Читать книгу Now and then - Ella C. Schenk - Страница 7
ОглавлениеZerrissenheit.
Unfähig zu wissen, was tun.
Auf der Stelle stehen, weinen,
fluchen und am Schlimmsten, rastlos ruh´n.
Der Körper gereizt, bis aufs Letzte gespannt.
Ohne Klarheit und Vernunft, ins Verderben gerannt.
Joey
Die Musik wummerte laut durch die Wände. Der tiefe Bass ließ mein bereits nervöses Herz noch unregelmäßiger schlagen. Gleich war es soweit.
Ich zupfte noch einmal an meinen künstlichen, aufgeklebten Schnurrhaaren, bog sie noch etwas nach oben. In etwa so weit, wie mein Lächeln nach unserer Verkündung auf der Halloweenparty aussehen würde.
Jon und ich hatten beschlossen, es heute offiziell zu machen. Wir wollten keine Geheimnistuerei mehr. Lange hatten wir unsere Gefühle verborgen gehalten. Was schwer war. Richtig schwer. Doch es hatte so sein müssen. Sein Vater hätte uns keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen. Nicht, dass sein Goldjunge noch von seinem Einserdurchschnitt abgelenkt werden würde.
Ich schnaubte.
Dieser verdammte Narzisst von Anwalt. Es war mir schleierhaft, was Dad an seinem Firmenpartner fand. Langjährige Freundschaft hin oder her. Er wurde von Jahr zu Jahr unheimlicher.
Noami, meine Langhaarkatze, strich sich miauend an meinen schwarzen Leggings entlang und hinterließ Unmengen an weißen Haaren darauf. Ich seufzte und wollte sie schon vor die Zimmertür setzen, als mir eine Idee kam. Grinsend hob ich meine kleine Prinzessin hoch und kuschelte mit ihr. Ihr buschiger Schwanz schwang vor Freude über meine Oberschenkel und mein enges, schwarzes Shirt wurde von ihrer pummeligen Gestalt umhüllt. Erst als sie klagend aufmiaute, ließ ich sie wieder auf den Boden gleiten. Nicht jedoch, ohne ihr vorher noch einen fetten Schmatzer aufzudrücken. Keine Sekunde später begann mein Handy und die Türklingel gleichzeitig zu summen und ein Blick aufs Display verriet mir, wer wohl vor meiner Haustür auf mich warten würde.
Ich kraulte Noami noch kurz den Kopf, kontrollierte anschließend zufrieden mein Outfit und ging zur Haustür.
„Ich dachte, du gehst als Catwoman?“ Jons Augen blitzten belustigt unter seiner schwarzen Maske hervor.
„Ich bin Catwoman. Hallo?!“
„Du siehst eher aus wie eine Kopie von Noami.“
„Hey, werde nicht frech!“ Ich schlug ihm auf seine gepanzerte Schulter.
„Hey, selber! Aber keine Sorge, du siehst wundervoll aus.“
Ich merkte, wie ich leicht errötete. Gott sei Dank hatte ich eine Menge Puder auf meinen Wangen, da fiel es nicht so auf.
„Du wirst ja rot.“
Na toll.
„Ja und wenn schon. Ich bin deine fast offizielle Freundin. Ich darf bei dir rot werden.“
Das entlockte ihm ein kleines Lächeln.
„Ich kann es kaum erwarten, die Gesichter von Remy und Lizzy zu sehen, wenn sie von uns hören.“
„Das kannst du laut sagen, meine Liebe.“ Er umfasste mein Kinn mit seiner rechten Hand und gab mir einen zarten Kuss auf die Nasenspitze. „Wollen wir?“
„Und wie wir wollen. Ich hole nur noch schnell meinen Schlüssel. Warte kurz.“
Ich lehnte die Tür an und lief zum Wohnzimmertisch. Dort stand eine kleine Schüssel mit etlichem Zeug - so auch meinem Schlüssel. Ich angelte ihn unter ein paar Stiften und Bonbons hervor und wandte mich bereits wieder zur Tür, als mir erneut eine wunderbare Idee für den Abend kam. Ich griff nach einem schwarzen Marker und huschte zum Ausgang.
Als ich die Tür öffnete stand Jon kerzengerade aufgerichtet, mit schulterbreitem Stand, die Hände in die Hüften gestemmt vor mir.
„Batman wartet nicht. Also komm, Weib!“
Ich verdrehte die Augen, schloss ab und hockte mich hin. „Dein Weib will, dass du dich kurz zu ihr runter beugst. Ginge das?“
Er tat wie geheißen.
Ich schob die unzähligen Bambusse zur Seite, bis die fünf Namen sichtbar wurden. Danach bog ich mich noch weiter vor und malte zwischen Jons und meinem Namen ein kleines Herz.
„Du und deine romantische Ader. Ich hoffe, das halte ich ein Leben lang aus.“
Er nahm mir Stift und Schlüssel ab, legte beides gut versteckt in das grüne Gestrüpp und zog mich schnurstracks in die Höhe. Unsere Körper prallten aneinander, ließen für nichts anderes mehr Platz.
„Das will ich doch hoffen, Freundchen.“ Mit dem Zeigefinger fuhr ich seine Unterlippe entlang.
„Mach weiter so, und die Party wird ohne uns stattfinden.“
Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. „Ach, tatsächlich? Eine Party ohne den Gastgeber? Das geht doch nicht.“
Als er Anstalten machte, meinen Finger in den Mund zu nehmen, riss ich ihn weg und zwickte ihm dafür in die Seite.
„Süße, du bist unverbesserlich. Scheint, als müsste Batman dir heute Nacht mal die Leviten lesen.“
„Kann es kaum erwarten.“ Ich raunte ihm die Worte zu, was mir ein Knurren einbrachte.
„Los jetzt, sonst werfe ich dich wirklich noch über meine Schulter und bringe dich in meine Bathöhle.“
„Und das wollen wir doch nicht.“ Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und gab ihm einen hauchzarten Kuss.
„Jetzt! Los! Sofort!“
Jon nahm meine Hand und grinsend folgten wir dem Lärm hinunter in den ersten Stock. Auf der schmalen Treppe, die die Wohnhäuser verband, staute sich bereits der Geruch von schwitzenden Menschenmassen.
„Sag mal, wen hast du denn alles eingeladen?“
„Na, die Üblichen halt. Die Leute aus der Mannschaft, von der High School und noch ein paar neue Kumpels aus Oxford, die den Flug nur für meine legendäre Party auf sich genommen haben. Die muss ich dir übrigens unbedingt noch vorstellen!“
Ja, sofern man die in dieser Ansammlung jemals findet, dann bitte.
Wir quetschten uns anfänglich durch. Doch als die Gäste sahen, wer vorbei wollte, machten sie automatisch Platz. Es war wie in der High School. Kaum betrat der Co-Captain der Eishockeymannschaft den Raum, bekamen die meisten große Augen inklusive Sabbermünder und wichen zur Seite. Kein Scherz.
Ich kräuselte die Lippen, als wir an einer hüstelnden Mädelsschar vorbeigingen. In Momenten wie diesen konnte ich es kaum erwarten, Jon offiziell als meinen Freund zu betiteln. Wenigstens hätte ich dann eine Ausrede, wenn ich denen in Zukunft die Augen auskratzen sollte.
Und mir juckte es auch schon in den Fingern, als ich sah, wie sich unser Ex-Cheerleaderhäschen Cameron anzüglich bei Jons Anblick die Lippen leckte.
Baahhh die blöde Kuh! Und heute sieht sie auch noch aus, als wäre sie meine Zwillingsschwester!
Ich drückte seine Hand anscheinend eine Spur zu fest, denn er drehte sich lächelnd, dennoch mit einem fragenden Blick, um. Meine Augen waren zu Schlitzen verengt, als meine tödlichen Blicke zwischen ihm und Cam hin und her huschten. Er folgte ihnen.
„Vergiss sie, Liv. Das ist doch schon Jahre her.“
Trotzdem konnte ich mich noch gut daran erinnern, als die zwei so einige Dates hatten. Es war meine persönliche Hölle auf Erden gewesen, die mich noch immer im Griff hatte, kaum dass ich daran zurückdachte. Ich zog meine Hand zurück und verschränkte bockig die Oberarme.
„Was macht die überhaupt hier?“
Er zuckte mit den Achseln. „Was weiß ich. Ich habe sie jedenfalls nicht eingeladen. Das schwöre ich dir.“ Seine Augenbrauen wurden zu einer strengen Linie, als er nochmal in ihre Richtung sah. „Weißt du was? Du hast recht. Sie taxiert mich geradezu. Und das ziemlich … ich werde sie einfach bitten zu gehen.“ Räuspernd wollte er sich schon abwenden, doch ich stellte mich ihm in den Weg.
Seine Worte und der leicht panische Blick gaben meiner Eifersucht eine kalte Dusche, und ich legte meine Hände versöhnlich auf seine aufgepolsterten Schultern.
„Nein, schon gut. Ich habe mal wieder … überreagiert. Lass uns einfach weitergehen.“ Und wie auf Kommando wurden wir auch schon von weiteren ankommenden Gästen aus dem langen Flur ins dumpf beleuchtete Wohnzimmer gedrängt.
Hier stockte es aufgrund einer wild tanzenden Menge noch mehr - zu unglaublich lauter Musik. Mein Blick schweifte über bunte, glitzernde bemalte Gesichter. Doch schlussendlich blieb er an der Decke bei dem mit tausend kleinen Steinchen verzierten Kronleuchter hängen. Auch er vibrierte im Takt der Musik. Ob das gut gehen würde?
Unsicher zog ich an Jons Cape, doch bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, tauchten zwei rote Wuschelköpfe in meinem Augenwinkel auf. Einmal groß und sportlich, und einmal etwas kleiner und kompakter.
„Heeee Leute! Geile Party, Mann!“ Die Zwillinge klopften ihrem Ex-Co-Captain bewundernd auf die Schulter.
„Mase, Jer. Hey Jungs!“ Jon freute sich sichtlich, seine zwei ehemaligen Stürmer zu sehen. „Seit wann seid ihr hier?“
„Seit gut einer Stunde. Wir haben dich überall gesucht. Du bist wirklich ein schlechter Gastgeber!“
„Jaja. Ich habe Liv abgeholt.“
Jer wandte sich mir zu und griff sogleich um meine Mitte.
„Dann ist es natürlich entschuldigt.“ Soweit ich es riechen konnte, hatte er bereits eine anständige Fahne.
Ich versuchte etwas von ihm abzurücken, doch er fasste nur noch fester zu, was Unbehagen in mir hochkommen ließ.
„Wie viel hast du denn schon intus, Jer?“ Ich musste mein Gesicht von ihm abwenden, da sein Atem so streng nach Hochprozentigem roch.
Er zuckte mit den Schultern und nuschelte: „Keine Ahnung.“ Plötzlich kam er mir so nahe, dass ich seine Lippen an meinem Ohr spürte. „Weißt du, du siehst aus wie sie.“
Sofort versteifte ich mich. Ich wusste, auf wen er anspielte, und mir blieb die Luft weg, sodass ich es zuließ, dass er meine Wange mit seiner Hand umfasste.
Jon befreite mich aus Jers Klammergriff und stieß ihn anschließend einen Tick zu heftig von mir weg.
„Was soll das, Mann? Lass die Finger von ihr! Wie oft soll ich dir das noch sagen?“
Seine Hände formten sich zu Fäusten und er plusterte sich auf. Jer wankte kurz, doch als er sich wieder im Griff hatte, war auch sein Gesichtsausdruck alles andere als freundlich.
Mase und ich wechselten einen alarmierten Blick und nickten uns kaum merklich zu.
Ich stellte mich vor Jon, während Mase Jer von uns abschirmte.
„Beruhige dich, Jon. Er meint es nicht so.“
Er senkte den Kopf zu meinem hinab. „Doch. Er fasst dich bei jeder Gelegenheit an. Das macht mich wahnsinnig.“
„Weil er nicht weiß, dass wir zusammen sind. Keiner weiß es.“
„Dann ändere ich das hier und jetzt. Komm mit.“
Er zog an meinem Arm, doch ich hielt ihn zurück.
„Jon … er macht es nur deshalb, weil ich Joey so ähnlich sehe. Er sagt es mir jedes Mal, wenn er betrunken ist. Dass ich ihn an sie erinnere.“
Er hielt inne. „Wieso sagst du mir das erst jetzt?“ Sein Gesichtsausdruck wurde leicht anklagend.
„Weil ich doch nicht wusste, dass es dich so sehr aufregt. Ich … ach verdammt.“
Er seufzte.
Nach ein paar Sekunden und weiteren Anremplern von anderen Gästen ging Jon zu den Brüdern und klopfte beiden fest auf die Schulter. Ich verstand nicht, was er zu ihnen sagte, doch auf den Gesichtern der Jungs legte sich eine Mischung aus Erleichterung und Erwarten. Jon wandte sich mit einem kleinen Lächeln zu mir: „Wäre es in Ordnung, wenn ich die Zwei kurz in die Küche begleite?“
„Du meinst zum Bierfass?“
Er legte seinen Kopf schief und grinste nun spitzbübisch.
„Na los, haut ab! Ich suche mal Lizzy.“ Ich winkte ihm und den zwei verkleideten Pumuckeln zu, wobei Jer mir ein verkniffenes Lächeln zuwarf, welches ich erwiderte. Als sie weg waren, machte ich mich auf den Weg in den Wintergarten.
Je näher ich diesem kam, desto schrillere Discotöne hallten mir entgegen. Wenn, dann würde ich meine beste Freundin garantiert hier finden. Und … Bingo. Ihre langen, glatt geföhnten blonden Haare wehten um ihr elfenhaftes, seidiges Kleid. Kurz war ich neidisch, dass ich ihr mein ursprüngliches Kostüm geliehen hatte. Doch dieses Gefühl währte nicht lange, da es ihr wirklich außerordentlich gut stand.
Schmunzelnd setzte ich bereits den ersten Schritt auf sie zu, als mich jemand am Arm zurückhielt.
Ich schaute über meine Schulter und mein Herz sackte mir in die Hose. Nicht vor Schreck, sondern vor Mitleid.
Remy stand vor mir.
Mit schwarzem Anzug, blauer Krawatte und Aktenkoffer. Wenn man ihn nicht kannte, könnte man glauben, es wäre vielleicht eine Verkleidung.
„Remy … schön dich zu sehen!“ Ich drehte mich gänzlich zu ihm um.
Er setzte ein schiefes Grinsen auf. „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Olivia. Und heute mal wieder als Catwoman unterwegs?“ Er musterte mich von oben bis unten, wobei sein Blick etwas zu lange auf meinen Brüsten verharrte. Ich tat zwar so, als würde ich es nicht bemerken, ging dennoch einen kleinen Schritt rückwärts.
„Ja, was soll´s. Eigentlich wollte ich ja als Fee gehen, aber nun ja … Lizzy auch.“ Achselzuckend warf ich einen Blick auf seinen Aktenkoffer und fuhr fort: „Hast du bis jetzt gearbeitet?“
Er fuhr sich mit der freien Hand durch sein blondes strubbeliges Haar und nickte. „Ja, aber passt schon.“
Tat es nicht. Er wirkte sowas von ausgelaugt.
„Wie kommst du mit dem Lernen voran? Jon erzählte, du besuchst mehrere Vertiefungskurse?“
„Ja das stimmt. Ich hoffe, ich komme in den Weihnachtsfeiertagen vermehrt dazu. Zurzeit lässt mir Dads Kanzlei keinen Freiraum dafür.“
Als er dies sagte, stachen mir seine dunklen Augenringe mehr denn je entgegen.
„Ach, du schaffst das bestimmt, Remy. Bei deinem guten Schnitt im letzten Jahr!“ Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Du und Jon, ihr werdet die Firma bestimmt mal übernehmen. Da bin ich mir sicher.“
Doch anscheinend war dies die falsche Wortwahl, denn Remys Gesichtsausdruck wechselte plötzlich von müde zu wütend. „Ja, das ist der Plan. Aber zuerst muss unser Goldjunge die paar Jährchen auf dieser Schickimicki Uni schaffen. Und dafür wäre es durchaus sinnvoll, nicht ständig zwischen England und New York hin und her zu fliegen. Vor allem wenn es nur um ein Wochenende, oder besser gesagt, um eine Party geht. Das ist einfach lächerlich.“
Und da war er wieder. Dieser scharfe Unterton in seiner Stimme. Seit Jon es auf eine Eliteuni geschafft hatte, war mir, als fühlte sich Remy in den Schatten gedrängt. Die ersten Male dachte ich, dass ich mich vielleicht geirrt hatte. Doch da war auch dieser verbitterte Blick, der mir meine Antwort gab. Irgendetwas war da im Busch.
Klar, es war alles andere als einfach, als erster Sprössling von Mr. Jackson aufzuwachsen. Trotz guter Noten und zusätzlicher Arbeit in der Firma schien es einfach nie genug zu sein. Remy tat sich prinzipiell in allem ein bisschen schwerer als Jon, und das ließ sein Vater ihn spüren.
Offenbar verlor ich mich in Gedanken, denn er schnipste ein paar Mal vor meiner Nase.
Ich schüttelte meinen als Katze geschminkten Kopf und antwortete: „Sorry, bin mit meinen Gedanken wohl gerade abgeschweift.“
„Kein Ding. Aber darf ich dich um eines bitten?“ Er beugte sich ganz nah an mich heran.
„Lass diesen mitleidigen Blick, okay?“ Dieser Satz kam ziemlich spitz und abfällig über seine Lippen.
Ein wenig überrumpelt schaute ich angespannt in seine verdunkelten Augen. Ich blinzelte und blinzelte, doch sein Starren hielt mich gefangen. Langsam stolperte ich ein paar Schritte zurück und prallte gegen etwas. Nein, jemanden. Ich blinzelte erneut, und dieser starke Sog zwischen uns war vorbei.
Gott sei Dank.
Vertraute, starke Arme schlangen sich um meinen Bauch und Jon legte seinen Kopf auf meine rechte Schulter.
Remy musterte uns. Als Jon kurz sein Gesicht in meinem Nacken versteckte, blähten sich Remys Nasenflügel ein paar Mal und seine Augen folgten jeder von seinen Bewegungen. Wieso auch immer, ich fühlte mich plötzlich so unwohl, dass ich mich künstlich kichernd aus Jons Griff herauswand.
„Na, kleiner Bruder? Heute etwas anhänglich?“
Jon warf mir einen belustigten Blick zu und klatschte dann Remys Hand ab, welche er ihm hinhielt.
„Tja, was soll ich sagen, Großer? Superhelden fühlen sich vereint am wohlsten.“
Remy lächelte daraufhin knapp.
„Willst du was trinken, Remy?“
„Nein danke, Batman, ich mache mich mal auf den Weg in den ersten Stock. Muss morgen früh raus.“
„Ja genau, als könntest du bei diesem Lärm schlafen!“
Remy wog seinen Kopf zuerst nach links, dann nach rechts. „Auch wieder wahr. Ich nehme an, es gibt heuer wieder ein Bierfass?“
„Klar, was glaubst du denn?“
Remy setzte ein gefährliches Grinsen auf. „Dann verschwinde ich mal in die Küche.“ Er tätschelte Jon bei seinem Abgang noch einmal die Schulter und verlautete leise: „Dann lasse ich euch Turteltauben mal allein.“
Und wieder bohrte sich sein Blick unangenehm in mich, wenn auch nur kurz.
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt und ich nahm noch einen Schritt Abstand: „Ach was, wir und … pff, doch nie im Leben!“ Dann verschränkte ich meine Arme vor dem Oberkörper und fing an, an meiner Unterlippe zu kauen.
Remy rauschte mit hochgezogenen Augenbrauen davon.
Unsicher und nervös zugleich, lehnte ich mich mit dem Rücken an den Türrahmen, und versuchte mich so klein wie möglich zu machen. Ich spürte Jons Blicke wie Lava auf mir, doch trotzdem, oder gerade deswegen, wich ich ihm aus.
Auf einmal legte sich zuerst eine Hand auf meine linke Flanke, dann auf meine rechte. 1,90m drückten mich geradezu in den Türrahmen. Nun war ich also eingesperrt - in Batmans Käfig höchstpersönlich. Mir stieg die Röte ins Gesicht, als ich seinen verletzten Blick sah.
„Was, meine Liebe, war das denn gerade?“
„Äh …“ Ich senkte meine Lider. „Keine Ahnung?“
„Sag mal, kriegst du jetzt Torschlusspanik, oder was?“
Ruckartig hob ich wieder meinen Kopf, da mein Bauch mehrmals „Nein“ schrie. „Was? Niemals! Um Gottes Willen! Das … das war blöd von mir, ich …“
Er unterbrach mich. „Gut! Denn ich werde dich heute vor allen Leuten anschmachten.“ Er warf mir einen anzüglichen Blick zu. „… berühren …“ Seine rechte Hand wanderte zu meiner heißen Wange. „… und küssen …“ Er stupste meine Nasenspitze mit seinen vollen Lippen an. „… wo und wann ich will.“
Okay. Damit war ich einverstanden.
Dann stieß er sich blitzschnell von mir ab und zog mich mit sich ins Wohnzimmer.
„Aber fürs erste“, seine Hände legten sich um meine Oberarme, kaum dass wir mitten in der tanzenden Masse waren, „will ich mit dir einen Tango wagen.“
Ich lachte auf. „Tango? Sicher, dass du weißt, wie der geht?“
Er rollte mit den Augen. „Natürlich. Ist doch ein Kinderspiel.“
Nach gefühlten zwei Stunden absolutem Nicht–Tango fühlte ich mich dehydriert und sehnte mich nach einem Getränk. Jon schien es gleich zu ergehen, denn er formte stumm mit seinem Mund das Wort „Küche“ und deutete mit seinem Zeigefinger auf uns. Ich nickte mehrmals und er verschwand.
„Na? Wem träumst du denn so hinterher?“
Ertappt drehte ich mich einmal fast um meine eigene Achse.
Eliza schmunzelte mir entgegen und ich brach in schallendes Gelächter aus.
„Lizzy, du hast ungefähr eine Tonne Glitzer im Gesicht. Sieht echt zum Schießen aus!“
„Waaas?“ Da fing sie auch schon an, sich wild über die Wangen und die Haare zu streichen.
Ich griff nach ihren Händen. „Nicht, das macht es nur noch schlimmer. Warte mal, ich mache das.“
Ich zog meinen langen schwarzen Ärmel über meine Hand und wischte ihr erstmal quer über die Wangen, dann um die Mundpartie. Doch es half nichts, das Glitzer klebte wie eine zweite Haut an ihr.
Ich versuchte, mir ein weiteres Grinsen zu verkneifen und fragte stattdessen: „Wie ist denn das ganze Zeug von deinem Haar in dein Gesicht gekommen?“
„Na, ich habe mit Ted getanzt! Du weißt schon, der …“
„Ja, der geheimnisvolle Punk. Alles klar!“ Mein Grinsen wurde noch breiter, und auch auf ihrem hübschen Gesicht zogen sich die Mundwinkel nach oben.
„Tja, was soll ich machen? Ich habe eine Vorliebe für düstere, tätowierte Typen.“ Ihre Brauen hüpften ein paar Mal anzüglich auf und ab.
„Hast du das ein oder andere Mal bereits erwähnt, ja. Ted wäre der Schwiegersohn schlechthin, oder?“
„Ja, wer´s glaubt. Sofern ich will, das Dad einen Schlaganfall bekommt, dann garantiert.“ Danach rollte sie mit den Augen und zog von dannen. Wahrscheinlich Richtung Badezimmer.
Ich schüttelte belustigt den Kopf und wandte mich gleichzeitig Richtung Flur, um der schwitzenden Masse ein wenig zu entkommen. Außerdem würde ich Jon so besser im Blick haben, wenn er zurück kam.
Ich lehnte mich an die beige tapezierte Wand und wartete. Es verging keine Minute, als ein Typ, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, auf mich zusteuerte.
Sein weiß-blaues Hockeyshirt klebte an seinem durchtrainierten Oberkörper, und seine blonden Locken standen quer in jegliche Himmelsrichtungen ab.
Als hätte er meine Gedanken gehört, fuhr er sich mit einer Hand durch seine Haarpracht. Je näher er mir kam, desto breiter wurde sein Schmunzeln und zwei Reihen weißer Zähne blitzten hervor.
„Du musst Liv sein!“ Er hatte eine unglaublich tiefe Stimme.
Etwas überrumpelt von seiner rechten Pranke, die er mir entgegenhielt, kombiniert mit dem offenherzigsten Lachen, das ich je gesehen hatte, konnte ich ihn erst einmal nur anblinzeln.
„Ah, wie unhöflich von mir, dich einfach so zu überfallen.“ Er verdrehte seine Augen. „Jon hat mir ja bereits erzählt, dass du nicht so sehr auf Hockey stehst. Du bist ja eher der Footballtyp, stimmt´s?“ Er kratzte sich kurz den Hinterkopf und fuhr fort: „Und jetzt komme ich da einfach in meinem Captainshirt auf dich zu“, er zwinkerte einmal kurz, „und bringe dich in Verlegenheit. Das tut mir leid.“
Mein Unterkiefer klappte nach unten. Ich verstand nur Bahnhof. Woher kannte er mich?
Er seufzte lautstark. „Oje, immer das Gleiche mit euch Mädels. Weißt du eigentlich, wie mühsam es immer für mich ist? So dermaßen auf mein Äußeres reduziert zu werden? Schrecklich, sag ich dir. Und das Allerschlimmste …“ Er beugte sich näher zu mir. „Die meisten vergleichen mich ständig mit dem einen Typen aus die Tribute von Panem.“
Da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und prustete lautstark los. Er hatte recht. Aber sowas von. Er sah aus wie dieser sexy Typ mit dem Dreizack.
Sichtlich schockiert über meinen Lachanfall, schüttelte er mit einem verdatterten Gesichtsausdruck den Kopf.
Dies ließ mich noch mehr lachen. Tränen stiegen mir bereits in die Augen. Und auch er konnte sich langsam aber sicher kaum mehr zurückhalten.
„Weißt du, normalerweise hängen die Mädels spätestens nach dieser Aussage hoffnungslos an meinen Lippen.“ Er seufzte. „Aber ja, Jon erzählte mir bereits, dass du sehr hartnäckig sein kannst.“
Mein Lachanfall verebbte langsam, da meine Neugierde die Überhand gewann. Noch etwas hüstelnd krächzte ich: „Jetzt sag schon, wer bist du?“
„Natürlich sein Zimmernachbar in Oxford. Und außerdem spielen wir in derselben Mannschaft.“ Er zeigte mit beiden Daumen auf sein Shirt.
„Aaaahhh, dann bist du …“
Er verneigte sich kurz vor mir und unterbrach mich: „Aaron, schön dich kennenzulernen.“
„Aaron, natürlich! Hi!“
Jon hatte mir schon öfters von ihm erzählt, und im Nachhinein gab ich mir gedanklich eine Kopfnuss, da ich ihn nicht auf den ersten Blick erkannt hatte - den Hockeycaptain, dem die Damen reihenweise verfielen.
„Und ich dachte, die Nummer mit dem Eishockeyshirt wäre deine heutige Verkleidung.“
„Ne.“ Er schaute etwas zerknirscht. „Ich hatte leider keine Zeit für ein Kostüm. Daher … nun ja.“
„Besser als nichts.“
„Du sagst es.“
Wir unterhielten uns angeregt über sein Studium, über meine und seine beruflichen Ziele. Er wollte in die Politik, und ich erzählte ihm von meinem Wunsch, Medizin zu studieren. Als das Thema auf unsere Familien fiel, drückte ich mich nur sehr vage aus. Aaron schien dies jedoch nicht zu stören, denn er plapperte und plapperte und plapperte non-stop über seine Mutter und seine drei kleinen Schwestern. Einen Vater erwähnte er nicht, und ich fragte auch nicht nach.
Aaron wurde mir schnell sympathisch und ich konnte immer mehr nachvollziehen, warum Jon so viel von ihm hielt.
Die Zeit schien zu verfliegen, denn als wir aus unserem vertieften Gespräch auftauchten, hatte sich die Hälfte der Partygäste bereits verabschiedet. Na hoppala. Selten lenkte mich jemand so sehr ab.
Wir beschlossen uns auf die Suche nach dem Gastgeber zu machen, der sowieso erstaunlich lange brauchte, um unsere Getränke zu besorgen. Wir gingen in Richtung Küche. Denn wenn es etwas schaffte, Jon die Zeit vergessen zu lassen, war es dieses heiß geliebte Bierfass.
Zuvor schielte ich noch einmal über meinen Rücken in den Wintergarten und das Wohnzimmer. Doch abgesehen von ein paar Pärchen, die es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten, war tatsächlich keiner mehr dort. Die Musik dröhnte dennoch weiter auf voller Lautstärke aus den Boxen.
Im Flur tummelten sich ebenso nur mehr kleine Gruppenansammlungen. Gerade als wir nach links, Richtung Küche gingen, kamen uns ein paar Mädchen aufgeregt entgegen. Nein, eigentlich liefen sie uns beinahe um.
Verwirrt schaute ich der aufgebrachten Gruppe hinterher, die fast aus der Wohnung zu flüchten schien. Eines der Mädchen kam regelrecht ins Straucheln, als sie sich im Laufschritt eilig ihre Jacke überwarf.
Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Auch Aaron schien die Situation nicht zu gefallen, das erkannte ich an seinem angespannten Gesichtsausdruck. Wir beschleunigten unsere Schritte und Aaron schob die riesige Küchentür zur Seite.
Wir fanden Jon über das große Waschbecken der rustikalen Küche gebeugt vor, und ein beißender Geruch hing in der Luft. Das metallene Bierfass, welches normalerweise auf der Holzanrichte stand, lag am Boden. Aaron warf mir einen besorgten Blick zu, als er mir die Hand reichte, um mir über das Fass zu helfen. Wie auf der Lauer umrundeten wir die Kücheninsel. Doch plötzlich stoppte Aaron so abrupt, dass ich gegen seinen Rücken prallte. Sein Körper spannte sich an, und ich bekam eine Gänsehaut der unguten Sorte. So versuchte ich mich an ihm vorbeizudrängeln, doch er ließ es nicht zu.
Was zum Teufel geht hier vor sich?
„Jon?!“ Ich schubste Aaron ein paar Mal an, doch er bewegte sich keinen Zentimeter.
„Was ist hier los? Verdammt. Aaron. Lass. Mich. Sofort. Vorbei!“ Meine Hysterie gewann allmählich die Oberhand. Denn diese seltsame Stille im Raum, schrie förmlich danach, dass etwas nicht in Ordnung war. Ganz und gar nicht.
„Lass sie durch.“ Jon flüsterte die Worte, zerschnitt die Angespanntheit dieser beängstigenden Ruhe.
Aaron wich zur Seite. Mein Blick wanderte abwärts und mir brach augenblicklich der kalte Schweiß aus. Mein Blut verabschiedete sich aus meinem Kopf, und meine Beine wogen plötzlich Tonnen. Ein Rauschen dröhnte von einem Ohr zum anderen. Übelkeit fraß sich den Weg von meinem Magen zu meiner Speiseröhre empor. Ich schlug mir meine rechte Hand auf den Mund und torkelte gerade noch rechtzeitig zu Jon, der mir sofort unterstützend zur Hilfe eilte und mich zum Waschbecken bugstierte.
Ich erbrach mich über einem Gemisch aus hellroten Tüchern. Als Jon den Wasserhahn aufdrehte, sah ich, dass seine Hand blutverschmiert war.
Was …?!
Mein Blick schnellte wieder zu der zusammengekrümmten Gestalt am Boden, doch ich sah keine Wunde. Cameron hatte zwar kaum mehr Kleidung am Körper, zitterte und wimmerte, doch eine Verletzung sah ich nicht. Äußerlich jedenfalls. Obwohl … Jons Cape bedeckte ihren Unterleib, da ihr Höschen neben ihr lag. Blutete sie etwa aus …? Um Himmels willen. Jon versuchte beruhigend auf mich einzureden, doch seine hektischen Streicheleinheiten an meinem durchgeschwitzten Rücken, straften seiner Worte Lügen.
Plötzlich krachte es laut und Eliza schob sich lachend in den Raum. Und sie war nicht allein. Hinter ihr erkannte ich Ted, und der schwankte bedrohlich. Das Grinsen verging Eliza jedoch schlagartig, als sie zuerst in mein, dann in Aarons, und zu guter Letzt in Jons Gesicht sah.
Ihre Augenbrauen zogen sich zu einer schmalen Linie zusammen und sie begann mit ihren Lippen bereits den ersten Laut zu formen, als Cameron plötzlich zu schreien begann und uns alle aus der Schockstarre riss.
Jon und Aaron setzten sich rasant in Bewegung, und hockten sich neben sie. Es war ein Bild des Grauens. Was immer hier vorgefallen war, es bedurfte weiterer Hilfe.
Ich tat das Erstbeste, was mir einfiel, und rief zu Eliza: „Ruf einen Krankenwagen!“ Kaum hatte ich diese Worte in den Raum geschleudert, sprang Jon auf und schüttelte den Kopf.
„Nein. Sie ist nicht verletzt. Wir brauchen Dad. Eliza, hol ihn. Sofort!“