Читать книгу Ledige Kinder - Elisabeth Uhlemann - Страница 12
Susanne 2009
ОглавлениеAuf meine Mutter ließ ich nichts kommen, ich liebte sie abgöttisch. Niemand sollte schlecht über sie reden oder denken. Alle in der Familie aber zogen über sie her, beschimpften sie, kaum, dass sie außer Sichtweite war. Tante Maria, Tante Hildegard und Onkel Alfons — das schwarze Schaf der Familie. Zu mir waren alle nett und mochten mich gern, Onkel Alfons sogar so gern, dass er mich an Stellen meines Körpers anfasste, die man als Onkel normalerweise nicht berührt. Ich fand das in erster Linie merkwürdig. Nachdem ich es eine Weile zugelassen hatte, weil ich es auch aufregend fand, brachte ich ihn dazu aufzuhören, denn ich wusste genau, dass man das nicht darf. Meine Mutter wäre außer sich gewesen, hätte sie davon erfahren. Ich weiß gar nicht, was sie mit ihm angestellt hätte. Das wollte ich nicht, denn schließlich war er es, dem ich so wichtige Fragen stellen konnte wie die, ob ich später einmal eine schöne Frau werden würde. Die Kinder auf der Straße beschimpften mich wegen meiner Schlitzaugen als ‚der Chinese’. Er beruhigte mich und prophezeite mir, dass sich meine Augen durch das Wachsen des Gesichtes zu normaler Größe entwickeln würden.
Die Menschen in meiner Umgebung waren ziemlich verroht, vielleicht hatte der Krieg seine Spuren hinterlassen … man war jedenfalls nicht zimperlich in unserer Familie. Auch meine Mutter neigte zur Grausamkeit. Ein Lieblingsspiel an langen, verregneten Sonntagnachmittagen, wenn man nicht aus dem Haus gehen konnte, war, Gedichte zu rezitieren. Vor einem ihrer Lieblingsgedichte fürchtete ich mich am meisten:
Wehe wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand.
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt der ungeheure Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Sie deklamierte das wie ein überkandidelter Schauspieler. Ihre Augen formten sich zu Kugeln, die herauszufallen drohten, das Schwarz ihrer Pupillen stand in erschreckendem Kontrast zum umgebenden Weiß des Augapfels, die Stimme war furchterregend. Ich schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, meine Grenzen waren weit überschritten, Angst trug den Sieg über die Lust davon. Weinend flehte ich um Gnade, aber es war Teil des Spiels, sie wurde nicht gewährt. Wenn die Angst übermächtig wurde und ich zu schluchzen begann, kippte das Spiel. “Schokolade, hier gibt es Schokolade“, hörte ich nach einiger Zeit in mein Ohr wispern, konnte mich aber nicht durchringen, sie so günstig davonkommen zu lassen. Ein wenig büßen musste sie schon. Also weinte ich lauter, um auf die seelische Grausamkeit aufmerksam zu machen, die mir widerfahren war. Allerdings durfte ich nicht übertreiben, denn ihre Wiedergutmachungsversuche konnten sich schnell in Ungeduld und Ärger verwandeln. Bestrafung meinerseits kam nicht infrage. Meine Macht, nötigenfalls unterstützt von der absoluten Autorität meines Großvaters, wurde gebrochen durch ihre Möglichkeiten, wie beispielsweise mich in die Drogerie zu schicken um Ibidum zu kaufen. Für mich war das Lateinisch, andere hörten: Ich bin dumm. Das Gelächter der Drogistinnen klingt mir heute noch im Ohr.
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
O ja, sie beherrschte die gesamte ‚Glocke’.