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Ölbergstraße
ОглавлениеMord im Glashaus
von Ellis Brink
Für alle, die Kriminalromane schätzen
Köln. Eine Gründerzeitvilla in der Ölbergstraße, breite Treppenhäuser, in den Wohnungstüren Buntglasscheiben.
Der ovale Spiegel hing im Flur. Hochkant. Gekauft in jenem völlig verregneten September in einem kleinen Antikgeschäft, na ja eher Trödelladen im Perigord. Cubjac bei Perigueux, die Ferienwohnung in einer alten Schlossanlage - eher latent feucht und leicht muffig. Ausgestattet mit je zwei leichten Pullovern für zwei Wochen Urlaub mussten sie mit ihrer Garderobe bei acht Grad Tagestemperatur streng haushalten.
Dann der Kauf des Spiegels: Ein Blätterdekor aus Metall rankte sich um ihn herum, oben thronte eine stilisierte Blüte. Kein Problem, die Deckenhöhe ihrer Wohnung betrug über drei Meter.
Draußen wurde es schon dunkel. Dezember! Im Vorbeigehen fiel Hannes Blick in den Spiegel, hinein in ihr missmutiges Gesicht. Die hellblonden Haare reichten bis auf die Schultern. Graublaue Augen starrten sie an. Langweilig, durchschnittlich, schlecht gelaunt.
Ihre Mundwinkel zielten gekonnt Richtung Kinn. Zaghaft strich Hanne die Haare hinter das Ohr. Vorsichtig versuchte sie in den Spiegel zu lächeln. Sie reckte die Schultern, ließ sie wieder fallen.
Grundschullehrerin, mittelalt, mittelhübsch, mittel- situiert, alles mittel. Keine Kinder. Ein Ehemann. Der auch mittel.
Dunkelblonde Haare, Brille, mittelschlank. Beamter im Tiefbauamt der Stadt Köln. Die Aufgabengebiete:
Erdarbeiten, Gehwegschäden, Schlaglöcher, Straßenschäden,
Gebäudeabriss, Brücken...Mittelinteressant, alles mittel!
Sie wusste, dass sie wirklich keinen Menschen faszinierte, nicht einmal ihre Grundschulklasse oder gar deren Eltern.
Ein Beispiel dafür war der letzte Elternsprechtag: Sie stand vor den Eltern und erzählte von den Regeln und Ritualen ihrer Schule, aber niemand hing gebannt an ihren Lippen. Gepflegte Elternpaare, von ein paar Ausreißern abgesehen. Die Ehemänner, wenn sie denn geruht hatten mitzukommen, starrten hinter der Hand auf das Display ihres Smartphons, die Mütter lauschten gelangweilt, die Augen auf die beschmierte Tafel gerichtet, die der Tafeldienst wieder nicht ordentlich gewischt hatte.
Gut, gut: Offener Beginn der Beschulung ab 7.30 Uhr, Arbeiten an einem Thema auf verschiedenen Niveaus für alle vier Jahrgänge, vertrauensvolle Atmosphäre in Klassenraum und Schule, Helferprinzip! Toll!
Warum nur fühlte sie, dass das alles niemanden interessierte? Etwa an der mangelnden Bereitschaft in der Schule mitzuwirken? An dem Desinteresse die Klassen-pflegschaftsposten zu besetzen?
Na fein! Die Kinder! Hauptsache früh aus dem Haus und möglichst lange in der Schule. Hauptsache keine Probleme mit den Lehrern.
Bloß keine Kritik an den erfolgsverwöhnten, lobgewohnten und nicht belastbaren Sprösslingen, bloß keinen Stress. Erziehung durch Bestäubung, das Genie erkennen. Und später Abitur!
Und dann bitte nicht diese Lehrerinnen, nicht ihre Kritik! Langweilige Lehrerinnen! Top gekleidet im Schlabberlook. Ein Temperament wie Kamillentee mit Zwieback. Sie wusste genau, was sich hinter diesen leeren Augen abspielte, warum die Väter, die gezwungenermaßen mitgekommen waren, unter dem Tisch mit ihren Smartphones spielten. Ganz genau. Langeweile in Potenz. Hanne seufzte tief.
Hinter ihr im Spiegel der große Holztisch der Wohnküche. Eine alternative Küche oder zumindest alternativ Ikea.
Eine Kochinsel, über der Kochlöffel, Schaumlöffel, Grillzangen und Siebe baumelten.
Eine alte Anrichte, Jugendstil mit grünen Bleiglasscheiben an der gegenüberliegenden Wand, darinnen Omas Gläsern. Bilder mit getrockneten Blumen. Oben auf dem Tisch ein feines rotes Nylonnetz und ein Henkelkorb mit den Einkäufen vom Wochenmarkt. Ein Bierkasten auf dem Fensteraustritt oder Minibalkon, natürlich voller Blumenkästen und natürlich mit Küchenkräutern bepflanzt. Das bringt die Toskana nach Köln, nach Köln - Klettenberg, pflegte Hartmut zu sagen, wenn er die Sauce Bolognese umrührte und mit dem Holzlöffel sorgfältig abschmeckte.
Köln. Klettenberg! Ihr " Viertel ", wie die Klettenberger oft mit Stolz und manchmal mit Trotz in der Stimme verkündeten. Jedem, der es hören wollte und den anderen sowieso. Trotzdem! Eben, und erst recht!
Im Internet wurde das Viertel von der tranigen Stadt Köln
als " lauschig- mit viel Atmosphäre " beworben.
Eine Anlage, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts "aus einem Guss" errichtet worden war. Geographisch bestimmt durch die Lage zwischen Gottesweg, Luxemburger Straße, Autobahn und Eisenbahn. Viele Altbauten aus der Gründer- und Jugendstilzeit um 1900 formten das Bild, viele Bauten im Besitz von Wohnbaugenossenschaften mit langen Wartelisten. Hochaufragende Gebäude mit Sprossenfenstern, vorragenden Erkern und recht viel Grün ließen erahnen, wie Köln vor dem 2. Weltkrieg an vielen Stellen ausgesehen hatte.
Zugeparktes Grün versteht sich. Mitten drin der Klettenbergpark. Einige Seitenstraßen der Luxemburger Straße, in der Mitte die Straßenbahnlinie 18, waren nach den Bergen des Siebengebirges benannt.
Das alles erzeugte bei den hier Geborenen das Wir - Gefühl.
Ein Klettenberger lebte sein Viertel, er war engagiert, gestaltete mit. Klettenberg musste man nicht verlassen.
Nur um geboren oder begraben zu werden, wechselte man nach
Lindenthal oder Zollstock. Alles andere geschah im Veedel!
Dazu zählte gerade auch die Luxemburger Straße mit ihren vielen Geschäften und dem tosenden Verkehr: Ein In-Viertel, mit In - Menschen, alles und alle charmant und individuell. Aber auch belastet durch den Verkehrslärm, die Autos, die sich langsam und stinkend durch die Straßen schoben, der oft stundenlangen Suche nach einem Parkplatz, den Graffitis auf schmutziggrauen Fassaden und den Hundehaufen.
Ein Klettenberger sieht das nicht oder auf jeden Fall sieht er es nicht deutlich, er sieht es anders.
Klettenberger sind überhaupt anders. Viele Akademiker, charmante Paare, plus oder minus Kind. Mit Rastalocken geschmückte junge Alternative waren äußerst selten.
Hier dominierten Paare, die es geschafft hatten, beruflich meist erfolgreich, man hatte kreative und teure Hobbys, man hielt zusammen, lebte zusammen und traf sich ständig mit seinesgleichen.
Beliebt waren Fêten in Wohnküche, Flur und Wohnzimmer: ein Glas Beaujolais in der Hand und interessiert die Interessen an KPM und IKEA Geschirr diskutierend. Man tauschte Rezepte aus den Urlaubsländern, brachte Olivenöl extra vergine von der winzigen Ölmühle in der Toskana mit, gründete Kitas und verwaltete sie irgendwie. Die meisten verfügten über einen Zweitwohnsitz in der nahegelegenen Eifel oder in "Holland".
Es gab keine ultimativ höhere Scheidungsrate als anderswo, man riskierte mit einer Trennung ja auch einiges.
Familiäre Abgründe inbegriffen!
Hanne seufzte und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Irgendwie kam ihr das eigene Leben vor wie ausgeborgt, irgendwie passte es nicht zu ihr, passte nicht zu Hanne. Oder passte es etwa doch? Und jetzt noch diese Idee mit dem gemeinsamen Urlaub. Entstanden auf der Feier der Hausgemeinschaft Ölbergstraße neben dem Grill im hinteren Garten. Grillen im Winter!
Urlaub mit der Hausgemeinschaft! Mit Sonja und Ilka. Mit Peter und Beate. Eine selten blöde Idee.
Sie griff nach der Flasche Mineralwasser. Langsam setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Neben dem Bildschirm ein Stapel handschriftlicher Notizen. Gutachten, Gutachten und noch mal Gutachten.
Wieder seufzte sie, nur noch eines heute, versprach sie sich. den Rest auf andere Tage verteilen. Im Verteilen war sie gut.
„... Paul - Luca kann sich an keine Regeln halten. Dieses Verhalten verstärkt sich, je älter er wird. Gegenüber den Mitschülern übt er auch körperliche Gewalt aus. Er übernimmt keine Verantwortung für sein Tun und kennt keine Grenzen. Paul - Luca arbeitet prinzipiell gegen alles, sei es der Unterrichtsstoff, die Mitschüler oder die Lehrer.
Schon in der Kindergartenzeit wurde den Eltern mitgeteilt, dass er in der Schule Schwierigkeiten bekommen würde. Die Eltern zeigen sich ratlos...“
Wieder seufzte Hanne und schaute am Monitor vorbei zum
Fenster. Ja, eine selten blöde Idee!