Читать книгу Mord im Glashaus - Ellis Brink - Страница 7
Die Fahrt
ОглавлениеBeim Phantasialand kam die erste Hiobsbotschaft aus dem Radio.
" Autobahn zwischen Bitburg und Trier gesperrt. Wartezeit mindestens eine Stunde. "
Also nahmen sie einen Umweg über Gerolstein. Auf der A1 wieder eine Baustelle und Wartezeit.
" Ich beneide jetzt schon Beate und Peter. Fliegen müsste man können, ich meine, sich leisten können." Sonja nölte eindeutig.
" In the summertime, when the weather is fine...", seelenruhig umfasste Ilka das Lenkrad, summte und gab ihrem Wagen die symbolischen Sporen.
" Reg dich nicht auf. Relax doch! Wir haben Urlaub und bald sind wir am Mittelmeer. Saint Tropez, Nizza, Cannes, wir kommen! Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue. Brüllen
könnte ich!"
Sonja drehte sich um.
" Hanne und Hartmund sind noch hinter uns. Wollten wir nicht bald den Tank vollmachen?"
Luxemburg. Ausfahrt 13. Die Kölner tankten. Anschließend
Gewitter, Gewitter, Gewitter! Es goss nicht, es regnete Schusterjungen, es hagelte Golfbälle. Gut: Kleine Golfbälle.
Soviel zu " in the Summertime ".
Die Mesdames und Messieurs auf der Autobahn bremsten bis auf Null herunter. Einige parkten aus Angst um die teure Karosse gar unter Autobahnbrücken und vereinzelt blieben ganz furchtsame Exemplare mittenmang auf der rechten Spur stehen.
Ein Auftakt vom Feinsten. Langsam, ganz langsam wurde der Himmel wieder etwas heller. Also: schleichender Verkehr, untermalt vom Quietschen der Scheibenwischer, die sich fast einen Wolf arbeiteten.
Es lief durch Thionville und Metz. Bei Toul fädelten sie sich fast ohne Wartezeit durch die " Peage ". Glück gehabt.
Gegen 17.00 Uhr erreichten sie das Hotel du petit Casset vor
Lyon. In Lyon war es heiß, leider das Zimmer ohne Klimaanlage, dafür war das Personal sehr freundlich.
" Also, wollen wir es mit dem Lemoncello versuchen?"
Fleißig hatte Hanne das Internet von Tripadvisor bis zu
sämtlichen Restaurantführern in Lyon durchstöbert.
Gefunden hatte sie in unmittelbarer Nähe ein familiäres Etablissement " Le Lemoncello ". Die vier ergatterten einen Außentisch in drückender Hitze mit Blick auf den
Durchgangsverkehr der ortsansässigen Bevölkerung von Le Boise. Angereichert wurde die Atmosphäre von Auspuffgeknatter und Musikgedröhne.
Langsam aber sicher versammelten sich auch die Anwohner des Ortes bei den Hotelgästen vom Petit Casset um ungeheuerliche Portionen zu verdrücken. Hier aßen keine sachkundigen und maßvollen Genießer, hier widmete man sich der exzessiven tonnenweisen Nahrungsaufnahme.
" Eigentlich ist es typisch Peter und Beate ", äußerte Hanne
missbilligend. " Hier hätten sie mit uns sitzen sollen. Das ist doch ein gemeinsamer Urlaub und sie bekommen nicht mal die Anreise gemeinsam mit uns hin! Ich glaube, die bilden sich ein, etwas Besseres zu sein. Dabei haben Hartmut und ich auch studiert und ihr ebenfalls eine richtige Ausbildung."
" Wenn wir jetzt schon anfangen, uns über andere Gruppenmitglieder das Maul zu zerreißen, können wir gleich wieder nach Hause fahren."
Hartmut klang bestimmend, seine Augenbrauen trafen fast über der Nasenwurzel zusammen.
So bestimmend immerhin, dass Peter und Beate mit keinem Wort mehr erwähnt wurden.
" Im Hotel bestelle ich sofort 4 Ricard", stöhnte Ilka.
Dieser Idee wurde nicht widersprochen.
Auf der Hotelterrasse versanken alle vier Mittelmeerfreunde in Träumerei. Die sich langsam verstärkende Dämmerung und der pastellfarben gefärbte Himmel luden sicher dazu ein.
Hanne stöhnte wohlig auf und schloss die Augen bis auf einen kleinen Spalt.
Wieso fiel ihr fast augenblicklich ihr Berufsbeginn in Duisburg wieder ein? Der war doch schon so lange her und so gut in den hintersten Ecken ihrer Erinnerung versteckt.
Schon Jahre hatte sie nicht mehr an die junge Hanne und die Städtische Aufbaurealschule gedacht.
Ihre erste Stelle, in Duisburg. Im Ruhrpott. Bis sie das möblierte Zimmer gefunden hatte - inklusive Toilette auf dem Flur - musste sie jeden Morgen von Köln nach Duisburg fahren.
Ihr Auto, ein alter VW Käfer mit tiefenbegabter Geschwindigkeit wurde stets nach kurzer Zeit zwischen die in geschlossener Reihe fahrenden Laster eingezwängt, ein Überholen illusorisch. Oft kam es vor, dass ein sympathischer Trucker sie mitsamt ihrem Autochen auf den Standstreifen jagte. Diese Fahrten überstand sie nur mit Wackelknien. Nicht, dass das gemietete Zimmer besser gewesen wäre. Aber es war halt nur scheußlich und nicht gefährlich.
Sehnsüchtig dachte Hanne an ihre kleine, liebevoll eingerichtete Wohnung in Köln, in der Hartmut nun allein schaltete und waltete. Jedenfalls in der Woche. Der Schulleiter in Duisburg empfing sie mit äußerster Zurückhaltung.
Aus seiner Miene entnahm sie: Was machen wir nur mit dieser Kraft?
" Sie sprechen doch Deutsch?", fragte er und "Überraschung" schon sah sie sich als Deutschlehrerin dreier fünfter Klassen inthronisiert. Überflüssig zu erwähnen, dass Deutsch nicht zu ihren Lieblingsfächern gehörte.
" Fordern ", natürlich damit auch " Fördern ", war ein Anspruch der Schule und so unterrichtete Hanne außerdem mit einer Wochenstunde die Fächer Politik und Sozialkunde in sehr, sehr vielen Klassen. Zweistündig auch zwei Klassen in Geographie, eine Klasse in Englisch. Mit 27 Wochenstunden kam die Anfängerin auf eine stolze und kaum überschaubare Anzahl von Schülern.
Hanne fühlte sich als Verwerterin aller ungeliebten Reste und ehrlich gesagt auch restlos bedient. An der Schule herrschte außerdem noch ein " gepflegter " preußischer Ton. Für die Parkplätze gab es Ausnahmeregelungen, näher dem Schulgebäude parkten die, die schon länger da und beim Schulleiter angesehen waren. Die Sitzplätze im Lehrerzimmer waren fest zugeordnet, die Neuen hatten einen Tisch für sich in der hintersten Ecke. Nicht, dass sie das gestört hätte.
Und da, an diesem Tisch hatte auch Moni gesessen. Moni, an die sie nicht mehr denken wollte. Moni, deren Freundschaft sie verraten, die sie im Stich gelassen hatte.
Hanne öffnete die Augen, das wohlige Gefühl war geschwunden, ihr war übel. Dass sie bald darauf auf eigenen Wunsch und Betreiben in eine Grundschule in Köln versetzt wurde, spielte jetzt kaum noch eine Rolle.