Читать книгу Ledige Kinder - Elisabeth Uhlemann - Страница 5
Erster Teil 1 Susanne Ende 1949
ОглавлениеDie Schlangen sind zart hellgrün auf cremefarbenem Grund. Ein leichter Glanz soll die Tapete elegant erscheinen lassen. Es gelingt mir nicht, die Schlangen zu zählen, weil es ein Endlosmuster ist, dennoch fange ich immer wieder von vorn an. Ein Auge zuhalten hilft auch nicht weiter. Wenn nur die Zeit schneller verginge, bis Mama endlich nach Hause kommt. Oma und sie hatten wieder Streit, deshalb kommt Oma mich nicht in die Stube holen. Warum werde ich bestraft, wenn sie mit Mama Streit hat? Natürlich sollte es mich gar nicht geben — niemand hat mich gewollt. Das habe ich schon verstanden, aber was kann man tun? Ich bin nun einmal da.
Das Zimmer mit dem Ehebett, in dem ich mit meiner Mutter schlafe, erscheint mir riesig. Gegenüber steht die Kommode mit dem dreiteiligen Spiegel, in dem man sich von allen Seiten sehen kann. Rechts davon ist die Tür zum Schlafzimmer von Oma und Opa, die aber immer verschlossen ist. Dahinter höre ich Oma husten und Opa manchmal schnarchen. Zum Fenster hin ist Platz für noch ein Zimmer. Da stehen zwei Sessel und ein kleiner Tisch. An einer Wand ist eine Liege, über die eine Decke gebreitet ist. Wenn Besuch kommt, darf der darauf schlafen. An der gegenüberliegenden Seite ist unser großer Kleiderschrank. Zwei Fenster öffnen sich zum Hinterhof hinaus. Eine Wäscheleine ist an unserem und am Nachbarhaus befestigt, da hängen wir unsere Wäsche auf, wenn nicht Frau Storz ihren Waschtag hat.
Wenn Mama da ist, ist alles gut. Allein ist mir so langweilig und ich kann nichts dagegen tun. Meine geröteten Augen fallen jetzt immer öfter zu, Tränen laufen über meine fiebrigen Wangen, der böse Husten hat mich erschöpft. Ich bin noch nicht einmal drei Jahre alt.
Ein ganzer Tag ist eine Ewigkeit, denn es gibt keine Ablenkung. Meine Liesel festhalten ist alles, was ich tun kann. Liesel ist meine Stoffpuppe, Lumpenliesel sagt Mama zu ihr, manchmal lege ich sie unter mein Gesicht. Sie ist ganz nass von meinen Tränen. Der Husten will nicht aufhören, der ganze Körper schmerzt, atmen fällt schwer. Ich weine in die Kissen, kann mich nicht mehr beruhigen. Ich weiß, dass ich ein böses Kind bin, denn der Streit war wieder meinetwegen. Ich habe das nicht gewollt, immer bin ich schuld, schuld, schuld. Die Verzweiflung wird unerträglich, der Hals schmerzt, schlucken geht kaum noch. Die grünen Schlangen auf der Tapete tanzen jetzt. Sie werden immer größer und lösen sich von der Wand ab. Ich versuche zu schreien, aber aus dem wunden Hals kommt kein Ton heraus und die Tür ist fest verschlossen. Schließlich schlafe ich vor Erschöpfung ein.