Читать книгу The New York City Moviegoers - Elmar Weihsmann - Страница 6
Kapitel 4: Das erste Wochenende nach Studienbeginn
ОглавлениеFreitag:
Wie geplant treffe ich Suzie Q. pünktlich um neun Uhr Vormittags am Washington Square. Erfreulicher Weise trägt sie heute nicht ihre geliebten Hotpants sondern halblange Kakihosen und ein T-Shirt und wenn sie mich fragen würde sieht sie fantastisch aus, viel besser als in dem Nuttenlook, aber leider spielt in Modesachen meine Meinung bei ihr keinerlei Rolle.
Na ja. Die wird schon noch draufkommen, dass die New York University nicht die Morgan High ist.
Ganz selbstverständlich begrüßt mich Suzie Q. mit Küsschen, was in der High School praktisch unerreichbar für mich war.
Sie ist noch schwer beeindruckt von dem Scorcese-Film, den sie heute Abend unbedingt noch einmal sehen will, so sehr hat sie der Horrortrip durch die Stadt gepackt. Sie hat bereits eine Monographie über den Regisseur, der ihr absolut nichts sagt, auf der Bibliothekswebseite gefunden und online bestellt, zu Mittag will sie das Buch abholen.
Alle Achtung Suzie Q., du kratzt die Kurve ganz stark in Richtung Independentfilm.
Wir gehen in die Uni und biegen das erste Einführungsseminar herunter, das zwar rein gar nichts mit Filmen zu tun hat, aber in dem man/frau erfährt, wie der Laden hier läuft, was auch nicht uninteressant ist.
Mittags treffen wir noch einmal unseren Tutor George im Washington Square Park, den ich schwer im Verdacht habe, dass er gleich beide Augen auf die schöne Suzie Q. geworfen hat, tatsächlich schlendern die beiden Händchen haltend von dannen und lassen mich wie den größten Idioten unter dem Triumphbogen zurück.
Typisch New York City It-Girl, auch wenn du dich in eine schicke Studentin verkleidest, du wirst immer die High School Zicke bleiben.
Ich schwemme meinen Frust mit einer Cola hinunter und ziehe von dannen.
Wo wohnt Suzie Q.?
Hm?
Keine Ahnung. Die alte Wohnung hat ihre Mom vor ihrem Umzug nach Texas aufgelöst und ich armer, junger Esel habe sie bisher nicht nach ihrer neuen Adresse gefragt. Sicher hat sie irgendwo im Village Quartier bezogen, wo wird sich sicher bald auskundschaften lassen, spätestens dann, wenn George genug mit ihr gevögelt hat, aber dann, werde ich es mir auch dreimal schwer überlegen ob ich als Ausheulbaum herhalten will.
Wie auch immer. Ich bin gegen 4 am Nachmittag zu Hause und falle auf mein Bett in der Schülerbude, die sich bisher noch nicht sehr verändert hat.
Der einzige Stilbruch im High School-Schick ist das Buch „Film verstehen“, das tatsächlich ein New Yorker geschrieben hat, der an der Columbia Vorlesungen hält, wie ich dem Klappentext entnehme.
Okay, ich schlage den Schmöker auf und lege los.
Ich sehe erst auf, als es an die Zimmertür klopft.
„Hey, Jerry, Abendessen! Kommst du?“ Moms Stimme ruft mich unüberhörbar.
„Hab keinen Hunger“, sage ich nur und lese weiter.
„Film verstehen“ zieht mich total rein in eine unbekannte Hemisphäre, die, als „Filmwelt“ bekannt und mir bisher völlig unbekannt gewesen ist.
Was für Filme habe ich bisher gesehen? Fast ausschließlich Blockbusterkino, nach der Definition von Mister Monaco, also schnöde Unterhaltungsware, die nur zur Gewinnmaximierung hergestellt wurde. Die beiden einzigen Filme, die ich kenne und in dem Buch erwähnt werden sind „Zazie fährt in der Metro“ und „Taxi Driver“.
Uff, ich hab wohl noch ganz schön Aufholbedarf.
Es ist stockdunkel.
Bin ich eingeschlafen?
Nein. Ich habe wie der Irre gelesen und bin bereits auf Seite 100 in dem dickleibigen Schmöker.
Mein Blick streift die Uhr.
Oh mein Gott, es ist bereits Mitternacht.
Ich habe Suzie Q. versetzt, jetzt brauche ich erst gar nicht mehr losziehen, denn selbst die Mitternachtsvorstellung von den „Blues Brothers“, die ebenfalls in meiner neuen Bibel erwähnt werden, hat bereits begonnen.
Ich suche nach meinem Handy und checke die Nachrichtenbox.
Nichts.
Aha.
Sie hat es nicht für nötig befunden mich via SMS oder Anruf an unser Date zu erinnern.
Ob sie noch mit diesem Wichtigtuer George abhängt?
Wahrscheinlich.
Soll ich noch mal ausrücken und in einen der Clubs im Village nach Suzie Q. suchen?
Kommt gar nicht in die Tüte. Ich ziehe mir lieber noch ein paar Seiten von „Film verstehen“ rein. Das ist besser für meine persönliche Erbauung.
Ich lese bis drei Uhr morgens durch, was bisher noch nie vorgekommen ist, dann schlafe ich endlich ein.
Samstag:
Ich lese bis Mittags durch und erscheine ohne Katzenwäsche beim Mittagstisch.
Allgemeines Naserümpfen. Meine Ausdünstung ist nicht die beste.
Mein älterer Bruder Danny, der ebenfalls an der New York University studiert, reißt als erster das Maul auf.
„Jerry liest ein Sachbuch“, knallt Danny die Sensation des Tages in die völlig unvorbereitete Runde.
Sämtliche Augenbrauen, außer natürlich meine, werden nach oben gezogen.
„Wow“, sagt Mom.
„Ein Sachbuch?“ Dad nimmt mich ins Visier.
„Echt? Tatsache?“, fragt Berry, der an der Columbia studiert.
„Wird ja auch Zeit“, gibt Danny zum Besten.
„Hat eh länger als Usus gedauert“, feixt Berry.
„Cool bleiben, Jungs, bisher war Jerry nicht gerade der Intellektuelle in unserer Familie“, sagt Dad.
„Was ist eigentlich ein Sachbuch?“
Allgemeiner großer Megaseufzer. Haarraufen. Kopfschütteln. Stirnrunzeln.
„Scherzt du, mein Sohn?“ fragt Dad, ganz der supercoole Psychoanalytiker.
„Äh?“
„Was liest du denn eigentlich?“ fragt Mom um mir aus der Patsche zu helfen.
„Film verstehen. Von einem gewissen James Monaco. Ist echt cool“, antworte ich sofort.
„Monaco? Ein guter Mann. Kenne ich. Lehrt seit Ewigkeiten an der Columbia“, sagt Mom.
„Stimmt. Ein Standardwerk“, sagt Dad.
„Kann mir endlich einmal einer sagen, worum es geht?“ gebe ich mir jede Blöße, da ich sowieso schon unten durch bei allen Oberschlauen am Tisch bin.
„Ein Sachbuch ist ein Band, der sich im besten Fall wissenschaftlich mit einem Thema beschäftigt. Bisher hast du dir ausschließlich Belletristik vom absolut tiefsten Niveau rein gezogen, außer vielleicht dem ‚Fänger im Roggen’“, werde ich von Danny aufgeklärt.
Aha. Verstehe. Alles was Spaß macht ist völlig uninteressant, alles was anstrengend ist liest man an der Uni.
„Ich finde es toll, dass Jerry bereits in der ersten Woche an der Uni, ein Standardwerk liest“, versucht Mom mir beizustehen.
„Das ist ja wohl das Mindeste was man verlangen kann. Die letzten Jahre war der Knabe ja total aus der Spur und es wird Zeit, dass er endlich aufholt“, sagt Berry von oben herab.
„Arschloch“, sage ich.
„Nicht dieser Ton bei Tisch“, stoppt Mom jede weitere Attacke meiner älteren Brüder.
„Den Arsch lasse ich nicht auf mir sitzen“, feixt Berry.
„Klappe halten, Jerry ist Junior an der Uni. Ihr solltet ihn besser unterstützen“, sagt Mom.
„Abwarten wie lange der Eifer anhält. Er hängt mit dieser High School Tussi ab, die außer heiße Titten und einen straffen Po gar nichts drauf hat“, petzt Danny.
„Wow“, sagt Dad.
„Du hast eine Freundin?“ fragt Mom sehr interessiert.
„Und was für eine. Eine echt steile Braut, die sich nicht entblödet in Lederhotpants an der Uni aufzukreuzen und ständig mit dem Hintern wackelt“, erläutert Danny genüsslich alle Peinlichkeiten dieser Welt.
„Doch etwas unpassend“, meint Dad.
„Die ist nichts für dich, Jerry, die vögelt sich bald durch den Mittelbau ganz nach oben“, sagt Berry.
„Still jetzt! Die Kleine ist frisch von der High School!“ fährt Mom dazwischen und wendet sich an mich: „Kennen wir das Mädchen?“
„Es ist Suzie Q., letztes Jahr bin ich ein paar Mal mit ihr zusammen gewesen“, antworte ich.
Berry und Danny intonieren den CCR-Song.
„Ist sie nett?“ will Dad wissen.
„Nett nicht aber geil“, meint Danny.
„Sie ist okay“, sage ich.
„Ich nehme an du weißt was zu tun ist, wenn es soweit ist?“, fragt Dad.
Allgemeines Gelächter meine Brüder.
„Diesbezüglich musst du noch ein paar Sachbücher lesen, Bubi“, feixen meine Brüder, dass mir fast der Kaffee hoch kommt.
Samstag/Fortsetzung: Trotz der Hitze verlasse ich nicht die Wohnung bis ich „Film verstehen“ in einem Zug runter gerissen habe.
Wow.
Das Buch ist schwer okay, ich werde es in Zukunft immer griffbereit in meiner Tasche herum schleppen.
Es ist wieder drei Uhr Morgens. Ich checke Mails und Nachrichtenboxen. Kein Lebenszeichen von Suzie Q.
Sonntag:
Mit „Film verstehen“ intus wage ich mich hinaus aus der Wohnung und fahre mit der U-Bahn nach Brooklyn, um am Manhattan Beach abzuhängen und baden zu gehen.
Ich bin nicht der einzige, der diese Glanzidee hat, ganz New York City nützt den heißen Spätsommertag, um in Brooklyn schwimmen zu gehen. Die U-Bahn ist jedenfalls zum Brechen voll, so stelle ich mir einen Truppentransporter auf dem Weg ins Gefecht vor, es riecht unangenehm nach Schweiß und Körpersäfte.
Wieso lege ich mir nicht schon längst ein Fahrrad zu?
Die guten Ideen hat man in New York City in der U-Bahn.
Trotz des Massenauflaufs hänge ich alleine in der Menge ab. Ich habe mein Skizzenbuch dabei und mir gelingen ein paar wirklich gute Entwürfe für meine Grafik Novelle, mit der ich vor gut einem Jahr an der High School begonnen habe und die ich trotz meiner total veränderten Lebensverhältnisse abschließen möchte.
Niemand nimmt Notiz von mir. Alle sind total cool und machen sich unheimlich wichtig. Ich gehe alleine ins Wasser und weil ich total unwichtig und uncool bin, würde es sicher keinem hier am Strand auffallen, wenn ich absaufen würde.
Aber den Gefallen mache ich euch nicht!
Ich komme aus dem Wasser und lege mich in den spärlichen Schatten, um wenigstens etwas der Affenhitze zu entkommen und lese in „Film verstehen“ das Kapitel 4: Filmgeschichte: ein Überblick.
Mein ungestümer Blick bleibt an einem Schwarzweißfoto aus einem französischen Film hängen, es zeigt einen Jungen am Meer. Ich sehe genauer hin und halte den Atem an.
Der Junge bin ich.
Die Zeit verfliegt und ich gehe wieder schwimmen. Auf dem Weg ins Wasser sehe ich mich nach Büchern um, die die Leute so lesen, was ich bisher noch nie gemacht habe. Wenn ich/du/er/sie liest, interessiert man/frau sich dann zwangsläufig auch für die Bücher der anderen Leute?
Keine Ahnung, aber ich interessiere mich dafür, was die Leute so lesen.
Die Ausbeute ist gering. Die faulen Säcke am Strand lesen höchstens die Zeitung, ein paar Krimis liegen herum und hie und da ein Comic, das war’s.
Hm?
Strand = Sommer = intellektuelle Nulldiät.
Vielleicht stimmt diese Maxime, was noch zu beweisen wäre.
Ich schwimme und tauche herum, wie es ein achtzehnjähriger Teenager eben so macht und komme wieder zu meinem Lager zurück.
Wow.
Suzie Q. hat sich neben meinen Strandutensilien breit gemacht, in ihrem Bikini sieht sie einfach nur toll aus, was ich ihr aber vorerst nicht sage.
„Hi.“
„Hi.“ Ich lasse mich neben der Strandnixe nieder.
„Wusste ich doch, dass du hier abhängst“, beginnt sie.
„Tatsächlich?“
„Wer liest sonst schon den großen James Monaco am Strand außer vielleicht James Monaco und selbst der lässt sich bei so einem Wetter lieber voll laufen.“
„Ist der wirklich hier?“
„Das war ein Witz.“
„Okay. Aber ein guter.“
Suzie Q. smilt säuerlich. „Loser.“
Hm?
„Und?“
„Was und?“
„Sagst du nichts über meinen Bikini?“
Ich sehe sie scharf an.
Suzie Q. smilt und rekelt sich wie ein Gossip-Girl vor mir im Sand.
„Du siehst phantastisch aus.“
„Danke. Schon besser. Sonst noch was?“
Hm?
„Also komm schon, neben dir liegt die heißest Braut am Strand und du spielst den Loser.“
„Was?“
„Mach schon was!“
„Was denn?“
„Was weiß ich? Küss mich. Heb mich hoch und schlepp mich quer über den Strand? Wirf mich ins Wasser?“
Gesagt getan. Ich schmuse sie nieder. Hebe sie hoch und schleppe sie zwischen allen faulen Säcken hindurch in Richtung Atlantik ab.
Suzie Q. ist so überrumpelt, dass sie einfach mitmacht. Am halben Weg über den Strand löst sich ihre Schockstarre. Sie lacht. Schlingt ihren Arm um meinen Nacken und schwingt vergnügt ihre Beine.
„Hey, Jerry, du bist ja ein echter Cowboy!“
„Yippie Yippie Yeah!“
Ich schleppe die, nach Eigendefinition, schärfste Strandnixe von Manhattan-Beach so weit hinaus, bis mir das Wasser an die Hüften steht. Sie strampelt wild die Beine, klammert sich an mir fest und bettelt gekünstelt herum, dass ich sie ja nicht fallen lasse.
Still jetzt! Ich werfe die Strandnixe in den Atlantik!