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5.

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In vorwurfsvoller Zwiesprache mit sich selbst ist Marielena zu Hause abgetaucht. Die abgeblendeten Jalousien tragen nicht dazu bei, ihre Wehmut zu mildern. Die Couch ist heute ihr Schlupfwinkel. Anrufe hat sie auf die Mailbox umgeleitet. Gut und schön, meine Liebe, setzt sie ihren Gedankenaustausch mit sich selbst fort, die Zeit der Abwege ist vorbei. Marielena muss Brunos Abfuhr hinnehmen, auch wenn ihr Ego sich damit schwer tut. Kummer in der Liebe haben schon viele ertragen müssen. Sehnen wird immer angeheizt aus dem Gefühl heraus, etwas zu begehren, was man nicht haben kann. Unmissverständlich ermahnt sie sich: Du musst zu Bruno auf Distanz gehen! Bei aller selbstbewussten Allüre im Alltag ist tief in Marielena das Verlangen nach Geborgenheit verankert. Sie ist auf den Boden der Realität zurückgekehrt, erhebt sich, öffnet die Jalousien und atmet tief durch, stellt die unvermeidliche Frage: Bist du von allen guten Geistern verlassen, mit Grübeln und Hadern deine Zeit zu vertun?

Es läutet. Draußen steht Signora Alba, Silvios Mutter. Mit dieser Überrumpelung hat sie weiß Gott nicht gerechnet. Marielena traut den Augen nicht, steht da wie vom Blitz getroffen.

„Störe ich, darf ich näher kommen?“ Noch bevor Marielena antworten kann, geht Alba an ihr vorbei und legt ab. Signora Amato geht ungeniert durch die Wohnung, tut so, als sei sie hier zu Hause. Fundstücke von der Porta Portese, dem größten Trödelmarkt Roms, Antiquarisches und Modernes schaffen in Marielenas Bleibe eine behagliche Atmosphäre. Auf den ersten Blick, denkt Alba, erkennt man nicht diese findige Planlosigkeit. Alba ist über das fantasievolle Gestalten mit Farben, Formen und Zeiten fasziniert, das hat sie nicht erwartet.

„Jetzt kann ich verstehen, dass du nicht zu Silvio ziehen möchtest und er sich hier wohlfühlt“, gesteht Alba unverhohlen. Marielena ist sprachlos, es kommt nicht häufig vor, dass Silvios Mutter ihr große Sympathie entgegen bringt. Meist verhält sich la Signora Marielena gegenüber sehr distanziert, um nicht zu sagen, ablehnend.

Marielena erinnert sich – Virgilia di Natale: Silvio lud sie Heiligabend nach Frascati ein, ohne seine Mutter vorher zu fragen. Beim Betreten der Villa las Marielena an Albas abweisendem Blick, dass sie im Hause Amato nicht wohl gelitten war. Es fehlte nicht nur der Weihnachtsbaum, auch die festliche Stimmung. Signora Alba, die Neapolitanerin, zieht die Krippe, wie es in Neapel Brauch ist, dem Baum vor.

Roberto begrüßte Marielena nur mit einem flüchtigen Nicken. Er war verstimmt. Sein Lebensgefährte, der Journalist Alberto Sari, durfte an der Familienfeier nicht teilhaben. Alba missbilligt vehement Robertos gleichgeschlechtliche Liebe zu seinem Freund. Daher mühte er sich am Klavier an Johann Sebastian Bach ab. Denn seiner Mutter wagte Roberto an Heiligabend keine Absage zu erteilen, das wäre undenkbar gewesen.

Laura, Silvios Schwester, war mit ihrem Mann Adolfo anhaltend im Streit. Von deren Sprösslingen ganz zu schweigen. Bauklötze flogen allen um die Köpfe, Barbie wurde enthauptet und der arme Hund Rocco auch nicht von Derbheiten verschont.

Silvios jüngste Schwester verließ erst gar nicht ihre vier Wände, die Technomusik aus Paulas Zimmer war nicht zu überhören.

Silvio verkroch sich meist in seinem Arbeitszimmer, um den familiären Querelen zu entkommen.

Marielena hatte am nächsten Morgen von dem Unfrieden genug – verließ die Familie Amato überstürzt. Buchte spontan einen Flug nach Paris. Doch anstatt sich in der Anonymität von Paris zu verkriechen, sank sie in die offenen Arme von Bruno Sagan, der ihr über den Weg lief.

Marielena hat Alba bis zum heutigen Tag nicht wiedergesehen.

Marielena kehrt in die Wirklichkeit zurück, zu Alba. Die ist immer noch beeindruckt von dem Appartement, besonders hat es ihr der Innenhof des Palazzo angetan, mit den Orangen- und Zitronenbäumen.

In diesem Moment schaltet sich die indirekte Beleuchtung ein, was die Anlage noch stimmungsvoller erscheinen lässt. Alba wendet sich nun zur Straßenseite hin, durch die hohen Fenstertüren zur linken Seite sieht man das Colosseum und zur Rechten die Piazza Venezia.

Sie setzen sich auf die Terrasse. Alba sieht berührt zum Forum Romanum hinüber, ehrfürchtig murmelt sie: „Che bella e Roma!“ Es klingt, als ob sie Roms Heiligstes zum ersten Mal sähe. Marielena ist verwundert, so sentimental kennt sie Silvios Mutter nicht.

Alba greift in die Tasche, stellt eine Flasche Prosecco auf den Tisch. „Aus unserem Weinkeller in Frascati“, hebt sie stolz hervor.

Marielena beunruhigt Albas artiges Benehmen; sie sehnt Silvio herbei, doch der ist noch nicht aus Mailand zurück.

Alba öffnet geschickt die Flasche. Erhebt das Glas: „Salute Marielena“, sagt sie etwas betreten. Marielena erwidert lammfromm, was bleibt ihr auch anderes übrig: „Grazie, Signora Alba, für ihren Besuch.“ Alba nickt kaum wahrnehmbar mit dem Kopf, das Glas immer noch in der Hand: „Marielena, ich habe dir in den letzten Jahren das Leben nicht leichtgemacht.“ Hält inne, blickt nachdenklich vor sich hin, dann fährt la Signora fort: „Wenn du selbst einmal Kinder hast, was ich hoffe, wirst du feststellen, dass man für seinen Sohn nur das Beste wünscht.“ Alba hält Marielena ihr Glas entgegen: „Ich möchte dir das Du anbieten.“ „Alba“, sagt Marielena, aus dem Konzept gekommen. Ihre Augen bekommen einen sichtlichen Glanz, nicht weil sie Alba von jetzt auf gleich lieb hat, nein, eher aus Rührung oder besser – Sentimentalität.

Nachdem Marielena die Sprache wieder gefunden hat, kann sie es nicht lassen, nachzufragen, was die plötzliche Veränderung bewirkt habe.

Marielena kennt Silvios Mutter gut genug, um bedenkenlos an ihren Worten Gefallen zu finden.

„Figlia mia, meine Tochter“, wiederholt sie etwas atemlos. Ich brauchte eine Weile, um einzusehen, dass du zu uns gehörst. Ich glaube nicht, dass Silvio mir noch eine andere Schwiegertochter bringen wird, denn er liebt dich sehr, basta.“ Marielena setzt ein hintergründiges Lächeln auf, sagt sich, bevor ich nicht über Albas unerwartetes Entgegenkommen den wahren Grund herausgefunden habe, werde ich auf der Hut sein. In einem freundlich geneigten Ton bedankt sich Marielena für das Vertrauen – prostet Alba wohlwollend zu.

Marielena fragt, wie es ihrer Tochter Laura gehe.

Da verändern sich Albas Gesichtszüge. „Meine Liebe“, beginnt sie traurig, „was mache ich nur falsch? Ich habe das Vertrauen meiner Kinder verspielt, außer Silvio sind alle gegen mich“, gesteht sie besorgt. „Laura hatte sich an Weihnachten von ihrem Mann Adolfo getrennt.

Und in diese Woche ist sie, gegen meinen Willen, zurück zu ihm gekehrt. Silvio hat seine Schwester darin bestärkt. Er findet, dass die Kinder den Vater brauchen.“ Ruhig hört Marielena zu, sie weiß, dass Alba niemanden hat, bei dem sie sich ausweinen kann. „Laura ist durch die Therapie, die sie im Winter gemacht hat, eigenständiger geworden. Den Beruf als Sommelier will sie beibehalten. Adolfo hat sie zum Hausmann ernannt, was kein Verlust für die Finanzwelt ist, denn ein erfolgreicher Banker war er nicht.“ Bei dem Gedanken an den eleganten Adolfo als Hausmann muss Marielena lachen und Alba stimmt mit ein.

„Auch Roberto ist ein Sorgenkind, mit seiner Homosexualität habe ich meine Last“, seufzt Alba. „Warum ist der Junge nicht veranlagt wie sein Bruder Silvio, frage ich dich?“ Bei allem Respekt, Roberto ist Marielenas Freund, hier muss sie eingreifen: „Alba, es ist keine Kunst, einen Sohn liebzuhaben, der sich in deine Vorstellung einordnet.“ Albas dunkle Augen weiten sich, doch Marielena lässt sich nicht einschüchtern.

„Roberto erwartet von dir, dass du ihn annimmst, wie er nun mal ist, um nicht zu sagen, er setzt es voraus. Seine Veranlagung ist sein Leben, ein Leben, das du ihm geschenkt hast.“ Alba findet nur mühsam die Fassung wieder. „Die Lektion, meine Liebe, ist bei mir angekommen, die muss ich erst einmal verdauen. Roberto kann froh sein, eine Freundin wie dich zu haben.“ Marielena fährt, ob es Alba passt oder nicht, im Szenario der Familie Amato fort. „Da haben wir, cara Alba, noch Paula.“ Alba unterbricht sie amüsiert: „Na gut, beenden wir mit dem Enfant terrible unserer Familie dieses Beisammensein.“ Marielena fährt unbeirrt fort: „Paula ist eine Rebellin in der Pubertät, die dich gerne provoziert, weil sie deine Aufmerksamkeit – auch dein Verständnis braucht.“ Alba wird jetzt nachdenklich: „Du hast ja recht, nach dem Tod meines Mannes glaubte ich, alles gut machen zu müssen. Marco, mein Mann, war in meinen Augen vollkommen, ich wollte sein wie er. Silvio erinnert mich sehr an seinen Vater.“ „Alba, deine Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, ihren Weg finden. Sie können nicht alle Silvio nachschlagen, das musst du akzeptieren.“ „Marielena, du gibst mir heute allerlei zum Nachdenken mit auf den Weg.“ Alba bricht beschwingt auf. „Wir sehen uns am Wochenende auf Capri. Vergiss Silvios Geburtstag nicht.“

Spät in der Nacht kommt Silvio von der Reise zurück. Marielena geht ihm entgegen, ihr gefällt, was sie sieht. Hinter seiner unnahbaren Fassade verbirgt sich ein sensibler Mann. Silvio ist ein Liebhaber, der höchste Lust erlebt, wenn Marielena glücklich ist. Oft trennt man sich von einer Liebelei und achtet dann den Partner eher.

Die Gedanken an Bruno legt sie, „es war einmal“, ab, um sie verblassen zu lassen. Für einen Moment geht ihr ernsthaft die Frage durch den Kopf, ob sie bei klarem Verstand war, Bruno überhaupt in Erwägung gezogen zu haben.

Silvio fällt aus allen Wolken, als er von dem Besuch seiner Mutter hört. „Warum warst du so verbindlich?“, fragt er verwundert. „Bei all dem, was sie dir in den letzten Jahren zugemutet hat.“ „Sie ist nun mal deine Mutter, Alba sehnt sich immer noch nach deinem zu früh verstorbenen Vater, das hat sie etwas gnadenlos werden lassen.“ Silvio nimmt sie liebevoll in die Arme. „Weißt du“, fährt Marielena fort, „man sollte im Leben Veränderungen nicht im Wege stehen.“ Sie geht nun im Zimmer auf und ab. Die zu ihr gehörende italienische Gestik mit dem typischen Hang zur Übertreibung liegt im Blut, ihre Jugend war von Einsamkeit geprägt, deshalb gibt Marielena ungern etwas von sich preis.

„Ich bin zwischen Italien und Deutschland aufgewachsen. Die Eltern lebten ihr Leben, sie liebten sich sehr, mich schickte man hin und her, auf verschiedene internationale Schulen in Rom und Berlin. Eine ständige Aufbruchstimmung beeinflusste meine Kindheit.“ Silvio hört ruhig zu, denn Marielena hat bisher wenig von ihrer Familie erzählt, er weiß nur, dass ihr Vater ein bekannter Rechtsanwalt in Rom war und die Mutter eine gebürtige Berlinerin.

„Als meine Eltern auf dem Weg von Rom nach Berlin leider tödlich verunglückten, war ich untröstlich, denn es waren noch so viele Fragen offen. Ich wusste zu wenig über sie“, gesteht Marielena. „Ein besseres Bild konnte ich mir von ihnen machen, als ich einen Packen Briefe und das Tagebuch meiner Mutter von Frau Käthe, meiner Großmutter aus Berlin, bekam. Da erst wurde das Leben meiner Eltern für mich transparenter. Außer Nonna Käthe habe ich keine Verwandten mehr – wenn ich es genau nehme, hatte ich nie eine richtige Familie.“ Marielena setzt sich neben Silvio, ergreift seine Hand. „Die Amatos sind weiß Gott nicht das Idealbild einer Familie – jedoch gewöhne ich mich langsam an sie! Wo gibt es, frage ich dich, eine beispielhafte Sippe?“ Silvio ist gerührt, er kann seine Emotionen nur mühsam verbergen.

„Würdest du mich heiraten?“, fragt er übergangslos. Mit Tränen in den Augen bejaht sie seinen Antrag, nur mit einem Nicken.

„Dann lass uns morgen auf Capri nicht nur meinen Geburtstag sondern auch unsere Verlobung feiern“, flüstert er überglücklich.

Medea

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