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Auf den ersten Blick

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Ich ging aus dem K-Mart raus und schaute in den Himmel. Ein perfektes Septemberblau. Durchkreuzt von einer schwarzen Rauchwolke, die von rechts nach links über die Lafayette Street hinwegwaberte.

Die Stadtverwaltung konnte nicht beschlossen haben, die arme Kate Millet durch Ausräuchern aus ihrer Wohnung an der Bowery zu vertreiben, denn die Wolke zog in die falsche Richtung, aber gemessen an der Fülle des Rauchs musste etwas ganz in der Nähe in Brand geraten sein. »Das ist Broadway, Ecke Houston Street«, nahm ich an, ein Block parallel und acht nach Süden. Brannte das Angelika-Kino?

Nach einer Erklärung suchend sah ich mich um. Niemand sonst blickte nach oben. Dann ging ein Mann schnell an mir vorbei, der in sein Mobiltelefon sprach. »Gerade ist ein Flugzeug ins World Trade Center gekracht«, sagte er.

Ich dachte: »Aber das ist dreißig Blocks entfernt. Was für ein kranker Witz«, lief ihm trotzdem hinterher und zupfte ihn am Ärmel. »Stimmt das?«, fragte ich.

»Ja«, sagte er, ohne stehen zu bleiben.

Ich musste auf meine Kopien warten, also kaufte ich mir einen heißen Kakao und blieb, wo ich war, unter der schwarzen Würfelskulptur auf dem Astor Place. Bemerkten noch andere den Rauch?

Die meisten nicht. Das frühe Licht fiel auf Hunderte Gesichter von Menschen, die Richtung Broadway drängten oder Treppen hinabfluteten, um U-Bahnen zu erreichen. Männer schoben Besen oder trugen Aktentaschen, Schulmädchen knoteten ihre Uniformblusen hoch. Wahlkampfteams, zum Wahltag angetan mit ihren besten Sachen, verteilten Flyer für die Bürgermeister-Vorwahlen. Typen in einem Lieferwagen hupten Typen in einem Auto an. Frauen joggten vorbei und vollführten dann dieses komische Auf-der-Stelle-Weiterlaufen an den Fußgängerüberwegen. Und eine Studentin – als Rückblick auf den Trend von 1999 – stieß und stieß und stieß mit flatterndem Sommerkleid die Lafayette entlang ihren silbernen Roller an, ihr Gesicht in der Sonne wie noch heißes neues Glas. Der Astor Place sah aus wie ein Bild von Edward Hopper, seine unterschiedlich breiten hellen Flächen wuselnd voll an diesem makellos blauen Septembertag. Wenige Leute, meistens welche mit Mobiltelefonen, starrten hoch zu dem sich entfaltenden Horror, manche zeigten nach oben.

Und eine einzige Frau rannte, kämpfte sich durch, ihr feiner Schal wehte hin und her. Ich konnte von der anderen Straßenseite aus das Weiße in ihren Augen sehen.

Natürlich musste ich meine Kopien noch abholen. Ich war wie die anderen: eine Geisel meiner sogenannten Zukunft. Wir steckten weiter in der alten Welt, und diese Frau war schon in eine neue eingebrochen.

Die Tage des Rauchs

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