Читать книгу Grundreinigung - Elisa Scheer - Страница 5
Vier
ОглавлениеGeweckt wurde ich von Heiners Genörgel, weil kein Frühstück im Haus war.
„Ich hab noch kein Geld gekriegt“, antwortete ich ungnädig und rieb mir die Augen, „das läuft doch über JobTime. Und du kriegst hier ohne Cash sowieso nichts mehr zu essen. Für wie blöde hältst du mich eigentlich? Geh doch ins Café frühstücken!“ Heiner brummte herum. Himmel, der war schon angezogen! Ich musste ihn an der Wohnungstür verabschieden, damit er das mit dem Schlüssel nicht jetzt schon merkte!
Unlustig stand ich auf und bearbeitete wenigstens Gesicht und Zähne.
„Recherche oder Sitzung?“, heuchelte ich dann Interesse, während Heiner eselsohrige Zettel in seine Tasche stopfte.
„Recherche. Scheiße, der Block ist voll. Kann ich deinen nehmen?“
„Nein, ich will am Nachmittag in die Bibliothek, da brauch ich ihn selbst. Außerdem hast du letztes Mal meine Notizen zum Teil bekritzelt, zum Teil einfach weggeschmissen.“
„Ich konnte doch nicht mit diesem Museumsscheiß bei einem Avantgarde-Künstler auftauchen.“
„Eben – kauf dir selbst einen Block!“
„Keine Zeit mehr.“
„Tja, das ist ja wohl dein Problem. Schönen Tag!“ Ich stand in der Tür und hielt sie einladend auf. Heiner fauchte etwas und schoss nach draußen und die Treppen hinunter. Sehr gut!
Ich schloss die Tür hinter ihm und ging ausgiebig unter die Dusche. Herrlich – und wenn ich die Wohnung erst einmal für mich hätte, wäre das ganze Leben herrlich, jeder Tag! Putzen, Geld verdienen, promovieren und abends meine Ruhe. Und wenn ich wieder ein paar Cent in der Tasche hätte, könnte ich auch mal wieder mit Ingrid und Carla einen zwitschern gehen, ins Ratlos oder zu Fabrizio. Hier gab es so viele Kneipen, aber Heiner lehnte sie alle als kulturlos und Schickimicki ab. Als ob die dämlichen Prosecco-Stehempfänge bei diesen off-Broadway-Ausstellungen und Inszenierungen nicht auf ihre Art genauso stereotyp wären! Blöder Hund.
Ich fischte seine Schmutzwäsche vom Boden des Kleiderschranks und stopfte sie in eine Tüte, dann baute ich eine der Umzugskisten auf und warf die Tüte hinein. Um neun musste ich bei dieser Frau Rössel sein. Fuggerplatz... da gab es nie Parkplätze, also sollte ich lieber zu Fuß gehen. Etwa eine halbe Stunde... jetzt war es zehn nach acht...
Ich sperrte meinen Laptop auch noch in den verschließbaren Schrank, aß den letzten Apfel, zählte mein Geld (noch exakt siebenunddreißig Euro und fünfundachtzig Cent), zog meine Putzkluft an und machte mich auf den Weg, nachdem ich die Wohnungstür extra sorgfältig verschlossen hatte.
Frau Rössel war etwa fünfzig, allein stehend – und sie trug selbst einen Putzkittel. Dass ich keinen hatte, bemängelte sie sofort. Sobald sie sich wieder beruhigt hatte, zeigte sie mir die Toilette, wo die Kachelfugen vergilbt waren. Ich bekam eine Tube Fugenweißer und hatte alles sorgfältig nachzuziehen und dann die Kacheln auf Hochglanz zu polieren – immerhin mit einem dafür laut Werbung extrem geeigneten Mittel. „Um elf sollten Sie damit fertig sein, dann können Sie den Wasserhahn entkalken.“
Na, wenn nichts Wichtigeres anlag... Ich machte mich an die Arbeit, polierte die Kacheln, zog jede Fuge sorgfältig nach und schüttelte ab und an meinen erlahmenden rechten Arm aus. Scheißjob! Nebenan hörte ich den Staubsauger. Aha, der Putzteufel erledigte die Routine wohl selbst und hatte mich nur für Sonderaufgaben engagiert? Auch recht!
Gegen halb elf hatte ich alle Fugen, auch zwischen den Bodenkacheln, in strahlendes Weiß versetzt und die Kacheln selbst funkelten in hochglänzendem Schokoladenbraun. Sehr passend für ein Klo; leider waren die Becken nicht auch braun, dann müsste man sie nie putzen, überlegte ich missmutig und sprühte die Mischbatterie mit Entkalkerschaum ein, bevor ich den Perlator abschraubte und ihn ebenfalls einschäumte. Man sollte ja bei der Arbeit mitdenken, um einen einigermaßen intelligenten Eindruck zu machen; also polierte ich auch gleich noch den Handtuchhalter und entfernte die Fingerabdrücke vom grell weißen Lichtschalter. Der Entkalker schäumte immer noch munter vor sich hin, also wischte ich auch noch den Lampenschirm feucht ab und brachte den Klopapierhalter auf Hochglanz.
Sobald aller Schaum entfernt und der Hahn wieder zusammengesteckt war (hei, wie das Wasser jetzt strömte), rief ich voller Stolz Frau Rössel, damit sie meine Meisterleistung bewunderte.
„Ganz ordentlich“, war der Kommentar, „aber beim nächsten Mal fragen Sie mich bitte, bevor Sie einfach den Hahn entkalken oder die Armaturen polieren. Und wieso sind Sie denn um elf schon mit der ganzen Gästetoilette fertig?“
„Ich habe eben zügig gearbeitet“, entschuldigte ich mich.
„Zügig schon – aber auch gründlich? Na, mal sehen...“
Sie inspizierte die Kachelfugen durch die Brille, die sie dazu extra aus der Tasche des lila-rosa-grün geblümten Kittels zog, wies mich triumphierend auf zwei nachzubessernde Stellen hin und war dann gnädig einigermaßen zufrieden. „Wir haben ja noch eine Stunde Zeit. Kommen Sie mit, Fräulein Holler!“
Ich protestierte nicht wegen der antiquierten Anrede, sondern folgte ihr brav in die Küche, wo mir ein Schrank gezeigt wurde, der eine Fülle von Putzutensilien enthielt, wie ich sie noch nie gesehen hatte, Reihen und Reihen von Flaschen, Stapel der verschiedensten Lappen und Tücher, Schrubber, Wischmops, Besen – alles mehrfach. Ein anderes Hobby schien die Alte nicht zu haben, oder sie konnte den Anpreisungen der Fernsehwerbung nicht widerstehen. Das Riesengerät im Wohnzimmer hatte ich durch die offene Tür wohl erspäht. „Räumen Sie alles aus und wischen Sie den Schrank feucht auf, danach räumen Sie ihn sorgfältig wieder ein, so dass man jedes Teil auf Anhieb findet.“ Der scharfe Unterton schien zu unterstellen, dass ich hier eine heillose Unordnung verursacht hätte. Eine Frechheit!
Seufzend ging ich an die Arbeit, faltete die Tücher dabei gleich exakt im gleichen Format und sortierte sie nach Qualität, Vlies, Microfaser, Scheuerlumpen (natürlich ladenneu, ich entdeckte überhaupt kein gebrauchtes Stück – oder wusch und bügelte diese Verrückte alles nach Gebrauch?), wischte alle Flaschen feucht ab und sortierte sie ebenfalls, Bodenreiniger, Fensterreiniger, Entkalker, Fettlöser, Glanzspray, Scheuermilch...
Die Besen und Schrubber landeten vor dem Kühlschrank, und ich bearbeitete das ältliche Holz des Putzschranks, bis keine Ränder von undichten Flaschen und keine Staubmäuse mehr zu sehen waren. Nicht, dass der Schrank besonders verstaubt gewesen wäre, wahrscheinlich hatte sie ihn kürzlich erst selbst geputzt. Ich kannte das von meiner Mutter: Kinder, räumt auf und putzt, morgen kommt die Zugehfrau, und ich will mich nicht vor ihr schämen müssen.
Als der Schrank intensiv nach Zitronenreiniger duftete und langsam trocknete, begann ich damit, die Fächer in perfekter Ordnung wieder einzuräumen; ich hatte sogar das rote Plastikkörbchen abgewaschen und getrocknet, in dem Bohnerwachs, Herdplattenpolitur, das Bügeleisenputztuch und eine angebrochene Packung Kühlschrankdeo gelegen hatten. Was es für einen Kram gab...! Zuhause hatte ich einen Allzweckreiniger mit Orangenduft, einen großen Lappen und einen altersschwachen Staubsauger. Damit wurde auch alles irgendwie sauber.
Schließlich kam Frau Rössel gemessenen Schrittes in die Küche und nahm die Endabnahme vor; sie nickte angesichts des makellosen Schrankes gnädig und gestattete mir, nächsten Mittwoch wiederzukommen. Als besondere Vergünstigung wurde mir in Aussicht gestellt, die Kronleuchter reinigen zu dürfen. Ich bedankte mich schwächlich für diese Auszeichnung und machte, dass ich nach Hause kam, schließlich musste ich ja Heiner belauern.
Er war noch nicht da, Gott sei Dank. Den Anblick, wie er fluchend vor der Wohnungstür stand, brauchte ich nicht so dringend, lieber stritt ich mit ihm drinnen! Ich amüsierte mich damit, weiter aufzuräumen und meine Winzküche perfekt zu putzen – offenbar war die manische Rössel ansteckend. Schließlich hatte ich alles zu meiner Zufriedenheit poliert und den völlig leeren Kühlschrank abgetaut und ausgewischt, außerdem den etwas ramponierten Teppichboden so gründlich gesaugt, dass seine ehemalige Farbe etwas deutlicher zutage trat, mitsamt den Verfärbungen vor dem Fenster, die mir nun endgültig verrieten, warum er damals so günstig gewesen war.
Als ich auch noch das Bett gemacht und die Tagesdecke glatt gestrichen hatte, war wirklich nichts mehr zu tun, und ich amüsierte mich damit, im Internet nach Informationen über den Kunstverein zu suchen.
Es war fast drei, als ich vor der Tür Gerumpel und Geklapper hörte und schließlich heftiges Fluchen. Dann klingelte es. Ich wartete ein bisschen und öffnete dann langsam. Heiner stand vor mir und besah sich mit verwirrter Miene seinen Schlüsselbund. „Hast du das Geld dabei?“, fragte ich sofort.
„Welches Geld? Ach, Anne, jetzt nerv mich doch nicht! Ich hab meinen Schlüssel verloren!“
„Dann pack deine Sachen, aber sofort.“
„Was?“
„Was – was? Ich hab dir gestern gesagt, ohne Geld fliegst du raus. Kein Geld, kein Durchgefüttertwerden. Ich geb dir eine Stunde, danach werfe ich deinen Schotter selbst auf die Straße. Den Laptop zuerst.“
„Spinnst du?“
„Nein, im Gegenteil. Ich muss gesponnen haben, als ich dich hier reingelassen habe. Jetzt bin ich wieder vernünftig. Die beiden Umzugskisten im Flur kannst du haben, deine Schmutzwäsche ist schon drin. Los, fang an!“
Heiner sah mich verständnislos an. „Ich brauch einen Kaffee.“
„Hier gibt es keinen. Alles aus, ich hab kein Geld mehr, um dich zu ernähren.“
„Wo soll ich denn hin?“
„Weiß ich doch nicht. Miet dir halt selber was, du hast doch genug Geld.“
„Heute noch?“
„Himmel, an der Uni gibt es genug Pensionen, da kannst du schon unterkriechen. Noch fünfzig Minuten.“
„Aber Anne, es war doch immer so schön mit uns, das kannst du doch nicht ganz vergessen haben!“
„Schön? Für dich vielleicht! Du hattest eine Dumme, die alles für dich gemacht hat, und du konntest dein Geld sparen. Und als Gegenleistung hast du lediglich dann eine Runde Poppen geboten, wenn ich sauer geworden bin. Scheißgeschäft. Fünfundvierzig Minuten, fang lieber an! Was du vergisst, werfe ich nachher auf die Straße, als vergiss lieber nichts Wichtiges.“
„Wo ist meine Reisetasche?“
„Du hast keine Reisetasche, jedenfalls nicht bei mir, aber du kannst meine hässliche blaue haben.“
„Und die schwarze?“
„Nein, die war teuer, und ich mag sie. Ich bekäme sie ja doch nie zurück.“
„Was denkst du eigentlich von mir?“ Jetzt guckte er richtig verletzt drein. Entzückend – aber mich entzückte das nicht mehr. Erstaunlich, wie schnell die körperlichen Reize eines Mannes einen kalt lassen konnten, wenn man die Ratte im Inneren erst einmal entdeckt hatte!
„Dass du eine miese Laus bist, die alles an sich rafft, was sie kriegen kann. Guck nicht so, du findest schon wieder eine Dumme. Vorzugsweise eine, die ich nicht kenne, sonst müsste ich sie fairerweise warnen.“
Ich warf ihm die verschossene blaue Stoffreisetasche an den Kopf, und er machte sich murrend daran, seine Klamotten einzupacken. Meine Sachen fielen dabei natürlich auch aus dem Schrank, aber das war mir jetzt egal, ich beschränkte mich darauf, meine superweichen grauen Thermosocken zu retten, die dieser langfingrige Hund doch tatsächlich einsacken wollte.
Im Bett nahm ich ihm entschlossen die Handtücher weg. „Schnapp dir deine Zahnbürste und dein Duschgel und kauf dir gefälligst selbst Handtücher. Beim Aldi gibt´s sicher welche im Sonderangebot. Los, vergiss deine Bücher nicht!“
„Und die Bettdecke?“
„Die gehört mir. Frag Gisi, die hat sicher noch eine übrig, von früher, und ist froh, sie loszuwerden.“
Ich sah kritisch zu, wie er seine Bücher, die Ordner mit seinen Rezensionen und Kritiken, seinen Laptop und einige Schnellhefter einpackte, nahm ihm einen Schnellhefter wieder weg und schloss mit einer raschen Bewegung meine herumliegenden Stifte ein. „So, hast du alles? Schön, dann leb wohl – und vergiss nicht, einen Nachsendeantrag zu stellen.“
„Gott, bist du boshaft. Du konntest meine unabhängige Art wohl nicht mehr ertragen, kleinbürgerlich, wie du bist?“
„Wenn du meinst... Ich kann eher nicht mehr ertragen, dass du mir für nichts und wieder nichts die Haare vom Kopf gefressen hast.“
„Ich sag ja, kleinbürgerlich! Alles muss sich rentieren.“
„Gell“, fauchte ich, „eine Frechheit, wenn sich etwas auch für die anderen rentieren soll, nicht bloß für dich! Wo doch die Sonne aus deinem Arsch heraus scheint! Verpiss dich endlich!“
„Wie soll ich den Kram den hier wegkriegen? Ich hab doch kein Auto!“
„Ruf dir ein Taxi.“
„Das lehne ich ab.“
„Dann trag deinen Schotter oder wirf ihn in die nächste Tonne, wenn du zu schwach bist.“
„Kann ich nicht dein Auto -?“
„Nein. Hau jetzt endlich ab!“
„Kann ich nicht wenigstens dein Telefon benutzen?“
„Nein. Nimm dein Handy, das wird ja wohl irgendwo sein.“
„Aber das kostet doch viel mehr als ein Festne-“
Ich knallte die Tür zu, schloss zweimal ab und legte die Kette vor.
Herrlich, er war draußen. Noch nicht weg, leider, aber draußen. Sicher lauerte er jetzt im Treppenhaus, in der Hoffnung, ich würde ihn nach einer halben Stunde Schwitzen wieder aufnehmen. Vielleicht gab es heute Abend wieder so eine bescheuerte Rose. Die kosteten maximal zwei Euro, und dafür wollte er seine Lebenshaltungskosten auf Null drücken? Ich sammelte meine Kleidung auf und faltete alles wieder ordentlich zusammen, dann stapelte ich es auf dem Arbeitstisch auf und putzte den Schrank gründlich durch. Wirklich rösselmäßig, aber ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, die Wohnung von Heiners Anwesenheit zu säubern. Zu exorzieren.
Als all meine Klamotten hübsch auf Lücke gestapelt und gehängt wieder im Schrank lagen und ich sogar noch einen Rest Zedernöl gefunden hatte, um das hölzerne Herz damit zu tränken, gefiel mir mein Werk recht gut. Und morgen würde ich auf dem Heimweg von der Arbeit auch wieder etwas zu essen kaufen – so pleite war ich schließlich gar nicht. Hatte JobTime schon etwas gezahlt? Mist, ich war seit gut zwei Stunden online – was das wieder kostete! Aber dann konnte ich genauso gut mein Konto inspizieren.
Nicht besonders anregend – sie hatten gezahlt, ja, aber die Telefonrechnung war abgebucht worden, und direkt neben dem rot gedruckten € 1.823.56 stand Ihr Dispokredit € 2.000.- Klasse, nicht mal zweihundert Euro Spielraum!
Frustriert verließ ich das Netz, nachdem ich die einzige brauchbare Website zum Thema Kunstverein ausgedruckt hatte. Ich bezog das Bett frisch – Teil zwei des Exorzismus – und rief dann Ingrid an.
„Na, wie geht´s dir?“, fragte sie vergnügt. „Glänzend. Rate mal, wen ich gerade rausgeschmissen habe?“
„Sag bloß, du bist diesen Bandwurm losgeworden? Sehr gut, Anne, du lernst es ja doch noch, mit Männern umzugehen.“
„Deine harte Hand werde ich nie haben, aber ich arbeite dran“, flachste ich zurück. „Und sonst? Was macht der Museumsjob – interessant?“
„Keine Ahnung, die Planstelle ist bis April gesperrt. Im Moment putze ich über JobTime.“
„Du putzt??“ Ingrid lachte schallend. Die hatte auch gut lachen, sie hatte einen prima Job beim MorgenExpress und flog da bestimmt nicht raus, wenn sie nicht gerade irgendetwas ganz Dämliches anstellte.
„Ja“, seufzte ich, „es gab nichts anderes, und ich war so restlos pleite.“
„Kunststück, dieser Heiner hat dich doch den letzten Pfennig gekostet, oder?“
„Den letzten Cent“, verbesserte ich pingelig und erinnerte mich, dass Ingrid es ja immer schon gesagt hatte – und das würde sie jetzt auch nicht mehr runterschlucken. „Hab ich dir ja gleich gesagt!“
„Das musste ja kommen, alte Besserwisserin. Jedenfalls bin ich jetzt mit dem Putzeimer zugange. Oder weißt du einen besseren Job?“
„Im Moment auch nicht. Wir haben Einstellungsstopp, unsere Inserenten sparen auch ziemlich. Was hast du denn für – äh – Klienten?“
„Wie taktvoll von dir. Ein junges Ehepaar mit Säugling, einen griesgrämigen Mann mit scheußlich eingerichtetem Haus, eine alte Dame mit Massen von Antiquitäten und eine durchgeknallte Mittfünfzigerin mit extremem Putzfimmel. Da war ich heute, ich durfte nur Kachelfugen nachweißen und einen Putzschrank auf Vordermann bringen. Ich sag dir, die hatte da mehr Fläschchen und Tuben als die Haushaltsabteilung im Drogeriemarkt.“
„Nichts Attraktives? Alleinstehender Jungmanager, pflegeleichte Wohnung, fettes Gehalt?“
„Nichts dergleichen. Aber ich habe ja noch Kapazitäten frei... allerdings habe ich jetzt angefangen zu promovieren, wenn ich schon ein halbes Jahr rumsitzen muss. Über diesen ominösen Kunstverein. Sag mal, wie lange gibt es euer Käseblatt eigentlich schon?“
„Mehr Respekt bitte! Der MorgenExpress wurde als Morgenblatt gegründet im Jahre 1889, wie du wüsstest, wenn du einigermaßen gebildet wärst.“
„Ich bitte untertänigst um Verzeihung. Und wie lange reicht euer Archiv zurück?“
„Na, genauso. Gut, dreiunddreißig bis fünfundvierzig haben wir ein paar Lücken, aber da waren wir gleichgeschaltet und haben sowieso nur belanglose Lügen gedruckt. Wann war der Kunstverein? Um 1900? Komm mal vorbei, dann lass ich dich ins Archiv.“
„Super. Zum Tagblatt hast du keine Beziehungen?“
„Nein. Du kriegst den Hals ja wohl auch nicht voll, oder? Aber die sollen angeblich ein ziemlich gutes online-Archiv haben. Mensch, Anne, du hast ja richtig Schwung – neues Projekt, Macker entsorgt: Sag bloß, du willst jetzt auch eine neue Frisur?“
Ich kicherte. „Wäre stilecht, was? Aber da fällt mir gar nichts ein, ich hab die Zotteln schon so lang. Damit warte ich, bis ich den richtigen Job habe, dann muss wahrscheinlich so ein Durchschnittskarrierebob her.“
„Einheitslook, mit Schleifenbluse und Kostüm?“
„So ähnlich, aber da gucke ich mir erst mal an, wie die anderen so herumlaufen. Du, wenn ich wieder etwas Geld habe, gehen wir endlich mal wieder ins Ratlos, zum Ratschen und Männerniedermachen.“
„Mit Carla, die hat momentan einen endlosen Ärger! Die kann Aufmunterung vertragen...“
„Von Carla hab ich ewig nichts mehr gehört“, gab ich zu und legte mich bequemer hin. Das würde wohl länger dauern!
Es dauerte fast zwei Stunden. Carlas Freund war mittlerweile recht seltsam, das musste ich auch zugeben, überfürsorglich und immer davon überzeugt, dass Carla selbst überhaupt nichts geregelt kriegte. Gut, solche Leute kannte ich auch, etwa meine nächstjüngere Schwester Geli, die man vor wichtigen Terminen telefonisch wecken musste, weil sie das alleine nicht hinkriegte, und die dauernd irgendwo Strafe zahlen musste – nicht umgemeldet, keine Steuererklärung abgegeben, Auto nicht umgemeldet, AU vergessen.... Aber Carla! Carla war Ingenieurin und so ungefähr die patenteste Person, die ich kannte. Carla konnte alles. Vielleicht nicht gerade bei Wer wird Millionär? mitmachen, aber wer konnte das schon? Carla reparierte Autos, tapezierte Wohnungen, verlegte Parkett, kochte wie ein Engel, erreichte bei unserer stieseligen Stadtverwaltung von der Fristverlängerung bis zur Genehmigung für was-auch-immer alles, rettete tote Topfpflanzen, kittete anderer Leute Beziehungen, brachte weinende Babys zum Einschlafen und schlecht erzogene Hunde zu schwanzwedelndem Gehorsam. Und die wollte dieser dämliche Hartmut väterlich behandeln? „Er wollte sogar für sie zum TÜV fahren, weil das nichts ist für das zarte Frauchen!“
Ich schnaubte. „Was hat sie gesagt?“
„Sie hat seine Haube aufgemacht, ihm erzählt, was an seinem Schlitten alles marode ist und ihm dann empfohlen, sich um seinen eigenen Scheiß zu kümmern. Aber der Kerl ist unbelehrbar. Am nächsten Tag ist er mit der Bohrmaschine angerückt und wollte ihr ein Regal aufhängen. So ein hässliches, das er ihr extra gekauft hat. Sie hat ihn samt der Scheußlichkeit und der Bohrmaschine rausgeworfen, aber er kommt immer wieder.“
So ging es endlos weiter, ein Beispiel jagte das nächste. „Sie soll ihn ins Ratlos mitbringen, dann machen wir ihn zu dritt fertig“, schlug ich schließlich vor.
Ingrid lachte. „Der soll sich noch wundern!“
Heiner winselte seltsamerweise den ganzen Abend nicht mehr vor der Tür, entweder wanderte er mit seiner Tasche und seinen Kisten heimatlos durch die Stadt, oder, was wahrscheinlicher war, er war bei einem Kumpel untergekrochen, und nun betranken sich die beiden (mit Pastis, Absinth, Grappa oder Ouzo, jedenfalls einem Gesöff, das man nur mit avantgardistischer Baskenmütze trinken konnte). Dabei schimpften sie garantiert über hysterische Weiber im Allgemeinen und mich im Besonderen – was mich das schon kratzte!
Vergnügt ging ich in mein frisch bezogenes Bett und streckte mich in alle Richtungen aus. Morgen Bibliothek und Frau von Jessmer, vielleicht einige bescheidene Einkäufe und ein, zwei hirnlose Schmöker aus der Städtischen Bücherei (am liebsten hatte ich Biographien zweitrangiger Fürstlichkeiten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wie Luise von Toskana). Lebkuchen musste es doch auch schon geben? Da sah ich ja einem mehr als perfekten Abend entgegen!
Frau von Jessmer scheuchte mich nicht über Gebühr herum und bestand, als ich ihr Haus perfekt auf Vordermann gebracht hatte, darauf, dass ich einige der Petit Fours mitnahm, die sie für ihre Kränzchenfreundinnen gekauft hatte. Kränzchen... wie im neunzehnten Jahrhundert! Wahrscheinlich kicherten sie über irgendwelche älteren Herren, oder sie schimpften gemeinsam auf Dienstboten oder die Jugend von heute. Egal, ich nahm die Petit Fours gerne, bedankte mich höflich und fuhr zur Bibliothek. Eine hinreißende Ausbeute war mir vergönnt, Sophie von Wittelsbach und Erszi, die rote Erzherzogin. Vergnügt kam ich nach Hause, in der Tasche die beiden Schmöker und einen Haufen Notizen aus der Bibliothek, außerdem die Petit fours; vor mir lag ein gemütlicher Abend, der mich obendrein nichts kosten würde.
Von wegen – auf der Treppe vor der Wohnungstür saß Heiner.
„Was willst du denn hier?“, fragte ich ärgerlich und stiefelte an ihm vorbei.
„Können wir uns nicht wieder vertragen?“, fragte er und sah mich flehend an. Große braune Augen, Bartstoppeln, Schatten unter den Augen, ein zerdrücktes Hemd und ein viel zu dünner Pullover.
Ich nickte anerkennend – eine perfekte Inszenierung, und die Schatten waren doch hingeschminkt! Solche Tricks hatte ich schon seit fünfzehn Jahren drauf (Nein, bitte fragen Sie mich heute nicht aus, ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen/rasende Kopfschmerzen/mir ist ja sooo schlecht).
„Ich hab nichts gegen dich“, stellte ich gleichmütig fest.
„Dann sind wir wieder zusammen?“ Das klang ja richtig begierig!
„Nein“, antwortete ich, „ich hab kein Interesse mehr. Und hier kommst du auf jeden Fall nicht mehr rein.“
„Warum bist du so hart? So warst du doch früher nicht?“ Himmel, war dieser Mensch dämlich! „Du hast mich durch deine Ausbeutermethoden dazu gemacht!“, fauchte ich. „Und jetzt hau endlich ab.“
„Wie du meinst“, zischte er, „es gibt noch andere Frauen.“
„Wie schön für dich. Aber wie wär´s denn mal, wenn du auf deine eigenen Kosten lebst anstatt zu schmarotzen? Ich meine, nur so als Vorschlag?“ Heiner schnaubte entrüstet und stürmte die Treppe hinunter. Ich lauschte, bis die Haustür mit einem Knall ins Schloss fiel, dann sperrte ich meine Wohnungstür auf – und sofort wieder zweimal zu, samt Kette. Heiner war wirklich zu bescheuert! Mochte ja sein, dass ich früher nicht so hart gewesen war, aber er hatte früher jedenfalls eindeutig mehr Intelligenz und weniger Raffgier an den Tag gelegt – oder hatte er es nur weniger plump gemacht? Verdammt, der konnte sich doch nun wirklich eine eigene Wohnung leisten!
Sicherheitshalber vertagte ich die rote Erzherzogin und die schon leicht zerdrückten Petit Fours und rief Gisi an. „Ich hab Heiner rausgeschmissen“, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus. Gisi lachte. „Weiß ich doch längst! Rate mal, wer gestern hier aufgetaucht ist, ganz die gekränkte Unschuld? Wie ein Hund, den man an der Autobahnraststätte aus dem Auto geworfen hat.“
„Aber du hast ihn doch nicht etwa wieder aufgenommen?“
„Wofür hältst du mich? Diese Krankheit kriegt man wirklich nur einmal, danach ist man immun. Er konnte diese schäbige Decke mitnehmen, die wollte ich schon loswerden, da hat Patrick mal reingepinkelt – Himmel, ich glaube, ich habe sie nicht mal gewaschen! Das ist mir jetzt ja fast peinlich...“ Sie kicherte.
Ich feixte in den Hörer. „Na, das wird er ja noch früh genug merken. Eben war er wieder da und hat gefunden, ich sei so hart geworden.“
„Und Männer mögen ja keine harten Frauen, nicht? Die lassen sich von ihnen nicht so leicht reinlegen. Patrick, geh in dein Zimmer!“ Gequengel im Hintergrund. „Nein, heute nicht, hab ich gesagt. Ab in dein Zimmer, und räum dein Lego auf! Und, hast du ihn reingelassen?“ Es dauerte einen Moment, bis ich diese Frage wieder auf mich bezog. „Unsinn. Ich war gemein und hart zu ihm und er ist türenknallend wieder abgehauen.“
„Gut so. Der findet schon eine andere Dumme. Und wenn nicht – Jenny, was hast du denn gemacht?“ Ein harter Schlag – Gisi hatte den Hörer hingeworfen. Ich wartete geduldig, bis sie zurückkam. „Diese Gören! Jetzt hat sie sich eine ganze Handvoll Nutella auf dem Glas geholt und sie überall verteilt.“
„Heiners böse Gene?“
„Ach wo, ganz normaler Kinderspaß. Heiners Gene dürften so schwächlich sein wie er selbst.“
„Du hast Recht“, stellte ich erstaunt fest, „er ist wirklich ein Schwächling. Glaubst du, er schafft es überhaupt alleine?“
„Wenn seine Fans ihm die Chance dazu lassen? Ich glaube – Patrick, noch einmal, und du gehst sofort ins Bett! Nein, das ist mein Ernst, und du musst gar nicht herumwinseln! Ich glaube – was wollte ich sagen?“
„Keine Ahnung“, grinste ich in den Hörer, „aber wenn du wissen willst, was ich glaube: Sein Fanclub ist wohl gar nicht so toll, wenn er schon bei uns vor der Tür herumlungert.“
„Genau, das denke ich auch. Jetzt muss er in freier Wildbahn zurechtkommen...“
„Mir bricht das Herz...“
„Mir auch. Du, ich ruf dich in den nächsten Tagen mal an, aber die beiden Rotznasen stellen mir hier die Bude auf den Kopf – ja, ich meine euch beide. Jetzt kommt die Mama und jetzt scheppert´s, aber gewaltig! Ciao, Anne!“
„Ciao...“, sprach ich in die tote Leitung. Wie immer – Mutterglück pur. Was für ein Glück, dass ich keinen kleinen Heiner am Bein hatte! Kaum hatte ich mich mit dem Schmöker und den Petit fours auf dem Sofa installiert, klingelte das Telefon wieder.
Heiner, ob ich wirklich alle schönen Stunden vergessen hätte? Ich setzte ihm auseinander – zum wievielten Male denn mittlerweile? – dass die schönen Stunden leider durch den andauernden Ärger überlagert worden seien und er mir außerdem zu teuer im Unterhalt geworden sei. Das fand er kleinlich von mir, und daraufhin legte ich kommentarlos auf. Endlich konnte ich das übersüße Gebäck mit der giftig bunten Glasur und den Zuckerröschen darauf genießen und abwechselnd studieren, wie falsch die kleine Erzherzogin erzogen worden war, und klebrige Krümel vom Soda aufklauben. Saugemütlich – und später sollte noch ein richtiger Schrottfilm laufen, den ich zum ersten Mal seit ewigen Zeiten ohne bissige Kommentare oder eigenmächtiges Umschalten von Seiten des selbst ernannten Kulturpapstes anschauen konnte.
Am nächsten Morgen grub ich in der Unibibliothek einige interessante Quellen zum Kulturverein aus – wenn nur das Kopieren dort nicht immer so unverschämt teuer gewesen wäre! Die zwölf Euro für knapp fünfzig Kopien rissen doch ein böses Loch in meine ohnehin dürftigen Finanzen, und ich gönnte mir als Mittagessen eine Tüte Chips von Aldi – sie schmeckten nicht besonders, aber sie hatten eben auch nur 79 Cent gekostet. Meinem Autochen spendierte ich exakt fünf Liter Sprit; danach musste ich doch einmal ins Auge fassen, am Wochenende meine Eltern anzupumpen.
Immerhin war es bei Karen recht lustig; da sie die Vormittage nur in Gesellschaft ihres schlecht gelaunten Säuglings verbringen musste, der entweder plärrte oder schlief, freute sie sich, endlich mal mit jemandem reden zu können, der der Sprache mächtig war, und klagte mir ihr Leid – ihr Mann war auf Studienfahrt, Sven hatte immer noch Blähungen, ihr Bauch war total schwabbelig – das konnte ich nicht bestätigen, als sie ihr T-Shirt anhob und sich anklagend in den kaum vorhandenen Bauchspeck kniff. Außerdem nervten ihre Eltern tierisch, bei ihrer jüngsten Schwester war möglicherweise das vierte Kind unterwegs, obwohl die Ehe so ziemlich im Eimer zu sein schien, und ihre mittlere Schwester war mit ihrem Mann in Hongkong, und sie hatte vergessen, ihr zu sagen, was sie ihr mitbringen sollte.
Nach dieser Tirade seufzte sie tief auf. „So, jetzt geht´s mir schon wieder deutlich besser. Ich bin einfach neidisch, weil ich selbst gerne in Hongkong wäre – oder auf Studienfahrt. Obwohl – Florenz mit achtundsiebzig Abiturienten, deren Reisegepäck hauptsächlich aus Wodkaflaschen besteht... lieber doch nicht! Und Svenni ist ja wirklich ein Süßer, wenn er mal die Klappe hält. Gestern hat er richtig gelächelt!“
Ich wischte Staub und äußerte meine Bewunderung für das kluge Kind.
Karen interessierte sich auch für mein Dissertationsthema und steuerte einige recht gute Ideen dazu bei, außerdem kannte sie jemanden im Städtischen Museum, der mir möglicherweise weiterhelfen konnte, und schrieb mir Namen und Nummer auf. Zwei sehr ergiebige Stunden, fand ich, als ich Staubtücher, Wischlappen, Staubsauger und Wischmopp wieder aufgeräumt hatte. Und jetzt zu diesem mürrischen Kerl im Helenenweg!
Dieses Mal wurde mir schon etwas schneller geöffnet, und die Grimasse, mit der ich begrüßt wurde, konnte man zwar eigentlich nicht als Lächeln bezeichnen, aber sie schien mir doch eine Geste des guten Willens zu sein.
Ich lächelte zurück, trat ein und warf einen Kontrollblick in die Runde: Der Flur war zwar unordentlich, aber nicht wieder so verdreckt wie beim letzten Mal. Vielleicht brauchten Staubmäuse ja länger als drei Tage, um zu voller Schönheit aufzublühen! „Was soll ich denn heute gründlich machen?“, erkundigte ich mich in streng professionellem Ton und versuchte, nicht so zu schauen, als würde ich vorschlagen, beim Hausherrn anzufangen. „Wohnzimmer“, war die Antwort. „Und danach ein bisschen Bäder und Küche.“
„Gerne.“ Ich holte mir sämtliches Putzzeug aus der Küche und schleifte es ins Wohnzimmer, wo es noch seltsamer aussah als beim letzten Mal.
Die eichene Schrankwand (war die obendrein noch grün gebeizt? Sie wirkte irgendwie angeschimmelt) war noch schmaler geworden, so dass zwischen ihr und dem abgearbeiteten Billy ein Stück Tapete sichtbar wurde, seltsamerweise nicht dieses grau-rot-grüne Zickzackmuster, bei dem einem schlecht werden konnte, sondern Biedermeiersträußchen auf Himmelblau. Vielleicht für ein Kinderzimmer ganz nett, aber hier?
Das ging mich nichts an. Ich säuberte den Kamin, der tatsächlich benutzt zu werden schien, jedenfalls lag viel Asche darin, schichtete danach neues Holz und Papier so hinein, dass man nur noch ein Streichholz daran halten musste (von Papa gelernt), putzte den Kaminsims aus schwarzem Marmor, wischte überall Staub, saugte die Sofas gründlich ab, verbrauchte mehrere Glasklartücher, bis die Fenster wieder durchsichtig und einigermaßen streifenfrei waren, saugte den Kachelboden und wischte ihn danach feucht auf und öffnete die Terrassentür, damit der Putzmittelduft und die Feuchtigkeit auf dem Boden abziehen konnte.
Eigentlich war das ein tolles Zimmer, aber dieses Gerümpellager darin!
Im angrenzenden Esszimmer war nicht viel zu tun – Tisch polieren, Fenster putzen, Boden saugen und wischen. Vor dort aus kam man auch in die Küche. Eine Küche mit drei Türen hatte ich auch noch nie gesehen.
So schlimm wie beim letzten Mal sah die Küche nicht aus: Wenn ich abspülte und die Arbeitsflächen und den Boden wischte, war alles okay. Also saugte ich auch noch schnell den Flur durch, wischte ihn flüchtig auf und kontrollierte das offenbar völlig unbenutzte Gästeklo – letztes Mal hatte ich das erste Blatt Klopapier geknickt, das hatte ich mal in einem Krimi über eine Putzfrau gelesen, und der Knick war immer noch da. In diesem Krimi hatte auch gestanden, dass man, wenn man Teppichboden saugte, am Ende sein Monogramm hineinsaugen musste, aber das war mir dann doch zu blöde. Ich stellte das Körbchen mit dem Putzkram auf eine Treppenstufe und klopfte an der Arbeitszimmertür. „Ja!“, ertönte es unwirsch von drinnen.
Ich öffnete vorsichtig die Tür. „Unten wäre ich fertig – soll ich etwas einkaufen oder oben weitermachen? Oder haben Sie noch andere Aufträge?“
Er saß vor einem völlig zugemüllten Schreibtisch, ein Wunder, dass er seinen Laptop überhaupt noch fand. „Wie würden Sie Olive and Dove übersetzen? – Ach, lassen Sie nur.“
„Ölzweig und Taube. Ist das nicht dieser Pub in Kingsmarkham? Ich könnte auch das Altpapier zum Container bringen, wenn Sie wollen.“ Beziehungsreich sah ich mich um und ließ meinen Blick dann auf den zerknüllten Zetteln ruhen, mit denen er den Papierkorb absolut nicht getroffen hatte.
„Kingsmarkham? Sie lesen Ruth Rendell? Und wie kommen Sie auf Ölzweig?“
„Olive und Taube gibt keinen Sinn. Aber die Taube mit dem Ölzweig kommt doch in der Bibel vor, bei der Arche Noah, oder? Und Ruth Rendell mag ich sehr.“
„Gut erklärt. Tja... also, Altpapier nicht, vielleicht kann ich davon doch noch was brauchen, das war nur der Ärger. Würden Sie auch waschen?“
„Klar, wenn Sie mir sagen, was und wo die Maschine steht?“
„Ist alles im Keller, auch die Wäsche. Und Sie könnten auch noch was einkaufen, wenn Sie das zeitlich hinkriegen.“ Er schaute auf seine Armbanduhr. „Erst zwanzig nach sechs? Sie arbeiten flott. Hier, das bräuchte ich. Und das ist für den Sprit!“ Er lehnte sich nach hinten, fischte etwas aus seiner Hosentasche und drückte mir zwei Euro in die Hand. „Für letztes Mal und heute!“
„Danke, das ist ein fairer Betrag!“ Ich steckte das Geld ein. „Kann man die Maschine alleine lassen, wenn sie läuft?“
„Klar, der Keller hat doch einen Gully.“
Er wandte sich wieder seinem Laptop zu und klickte den Bildschirmschoner weg, der sich eingeschaltet hatte. Mit einem letzten Blick stellte ich fest, dass die Word-Seite total leer war. Dem fiel wohl nichts ein?
Im Keller fand ich einen großen Korb voller Sweatshirts, Shorts, Socken, Bettwäsche und Handtüchern. Ich sortierte eine Maschine voll aus, gab Pulver dazu und startete die Maschine, dann fuhr ich einkaufen.
Fertiggerichte, Zigarillos, Druckerpapier, Kaffee – Himmel, konnte er das nicht so sortieren, dass ich in jeden Laden nur einmal musste? Ach was, ich hätte mir die Liste eben vorher richtig durchlesen sollen! Disketten, Schnellhefter, zwei Rotstifte – was wollte er denn korrigieren, wenn er nichts schrieb? Und vorhin, sollte das nur ein Test sein, wie doof seine neue Putze war? Den hatte ich dann wenigstens bestanden. Ich kaufte alles ein, schleppte die Beute in die Küche und verräumte es, dann klopfte ich wieder an der Arbeitszimmertür und überreichte meinem Arbeitgeber die Schreibwaren. „Legen Sie´s irgendwo hin“, brummte er und starrte weiter auf den Bildschirm, auf dem immer noch nichts stand – außer einer großen Eins, mindestens in vierzig Punkt.
Ich verzog mich wieder in den Keller, hängte die Wäsche ordentlich auf, nachdem ich vorsichtshalber die feuerroten Leinen abgewischt hatte, und füllte die Maschine neu. Was jetzt? Wenn ich ihn noch einmal störte, platzte er wahrscheinlich. Also kontrollierte ich das Erdgeschoss noch einmal und schleifte mein Equipment dann nach oben. Ein sauberes Bad konnte seine Laune nur heben! Viel war nicht zu tun, offenbar war er kein Stehpinkler oder einigermaßen treffsicher, und er spritzte auch keine Zahnpasta an den Spiegel. Vielleicht wusch er sich auch überhaupt nicht und pinkelte aus dem Fenster...
Die Wäsche allerdings war nicht pennerhaft gewesen, und in der Dusche stand eine offene und noch ziemlich nasse Flasche Duschgel, die Sorte, mit der man auch schuppige Haare waschen konnte. Ich schraubte sie zu und putzte Dusche, Waschbecken und Toilette, dann hängte ich frische Handtücher auf, saugte kurz durch das Schlafzimmer und den Flur, machte das Bett, lüftete alles und trug Handtücher, Staubsauger und Putzkörbchen wieder nach unten.
Was nun? Den Müll raustragen... Viel war es nicht. Dieses Haus hätte ich mir arbeitsintensiver vorgestellt, aber ich wollte nicht, dass er das merkte, sonst kürzte er bloß die Stunden und ich musste noch einen weiteren Kunden suchen. So trödelte ich im Keller herum, nachdem ich den Putzkram sorgfältig verräumt hatte, arrangierte die Wäsche schöner, hängte schließlich die zweite Ladung auf, stellte Waschpulver und Klammerkörbchen gerade hin, wischte den großen Arbeitstisch feucht ab und mit einem herumstehenden Mopp den Boden feucht auf und war dann endlich zufrieden, vor allem, weil ich auch ein Bügelbrett entdeckte. Am Dienstag konnte ich bügeln und damit einige Zeit vertun.
Ich trug den Wäschekorb wieder ins Schlafzimmer, kontrollierte alles – nichts mehr zu tun – und klopfte schließlich resigniert an der Arbeitszimmertür. Erst zehn vor acht! „Ich wäre jetzt fertig. Möchten Sie gucken?“
„Ich glaub´s Ihnen schon. Wo muss ich unterschreiben?“
Ich reichte ihm meine Stundenliste für JobTime und sah mich gierig im Arbeitszimmer um, während er fluchend nach einem funktionierenden Stift suchte. Hier müsste man mal gründlich... Ein gefundenes Fressen für jede Putzfrau! Offenbar hatte ich meine wahre Berufung gefunden, in mir schien die Seele einer Putzfrau zu stecken.
„Und wie finden Sie das Haus jetzt?“
Verdammt, was für eine peinliche Frage! „Das Haus ist recht schön“, antwortete ich vorsichtig. Man konnte doch den Kunden nicht sagen, dass sie grauenvoll eingerichtet waren! Außerdem war meine Winzwohnung so schön nun auch wieder nicht. „Das Haus – und die Einrichtung?“
„Äh – ja, der Grundriss ist sehr elegant... und – naja.“ Ich verstummte kläglich.
„Also, das Haus ist in Ordnung. Und die Einrichtung?“ Grinste der womöglich, weil ich mich hier zum Affen machte?
„Nun... sie wirkt nicht ganz einheitlich“, flüchtete ich mich in einen Punkt, der mir harmlos erschien. „Ich meine, diese Schrankwand – und daneben das Billy... und die drei Sofas sind alle unterschiedlich...“
„Die Schrankwand baue ich gerade ab, weil sie so abscheulich ist. Beruhigt?“
Ich atmete erleichtert aus. „Ehrlich gesagt, schon. Sie hat so einen schimmelfarbenen Ton.“
„Genau. Wissen Sie, wie man die Prilblumen loswird?“
„Oh, das ist schwierig... die kleben verdammt gut. Soll ich nächstes Mal Etikettenlöser mitbringen und es probieren?“
„Das wäre nett.“
„Und die Wäsche kann ich am Dienstag auch bügeln“, fügte ich eifrig hinzu, damit er ja nicht dachte, ich sei hier unterbeschäftigt.
„Machen Sie das. Dann bis zum Dienstag.“
„Bis Dienstag. Auf Wiedersehen." Ich verließ das Zimmer und sammelte draußen meine Sachen ein. Als ich schon fast am Gartentor war, hörte ich seine Stimme. „Anne?“
Ich fuhr herum. „Ja? Hab ich etwas vergessen?“
„Nein. Schönes Wochenende!“
„Danke, Ihnen auch.“
Wochenende, herrlich! Nichts zu putzen (obwohl mir das mittlerweile richtig Spaß machte), kein Heiner – aber ich sollte mal meine Eltern besuchen. Die wussten ja noch nicht einmal, dass ich den tollen Job erst im April kriegen würde. Jetzt war aber erst einmal Freitagabend, und ich hatte in dieser Woche eine Menge geschafft, fand ich – vor allem war ich diesen unsäglichen Schmarotzer Heiner losgeworden.
Nein, doch noch nicht ganz. Er saß schon wieder auf der Treppe, als ich nach Hause kam, mit einer Alditüte in der Hand. „Du hast also durchaus noch Geld“, stellte er anklagend fest.
Dann zog er ein Gesicht, als sei ihm gerade erst eingefallen, dass dies nicht die beste Taktik war. Ich überlegte, ob ich ihm die Einkaufstüte überziehen sollte – es waren auch sehr zweckdienliche Konservendosen darin. Ach nein, dann musste ich bloß die Leiche nach unten zerren und in einen der Müllcontainer – nein, erstens würden ihn alle wiedererkennen, und zweitens kam die Müllabfuhr hier erst montags, wahrscheinlich waren die Container schon voll.
„Du meinst, solange ich noch nicht ganz verhungert bin, wäre ich verpflichtet, das Geld lieber dir in den Rachen zu werfen? Das sehe ich nicht ganz so, und jetzt hau endlich ab – und bleib auch weg, Mensch!“
„Nicht ganz verhungert? Du siehst überhaupt nicht verhungert aus“, kommentierte er boshaft. „Von hinten schon dreimal nicht.“ Das überging ich vornehm und kramte meinen Schlüssel aus der Hosentasche.
„Kann ich mit reinkommen?“
„Um mir meine Einkäufe wegzufuttern, mich weiter zu beleidigen und die Wohnung in Unordnung zu bringen? Vielleicht möchtest du auch noch etwas ausleihen und nie zurückbringen – meinen Laptop, mein Schreibpapier, meine Stifte? Nein, du bleibst draußen.“
„Warum tust du so, als hätte ich dich ausgenutzt?“ Oh, dieser unschuldige Blick, wirklich niedlich! Aber völlig nutzlos.
„Weil es so war. Heiner, du findest sicher schnell eine andere, auf deren Kosten du leben kannst, du siehst doch gar nicht so schlecht aus. Mach dich auf die Suche und lass mich endlich in Ruhe.“
„Ach ja? Stimmt, besser als du sehe ich auf jeden Fall aus. Ich glaube, du wirst immer fetter. Wie machst du das, wenn du dir angeblich kein Essen leisten kannst? Lässt du dich auf deinen Putzstellen füttern?“
„Hau ab.“
„Mach ich“, verkündete er sofort, stand aber nicht einmal auf. „Ich hab im Handumdrehen eine andere, bessere. Dir wird das Ganze noch übel leid tun – oder glaubst du, du findest noch mal jemanden wie mich?“
„Hoffentlich nicht“, kommentierte ich. „Einer war anstrengend genug.“
„Dann bleib doch in deiner Bedeutungslosigkeit und hol dir nachts selber einen runter.“
„So nötig hab ich´s nicht, und von deiner Prominenz ist mir bis jetzt noch nicht gerade viel aufgefallen.“
„Das liegt daran, dass du von Kultur so viel verstehst wie James Cameron von guten Filmen, nämlich überhaupt nichts. Ich sollte mich vielleicht mal an die Museumsverwaltung wenden... wieso die sich so eine unfähige Kuh wie dich ausgesucht haben? Vielleicht kann man da noch was machen...“
„Tu das nur“, fauchte ich, „aber vergiss nicht, ich kenne auch Leute bei City News, und ich muss nicht den Dienstweg einhalten.“ Er wurde blass. „Das würdest du nicht tun!“
„Warum nicht? Du hast mir doch gerade das Gleiche angedroht! Eine Hand wäscht die andere...“
„Aber ich bin bei City News der einzige, der wirklich etwas von Kultur versteht! Ohne mich können die doch einpacken. Aber du bist doch wirklich zu blöde für deinen Job. Du taugst doch nur fürs Putzen und fürs Bumsen – obwohl, so toll warst du im Bett auch nicht.“
Auch dieses Spiel konnte man zu zweit spielen, sobald ich die Tür auf hatte. „Das kannst du doch gar nicht beurteilen, mit so einem kleinen Schwanz wie deinem.“ Ich schoss in die Wohnung und knallte die Tür zu, dann schloss ich zweimal ab und legte die Kette vor. Heiner hämmerte noch etwas an die Tür und brüllte: „Blöde Schlampe, so was wie mich findest du nie wieder, du bist doch für alles zu blöd!“
Ich antwortete nicht mehr, sondern drehte die Musik so laut auf, dass ich seine weiteren Tiraden nicht mehr hören konnte. Auf jeden Fall sollte ich Alex Dietersheimer anrufen und ihm tratschen, dass Heiner der einzig wahre Kulturredakteur war – der würde sich schön ärgern und Heiner hoffentlich aus dem Blatt mobben! Dieses eingebildete Arschloch! Das war doch wirklich unglaublich! Ich zitterte vor Wut, während ich meine Einkäufe – billigstes Dosenfutter, und er tat so, als würde ich mich mit den edelsten Speisen mästen und ihn hungern lassen! – verräumte. Dieser elende Hund, jetzt hatte er mir den gemütlichen Abend versaut... Zwar konnte er bei der Museumsverwaltung wahrscheinlich weniger erreichen als ich bei City News, aber dieses rattenmäßige Verhalten – was hatte ich denn da für einen Kerl in meiner Umgebung geduldet? Fast zwei Jahre lang? Ich verstand ja wohl auch nichts von Männern!
Ich konnte lediglich für eins dankbar sein – er war draußen und ich war drinnen, und die Türen waren ziemlich massiv. Außerdem würde Heiner sie nie einschlagen, dabei könnte er sich ja seine kostbare Schreibhand verletzen oder sich Gott behüte einen Spreißel einziehen.
Immer noch wütend wärmte ich mir gebackene Bohnen auf und aß dann ohne großen Appetit. Seine bösen Worte waren zwar sicher nur gesagt worden, weil er meine Schwachstellen kannte, aber sie nagten doch an mir. War ich zu fett? Hatte ich in den letzten Tagen derartig zugenommen? Meine dunklen Jeans (etwas anderes konnte man bei den Oberschenkeln nicht tragen) kniffen aber nicht mehr als sonst, fand ich. Mittendrin ließ ich die Gabel sinken und stellte mich im Bad auf die Waage. Siebzig Kilo bei einsachtundsiebzig... das war eher ein Kilo weniger als sonst! Eigentlich logisch, durch die Putzerei bewegte ich mich ja auch mehr als sonst. Vielleicht wurde ich noch schlank?