sammelte eine Ladung weiße und eine Ladung bunte Wäsche ein und fuhr damit in den Keller, wo wir immerhin eine ziemlich anständige Waschküche hatten. Wieder so ein Punkt, warum Heiner sich nicht mit sinnlosem Konsumschrott belasten musste – er brauchte keine Waschmaschine, denn bei seiner Freundin stand ja eine im Keller, und diese Freundin war auch noch dämlich genug, seine Sachen mitzuwaschen. Alleine deshalb war schon ein grundsätzliches Gespräch dringend notwendig! Ich stopfte den Inhalt der beiden Reisetaschen in die beiden Maschinen und reservierte mir auch gleich den Trockner, dann trabte ich wieder in den zweiten Stock und traf auf Heiner, der missmutig am Tisch saß und auf meinen Laptop einhackte.

„Was machst du da?“

„Ich muss einen Artikel schreiben, was denkst du denn?“

„Dann nimm gefälligst deinen Rechner!“

Er klappte meinen wieder zu. „Muss ich ja sowieso. Seit wann hast du denn ein Passwort?“

„Seitdem du mir etwas Wesentliches gelöscht hast.“ Ich verstaute die Reisetaschen im Kleiderschrank, zog den Wäschekorb heraus und kippte ihn um, so dass Heiners Turnschuhe auf den Boden fielen.

„Wo ist denn das neue FineArts?"

„Hab ich nicht gekauft. Heiner, ich bin restlos pleite, ich krieg den neuen Job erst in einem halben Jahr und mein Konto ist in den Miesen. Zehn Euro überfordern mich.“

„Ich hätte es dir schon wieder gegeben“, murrte er.

„Ja, irgendwann. Überhaupt, ich kann es mir nicht mehr leisten, dich hier durchzufüttern.“

„Übertreib nicht so“, murmelte er und lud den Akku seines Laptops an meiner Steckdose auf, „ich zahle doch dauernd was.“

„Einmal Schuhcreme und ab und zu ein Glas Prosecco nützt mir nichts. Ich zahle die Miete ganz alleine!“

„Das ist doch immer noch deine Wohnung, oder?“

„Und das Essen für zwei? Alleine hab ich deutlich weniger ausgegeben.“

Heiner lehnte sich zurück und verschränkte die Arme im Nacken, um von der Höhe seiner intellektuellen Überlegenheit auf mich herabzublicken. Wie ich das hasste – aber er sah wirklich süß aus, das konnte ich nicht bestreiten, schlank und elegant, trotz der Antispießerkluft und der albernen Drahtbrille.

„Anne, du dokterst doch an den Symptomen herum! Auch wenn ich weniger esse, brauchst du Geld, oder? Such dir vorübergehend einen Job, sei flexibel, anstatt hier herumzujammern.“

„Das hab ich auch vor“, gab ich scharf zurück, „aber wenn du mir mal erstatten würdest, was ich in den letzten neun Monaten für dich ausgelegt habe, wäre die Sache mit dem Job nicht gar so dringend. Da kämen bestimmt so - na, zweitausend Euro zusammen.“

Die entspannte Haltung verschwand schlagartig. „Spinnst du?“ Er schaukelte heftig nach vorne, als er die Arme fallen ließ. „So viel? Du hast mich nicht gerade mit Kaviar bewirtet!"

„Nein, aber mit drei Mahlzeiten täglich, gewaschener und gebügelter Wäsche und kostenlosen Übernachtungen.“

„Willst du für die Nächte auch noch einen Preis ansetzen?“

„Für die Nächte nicht, aber für die Übernachtungen schon. Du sparst ganz schön Geld, wenn du hier wohnst!“

„Und du weißt auch genau, warum!“ Er stand auf und trabte vor dem einzigen Fenster auf und ab. Schmierig und blind war es, stellte ich mechanisch fest, aber Putzen nützte nicht allzu viel, die alte Doppelverglasung war innen angelaufen.

„Ich kann doch nichts dafür, dass Gisi mich so gnadenlos abgezockt hat!“

„Sie hat dich nicht gnadenlos abgezockt“, widersprach ich, „sie hat nur das gefordert, was ihr zusteht, wenn sie zwei kleine Kinder zu versorgen hat. Dass du so wenig verdienst, ist nicht ihre Schuld, die Kinder brauchen trotzdem was zu essen.“

„Was zu essen, ja – aber diesen ganzen sinnlosen Konsumkram doch nicht, hier einen Pulli, hier ein paar Nobelturnschuhe, dort ein albernes Spielzeug...“

„Kinder wachsen nun mal. In ihre Babysachen passen sie jetzt nicht mehr rein, das hättest du doch schon wissen können, als du die beiden in die Welt gesetzt hast.“

„Du weißt genau, dass Gisi mich reingelegt hat! Ich war viel zu jung!“

„Du warst damals sechsundzwanzig, Himmel noch mal! Und ein Fall von Samenraub war er doch wohl nicht, oder?“

„Samenraub?“ Er hielt inne und musterte mich verdutzt.

„So wie bei Boris Becker, du weißt schon!“

„Dass du dich so sehr für das Liebesleben der Möchtegernprominenz interessierst? Sehr kleinbürgerlich!“

„Wenn schon!“ Ich winkte ab. „Jedenfalls hätte dir doch klar sein können, dass Bumsen zu Kindern führen kann und Kinder zu Kosten führen, oder?“

„Ich dachte, sie verhütet!“

„Ja doch – aber du hast sie nicht gefragt, oder?“ Wie oft hatten wir dieses Gespräch eigentlich schon geführt? Wahrscheinlich jedes Mal, wenn er den ausgebeuteten Geschiedenen gab, weil er sich nicht an den Kosten unserer Lebensführung beteiligen wollte. Dabei verdiente er gar nicht so schlecht. „Egal“, schloss ich das Ganze ärgerlich ab, „jedenfalls erwarte ich von dir pro Monat einen festen Unkostenbeitrag, sonst kann es so nicht weiter gehen.“

„Würdest mich sonst rausschmeißen? Annemaus, das glaubst du ja wohl selbst nicht!“

„O ja, das würde ich, du wirst schon sehen.“ Er streckte einen Arm aus und zog mich an sich. „Nein, das brächtest du nicht übers Herz“, raunte er und ließ seine Zunge kurz in mein Ohr gleiten. „Nein, wahrscheinlich nicht“, seufzte ich, „aber wenn ich noch einen Rest Hirn hätte, täte ich es.“

„Für mich hast du noch genug Hirn“, murmelte er und küsste mich genießerisch. Seine Hand stahl sich langsam unter mein Flanellhemd. „Hm... du fühlst dich so gut an“, flüsterte er und zog mich entschlossen auf das immer noch ungemachte Bett.

Hinterher plagten mich widerstreitende Gefühle. Einerseits war ich so richtig satt und zufrieden, wie immer, wenn Heiner und ich unsere Streitereien im Bett beigelegt hatten. Andererseits ärgerte ich mich, weil das Thema damit für ihn erledigt zu sein schien – aber ich hatte immer noch keinen Cent mehr im Geldbeutel! Und außerdem hatte ich allmählich das Gefühl, dass wir überhaupt nur noch miteinander schliefen, wenn wir uns vorher gestritten hatten. Stritten wir so oft oder bumsten wir so selten? Ich wollte die Frage Heiner vorlegen, aber der war eingeschlafen. Na, typisch! Ich rappelte mich auf und zog mich wieder richtig an – ganz ausgezogen hatten wir uns gar nicht.

Und jetzt? Woher Geld nehmen? Meine Eltern anpumpen? Nur im äußersten Notfall! Verdammt, ich wurde im nächsten Januar dreißig, da konnte ich doch nicht mehr winselnd nach Hause gerannt kommen! Außerdem hatten meine Eltern schließlich noch mehr Kinder, und drei muntere Spätteenies bzw. Studienanfänger waren kein billiger Spaß. Erst vor einigen Wochen hatte Papi gesagt, wie froh er sei, dass wenigstens eine jetzt mit der Ausbildung fertig war. Als ob er sie bezahlt hätte, ärgerte ich mich darüber auch. Ich hatte immer nebenher gejobbt. Heiner hatte eigentlich Recht, musste ich zugeben, ich sollte mir einfach einen vorübergehenden Job suchen, dann war das Problem vom Tisch. Aber zahlen musste er doch. Dreihundert Euro im Monat, beschloss ich. So schlecht verdiente er auch wieder nicht, und Gisi zockte ihn absolut nicht ab, die sechshundert, die er ihr unter großem Wehklagen jeden Monat überwies, standen ihr zu. Himmel, Jennifer war drei und Patrick fünf, da konnte sie doch nicht voll arbeiten!

Wann hatte Heiner eigentlich zum letzten Mal etwas mit seinen Kindern unternommen? Ach ja, vor drei Wochen. Toller Sonntag, wirklich – er hatte sie abgeholt und hierher gebracht, und dann hatte sein Handy geklingelt.

Später hatte er geschworen, der Anruf sei echt gewesen, ein ganz, ganz dringender Notfall in der Redaktion (bei einem Wochenblatt??), aber jedenfalls saß ich dann mit den beiden Zwergen da und durfte den ganzen Nachmittag auf dem Spielplatz im Prinzenpark verbringen und mir anhören, dass es hier doof sei und Papa mit ihnen sicher was ganz Tolles gemacht hätte. Was, wussten sie leider auch nicht, aber vor Kummer liefen ihnen dauernd die Nasen. Und dann war Patrick noch vom Klettergerüst gefallen. Natürlich auch meine Schuld...

Ein Abstecher zu MacDonald´s versöhnte sie dann mit mir, und als ich sie schließlich abends bei Gisi ablieferte, waren sie soweit, dass sie bei mir einziehen wollten, obwohl ich versicherte, dass MacDonald´s nicht täglich auf dem Programm stand. Gisi grinste mitfühlend, als sie die beiden müden, überdrehten und ketchupverschmierten Kinder in Empfang nahm.

„Hat er sich wieder gedrückt, ja?“

„Dringender Notfall“, singsangte ich und grinste ebenfalls. „Warum behältst du ihn?“, fragte sie und schälte ihre Kinder aus den Jacken. „Er nutzt dich doch genauso aus, wie er es bei mir gemacht hat.“

„Weiß ich, aber ich stehe immer noch auf ihn. Wenn die Anziehungskraft nachlässt, fliegt er, versprochen.“ Wir tranken noch ein Glas Wein zusammen, als die Kinder endlich im Bett lagen und aufgehört hatten, abwechselnd nach uns zu rufen oder wieder aufzutauchen, und tauschten unsere Erfahrungen mit dem lieben Heiner aus. Er hasste nichts mehr als solche „Weiberverschwörungen“, alleine deshalb mussten wir uns regelmäßig besprechen. So hielten wir ihn wenigstens einigermaßen im Zaum!

Aber wenn er, anstatt seinen Anteil an den Kosten zu tragen, glaubte, ein nettes Nümmerchen würde ausreichen, um mich abzulenken, hatte er sich getäuscht – in Naturalien zahlen war nicht! Misslaunig suchte ich nach dem Stellenmarkt der heutigen Zeitung, aber viel war nicht geboten. Empfangsdamen, CallCenter, Putzkräfte. Wirklich nicht, irgendwo musste man die Grenze ziehen.

Etwas Nettes in einem Kulturbüro, überhaupt in einem Büro, Ablage, Briefe tippen, Kaffee kochen – ach, ich würde richtig gerne so was machen! Aber jetzt sollte ich vielleicht doch mal die Wäsche aus den Maschinen räumen.

Mit dem nicht trocknergeeigneten Kram keuchte ich die Treppen wieder hinauf und traf natürlich Frau Hartwig.

„Haben Sie eigentlich einen Untermieter?“

„Nein, hab ich nicht. Das ist bloß mein Freund.“

„In einer Einzimmerwohnung? Und den höheren Wasserverbrauch zahlen wir dann alle mit!“

„Wir haben doch Wasseruhren, extra letztes Jahr eingebaut, wissen Sie nicht mehr?“ Der Korb war verdammt schwer, wenn man so unnötig aufgehalten wurde. „Trotzdem, das ist Überbelegung und strafbar!“

„Nein, das ist nicht strafbar“, entgegnete ich müde. „ich bin Juristin, Sie können mir schon glauben.“

„Ich werde mich auf jeden Fall bei der Hausverwaltung beschweren!“

Ich packte meinen Korb fester und stieg an ihr vorbei. „Wenn es Sie glücklich macht, bitte!“

Verdammt, wenn ich den neuen Job schon gehabt hätte, hätte ich mich langsam nach etwas Besserem umsehen können! Vielleicht zwei Zimmer, eine eigene Waschmaschine... Mit oder ohne Heiner? Das wusste ich auch nicht so recht. Jetzt wohnte ich schon sieben Jahre hier, und als ich diese Wohnung gefunden hatte, war ich richtig glücklich gewesen, das WG-Leben war nichts für mich. Jedenfalls nicht in einer WG, in der alle anderen ihre Entscheidungen davon abhängig machten, ob das Pendel über dem selbstgeschroteten Frühstücksmüsli kreiste oder ausschlug oder was Pendel eben so zu tun pflegten. Ich wollte auch als einzige nicht wissen, was ich im Mutterleib gefühlt hatte (eine gewisse Enge, konnte ich mir vorstellen), und mit der Zeit schlich sich ein etwas gezwungener Ton zwischen uns ein, so dass ich begeistert zugegriffen hatte, als Sabine damals nach Münster zurückzog und mir ihre Wohnung vermachte. Ich hatte fleißig gestrichen, einen günstigen Teppichbodenrest verlegt, den IKEA-Katalog in der Rubrik Erstes Appartement ausführlich studiert und eine recht platzsparende Einrichtung geschaffen, wie ich mir schmeichelte. Sicher, das große Bett dominierte etwas, aber man konnte auch zum Fernsehen darauf liegen. Wenn Heiner mich mal etwas Spannendes, Hirnloses gucken ließ! Außerdem war es komplett mit Regalen umbaut, und gegenüber umgaben weitere Regale den Tisch, der als Esstisch, Schreibtisch, Ablage und Mülldeponie diente.

An die Regale schloss sich ein dazu passender Schrank an, der allerdings mit den Klamotten von uns beiden etwas überfordert war, und neben diesem – schon im Flur – befand sich ein weiterer, etwas tieferer Schrank. Der war schon drin gewesen, und hinter seinen weißen MDF-Türen verbargen sich zwei Kochplatten, ein Zwergenspülbecken, ein winziger Kühlschrank und ein Mülleimer, darüber zwei Regalbretter für Geschirr, Gläser und Vorräte, alles mit einer leichten Fettschicht überzogen, sobald man leichtsinnigerweise etwas gebraten hatte.

Mensch, eine richtige Küche! Wo man die Tür zumachen konnte, wenn man mal Fisch oder Blumenkohl gekocht hatte! Wo man mehr als zwei Teller auf einmal ins Spülbecken schichten konnte! Darauf musste ich wohl bis April warten. Und wie ich den Staat als Arbeitgeber einschätzte, dauerte es dann sicher noch länger, bis ich wirklich mal ein Gehalt auf meinem Konto vorfand. Dafür musste ich dann wohl wirklich meine Eltern anpumpen, aber sie würden es ja wiederkriegen. Heiner pennte immer noch selig. Hatte ich ihn derartig gefordert? Also, so toll war es nun auch wieder nicht gewesen!

Wenn er nicht quer im Bett läge, könnte ich mich selbst dort ausstrecken und diese schrägen Kurzgeschichten weiter lesen, die ich mir letzte Woche gekauft hatte, Böse Mädchen... Sehr anregend!

Morgen musste ich mal wieder zu JobTime schauen, sicher hatten die etwas Brauchbares für mich. Während des Studiums hatten sie auch immer was gehabt. Und wenn ich schon ein halbes Jahr Leerlauf hatte, dann würde ich mich auch nicht exmatrikulieren, sondern mir bei Professor Mahler auch noch ein Dissertationsthema geben lassen. Die würden staunen, wenn sie sich für ihr Anfängergehalt eine veritable Frau Doktor eingekauft hatten!

Genau! Ich hatte auch schon eine gute Idee, von 1897 bis 1901 hatte es in dieser Stadt einen recht esoterisch angehauchten Kunstverein gegeben, mit einer Muse, die aussah wie von Gustav Klimt gemalt, der damals legendären Frau von Strahleneck. Sie hatte ein Schlösschen im Waldburgviertel bewohnt, dort Künstler bewirtet und in der Altstadt ein Haus gekauft, das sie zu einem Museum der Moderne umbauen ließ. Warum war dieser Kunstverein eigentlich eingegangen? Allein diese Frage wäre schon interessant. Es gab jede Menge staubige Akten, über die ich während meiner Magisterarbeit gestolpert war, aber noch keine umfassende Untersuchung. Das müsste dem alten Mahler doch gefallen?

Ich vermutete ja stark, dass sie „ihren“ Künstlern auch menschlich zu nahe getreten war und der ganze Kunstverein in wilden Eifersuchtsszenen geendet hatte, aber das blieb eben noch zu beweisen. Bis Heiner sich endlich wieder bewegte, hatte ich die Wäsche aus dem Trockner geholt und alle meine Ideen, was den Kunstverein betraf, niedergeschrieben und meinen Laptop schon wieder ausgeschaltet. Er räkelte sich ächzend, sah dann auf die Uhr und fuhr erschrocken hoch. „Mensch, Anne, warum lässt du mich denn so lange pennen? Ich hab um halb drei einen Termin, du weißt doch!“

„Nein, weiß ich nicht. Ich verwalte doch nicht deine Termine. Außerdem ist es erst eins, also was soll der Stress?“

„Aber vorher muss ich noch die Fotografin abholen. Tolle Frau, übrigens.“ Er grinste und beobachtete meine Reaktion so offen, dass es schon albern wirkte. „Schön für dich. Wohin müsst ihr denn?“ Ich interessierte mich nur mäßig dafür, schließlich war es sicher wieder irgendetwas Abstruses.

„Vorbesprechung für die Filmwoche im Alten Keller. Du weißt doch, ugandische Jungfilmer.“ Ich hatte es ja gewusst, aber ich konnte es doch nicht lassen: „Was soll denn eine Fotografin bei der Vorbesprechung? Gibt´s da schon etwas Spannendes zu sehen?“

„Na klar, die Veranstalter. Du, das ist total wichtig, die Filmwoche kann unser verschnarchtes Kaff richtig berühmt machen.“

„Wie Cannes oder Venedig?“, spottete ich.

„Klar, nur weniger kommerziell und dafür mit mehr Niveau. Du hast ja keine Ahnung, wie kläglich das Niveau des kommerziellen Films ist, von der Aussage, von den künstlerischen Mitteln her, von der Schnitttechnik...“

Seine Stimme erstarb zu Gemurmel, als er ins Bad schlappte und sich prustend wusch. „Was gibt´s heute Abend?“, kam er wieder an, durch das Handtuch sprechend. Offenbar hatte er den künstlerischen Anspruch schon wieder vergessen. „Spaghetti mit Tomatensauce. Für mehr reicht das Geld nicht mehr.“

„Du wolltest dir doch einen Job suchen?“

„In den letzten eineinhalb Stunden hab ich aber noch keinen gefunden!“, fauchte ich. „Und du wolltest dich an den Kosten beteiligen. Dreihundert Euro im Monat fände ich recht angemessen.“

„Was? So viel? Ich denke ja nicht daran!“

„Und an wie viel denkst du so?“

„Weiß nicht. Ich werde es mal durchrechnen. Aber mehr als vier Euro verbrauche ich am Tag nie!“

„Das glaube ich dir gerne, deine Kosten trage ja immer ich. Okay, dann koche ich mir heute Abend Spaghetti, und du kannst dir eine Pizza bestellen.“

„Sei nicht albern!“ Er küsste mich rasch. „Willst du nicht langsam mal Schuhe anziehen?“

„Wozu denn?“

„Fährst du mich nicht schnell in den Alten Keller?“

„Nein, ich muss in die Bibliothek“, log ich. „Nimm den Bus – aber das wird deine täglichen Unkosten natürlich gewaltig nach oben schnellen lassen.“

„Kann ich dann den Wagen haben?“ Das hatte er ja noch nie gefragt, bis jetzt hatte er immer Wagen plus Chauffeuse geordert! „Hast du überhaupt einen Führerschein?“, fragte ich misstrauisch.

„Klar, was denkst du denn!“

„Dann zeig ihn her. Ich hab dich noch nie hinter dem Steuer gesehen, ich wüsste gerne, wie alt der Lappen schon ist.“

„Den finde ich doch jetzt nicht!“

„Ohne Führerschein darfst du sowieso nicht fahren. Was ist, wenn dich die Polizei anhält?“

„Scheißbullen. Die haben wohl auch nichts Wichtigeres zu tun, was? Und deine kleinbürgerliche Angst vor der Obrigkeit...“

„Ich hab Angst um meinen Führerschein, wenn sie dich erwischen – nicht vor der Obrigkeit. Verdreh doch nicht immer alles!“

„Du willst das bloß nicht wahrhaben. Kann ich den Wagen jetzt haben?“

„Nein, fahr mit dem Bus“, entgegnete ich ungnädig.

Er grummelte ein bisschen herum, dann versuchte er es auf die altbekannte Weise und schmuste ein bisschen mit mir herum, aber dieses Mal blieb ich hart, das war mir wirklich zu riskant. Und die drei Busstationen bis zum Alten Keller würden ihn schon nicht umbringen! Ich musste eigentlich überhaupt nicht in die Bibliothek, aber nun bliebt mir nichts anderes übrig, als hinzufahren, mühsam einen Parkplatz zu suchen, ein bisschen sinnlos im Lesesaal herumzustöbern, einige Dinge auf gut Glück zu bestellen und dann zu überlegen, was ich kochen sollte, was exakt für eine Portion reichen würde. Blöde, aber manchmal brauchte der liebe Heiner eben einen kleinen Dämpfer, sonst glaubte er, die ganze Welt sei nur zu seiner Bedienung geschaffen worden.

Als er schließlich nachts neben mir lag, ärgerlich, weil im Bus so komische Leute gewesen waren (lauter Spießer, wahrscheinlich), und hungrig, weil er für eine Pizza zu geizig gewesen war und ich eine winzige Dose mit einem Teller klitschigem Nudeleintopf für mich aufgewärmt hatte, überlegte ich, ob ich einlenken sollte. Nein, ich hatte doch Recht, und das würde er schon noch einsehen. Musste er ja!

Grundreinigung

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