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Die Ansagerin von Radio Tevere sagt mit Überschwang in der Stimme: „Der Himmel über Rom ist strahlend blau, bei 25 Grad Celsius lassen Sie die Arbeit Arbeit sein – verbringen Sie den Tag am Strand von Ostia.“ Und ich muss an so einem Tag nach Paris zu einem Seminar, denkt Marielena Floris aufgebracht. Wer hat das veranlasst, fragt sie sich. Wer zweifelt an meiner Eignung als Kriminalpsychologin. Marielena verlässt unwillig die Wohnung, geht zu Fuß bis zur Via Cavour, hält ein Taxi an und lässt sich zum Aeroporto Leonardo da Vinci bringen.

Kaum ist sie angeschnallt, startet der Flieger, schwingt hoch in den klaren blauen Himmel. Arrivederci Roma, seufzt Marielena deprimiert.

Über Paris ist der Himmel grau in grau. Auf dem Terminal Charles de Gaulle dringt ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr durch die Halle.

Die meisten Passagiere haben ihr Gepäck längst vom Band gehievt, nur Marielena schaut noch ungeduldig auf den kreisenden Streifen.

Neben ihr posaunt einer lauthals in sein Telefonino: „Cherie, ich bin soeben gelandet.“ Als ob das jemanden interessieren würde.

Endlich kommt ihr der Koffer entgegen.

Marielena fährt ins Murano im 4ème Arrondissement, hinterlegt beim Hotelportier das Gepäck.

Sie beschließt, zuerst die P.J.E. aufzusuchen, um ihre Teilnahme an dem Seminar bestätigen zu lassen.

Vor ihr überquert ein älterer Herr mit Stock und wehendem Mantel, behände die Straße, in seiner Begleitung ist ein Hund, der tapfer Schritt hält. Der Mann strahlt eine verblüffende Lebendigkeit aus, die Marielena stimuliert, ihren Frust über den Lehrgang dämpft.

Die Zentrale der Europolizei ist ein imposanter Palast, die Architektur beeindruckend. In Augenhöhe ist in die Eingangstür diskret eingeritzt: Police Judiciaire European – Eurozentrale – France – P.J.E..

Aus den Unterlagen des Seminars – entnimmt sie, dass es sich um eine Fortbildung der Neuropsychologie handelt: Das unbewusste Erleben üben, um es bewusst erfassen zu lernen. Das sind, man glaubt es nicht, Themen des ersten Semesters der Psychologie, stellt sie aufgebracht fest. Meine Stärke, das weiß jeder der mit mir arbeitet, ist mein Gedächtnis.

Marielena wäre nicht Marielena, wenn sie nicht herausfinden würde, wer ihr das Seminar hat zukommen lassen – immer wieder stellt sie sich die Frage: Wem ist das nur eingefallen? Das P.J.E. Team in Rom ist das erfolgreichste in Europa. Es besteht aus qualifizierten Spezialisten, die europaweit eingesetzt werden.

Ob diese Farce nicht ihr Kollege aus der Pariser Zentrale, Bruno Sagan, eingefädelt hat, zermartert sie sich den Kopf? Mit Bruno hatte Marielena im letzten Jahr eine leidenschaftliche Affäre. Sie verbrachte mit ihm eine Nacht auf seinem Hausboot, was sie heute noch bereut.

Marielena überquert die Straße und geht in Richtung Pont-Neuf.

Sie will in die kleine Weinbar „Au Petitou“ – dem Treffpunkt der Pariser Kollegen – hofft dort Jacques Weber zu treffen, mit dem sie schon so manch heiklen Fall gelöst hat. Jacques arbeitet immer noch freiberuflich für die Europol.

Bevor Marielena die Bar erreicht, bemerkt sie einen jungen Mann, der hinter ihr herläuft, sie überholt, umrundet und auf sie einspricht. Der Typ macht ihr Avancen. In Marielenas Gesicht spiegelt sich Unsicherheit, aber auch Vergnügen. Diese dreiste Anmache kommt bei ihr an.

Es gefällt ihr, wenn ein attraktiver Mann Interesse zeigt – auch wenn sie in keiner Weise daran denkt, auf ihn einzugehen. Noch bevor sie das Lokal betritt, verabschiedet sie sich von dem Fremden wortlos, lächelnd, nur die Hand hebend. Er winkt zurück, mit einer tiefen Verbeugung, seine rechte Hand ruht nun in Herznähe – verweilt, bis Marielena in dem Lokal verschwunden ist.

Die Bar ist Marielena vertraut, sie hat schon manch lange Nacht hier verbracht. Am Tresen steht ein unrasierter Typ mit halblangen Locken, die unter einem Safarihut zum Vorschein kommen. Der Mann zündet sich gerade ein Zigarillo an, als Marielena sich ihm leise nähert. Ob man hier überhaupt rauchen darf, fragt sie sich. Oder Jacques setzt sich mal wieder über alle Grenzen hinweg. Jacques Weber wittert ihr Parfüm. Ohne sich umzudrehen, raunt er mit rauchiger Stimme: „Keine Frau trägt so verführerisch Chance, wie du ma belle.“ Stürmisch wirbelt Jacques herum und nimmt Marielena in die Arme.

„Was in drei Teufelsnamen führt dich nach Paris?“, fragt er verwundert.

Marielena berichtet Weber von der Aufforderung der Zentrale wegen des Seminars. „Darüber bin ich verärgert“, gesteht sie unverblümt.

Jacques erster Gedanke: „Da steckt Bruno Sagan dahinter.“ Er schildert ironisch, wie Bruno, seit seiner Beförderung, sich verändert habe. Ohne Parka und Jeans im feinen Zwirn und Krawatte sei er nicht mehr er selbst. „Nur die Haare fielen nicht der Veränderung zum Opfer, die stylt er auch heute nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Ob du es glaubst oder nicht, Bruno trägt jetzt eine betont seriöse Miene.“ „Was Unsicherheit bedeuten kann vor der neuen Aufgabe, die auf ihn zukommt. Bruno ist ein einsamer Wolf, der nie Wert auf sein Äußeres legte“, verteidigt Marielena Bruno Sagan.

Jacques wechselt das Thema und fragt süffisant: „Wie geht es deinem Kollegen Capitano Silvio Amato?“ Marielena weiß, worauf er hinaus will. Sie gesteht ihm unverblümt: „Ja, in Rom gibt es Silvio – ich fühle mich mit ihm verbunden. Wir sind privat wie im Beruf ein gutes Team. Um keinen Preis der Welt möchte ich ihn missen.“ Flüsternd, fast atemlos spricht sie weiter: „Ich kann und darf Silvio nicht verlieren, er gibt mir Halt.“ In ihrem Gesicht spiegelt sich Euphorie, aber auch moralisches Bedenken gegenüber Silvio und ihrem doppelten Spiel. „Die Begegnung mit Bruno im Winter“, fährt Marielena fort, „war ein unvergesslicher Moment.“ Sie hält inne. „Tja – war es das?“, fragt sie, mehr zu sich selbst gerichtet mit Vorbehalt.

Jacques äußert sich nicht, beobachtet sie nur.

„Jacques – liebe ich Bruno Sagan oder vielmehr das Bild, das ich mir von ihm zurechtgelegt habe?“ Jacques stellt betrübt fest, dass Marielena diese ungewöhnliche Liebe, die leidenschaftlich im Winter in Paris begann, noch nicht überwunden hat. Jacques ist nicht nur Marielenas Kollege, sondern auch ihr bester Freund. Er kennt Bruno schon viele Jahre, weiß, wie der seine Eisen schmiedet. Jacques möchte Marielena nicht unglücklich sehen.

Unmissverständlich stellt er ihr die unvermeidliche Frage: „Auf wen von den beiden könntest du im Ernstfall verzichten?“ Marielena fröstelt bei dem Gedanken. Sie überlegt nüchtern, ob sie Silvio oder Bruno aufgeben könne. Spontan antwortet sie: „Auf keinen von beiden.“ Marielena gefällt diese unbequeme Diskussion nicht.

„Jacques“, fragt sie ironisch, „etwas stimmt mit dir heute nicht. Weshalb spielst du so eindringlich meinen angelo-custode?“ Jacques übergeht ihr Spötteln. „Deinen Schutzengel – spiele ich gerne. Ich weiß, du willst von allen geliebt und bewundert werden, doch das, meine Liebe, kann ins Auge gehen – zwischen den Stühlen sitzt es sich äußerst unbequem.“ „Mein guter Jacques, wie heißt es so schön: Wer die Hitze nicht erträgt, darf nicht in die Küche gehen. Was ist im Leben schon einfach?“ Jacques weicht nun von dem leidigen Thema ab: „Hast du mir sonst nichts aus bella Roma zu berichten?“ „Du spielst auf deine Versetzung an?“ Jacques nickt abwartend. „Ja, ich habe meinen Chef Questore Russo gebeten, dich als festen Mitarbeiter bei uns einzustellen. Es hat sich ergeben, dass wir in Rom noch einen fähigen Ermittler brauchten. Da lag es doch auf der Hand, dass ich dich empfohlen habe“.

Jacques umarmt sie zärtlich, berührt dankt er ihr für die Fürsprache. Denn seit seinem Rausschmiss vor einigen Jahren bei der Europol Paris, wo man ihn suspendiert hat – mit der Aberkennung des Dienstgrades Capitano, konnte er nur noch als freier Mitarbeiter bei der Europol einspringen. Was ihn natürlich sehr mitgenommen hat. Der Grund für die Degradierung war, dass er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr er selbst war. Alkohol und Drogen waren damals seine ständigen Begleiter.

Marielena und Jacques verlassen die Bar und trennen sich. Denn Jacques Weber muss zum Airport, morgen ist sein erster Arbeitstag in Rom.

Er folgt Marielena mit den Augen. Marielena ist eine selbstbewusste, tüchtige Frau, oder wie die Italiener so schön sagen: Una donna in gamba. Jacques Weber lächelt vor sich hin, Marielena geht meist kompromisslos ihren Weg, auch wenn man nicht verhindern kann, dass sie die eigenen Weisungen schnell über Bord wirft. Ich glaube, denkt Jacques beruhigt, um Marielena muss ich mir nicht allzu viele Sorgen machen. Jacques geht zu Fuß bis zur Pont-Neuf, hält ein Taxi an und braust gestikulierend an Marielena vorbei.

Marielena freut sich auf die Zusammenarbeit mit Jacques Weber in Rom. Sie weiß, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Er ist ein herausragender Spezialist und ein liebenswerter Freund. Obschon ihre Freundschaft etwas überschattet wird, denn Jacques ist seit Jahren in Marielena verliebt. Eine Liebe, die sie nicht erwidern kann.

Medea

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