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Notfall

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Auf der letzten Party des Sommers am Samstag nach Labor Day zeigte uns meine Freundin Kathy ein Foto von den zwei Jungs ihres Bruders. »Der da ist Christopher«, sagte sie. »Sechs Jahre alt. Und jetzt kommt’s: Mein Bruder hat mir letzten Winter erzählt, wie Christopher total sauer von der Schule nach Hause gekommen ist, weil« – Kathy imitierte ab hier das ernsthafte Mienenspiel eines Kindes – »im Musikunterricht ein paar Kinder ganz blöd gewesen sind und die Lehrerin alle in die Ecke gestellt hat, sogar die Kinder, die, wie er, gar nichts gemacht haben. – Mein Bruder hat dann gesagt, Christopher soll doch der Musiklehrerin mitteilen«, Kathys Stimme wechselte ins Elternhafte, »dass er natürlich weiß, dass es wichtig ist, die Disziplin der Klasse aufrechtzuerhalten, aber dass dabei seine Gefühle verletzt worden sind und er sich deshalb eine Entschuldigung wünscht. Aber dann war die Lehrerin am nächsten Tag nicht in der Schule, und noch einen Tag später hatten sie schneefrei. Christopher wirkte auch eigentlich gar nicht unglücklich darüber, dass er an diesem Freitag zu Hause bleiben konnte, aber Samstagvormittag hämmert jemand plötzlich an die Haustür und ruft: ›Polizei. Aufmachen.‹

Mein Bruder hing gerade vorm Fernseher und ging zur Tür, meine Schwägerin kam von oben runter, wo sie gerade meinen andern Neffen gebadet hatte. Und so standen sie dann also im Eingang, er in Boxershorts und sie im gammeligen Bademantel mit nacktem Baby auf dem Arm.

Der Polizist schaut sie sich von oben bis unten an und sagt: ›Wir wurden wegen eines Kindes gerufen.‹

Und da kommt Christopher auch schon eifrig die Treppe runtergetapert: ›Ist die Polizei da?‹ Und mein Bruder: ›Wie bitte? Hast du die angerufen?‹«

Kathy sprach jetzt mit dem weinerlichen Gesicht eines Sechsjährigen weiter: »›Musiklehrerin … in die Ecke gemusst … meine Gefühle verletzt … Entschuldigung … konnt ich ihr ja am Donnerstag nicht sagen … konnt ich ihr ja am Freitag auch nicht sagen … und im Notfall … ruf 911!‹

Als der Polizist zu dem Schluss gekommen war, dass mein Bruder und seine Frau wohl nicht wirklich ihre Kinder prügeln, hat er versucht, Christopher zu erklären, wann man einen Notruf tätigt und wann nicht: ›Okay. Also: Was ist, wenn das Haus brennt?‹

›Ich ruf 911 an.‹

›Richtig, sehr gut. Und was ist, wenn deine Gefühle verletzt wurden?‹

›Ich ruf 911 an.‹

Da schaut der Polizist zu meinem Bruder und sagt: ›Hier dran müssen Sie mit ihm noch ein bisschen arbeiten.‹«

Die Tage des Rauchs

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