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6.

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Der Golf von Neapel liegt malerisch schön in der Sonne. Im Meer reflektieren Licht und Wellen. Es ist ein strahlender Tag.

Marielena und Silvio sind auf der Fähre von Neapel nach Capri. Die meisten der geladenen Gäste fliegen mit dem Helikopter auf die Insel. Mit Hast oder Hektik hat das nichts zu tun, es ist eher eine Frage des Ansehens. Hoch oben an den sonnenverwöhnten Hängen, von Pinien und Oleanderhecken umgeben, liegt Alba Amatos Villa.

Im Hinblick auf Silvios Geburtstag und Albas Weinpräsentation ist das Ferienhaus für eine hochkarätige Gesellschaft herausgeputzt. Capri, die grüne Insel, ist für diesen Anlass werbewirksam.

Marielena und Silvio haben sich nach dem Abendessen zurückgezogen. Die Luft ist lau. Selbst mitten in der Nacht hört man nur leise das Meer rauschen. Die nächtliche Stille ist vollkommen. Marielena rekelt sich in den Kissen und betrachtet verträumt den Verlobungsring an ihrem Finger. Silvios Liebe und Fürsorge wiegen eben doch alles auf.

Ein Schatten fällt auf sie, Silvio steht vor ihr, sein brauner Körper glänzt im Kerzenlicht. Er begehrt sie. Sie lieben sich leidenschaftlich. Seine Lippen und Händen streifen über ihren Körper, entlocken ihr ein Schnurren – nur Lili, ihre Katze, bringt das noch besser auf die Reihe. Marielena ist glücklich in dieser Nacht, sie weiß, dass es keine Barriere gegen die Stimulanzen des Lebens gibt. Sie geschehen von heute auf morgen und können das Leben komplett auf den Kopf stellen.

Bruno war eine Amour fou. Jedoch, meine Gute, lass dir keine Beichte einfallen in puncto Affäre. Auf diese Episode musst du nicht stolz sein, erteilt sie sich selbst einen Verweis.

Silvio sitzt auf der Bettkante, erwähnt nebenbei, dass zu dem Fest auch seine Jugendfreunde kommen. Allzu oft geschieht das Gottseidank nicht, aber seine Mutter wolle es so. Alba findet, dass Namen von Belang die Gästeliste zieren müssen.

„Ich bin froh, wenn das Fest zu Ende ist. Der Einzige von den Freunden, der damals aus einfachen Verhältnissen kam, war Amedeo di Positano. Ob du es glaubst oder nicht, diese blasierte Bande lässt ihn heute noch spüren, dass seine Eltern nur eine satoria hatten.“ „Silvio“, unterbricht Marielena, „Amedeo ist ein weltberühmter Mann! Spielt da seine Herkunft noch eine Rolle?“ „Natürlich ist er angesehen, viele suchen seine Nähe, sich mit ihm zu zeigen, heißt dem Erfolg nahe zu sein. Doch ihn wirklich anerkennen, den Sohn eines Schneiders, wäre zu viel verlangt.“ Silvio geht ans Fenster und blickt hinaus in die Nacht. „Ich glaube“, fährt er fort, „man kann seine Schwächen auf die Dauer nicht verbergen.“ Marielena läuft es kalt über den Rücken, santo cielo, plötzlich ist es ihr mulmig zumute, meint er etwa mich? Was weiß er von meiner Affäre mit Bruno? Oder plagt mich nur mein schlechtes Gewissen? Silvio wendet sich Marielena wieder zu, stumm ruht sein Blick auf ihr. Sie schenkt ihm ein entschuldigendes Lächeln, beteuert, müde zu sein. Gähnend wünscht sie ihm eine gute Nacht, kriecht noch tiefer in die Kissen und stellt sich schlafend. Was wäre, wenn Silvio etwas vermutet? Ob er meinen Seitensprung durchschaut hat? Ihre Gedanken kreisen – beunruhigen sie. Silvio legt sich neben Marielena, streift ihr zärtlich über das Haar und wünscht ihr ,sogni d`oro.“ Ob ich heute Nacht süß träume, ist fraglich, sinniert sie beunruhigt.

Am nächsten Morgen, beim Erwachen, wandert Marielenas Blick zur hellblau bemalten Zimmerdecke, warum nicht – wie der Himmel von Capri. Silvio schläft noch, seine Züge sind entspannt.

Marielena zuckt zusammen, am Fußende sitzt Alba, die sie anlächelt. „Buon giorno, cara!“ Marielena zeigt ihr stolz den Finger mit dem Verlobungsring.

Alba ruft überrascht: „Na, endlich seid ihr offiziell verlobt. Auguri!“ Bei all dem Getöse erwacht Silvio: „Signore, warum soviel Lärm um nichts.“ Alba ist empört: „Lärm um nichts“, wiederholt sie, „eine Verlobung ist ein Wendepunkt im Leben.“ Silvio schüttelt gähnend, sich reckend, den Kopf: „Aber Mamma, doch nicht morgens um sieben.“

In der Villa Amato spürt man heute Morgen, dass sich das Familienchaos noch zurückhält. Bis jetzt ist alles noch harmonisch, denkt Marielena im Stillen. Über eine Wendeltreppe kommt man auf das Sonnendeck.

Bequeme gelbe Sitzmöbel spiegeln das Flirren der Sonne wider.

Von hier oben kann man sehr gut das Meer und den Hafen sehen.

Maria, der gute Geist der Familie, serviert ihnen das Frühstück.

Marielena trägt nur einen Hauch von Hausmantel und eine Sonnenbrille. Silvio sitzt ihr gegenüber. Noch ist sie mit sich im Gleichklang, stippt eben ihr cornetto in den Cappuccino, als Silvio das Behagen stört.

„Gott sei Dank ist deine Unsicherheit verflogen“, nach einer Atempause, „was unsere Lebensplanung angeht.“ Marielena schaut abrupt auf, die Brille rutscht ihr auf die Nasenspitze, das Hörnchen versinkt in der Kaffeetasse. Sie belauert seine Miene und fragt sich im Geheimen, was bedeutet das? Nachdem sie die Balance wieder gefunden hat, erwidert Marielena verlogen: „Caro, ich brauchte Zeit, um bei dir anzukommen.“ Silvio ergreift ihre Hand und schaut ihr ernst in die Augen: „Darüber bin ich sehr froh, dass du dich entschieden hast.“ Marielena hat immer noch keine Ahnung, wohin das führen soll.

„Dann lass uns deine Parisreise“, Marielena hält den Atem an, „als eine gelungene Therapie sehen.“ Heikle Situationen sind Marielenas Stärke. Mach jetzt nur keinen Fehler sagt sie sich. „Silvio, erwartest du eine Rechtfertigung?“, fordert sie ihn heraus. Erhebt sich, geht zum Fernglas, das an der Brüstung verankert ist und schaut zum Hafen hinunter.

Silvio schüttelt unmerklich den Kopf. „Nein“, sagt er schließlich überzeugend, „das ist nicht nötig, ich glaube, es ist alles gesagt.“ Marielena hütet sich, das fatale Zwischenspiel mit Bruno zu erörtern.

Zumal sie weiß, dass Silvio die Begebenheit nur deshalb vorbringt, um nicht wie ein Naivling dazustehen, einer, der die Affäre nicht bemerkt habe. Warum sind Verliebte so einfältig? Sie leben in dem Glauben, keiner könne ihr verändertes Gebaren wahrnehmen.

Durch das Fernglas entdeckt Marielena am Horizont eine Jacht. Am Heck steht Amedeo di Positano, der auf das Wasser schaut.

Unerwartet wird Marielena von hinten erfasst und herumgewirbelt, Paula und Roberto, Silvios Geschwister, begrüßen sie stürmisch.

Im Hintergrund steht ein gut aussehender Mann, der sich befremdet zurückhält. Roberto stellt ihn Marielena vor: „Alberto Sari, mein Lebensgefährte“, bringt er etwas verschämt hervor.

Silvio erhebt sich. „Ciao Alberto, herzlich willkommen.“ Silvio kennt Robertos Freund längst, stellt Marielena erstaunt fest.

Alba kommt hinzu und ist ebenso verblüfft wie Marielena. Sie umarmt Roberto, dann reicht sie Alberto Sari zögerlich die Hand: „Ich darf Sie doch Alberto nennen?“ Der beteuert mit Nachdruck: „Selbstverständlich, Signora Amato!“ Alba gibt Marielena mit den Augen zu verstehen: Na, wie findest du mich? Marielena würde gerne zum Strand gehen. Doch bevor sie Silvio ihren Wunsch vorschlagen kann, verfügt Alba über den Sohn, gebieterisch, wie sie nun mal ist. „Silvio, wir müssen heute Morgen noch den Wein für das Fest aussuchen.“ Alba hat nach dem Tod ihres Mannes in relativ kurzer Zeit Spitzenweine von erwähnenswerter Qualität produziert und außerordentlich viel Beachtung mit dem Rebgut errungen.

„Mamma, warum lässt du Alberto nicht mit entscheiden?“, fragt Roberto seine Mutter. „Alberto hat einen Ratgeber der gehobenen Gastronomie Italiens geschrieben, er ist ein Weinkenner“, klärt er mit Nachdruck seine Mutter auf. La Mamma sieht erst Roberto, dann Alberto an: „Ach so, das habe ich ganz vergessen, Sie sind ja Journalist.“ Natürlich stimmt das nicht. Denn Alba denkt all zu oft an den Liebesbund, den ihr Sohn mit dem Journalisten eingegangen ist. Sie längst hat das Umfeld von Alberto Sari sondiert.

Silvio stellt belustigt fest, wie Roberto darauf aus ist, seinen Freund in die Familie einzuführen.

„Warum nicht“, hört Silvio seine Mutter sagen. Wenn man bedenkt, dass Alba noch vor wenigen Wochen jeden Homosexuellen in Grund und Boden verdammt hat, überlegt Silvio, ist das, was hier und heute geschieht, beachtlich. Grazie Marielena, das haben wir dir zu verdanken.

„Allora ragazzi, avanti – gehen wir“, fordert Alba Silvio und Alberto forsch auf.

„Und was machen wir?“, fragt unternehmungslustig Paula.

Das Klingeln von Marielenas Telefonino lässt die Antwort offen, nach einem kurzen Gespräch hören sie Marielena sagen: „Danke für die Einladung, bis gleich.“ Erwartungsvoll sehen alle Marielena an – Paula fragt neugierig: „Wer war das?“ Die zuckt nur mit der Schulter, denkt nicht daran, zu erwähnen, wer der Anrufer sei.

Was nicht perfekt ist, wird inszeniert. Marielena kleidet sich rasch an, wickelt ein Tuch zum Turban und streift Sandalen über. Beschwingt, hintergründig lächelnd, verlässt sie die Familie.

Amedeo steht am Hafen, blickt melancholisch ins Endlose. Die Haare sind nicht wie gewohnt zusammengebunden, sie flattern ihm ins Gesicht.

Seltsam, wie vertraut er sie begrüßt – wo sie sich vor nicht all zu langer Zeit erst begegnet sind.

Sie schlendern über die Piazzetta, den Salon der Capreser. Abrupt bleibt Amedeo stehen, entgeistert betrachtet er sein Schattenbild in der spiegelblank geputzten Scheibe einer Vitrine ruft affektiert aus: „Mein Gott, wie sehe ich denn aus?“ Er sieht erschöpft aus, denkt Marielena.

In der Via Camerelle zeigt ihr Amedeo seine neu eröffnete Repräsentanz, weist selbstverliebt auf die Inschrift an der Tür hin – „Amedeo di Positano“, es klingt erhaben aus seinem Mund.

Ohne zu fragen, lenkt er Marielena in die Bar von Tiberio. Sie trinken eine Limonade. Die Augen der Gäste sind auf ihn gerichtet, außer einem respektvollen „ciao Amedeo“ wagt es keiner, ihn anzusprechen.

Danach führt er Marielena in sein Appartement, das versteckt in der Ecke einer verwinkelten Gasse liegt.

Wildkatzen- und Zebradrucke, kombiniert mit floralen Dessins, stechen ins Auge. Selbst im persönlichen Bereich wird deutlich, dass Gestalten Amedeos Leben ist. Die Fenster sind mit Vorhängen verdunkelt, so als wolle er der Welt den Zutritt verwehren. Dennoch wird die Behaglichkeit von einem undeutlichen Summen beeinträchtigt, das anschwillt, wieder verhallt, egal, wo man sich aufhält. Das Gemurmel von vorbeigehenden Passanten auf der Straße ist immer gegenwärtig.

Je näher Marielena dem Designer kommt, desto imponierender findet sie ihn. Amedeo sitzt ihr gegenüber, schaut ins Nichts, als wäre er allein im Raum. Plötzlich setzt er heftig sein Glas ab. Die Eiswürfel klirren.

„Das Absurde, cara, ist in mir verankert“, sagt er maliziös lächelnd. „Man muss für alles bezahlen! Oft einen viel zu hohen Preis.“ Marielena wird allmählich bewusst, dass er sie nur eingeladen hat, um ihm die Beichte abzunehmen – doch die Absolution muss er sich bei einer übergeordneteren Stelle holen, denkt sie spöttisch. Ist es Weltflucht, rätselt sie, oder nur ein Klagelied? Eben noch, da draußen auf der Piazza, mimte er den Lässigen. Nun stellt er seine Ohnmacht gegenüber dem Leben theatralisch als Desaster dar.

„Mein größter Fehler war es, die Regie über mein Leben aus der Hand zu geben und in die eisenharte Faust meiner Mutter zu legen.“ Amedeo setzt nachdenklich eine dunkle Sonnenbrille auf, als wolle er sich abschirmen, spricht leise weiter: „Die Opferrolle war bequem, ich konnte Margareta die Schuld meiner Miseren zuschieben, nur meinen Eigensinn, den habe ich mir bewahrt.“ „Menschen, die ihren Eigenwillen ersticken, werden eng und tatenlos“, bestärkt ihn Marielena etwas hilflos. Sie weiß nicht, wo das Gespräch hinführt und wie sie sich verhalten soll.

„Meine Mutter akzeptierte sinnlose Zwischenfälle oder Vergnügen, die man hin und wieder braucht, nicht. Sinnlosigkeit ist wie Champagner, kreativ und bejahend.“ Marielena erträgt mit Duldungsstarre seine Bekenntnisse, ahnt immer noch nicht, was das soll. „Es ist Margaretas Eigenart, ich kann sie nicht ändern – man kann aus einer Distel keine Rose machen.“ Amedeo wirkt jetzt eingefallen, wächsern, fast versteinert. Er flüstert: „Meine Art zu leben hat mich zerstört.“ Plötzlich artikuliert er undeutlich, bringt die Sätze durcheinander, es klingt anders als zuvor. Mit aufeinandergepressten Lippen schaut er verzweifelt Marielena an, bringt mühsam hervor: „Ich bin HIV-infiziert!“ Marielena ringt um Fassung. Alles hat sie erwartet, aber das nicht.

„Ich wollte Freude am Leben und guten Sex haben. Es war eine Episode einer unvergesslichen Nacht, mit viel zu viel Champagner. Jedoch mit dem falschen Kerl“, beendet er das Geständnis.

Marielena könnte jetzt einwenden, es gibt sehr gute Vorkehrungen, die lebenswichtig- und erhaltend sind. Nur – würde das etwas ändern oder gar ungeschehen machen? Nein! Sie schweigt. Es ist zu spät, um ihm Ratschläge oder gar Belehrungen zu erteilen.

Amedeo wird jetzt sachlich: „Ein langjähriger Freund in Madrid ist der Arzt meines Vertrauens, er hat sehr schnell den Virus nachgewiesen.“ Marielena vermutet: Amedeo verlegte die ärztliche Behandlung nach Spanien, um so einer medialen Verbreitung in Italien zu entgehen.

Fast beschwörend betont er, dass er einen Cocktail mit antiviralen Stoffen täglich einnimmt, um den Erreger aufzuhalten. Er erhebt sich, greift vom Regal ein Fläschchen mit einer Kanüle und holt eine für ihn vorgesehene Portion der Flüssigkeit heraus und nimmt sie oral ein.

„Stell dir vor Marielena, es gibt Menschen, die mit der Infektion schon mehr als zwanzig Jahre leben“, tröstet er sich selbst. „Ich werde mein Leben neu ordnen müssen“, betont er optimistisch. „Die Götter bitte ich um eine Änderung, um ein Ende meiner Mühen, so steht es, glaube ich, bei Agamemnon in der Orestie.“ Amedeo geht jetzt wie ein Tier im Käfig auf und ab. Marielena folgt ihm mit den Augen.

„Bisher ging alles gut. Doch seit einiger Zeit fühle ich mich elend, es muss etwas geschehen. Deshalb habe ich beschlossen, in den nächsten Wochen eine Kur in Florida zu beginnen. Marielena, wenn nur die Angst nicht wäre, sie ist mein ständiger Begleiter“, seufzt er. „Zum Glück bin ich lebensbejahend, ich glaube, selbst kurz vor dem Abgrund lässt sich so manche Karre noch aus dem Dreck ziehen.“ Er setzt sich neben Marielena, sie ergreift seine Hand, Tränen treten ihm in die Augen: „Marielena, ich will die Konfrontation mit dem Gevatter aufnehmen – will leben.“ Eine innere Kraft scheint seinen Erhaltungstrieb anzustacheln, stellt sie beruhigt fest. Amedeo legt seinen Kopf auf Marielenas Schulter: „Um mein Leben verlängern zu können, würde ich selbst mit dem Herrn der Finsternis einen Pakt schließen.“ Marielena nickt skeptisch: „Wenn man mit diesem Gesellen pokert, mein Lieber, lassen einen die bösen Geister nie mehr los.“ „In meinem Kopf gibt es eine Liste von Dingen, die ich noch vorhabe, bevor ich abtrete“, betont er wie ein trotziges Kind. „Ich werde mein Leben total verändern, auf den Kopf stellen und meiner despotischen Mutter die Stirn bieten.“ Marielena erhebt sich, es ist spät geworden, sie muss nach Hause.

Silvio wartet sicher schon auf sie. „Du kannst beruhigt sein“, versichert sie ihm, „dieses Gespräch bleibt unter uns.“ Amedeo schaut sie wehmütig an: „Darum hätte ich dich nie gebeten, ich fühle, dass ich mich auf dich verlassen kann.“

Marielena ist froh, endlich allein zu sein. Sie geht zum Strand. Die Sonne versinkt am Horizont. In einem Liegestuhl lässt sie sich nieder.

Die Geister in ihrem Kopf plagen sie. Jetzt nach Hause gehen und lächeln, so, als wäre nichts geschehen? Wie ich das hasse! Unerwartet steht Silvio vor ihr, holt sie heraus aus den trüben Gedanken und dem Liegestuhl. Jetzt weiß sie, was ihr gefehlt hat – seine Nähe.

Maria, die Wirtschafterin der Amatos, hätte beim Einkaufen Marielena in Begleitung von Amedeo gesehen. Daher wusste Silvio, wo er sie suchen musste. Wenn nicht bei Amedeo – dann mit Gewissheit am Strand. Denn Marielena ist una ragazza di mare. Sie liebt das Meer.

Silvio nimmt ihr erschöpftes Gesicht in seine Hände. Marielena schmiegt sich an ihn, seine Nähe ist beruhigend. Ihre Augen sind umflort, das Lächeln verkrampft. Sie holt tief Luft, um nicht losheulen zu müssen, kneift die Augen zu, als müsse sie angestrengt nachdenken. Silvio hält sich zurück, wartet ab, was kommt. Sekunden vergehen, dann fragt er nach: „Möchtest du mir erzählen, was du erlebt hast?“ Marielena schüttelt nur traurig den Kopf. Wie tröstet man jemanden, wenn man nicht fragen darf, was ihn bedrückt, resigniert er. Der Nachmittag muss für sie nicht angenehm gewesen sein. Ich werde sie nicht mit meinen Fragen belasten. Im richtigen Moment wird sie mir alles erzählen.

Das hat sicher etwas mit Amedeo zu tun. Seit seiner Jugend muss ich ihn entweder verteidigen oder beschützen. Was mag jetzt wieder los sein, grübelt Silvio beunruhigt.

Marielena spürt Silvios Anteilnahme – auch seine Wissbegierde.

Irgendwann, befürchtet sie, muss ich ihm Amedeos Geheimnis beichten.

Silvio führt Marielena in einen entlegenen Winkel – wo Capri intim und am schönsten ist. Ein Platz, den die wenigsten Touristen kennen. Da sitzen alte Männer auf der Kaimauer, lassen die Beine baumeln und lesen in der Abendzeitung. Dort flicken Fischer ihre Netze. Aber auch solche gibt es, die nur dösend in die Abendröte blicken.

In einer Osteria, bei Wein und „frutti di mare“, kann Marielena sich allmählich entspannen.

Nach dem zweiten Glas findet sie: Er hat was! Silvios Anziehungskraft ist seine Zurückhaltung! Marielena lächelt ihn verliebt an. Silvio kennt diesen Blick, versucht erst gar nicht, in ihre Gedanken einzudringen.

Er ist froh, dass sie sich beruhigt hat.

Nach dem Essen gehen sie Arm in Arm nach Hause.

Medea

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