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Zwei

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Berauschend war die Auswahl bei JobTime am nächsten Morgen nicht, und ich musste mir energische ins Gedächtnis rufen, dass ich, als ich ein Jahr vor dem Examen zum letzten Mal dort einen Job gesucht hatte, eine wirtschaftlich deutlich bessere Lage erwischt hatte. Niemand war länger krank, niemand war schwanger und musste vertreten werden - oder die Jobs wurden einfach eingespart.

Konnte man ja verstehen, aber für mich war das der letzte Mist. Ein Angebot gab es, das akzeptabel klang, drei Monate lang vom Band tippen, im Niederbayerischen, aber als der Sachbearbeiter auf meinen Wunsch nachfragte, warum die bisherige Kraft ausgefallen war, erhielt er so unklare Antworten, dass mir die Sache ziemlich suspekt war – entweder grassierte dort eine Seuche, über die sie nicht reden durften, oder der Chef hatte meine Vorgängerin massiv belästigt. Oder... jedenfalls wollte ich den Job nicht, da hätte ich ja fast schon umziehen müssen. „Tja, dann haben wir bloß noch putzen“, betrachtete er ratlos die Karteikarten in seiner Hand. „Mal sehen, ob im Internet etwas Besseres hereingekommen ist...“ Er drehte sich um und bewegte seine Maus, dann klickte er eine Zeitlang herum. „Briefe sortieren im Zentralpostamt, täglich von zwei bis fünf Uhr...“

„Nachmittags?“

„Nachts natürlich. Sieben Euro die Stunde brutto.“ Das waren netto vier – und dafür meinen Schlafrhythmus ruinieren? So nötig hatte ich es auch wieder nicht. „Und Putzen natürlich, jede Menge Angebote.“ Ja, das konnte ich mir denken. Wenn ich Geld hätte, würde ich auch putzen lassen! „Das muss ich mir noch überlegen“, zögerte ich. Putzen, das war stinkendes Wasser, der Dreck fremder Leute, Gummihandschuhe oder raue Finger – und schlechte Bezahlung. „Fünfzehn Euro netto die Stunde“, lockte der Sachbearbeiter.

Hm... nicht übel. Wenn ich zehn Stunden in der Woche putzen würde... mit hundertfünfzig Euro käme ich – nicht weit, Mist. Zwanzig Stunden, dann würde es auch für die Miete reichen. Natürlich, wenn Heiner endlich mal etwas Geld abdrücken würde...

Ich entschloss mich. „Okay, zeigen Sie mir mal die Angebote!“

„Da hätten wir eine Frau von Jessmer. Alte Dame, große Wohnung, viele Antiquitäten. Einmal die Woche vier Stunden, vorzugsweise donnerstags. Am Waldburgplatz. Dann ein Ehepaar mit Baby, Korff/Brandes, in der Tizianstraße. Zweimal wöchentlich zwei Stunden nachmittags. Pflegeleichte Wohnung – wird behauptet, Sie müssten sich das eben mal ansehen. Und Schillmeier in Henting, großes Haus, vier Kinder, dreimal die Woche nachmittags.“

„Dann sind die Kinder ja auch da und schmeißen mir den Putzeimer um“, kommentierte ich mäßig begeistert.

„Tja... passen Sie auf, ich gebe Ihnen die Telefonnummern. Rufen Sie an und machen Sie was aus, dann regele ich das für Sie.“ Besser als nichts!

Zu Hause rief ich bei Jessmer und Korff/Brandes an. Jessmer klang zickig und zittrig, nach sehr alter Dame, aber hoch erfreut, dass sich die deutsche Jugend anscheinend doch noch nicht restlos zu schade war für ehrliche Arbeit. Bei Korff/Brandes ertönte schrilles Babygeschrei und die Frauenstimme am Telefon klang etwas müde.

Ich vereinbarte sofort Vorstellungstermine und marschierte am Nachmittag los. Was Heiner wohl sagen würde? Da war ich ehrlich gespannt: Seine ästhetischen Ansprüche mussten aufs Tiefste verletzt werden, wenn seine Freundin als Putzfrau arbeitete, aber in puncto Konsumdenken und verwöhnter Wohlstandsgesellschaft musste er voll hinter mir stehen, wenn ich mich in proletarische Niederungen begab. Das war doch echte Arbeit – allerdings dürfte ich es sicher niemandem erzählen!

Korff/Brandes kam zuerst dran. Eine schöne Wohnung, aber über zwei Etagen. Ich überlegte sofort, dass man da dauernd den Staubsauger die Wendeltreppe rauf und runter schleifen musste. „Das waren mal zwei Wohnungen“, erklärte Frau Korff, die mir, einen ganz winzigen Säugling an der Schulter, von Zimmer zu Zimmer folgte, „also haben wir auch in jeder Etage einen Staubsauger. Sie müssten halt alles abstauben und saugen, ab und zu das Parkett einlassen, so einmal im Vierteljahr, naja, und die Bäder eben und die Küche. Fenster nach Bedarf.“

„Ich mache das nur vorübergehend“, verwahrte ich mich sofort gegen die Parkettpflege, „zum ersten April kriege ich einen richtigen Job.“

„Was denn?“ Ich erzählte von der Museenverwaltung und wir stellten fest, dass wir beide die gleichen Vorlesungen in Kunstgeschichte gehört hatten. Damit waren wir im Handumdrehen per du, und Karen war von meinem ulkigen Studiengang sehr beeindruckt. „Da kommt man sich als popliger Lehrer ganz ordinär vor. Wie nennt sich das?“

„Kulturfachwirtin. Das gibt es so nur hier an der Uni. In Passau gibt´s was Ähnliches, ich glaube, da heißt es Kulturmanagement.“

Wir vereinbarten Montag und Freitag von zwei bis vier. „Dann kann Jens mit dem Kleinen spazieren gehen, der brüllt sich sonst die Seele aus dem Leib, wenn hier ein Staubsauger läuft.“

„Wie alt ist er denn?“, fragte ich und fuhr mit einem vorsichtigen Finger über die kleine krebsrote Wange. So weich... „Drei Wochen. Das Brüllen lässt hoffentlich bald etwas nach, er hat eben Blähungen, der arme Zwerg. Gell, Svenni, du bist ein ganz, ganz Armer?“ Das Baby sah sie konsterniert an und verstummte für einen Moment, dann legte es mit unverminderter Kraft wieder los. Ich verabschiedete mich hastig und trabte zum Waldburgplatz.

Frau von Jessmer war ungefähr einen Meter fünfzig groß und mager wie ein altes zähes Hühnchen. Aber energisch war sie, das musste man ihr lassen, sie schleifte mich sofort durch eine reichlich vollgestopfte Vierzimmerwohnung mit altmodischem Mobiliar. Angesichts der üppigen Schnitzereien befürchtete ich schon das Schlimmste, was das Staubwischen betraf, aber sie zeigte mir triumphierend einen Staubwedel, wie ihn Zimmermädchen in Boulevardkomödien benutzten. So was hatte ich schon mal im Fernsehen gesehen. Wahrscheinlich, als Heiner gerade nicht da war, er wäre empört gewesen und hätte sofort auf irgendeinen authentischen mongolischen Erstlingsfilm mit Wackelkamera umgeschaltet und dann nie zugegeben, dass er auch nichts verstanden hatte.

Immerhin gab es hier reichlich Perserteppiche, die sich leichter pflegten als Parkett, ein altmodisches, aber blitzsauberes Bad und eine große, altertümliche Küche. Ich sah mich anerkennend um. „Das ist aber eine schöne Wohnung!“

„Nicht? Alles so, wie es war, als mein seliger Mann noch lebte. Nicht dieser moderne, seelenlose Plastikkram. Aber keine Sorge, Sie müssen die Teppiche nicht klopfen, nur saugen. Ich habe nämlich einen Staubsauger.“

Oh ja. Der Staubsauger war fast so alt wie sie, der hatte sicher schon im Zweiten Weltkrieg gute Dienste geleistet. Den Staubbeutel aus Stoff musste man im Müllhäuschen ausleeren und ihn dann waschen, bevor man weiter putzen konnte. Hier gab es auch richtige Staubtücher, nicht diesen neumodischen antistatischen Kram, wie mir eifrig versichert wurde. Und für Marmor war Bohnerwachs immer noch das Beste! Ich schluckte, dachte an die sechzig Euro jede Woche und sagte zu – ab nächstem Donnerstag hätte ich hier einmal in der Woche von eins bis fünf zu tun. Um fünf kamen dann Frau von Jessmers Freundinnen zum Tee, und bis dahin musste die Wohnung blinken und blitzen.

Na toll – worauf hatte ich mich da denn eingelassen? Die Schillmeiers schenkte ich mir, Henting und vier Kinder, das war wirklich zu hart.

Ich fuhr nach Hause und rief bei JobTime an. Dass ich zwei Kunden gewonnen hatte, wurde beifällig vermerkt, ab nächster Woche würden dann jede Woche hundertzwanzig Euro auf meinem Konto eintrudeln. Das reichte knapp für die Fixkosten. Wenn ich etwas essen, Waschpulver kaufen oder tanken wollte, musste ich mehr arbeiten. Aber erst sollte ich feststellen, ob ich das überhaupt konnte – vielleicht putzte ich Karen oder Frau Jessmer ja zu schlampig oder brauchte zu lange?

„Na, hast du jetzt einen Job?“, fragte Heiner, der mit dem Kulturteil der Süddeutschen auf dem ungemachten Bett lag. „Ja, aber nichts Tolles. Bis jetzt sind es nur acht Stunden in der Woche. Putzen.“

Die Zeitung glitt zu Boden. „Putzen??“

„Ja, putzen. Es gab nichts anderes. Mensch, Heiner, wir haben eine Wirtschaftskrise, da bringen die Sekretärinnen die Ablage selbst in Ordnung, um unentbehrlich zu wirken!“

„Putzen... Meine Freundin ist eine Putzfrau... Bei wem?“

„Bei einer alten Dame und bei einem Lehrerehepaar.“

„Lehrerehepaar... Gott, wie bürgerlich. Und die alte Dame? Ist die wenigstens schräg drauf? So was wie Lotti Huber?“

„Wer ist Lotti Huber? Nein, dass ist eine ganz feine und ziemlich altmodische kleine Person. Schräg drauf ist da nur der Staubsauger, eine echte Antiquität.“

„Du kennst Lotti Huber nicht?“ Entsetzen klang aus seiner Stimme.

„Nein.“ Desinteressiert wühlte ich im Schrank herum. Was sollte ich zum Putzen anziehen? Alte Jeans und ein Sweatshirt, am besten. Schürze? Hatte ich nicht. Und Putzkittel – das ging wirklich zu weit.

Heiner erklärte mir nicht, warum ihm Lotti Huber so am Herzen lag, sondern kehrte seufzend zu seiner Zeitung zurück. „Was gibt´s denn zu essen?“

„Nichts, ich bin pleite. Ich esse das letzte Knäckebrot. Geld krieg ich erst nächste Woche, und du hast mir keinen Cent gegeben.“

Heiner grinste. „Welches Knäckebrot?“

„Hast du mir das etwa weggefressen?“

„Ich hatte Hunger, und etwas anderes war nicht da. Komm, Schätzelchen, ist doch egal. Wenn du ein paar Tage weniger isst, schadet das auch nichts.“

„Ach ja?“, fuhr ich auf. „Wie meinst du das, bitte?“

„Na, du jammerst doch immer herum, dass deine Oberschenkel zu dick sind, oder?“

„Sind sie wirklich zu dick?“ Ich musterte mich kritisch im Spiegel.

„Ach, lass doch. Gut, weiße Jeans solltest du lieber nicht tragen, aber diese schwarzen kaschieren ja ziemlich.“ Blöder Hund, aber leider hatte er Recht. Der Rest meiner Figur ging einigermaßen, wenn ich auch eigentlich nicht wirklich schlank war. Zweiundsiebzig Kilo auf einen Meter achtundsiebzig, das war zwar ein Body Mass Index von 22,7, also ziemlich okay, aber mein Idealgewicht lag doch bei sechs bis acht Kilo weniger, wenigstens, wenn man den einschlägigen Frauenzeitschriften glauben wollte.

Aber diese Oberschenkel! Gut, die Taille war auch nicht gerade die von Scarlett O´Hara, aber die Oberschenkel! Wenn ich gerade dastand, dann gingen sie richtig etwas nach außen, anstatt die Hüftlinie fortzusetzen. Sie schwabbelten zwar nicht, aber sie waren eindeutig zu dick. Wo hatte ich denn das Maßband? Heiner hatte nach seinem Tiefschlag wieder das Interesse verloren und sich den Theaterkritiken zugewandt, wie man seinem entrüsteten Schnauben und den halblauten Kommentaren über die Ahnungslosigkeit seiner Kollegen entnehmen konnte. In Jeansstoff hatte ich sechzig Zentimeter Oberschenkelumfang. Durfte ich für den dicken Stoff wohl einen Zentimeter abziehen, oder hielt der die Massen bloß fester zusammen? Ich sollte dringend Gymnastik für die Beine machen. Und für die Taille. Und für feste Oberarme. Und einen straffen Busen. Und einen knackigen Po. Und elegante Hüften. Ich sollte mir einen neuen Körper kaufen, das wäre einfacher. Nur wovon?

Hunger hatte ich trotzdem, immerhin hatte ich ja heute schon etwas geleistet. Im Küchenregal fand ich noch ein Glas sauer eingelegten Blumenkohl; ich öffnete es, goss die Essiglake ab und futterte die Röschen direkt aus dem Glas. Heiner sah missmutig auf. „Du traust dich was!“

„Wieso? Die können praktisch keine Kalorien haben.“

„Nein, aber was, wenn du die ganze Nacht furzen musst?“

„Muss ich nicht. Außerdem musst du gerade reden!“

„Man soll so was nicht unterdrücken, das ist ungesund.“

„Doch, wenn direkt daneben jemand einen Rest Sauerstoff zum Schlafen braucht, sollte man so was schon unterdrücken. Außerdem – was soll das eigentlich heißen? Du darfst, wegen deiner Gesundheit, und ich darf nicht?“

„Bei Frauen ist so was unästhetisch.“

„Blödmann.“

„Tolles Argument.“

Ich drehte mich um und aß den Blumenkohl auf. Gelegentlich hatte ich schon Sättigenderes gegessen, musste ich zugeben, aber jetzt waren wirklich nur noch Gewürze im Haus. Unauffällig zählte ich mein Geld und lief dann doch noch schnell zum Aldi an der Ecke. Neues Knäckebrot, ein paar Konserven, die sogar für Aldi-Verhältnisse billig waren, zwei Gläser Senfgurken. Trinken konnten wir Wasser. Na gut, die Kaffee-Hausmarke, dafür würde es wohl gerade noch reichen.

Wie konnte ich aus Heiner Geld herauspressen? Oder sollte ich ihn rauswerfen? Dann konnte ich meine sauer verdienten Kröten wenigstens alleine verfuttern. Und weniger Sprit brauchte ich dann auch. Aber er war doch niedlich. Und nachts so ganz alleine – das war auch nichts. Ach, Blödsinn. Heiner schlief auch nur mit mir, wenn er von der Geldfrage ablenken oder mich nach einem Krach besänftigen wollte. Hatte ich das eigentlich nötig?

Jetzt wollte ich aber nicht darüber nachdenken! Zur Not gab es zu essen, und ich sollte mein Hirn lieber dafür benutzen, gut organisiert zu putzen und aus dem alten Mahler mein Wunschthema herauszuholen. Wann hatte er eigentlich Sprechstunde? Ich trug meine magere Ausbeute nach Hause, verräumte sie und wühlte nach der Sprechstundenliste – heute, um fünf. Zehn vor war es, also gleich wieder weg. Heiner plärrte noch etwas hinter mir her, wahrscheinlich einen Fahrauftrag, aber das überhörte ich unauffällig.

Bei Mahler saß schon eine lange Reihe auf dem Armesünderbänkchen vor der Tür und auf dem schmutzigen Linoleum unter dem Anschlagbrett.

Ich reihte mich in die Schlange ein, prägte mir ein, welche der angestaubten Gestalten auf dem Boden schon vor mir dagewesen waren, akzeptierte von einem zotteligen Kommilitonen eine Selbstgedrehte, verkniff mir den Hustenanfall, blödelte ein bisschen herum und horchte die anderen aus, ob sie einen anständigen Job wüssten. Putzen war doch eigentlich unter meiner Würde!

Nein, Zottel, der sich als Bernie vorstellte, hatte letzte Woche eine Kellerentrümpelung ergattert, ein bebrilltes Wesen namens Astrid prüfte Belege in einem Elektronikgroßhandel und jammerte, die Dinger seien mit einem so alten und schmierigen Nadeldrucker hergestellt, dass sie bald eine stärkere Brille bräuchte, ein ätherisches Wesen namens Sybille modelte gelegentlich. Klasse, alles nichts für mich. Zwei andere putzten auch und warnten mich nachdrücklich vor allein stehenden Herren, die es einem doch bloß über dem Putzeimer besorgen wollten.

„Kinder sind noch schlimmer“, behauptete eine andere daraufhin, „die schmeißen den Putzeimer um und machen alles wieder dreckig, und dann heißt es, du hättest nicht sorgfältig gearbeitet, und sie zahlen weniger.“

„Hast du schon mal Umfragen gemacht?“, meldete sich eine andere zu Wort. „Leute auf dem Markt anquatschen, was sie von irgendeinem dämlichen neuen Deo halten, das ihnen so scheißegal ist wie dir selbst? Wenn du siehst, wie sie alle schon Haken schlagen, um dir auszuweichen, kriegst du irgendwann echt die Krise.“

„Wird das wenigstens gut bezahlt?“

„Ach wo. Und wenn du die Fragebogen selbst ausfüllst, merken die das ziemlich schnell.“

„Ich gebe Nachhilfe“, verkündete einer, der schon so aussah, „das Geld ist okay, aber ich hätte nie gedacht, dass es so doofe Schüler gibt. Nach unten gibt´s da offenbar gar keine Grenze.“

Ein wirklich hübscher Kerl mit langen, dunklen Haaren (bei dem seidigen Schimmer musste er eine echt teure Kur verwendet haben – oder wirklich gute Gene besitzen) beklagte sich, er habe im Baumarkt im Lager gearbeitet. „Gut für den Muskelaufbau war´s schon, aber die haben echt geglaubt, nach ein paar Tagen müsste ich schon wissen, wo was steht – wer soll sich das alles denn merken?“

Betretenes Schweigen. „Was willst du denn von Mahler?", fragte die, die die Umfragen gemacht hatte, vorsichtig an.

„Mahler? Wieso Mahler? Ich warte auf die Priebeck!“

„Die Priebeck sitzt in 307“, merkte ich vorsichtig an. „Ja, ich weiß.“ Hübsche, kugelrunde blaue Augen. Und ein entzückender Mund...

„Hier ist 407.“

„Echt? Oh. Na, dann...“

Er rappelte sich auf und trabte in die Richtung davon, in der die Treppen nicht waren. Mit einem verlegenen Lächeln kam er einen Moment später wieder an uns vorbei. „Blind oder blöd?“, fragte die Umfragefrau halblaut.

„Eher blöd“, befürchtete ich. „warum sind schöne Männer immer beschränkt?“

„Na hör mal“, regte Bernie sich auf. „Von dir redet doch niemand“, beruhigte ich ihn. „Schon klar“, er grinste, „wirklich schöne Frauen haben aber meist auch nicht gerade viel zwischen den Ohren.“

„Echte Beauties kommen eben so durchs Leben, die lernen gar nicht erst, sich anzustrengen“, behauptete die Belegefrau. Wie alle albernen Vorurteile hatte auch das etwas für sich – wir verglichen die jeweils Schönsten in unseren früheren Schulklassen und stellten fest, dass ein hoher Anteil nicht gerade mit Intelligenz gesegnet war. Dass Mahler ab und an jemanden zu sich hereinbat, wirkte eher störend, aber wer fertig war, setzte sich wieder zu uns auf den Boden und zog genussvoll mit über Abwesende her. Mahler guckte schließlich ganz verzweifelt. „Wollen Sie alle noch zu mir? Es ist schon zehn vor sechs!“

„Wir waren doch schon“, wehrte die Umfragefrau ab, „wir unterhalten uns bloß noch.“

„Ich wollte noch zu Ihnen“, gab ich zu und rappelte mich mäßig elegant auf, „aber ich bin wohl die letzte.“

Er reichte mir erleichtert die Hand. „Frau Holler, nicht wahr?“

Klasse Leistung, er hatte mich erst vor drei Wochen im Mündlichen geprüft. Ich lächelte anerkennend, sagte aber lieber nichts zu seinem hervorragenden Namensgedächtnis, sonst fühlte er sich doch noch verscheißert.

„Nun, was kann ich für Sie tun?“

„Ich würde gerne über den ersten Städtischen Kunstverein promovieren“, fiel ich mit der Tür ins Haus. War ich so zielstrebig oder hatte ich bloß Angst, dass Heiner alle meine Vorräte vertilgte, wenn ich ihn zu lange alleine ließ?

Eher letzteres, befürchtete ich, aber wenigstens lächelte Mahler nachsichtig und zeigte seine graugelben Zähne. Die waren bestimmt noch echt, niemand würde für ein solches Gebiss auch noch Geld zahlen. Das gleiche galt für das schüttere grauschwarze Haar, das er in bewährter Manier quer über die Glatze gebürstet hatte. Dann doch lieber eine ehrliche Billardkugel!

„Ein heikles, aber reizvolles Thema“, kommentierte er vorsichtig.

„Also lief in der Umgebung der Frau von Strahleneck doch so einiges ab?“, erkundigte ich mich. „Oh ja, aber sind Sie sicher, dass Ihnen das Thema nicht zu – naja, sagen wir, zu anrüchig ist?“

„Echter Forscherdrang schreckt vor nichts zurück“, verkündete ich heldenhaft. Klatsch und Tratsch – und dafür noch akademischer Lorbeer: Was wollte ich denn mehr?

„Nun, wenn Sie meinen... Mittlerweile wird sich in der Stadt auch niemand mehr darüber empören... Sie sollten Ihr Augenmerk auch auf die Tagebücher von Lorenz Teisner richten... Und das Städtische Archiv, nicht wahr...“

Ich schrieb diese Tipps fleißig mit. An das Archiv hatte ich schon selbst gedacht, aber dass Teisner, der junge Bildhauer, der sich 1903 erschossen hatte, Tagebuch geführt hatte, war mir neu. Hoffentlich hatte er offen geschrieben!

„Ich werde das Thema für Sie reservieren. Sie berichten mir dann regelmäßig, nicht wahr. Einmal im Monat, denke ich. In der Sprechstunde, nicht wahr.“

„Aber sicher – und vielen Dank!“

Die angeregte Runde vor der Tür hatte sich zerstreut, ohne zu den Themen Schöne Menschen sind behämmert und Wo gibt es gute Jobs? die ultimativen Antworten gefunden zu haben. Auch egal, dann würde ich eben erst mal putzen. Schadete mir gar nichts. Basisarbeit, sozusagen. So könnte ich das Ganze wenigstens Heiner verkaufen. Heiner war nicht da, als ich nach Hause kam, aber er hatte eins der Gurkengläser geleert und die verbeulte Thermoskanne mitgenommen, also hatte er sich auch Kaffee gemacht. Lange Nacht in der Redaktion? Auch gut, dann war er erst einmal aus dem Weg.

Ich kramte einen eselsohrigen, aber leeren Pappschnellhefter aus meinem abgeschlossenen Schrankabteil, schmierte mit dickem Edding DISS darauf und legte ihn ins Regal, nachdem ich die Tipps und meine eigenen Ideen und Mutmaßungen auf einen Zettel gekritzelt und den eingeheftet hatte. Das zweite Gurkenglas und die Hälfte des Brots sperrte ich auch in meinen Schrank. Solange dieser Parasit meine Ration fraß, würde er nie zahlen! Dazu musste ihm erst mal ordentlich der Magen knurren.

Grundreinigung

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