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Sechs

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Tatsächlich war ich nahezu bewegungsunfähig, als ich, eine große Flasche Etikettenlöser in der Tasche, am Dienstagnachmittag im Helenenweg klingelte. Kampmann stand in der Tür und betrachtete interessiert mein Humpeln.

„Was haben Sie denn gemacht?“

„Gymnastik“, stöhnte ich und kletterte vorsichtig die drei Stufen zur Haustüre hinauf. „Ich hab´s ja mehr mit dem guten alten Sir Winston“, kommentierte Kampmann und ließ mich eintreten. Ich warf ihm einen missvergnügten Blick zu. „First at all – no sports? Ja, schon, aber so hat er dann eben auch ausgesehen.“

„Na und? Er hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen, nicht die Wahl zum Mr. Universum. Was ist wichtiger?“ O Gott, wieder so einer, der nur auf das Wesentliche schaute!

„Mag sein, aber ich will mich ja auch noch im Spiegel anschauen können.“

„Da sehe ich eigentlich keine Probleme. Haben Sie an den Etikettenlöser gedacht?“

Ich hielt triumphierend die Riesenflasche hoch. „Was kriegen Sie dafür?“

„Sechsneunundneunzig. Tut mir Leid, das Zeug ist nicht billig, aber es wirkt.“

Er gab mir acht Euro und bockte, als ich ihm einen Euro und einen Cent in die Hand drücken wollte. Resigniert legte ich das Geld auf die Flurkommode. „Dann fange ich am besten gleich an.“

„Gut. Schauen Sie am besten selbst, was nötig ist. Plus Bügeln und Prilblumen, okay?“

„Alles klar. Frohes Schaffen!“ Er warf mir einen giftigen Blick zu. „Den Hohn können Sie sich sparen.“

Ich glotzte. „Was? Sie arbeiten doch sonst auch immer!“

„Ich versuche es höchstens, ich hab eine Schreibblockade. Von frohem Schaffen kann also keine Rede sein.“

„Tut mir Leid, das zu hören“, murmelte ich mechanisch und verzog mich in die Küche, wo ich die Prilblumen dick einpinselte, bevor ich das herumstehende Geschirr ins Spülbecken stapelte und den Müll einsammelte und wegtrug.

Schriftsteller... Papa hatte also Recht gehabt, aber er steckte in einer Schaffenskrise. Armer Hund, ich kannte Schreibblockaden, wenn ich eine Arbeit zusammenschustern musste und mir plötzlich rein gar nichts mehr einfiel.

Erst einmal bügeln! Die Ausrüstung im Keller war erste Sahne, hier hatte es entweder mal eine Hausfrau gegeben oder meine Vorgängerin hatte auf anständigem Werkzeug bestanden. Oder er hatte sich früher selbst um seinen Kram gekümmert. Unsinn, so kam er mir nun wirklich nicht vor. Vielleicht war er geschieden – aber warum hatte die Alte dann solchen Kram nicht einfach mitgenommen? War er Sinnbild häuslicher Sklaverei?

Was ging´s mich an! Aber wenn ich ehrlich war, fand ich den Mann nett, so mürrisch er war. Und hässlich war er auch nicht, egal, wie erfolgreich er sich als Penner präsentierte. Die verbeulten Hosen versteckten nicht, dass er eine ganz anständige Figur hatte, die ausgeleierten Sweatshirts zeigten breite Schultern, und trotz der angegrauten Mähne und der Bartstoppeln hatte er eigentlich ein gutes Gesicht, zerfurcht zwar, aber das durfte es in seinem Alter ja wohl sein! Welche Farbe hatten seine Augen? War das Blau echt oder nicht?

Und wenn er grinsen musste, waren seine Zähne groß und weiß und gut in Schuss. Nein, er trat zwar ungepflegt auf, aber das war er gar nicht, so viel hatte ich schon herausgefunden. Irgendwie strahlte er Kraft aus, ein Mann, der wusste, was er wollte, auch wenn er nicht gerade strahlend gelaunt war.

Ich bügelte alles weg und schleifte dann den Korb ins Schlafzimmer, wo ich das Bett abzog und lüftete, die frische Wäsche verstaute und das Zimmer rasch durchputzte – wenn man das zweimal die Woche machte, ging es fix, und er fühlte sich in einem sauberen Schlafzimmer doch bestimmt wohler.

Gegen seine Schreibblockade fiel mir allerdings kein Heilmittel ein. Ich sammelte die herumliegende Wäsche ein, schleppte sie wieder in den Keller und steckte sie in die Maschine. Als es munter zu zischen und zu rumpeln begann, war die Küche dran – das Geschirr wurde schnell gespült und konnte trocknen. Und die Prilblumen wellten sich schon recht viel versprechend. Ich holte mir ein Stück Zeitung aus dem Altpapierkorb und machte mich daran, sie abzuziehen – zuerst alle, in denen Feuerrot enthalten war, also etwa jede zweite. Einige gingen schon spurlos runter, die anderen hinterließen noch weiße Reste, aber keine widersetzte sich grundsätzlich.

Schon besser! Die weißen Reste kriegten noch einen Klecks Etikettenlöser, und ich nahm mir alle vor, die rosa und lila Blütenblätter hatten – das war fast der komplette Rest. Nur drei mit blau-gelb-orange-weiß-blau blieben über, die waren wohl seltener – Sammlerstücke? Mit den diversen Siebziger- und Achtziger-Revivals waren diese scheußlichen Dinger sicher auch wieder in Mode gekommen. Gegen Viertel vor sieben war die letzte Prilblume erlegt und in der Zeitung begraben und ich schrubbte mit einem Teigschaber vorsichtig die letzten Spuren von den Schranktüren, bevor ich sie intensiv mit Glanzreiniger behandelte. Die Küchenmöbel sahen fast wie neu aus! Als auch noch der Boden gewischt und ein frisches Handtuch aufgehängt war, bewunderte ich mein Werk. Da kam Kampmann herein, zwei Plastiktüten in der Hand, und sah sich blinzelnd um. „Sie haben den Dingern echt den Garaus gemacht? Die Küche sieht ja gleich völlig anders aus! Danke!“

„Aber bitte, das ist doch mein Job“, wehrte ich ab und half ihm beim Auspacken. Mist, dass er nun selbst einkaufen ging, mit dem Spriteuro hatte ich fast schon gerechnet! „Na und? Ihre Vorgängerin hat ein bisschen daran herumgekratzt und dann gefunden, die Dinger sähen doch sehr nett aus, so fröhlich.“

„Die Mistviecher gefallen doch vielen Leuten, sonst wären sie jetzt nicht wieder auf den Prilflaschen hintendrauf. Komisch, dass Pril nie mal was anderes probiert hat, Oldtimer, Segelschiffe, Schlümpfe, kleine Kätzchen oder so. Die Prilblumen waren wohl der einzige geistige Höhenflug.“

Ich bemerkte seinen Blick und klappte schleunigst den Mund wieder zu.

Du sollst deine Kunden nicht endlos zutexten.

„Ich werde mal die Wäsche aufhängen...“, murmelte ich und verzog mich wieder in den Keller, wo die Maschine schon länger fertig war.

Als ich wieder nach oben kam, war Kampmann in seinem Arbeitszimmer verschwunden, jedenfalls sah ich ihn nicht mehr. Besser so, sonst brach ich bloß wieder in einen Redeschwall aus – heute hatte ich ihn schon mit meinen Ansichten über Prilornamente und mit meinen Figurproblemen genervt, das reichte ja wohl. Wie sah es denn im Wohnzimmer aus? Die grüneichene Schrankwand bestand jetzt nur noch aus einem einzigen Teil, und das Zimmer wirkte völlig unbenutzt. Ich entstaubte es rasch und ließ alle Holzteile – mit Ausnahme der Schrankwandreste, eine letzte Ölung brauchten die wohl auch nicht mehr – kräftig mit Politur ein. Was machte der Typ eigentlich mit einem prachtvollen Esstisch ohne Stühle? Und wozu drei Sofas zum Lümmeln, aber kein Fernseher? Nicht mal eine Stereoanlage war zu sehen! Tat er gar nichts, außer auf seinen leeren Bildschirm zu starren?

Immerhin hatte er jetzt eine Küche, die für einen erwachsenen Menschen taugte. Und ein ordentliches Wohnzimmer. Naja, sauber war es wenigstens. Und ich hatte immer noch eine Dreiviertelstunde Zeit, also konnte ich noch schnell das Gästeklo und das Bad durchwischen und mal die Treppe putzen, die ich bis jetzt immer ignoriert hatte. Allmählich konnte ich manische Hausfrauen verstehen – diese Putzerei machte tatsächlich Spaß, man sah so schön schnell Ergebnisse, vor allem, wenn die Bude vorher so wüst ausgesehen hatte. Und viel denken musste man auch nicht. Kurz vor acht verräumte ich meine Gerätschaften und kontrollierte noch einmal alle Zimmer, dann klopfte ich brav an der Arbeitszimmertür. „Ich wäre für heute fertig...“

„Warum so zaghaft im Konjunktiv?“ Kampmann grinste und ich grinste unwillkürlich zurück.

„Konditionalis, ergänzen Sie wenn Sie nichts mehr für mich zu tun haben.“

„Touché! Wie würden Sie das Haus außen streichen, wenn es Ihres wäre?“

Ich überlegte. „Weiß... oder ganz helles Gelb sähe auch gut aus, das passt zur Entstehungszeit. Oder ein ganz, ganz blasses Hellbraun, aber nicht so senffarben. Das hat nass wohl weniger heftig ausgesehen?“

„Keine Ahnung, ich war das nicht. Vielleicht sollte ich das klarstellen – ich war das alles nicht, ich hab das Haus vor einem Jahr samt Inventar gekauft, also unterstellen Sie mir nicht so einen miserablen Geschmack.“

„Tschuldigung. Und jetzt fangen Sie an zu renovieren?“

„So nebenbei. Wenn mir sonst nichts einfällt...“

„Glauben Sie, Freecell hilft gegen die Schreibblockade?“

„Was würden Sie vorschlagen?“ Das klang ziemlich scharf. „Entschuldigung, das war unverschämt. Geht mich auch nichts an“, zog ich mich sofort zurück.

„Sagen Sie schon!“

„Naja, ein bisschen surfen? Oder fernsehen, vielleicht kommen Sie dabei auf Ideen?“

„Wissen Sie denn, was ich schreibe?“ Ich zuckte die Achseln. „Mein Vater glaubt sich an Krimis zu erinnern. Ich muss gestehen, mir hat der Name nichts gesagt."

„Krimis stimmt. Und Sie meinen, da schaue ich mir irgendeine Krawallsendung an und stürzte dann an den Computer, um genauso einen Mord stattfinden zu lassen? So billig geht es nicht, Anne.“

„Tut mir Leid, ich verstehe ja nichts davon. Ich dachte nur... Haben Sie noch einen Wunsch?“ Er warf mir einen schwer deutbaren Blick zu. „Ich fürchte, nein. Sie dürfen nach Hause gehen. Haben Sie einen Vorschlag für Freitag?“

„N-nein. Bis Freitag dann.“

Seine Finger spielten mit einem Lineal. „Ja, bis Freitag. Schönen Tag noch.“

Ich schaute, dass ich wegkam, Kampmann machte mich regelrecht nervös. Sein Grinsen nahm ich aus dem Augenwinkel aber doch noch wahr, bevor ich die Arbeitszimmertür hastig von außen schloss.

Auf dem Heimweg wunderte ich mich selbst. Sicher, er war ganz nett, und hässlich war er auch nicht, aber solche Kerle gab´s doch reichlich – und war ich nicht gerade erst mühsam einen losgeworden? Gierte ich schon nach dem nächsten? Nach einem mittelalterlichen unbekannten Schriftsteller mit Zottelhaaren und Schreibblockade, der in einem scheußlichen Haus lebte? Gut, sein Geschmack war das offenbar nicht. Aber bloß, weil er sich grüne Eiche und Senffassade nicht selbst ausgesucht hatte, musste ich ihm ja noch nicht in die Arme sinken – die er im Übrigen wirklich nicht gerade einladend ausgebreitet hatte.

Ich war eine dumme Kuh. Wenn ich einen Funken Verstand hätte, würde ich putzen wie eine Weltmeisterin, das Geld nehmen, um meine Finanzen in Ordnung zu bringen, meine Dissertation schreiben, privat bestenfalls mal mit Ingrid und Carla einen zwitschern gehen und ab April die fette Karriere machen – als zufriedener Single. Nie ums Fernsehprogramm streiten, niemandem hinterher räumen, nie mehr Sex, bloß um von Streitpunkten abzulenken, sich nie mehr runtermachen lassen. Tolle Aussichten – aber warum freuten sie mich nicht so, wie ich das geglaubt hatte?

Wenigstens saß der selbst ernannte Szenepapst nicht schon wieder vor meiner Tür, er hatte auch keine Briefe, verwelkten Rosen oder sonstigen Müll hinterlassen. Ich ließ meine Tasche fallen, zog die Jacke aus, ging sofort aufs Klo, um jedes überflüssige Gramm auszuschalten und stieg dann auf die Waage. Siebzigkommafünf. Also sechsundsechzigkommafünf? Ich drehte an der Eichschraube herum, bis die Einstellung so aussah, wie ich es wünschte. Gestern hatte ich vor lauter sportlichem Eifer nicht mehr daran gedacht. Einen Apfel konnte ich noch essen, und dann gab es eine Runde Gymnastik. Immerhin hatte ich beim Putzen den Muskelkater vergessen, aber sobald ich mich auf den Boden setzte, kam er zurück.

Ächzend und schnaufend absolvierte ich meine Übungen. Wieso war ich eigentlich so schlecht beieinander? Ich rauchte nicht, ich war nicht direkt sehr fett, ich bewegte mich täglich mit dem Putzeimer, da musste ich doch bessere Kondition haben? Offenbar nicht, jedenfalls schaffte ich wieder überall nur die Hälfte und fiel dann frustriert aufs Bett. Und der Apfel hatte nicht gerade gesättigt! Aber mittlerweile war es fast neun, wenn ich jetzt noch etwas aß, schlug es sicher doppelt an... Andererseits, nur so ein kleines Stückchen von dieser gemein lecker duftenden Salami... und ein Stück Vollkornbrot dazu: War das nicht ziemlich ausgewogen?

Leider futterte ich mehrere Scheiben Vollkornbrot (es musste dringend weg, immer ein guter Vorwand) und fast die halbe Salami, bevor ich mich zusammenreißen und die Reste im Kühlschrank verstauen konnte.

Mit schlechtem Gewissen ging ich schließlich ins Bett und nahm mir ganz fest vor, morgen mehr Widerstandskraft zu zeigen. Und mir Mehrkornsemmeln zu kaufen, die sättigten besser als die blöden Äpfel.

Frau Rössel und Frau von Jessmer hielten mich wenigstens ordentlich auf Trab; ich eilte dienstfertig herum und dachte immerzu an purzelnde Pfunde – hoffentlich an den richtigen Stellen, noch weniger Busen brauchte ich eher nicht - , während ich Messing polierte, Schrankoberseiten sorgfältig entstaubte und polierte und danach mit frischen Zeitungen schützte, Fenster putzte, Parkett einließ und – Frau Rössel war wirklich noch von altem Schrot und Korn – drei zusammengerollte Perser in den Hof trug, sie über die Klopfstange wuchtete und sie kräftig ausklopfte, bis sich die Staubwolken verzogen hatten. Einige Spaziergänger beäugten mich dabei neugierig, offenbar war ich für solche Tätigkeiten noch nicht alt genug. Wenn man sich dabei auf das Spiel der – kaum vorhandenen – Muskeln konzentrierte, konnte man dieser albernen Beschäftigung zwar direkt etwas abgewinnen, aber ein Tausend-Watt-Staubsauger schaffte garantiert mehr. Hinterher war ich wohlig erschöpft und schaffte es kaum noch, die Berge von Büchern aus der Bibliothek nach Hause zu schleppen, die ich bestellt hatte. Ich registrierte beide Male nur noch beiläufig, dass ich im Treppenhaus freie Bahn hatte, stapelte die Bücher dann auf dem Tisch auf und fiel wie erschlagen aufs Bett.

Die Gymnastikübungen machte ich zwar immer noch, aber nie in der vorgeschriebenen Anzahl und meistens auch reichlich schlampig, die Beine wurden nur halb gehoben, der Hintern nur ein kleines Stück gesenkt, damit ich wenigstens freihändig wieder hochkam. Gab es nicht auch so etwas wie Isometrie, wo man nur die Muskeln anspannte, ohne sich zu bewegen? Ich versuchte, auf dem Bett sitzend und eine Familienserie mit furchtbar frommen Leuten verfolgend, die Muskeln in meinem Hintern so anzuspannen, dass es meinen ganzen Körper ein paar Millimeter anhob – aber ob mir das grazile Beine bescheren würde?

Vielleicht waren die Krautstampfer ja auch erblich? Jani und Annika hatten dünne Beine, vor allem in den hautengen Jeans, die sie trugen – Jani in satanischem Schwarz, Annika im neuen dirty-Look. Meine Jeans wurden immer noch von selbst speckig, ich musste sie nicht so kaufen! Geli hatte eher ein kleines Problem mit einem Speckbäuchlein, aber das lag an ihrer Leidenschaft für Sahnetrüffel. Mamas Beine - keine Ahnung, ich hatte sie seit Jahren nicht mehr anders als in bunten Röcken gesehen.

Wo war denn das Fotoalbum? Badeurlaube mussten doch Aufschluss geben? Statt meine Bibliotheksausbeute zu mustern, blätterte ich von Anne, einen Tag alt über mehrfaches Anne freut sich über ein neues Schwesterchen (ich schaute stets ausgesprochen mürrisch drein, egal ob mit acht, elf oder dreizehn) durch die Seiten. Da, Bodensee 1990! Ich war achtzehn – und hatte schon diese Beine – und Mama war auf dem Foto zwar von drei kleinen Mädchen umringt, zehn, sieben und fünf, aber man sah, dass sie perfekte Oberschenkel hatte. Dann musste ich das von Papas Mutter geerbt haben, aber von der hatte ich nun nicht gerade Bikinifotos zur Verfügung, ich erinnerte mich dunkel an ewiges Dunkelblau mit Spitzenkragen, eine strenge Frisur und Ansichten wie aus dem neunzehnten Jahrhundert. Sie hatte 1943 mit achtzehn Jahren geheiratet, war nach drei Wochen Witwe geworden und hatte exakt neun Monate nach der Hochzeit Papa zur Welt gebracht – und damit war ihre Uhr offenbar stehengeblieben, sie redete nur von Entbehrungen, sträflichem Verwöhntsein und mangelnder Moral. Ihr Lieblingssatz war „Hat euer Großvater etwa dafür sein Leben geopfert?“

Mama hatte einmal zurückgeschossen: „Etwa dafür, dass die Kinder zum BdM müssen? Für unverbesserliche Nazissen ist hier kein Platz!“ Danach kam sie nur noch sehr selten vorbei und wirkte noch verkniffener als sonst. Ich hatte mich damals (ich war wohl in der ersten oder zweiten Klasse) lange gefragt, was Mama denn gegen Nazissen hatte – ich fand die weißgelben Blumen eigentlich recht hübsch.

Die war bestimmt nie schwimmen gegangen, und wenn, dann wahrscheinlich in einem Badekostüm mit langen, weiten Hosen. Dass sie mir diese Schwabbelbeine vererbt hatte, traute ich der verbitterten alten Schachtel so richtig zu! Vielleicht sollte ich lange Spaziergänge machen? Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass es nur darauf ankam, sich mäßig, aber länger als eine halbe Stunde zu bewegen, damit die Fettverbrennung in Gang kam. Spazierengehen... am Wochenende, vielleicht, jetzt war ich wirklich müde, und vom Teppichklopfen taten mir die Arme so weh, dass ich sie kaum noch heben konnte. Ein heißes Bad wäre jetzt herrlich gewesen, aber ich hatte eben bloß eine Duschkabine.

Wenn ich erst einmal diese Planstelle angetreten hatte, würde ich umziehen, das stand fest. Zwei Zimmer, eine richtige kleine Küche und ein Bad mit Wanne – und einen Balkon, das brauchte ich schon. Und da würde Heiner auch nicht mehr auftauchen... oder erst recht? Jetzt hast du ja genügend Platz für mich, und dein Einkommen reicht auch, um mich durchzufüttern? No, Sir!

Ich gönnte mir eine heiße Dusche und meinen schicksten Schlafanzug, dunkelgrauer Satin mit hellsilbernen Sternchen darauf, dann setzte ich mich an meinen Tisch, schob die Kunstvereinsbücher energisch zur Seite und skizzierte Grundrisse meiner Traumwohnung. Wie würde ich sie einrichten? Im Wohnzimmer auf jeden Fall eine ganze Wand Bücherregale. Und ein Sofa zum Abhängen – zum Chillen, wie Jani und Annika sagten.

In der Küche eine Spülmaschine, auf jeden Fall. Und ein großes Gefrierfach, damit ich nicht dauernd einkaufen gehen musste. In einer Wohnzimmerecke einen Arbeitsplatz. Esstisch brauchte ich eigentlich keinen, ich aß ja doch auf

dem Sofa, so wie jetzt auf dem Bett, der Tisch war ohnehin dauernd zugemüllt. Im Schlafzimmer wollte ich einen Schrank, in dem wirklich alles Platz hatte, damit man die T-Shirts nicht noch einmal bügeln musste, bevor man sie anziehen konnte. Vielleicht könnte ich mir sogar eine eigene Waschmaschine leisten, wenn das Bad groß genug war?

Schöne Zukunftsbilder – viel schöner als die Unterlagen über den Kunstverein, denn die gehässigen Memoiren der Tochter waren noch nicht in meine Hände geraten. Aber am Freitagmorgen hatte ich einen Termin im Archiv des MorgenExpress, von Ingrid organisiert, und wenn ich gezielt suchen wollte, sollte ich doch noch einige Fakten sammeln.

Sobald ich eine recht dürftige Liste mit offenen Fragen zusammengebastelt hatte, gab ich auf und ging lieber ins Bett, um in meine warme Decke gekuschelt noch ein bisschen fernzusehen; der Freitag würde noch anstrengend genug werden, also brauchte ich vorher etwas Entspannung.

Am anstrengendsten fand ich Kampmann. Er war zwar ein durchaus angenehmer Arbeitgeber, aber er beschäftigte mich einfach viel zu sehr. Warum, wusste ich ja auch nicht: Er sah annehmbar aus, war aber wirklich kein Adonis, er war viel zu alt für mich, zeigte ohnehin kein Interesse und war ein ganz normaler Kunde. Außerdem neigte er zu brummiger Laune. Was wollte ich mit dem? Und ich kannte ihn gar nicht, ich wusste bloß, dass er Krimis schrieb, wenn er nicht gerade unter seinem writer´s block litt, und dass sein Geschmack nicht ganz so grausig war, wie es das Haus vermuten lassen konnte. Zwei sehr magere Pluspunkte, die durch ständiges Durchdenken auch nicht eindrucksvoller wurden. Ich sollte mir diesen Kerl aus dem Kopf schlagen, vor allem, wo ich doch gerade erst einen lästigen Kerl losgeworden war. Außerdem wollte er nichts von mir.

Das verhinderte aber nicht, dass ich seine spärlichen Äußerungen mit gesteigerter Aufmerksamkeit aufnahm und speicherte, ständig überlegte, was ich antworten konnte, um einen faszinierenden Eindruck zu machen (bis jetzt war das immer nur schief gegangen) und mir seiner Gegenwart extrem bewusst war. Und das zehrte beim Putzen an meinen Kräften.

Grundreinigung

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