Читать книгу Die Enthemmten - Elmar Weihsmann - Страница 12

9.

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Hödel wählte den Umweg über die Süduferstrasse. Sehr zu seinem Ärger unterhielten sich die Mädchen ausschließlich in Englisch. Ariane war wie verwandelt, sie lachte und flirtete und genoss die Gegenwart der lange vermissten Cousine, die sie während der Tagträume an der Supermarktkasse herbeigesehnt hatte. Das Fräulein war bildhübsch, groß, mit ausgezeichneter Figur, charmant, ohne einen Anflug von Hochnäsigkeit und Zynismus. Janet war die Freundin, die Ariane sich immer wünschte, jetzt konnte alles anders werden. Janet würde sie unterstützen und ihr den notwendigen Halt geben, um sich gegen die ekelhaften Onkel und Tanten durchzusetzen, die sie zwingen wollten, als Hilfsarbeiterin in der Fabrik anzufangen.

Ariane wollte Kindergärtnerin werden, aber keiner von ihren verlogenen Verwandten war bereit ihr das Geld für die Ausbildung zu leihen. Im Gegenteil. Sie behandelten die Nichte wie eine Leibeigene, beschimpften und demütigten sie, niemand kümmerte sich darum, was aus dem Mädchen werden sollte.

Arianes Mutter hatte schon vor zwanzig Jahren die Schnauze voll und konsequent entfernte sie sich aus dem Sumpf, ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Erster Job als Kellnerin in der Saison am Wörthersee. Ab Oktober als Serviererin in einer Bar in Villach bis Weihnachten. Wintersaison als Stubenmädchen am Arlberg. Weit weg vom tyrannischen Vater und den versoffenen Brüdern. Urlaub auf Teneriffa. Die erste von vielen Ansichtskarten traf ein. Die Zwischensaison in einem Restaurant in Spittal an der Drau als Küchengehilfin gearbeitet. Bekanntschaft mit einem Salzburger. Sommersaison 1990 im Schloss Mönchsberg. Gutes Führungszeugnis. Vom Stubenmädchen zur Kellnerin und Rezeptionistin hinaufgearbeitet. Urlaub auf Gran Canaria. Ansichtskarten. Zweite Schwangerschaft. Kündigung. Trennung vom Verlobten. Postkarte aus Schweden. Schwangerschaftsabbruch. Verlobung mit Björn Erik. Nach vier Monaten in Göteborg nach München übersiedelt. Engagement als Tänzerin in einem Nachtklub. Bekanntschaft mit einem Texaner. Heirat der Schwester in Austin. Ansichtskarten und Fotos von der Hochzeit. Verlobung mit John in Dallas. Heirat im selben Jahr. „Im Sommer hole ich dich nach Texas“, schrieb sie an die Tochter in Ktn.

Dann kamen die Briefe und die Ansichtskarten seltenen. „Zu Weihnachten bist Du bei mir“, schrieb die Mutter noch einmal aus Dallas. Dann verstummte sie für immer. Niemand sprach mehr über die Mutter, nicht einmal die Tante aus Texas.

„Ihr verheimlicht mir etwas“, warf Ariane ihrer Großmutter und der Tante vor. Betretenes Schweigen. Die Mutter wurde totgeschwiegen, wie Arianes Vater, der am Tag ihrer Geburt spurlos verschwand.

„Eines Tages werde ich erfahren was in Dallas passiert ist“, drohte Ariane immer wieder.

Erste Einladung nach Austin. Weihnachten in den Staaten. Beginn ihrer Freundschaft mit Janet. Dann wieder Trennung bis zum Sommer. Brieffreundschaft. Tägliches Briefeschreiben bis spät in die Nacht. Englisch lernen mit starken Amerikanismen. Ariane hat Talent, zum ersten Mal Lob von einem Lehrer, Klassenbeste in Englisch in Wort und Schrift.

Endlich kommen wieder die Sommerferien. Zwei Monate zusammen mit Janet, ihrer Schwester Jodie und deren Eltern. Weihnachten wieder in Texas. Die ersten verliebten Blicke in der Disco. Ariane und Janet sind vierzehn. Misstitel im „La boum“. Heftiger Streit unter den Teenagern, wer ist die Schönere, Ariane oder Janet. Erste Eifersucht. Tränen. Versöhnung. Lange Küsse. „Duane, ich werde dich immer lieb haben.“

Dann Abreise und in einem Jahr kennt er sie nicht mehr. Wieder Tränen. Post von einer brasilianischen Reederei an die Großmutter. Müssen wir Ihnen zu unserem Bedauern mitteilen, dass Ihr Schwiegersohn bei einem Schiffsunglück im Atlantik ums Leben gekommen ist.

Die erste und letzte Nachricht von Arianes Vater nach über fünfzehn Jahren Abwesenheit. Keine Gefühle. Keine Tränen. Versteinerte Blicke. Bedrückende Trauer in unausgesprochenem, vergessen geglaubten Leid.

Post aus den Staaten. „Papa ist ins Ausland versetzt worden. Wir ziehen nach Berlin“, schrieb Janet. Weihnachten in Berlin. Popkonzerte. U 2 und Grips-Theater. Liebe auf dem Mont-Klamot. Sommerferien. „Wir ziehen wieder um. Papa ist nach Mozambique versetzt worden.“

Langer Abschied. Viele Briefe. Sommerferien und Schulabschluss. Janet studiert in Austin. Lange Abwesenheit, auch während der Sommermonate. Wieder verliert sich eine Spur in den Staaten.

Dann der unerwartete Brief an Ariane und die Großmutter. „Ich bin mit dem Studium fertig. Bevor ich berufstätig werde möchte ich ein Jahr bei euch wohnen. Janet.“

Heute war die geliebte Cousine angekommen und saß neben Hödel und Ariane im Pritschenwagen auf dem Weg nach Forester, dem Ziel ihrer Reise.

Ariane wäre sofort bereit gewesen die Ausbildung selbst zu finanzieren. Gerne wollte sie in Klagenfurt als Model jobben. Schon der erste Tag im Heim wurde ihr gründlich versaut. Ihr Onkel schaltete eine Kontaktanzeige, dass seine Nichte für zwanzig Euro zu haben sei. Das Gerücht machte die Runde und Ariane musste mit Schimpf und Schande das Internat verlassen. Natürlich stellte sie den Arsch von einem Onkel zur Rede.

„Du bist die geborene Hure und gehörst auf den Strich. Wenn du bereit bist, sag es mir rechtzeitig, damit ich dich anschaffen schicken kann“, antwortete er höhnisch und schlich davon.

Janet erkannte ihre Qualitäten sofort. „Du siehst blendend aus, meine Liebe“, bestätigte sie ihr sofort.

„Wirklich?“ antwortete Ariane unsicher. „Sei ehrlich, könnte ich als Model arbeiten?“

„Die Lady will hoch hinaus“, Janet zwinkerte der Freundin verschworen zu, „ich an deiner Stelle würde keine Minute zögern und mich bei einer Agentur bewerben.“

Von diesem Geschwätz bekam Hödel nichts mit. Er verstand kein Wort. So blieb ihm nichts anderes übrig, als an der Whiskyflasche zu nuckeln, die Janet ihm für seinen Abholdienst geschenkt hatte. Sie war ihm sofort sympathisch, widerstandslos lies sie sich zwischen die Beine greifen. Zufrieden legte er seine Hand aufs Steuer. Während die Mädchen quatschten zermarterte Hödel sich den Wittgenstein, wie er den beiden Girls klar machen sollte, dass er noch für einen Abstecher nach Bodensdorf fahren wollte. Ferry Schwarz’ Drive In hatte heute den letzten Abend vor der Wintersperre geöffnet, zum Saisonausklang stand ein Pornofilm auf dem Programm. Es war mit der Gang ausgemacht, sich dort zu treffen, um die „feuchten Spiele in Leder“ anzuschauen.

Das Wetter denkbar schlecht. Es begann zu regnen und Hödel musste halten, um eine Plane über Janets Gepäck zu werfen. Er verband die Aktion damit die Waffen aus dem Papierkorb vor dem Campingplatz zu angeln. Wie erwartet hatte sich kein Schwanz an seinem Eigentum vergriffen. In Steindorf fuhr Hödel von der Süduferstrasse ab und bog in die B 94 ein. Er ignorierte das Gezeter der Mädchen, die so schnell wie möglich nach Hause fahren wollten. Hödel warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr, der Pornofilm musste längst begonnen haben. Er trank einen kräftigen Schluck Whisky und gab Gas.

Fünf Minuten später parkte Hödel die Pritsche am Drive In. Nicht ein Auto stand auf dem Parkplatz. Skeptisch beäugte Janet die Aushangfotos im Schaukasten.

„Hör mal, Casanova. Es ist ein verdammt breiter Weg von Austin nach Forester. Ich bin fix und fertig und nicht zum Scherzen aufgelegt“, fauchte die Texanerin.

„Jetzt sind wir schon mal hier“, entgegnete Hödel.

Ein Mädel in rotem Sakko, Minirock und Netzstrümpfen kam auf Rollschuhen angeschossen, um die Bestellung aufzunehmen. Die drei bestellten Hot Dogs und Coke.

Hödel sah sich vergeblich nach der Klapperkiste von Gary und dem Blechkübel von Mike um. War es möglich, dass die Droogs einfach in Harry Bar herumlungerten?

Ferry Schwarz kam in seinem Caravan angebraust, er hielt neben Hödels Pritsche.

„Was ist denn los? Wo sind denn die Ärsche?“ erkundigte sich Hödel.

„Alle schwulen Schwänze hängen in Forester im Kino herum und schauen den Italo-Western an“, antwortete Ferry Schwarz grimmig. Er stellte den Motor ab und angelte der anbrausenden Kellnerin eine Coke vom Tablett. „Außerdem sollen die Zombies in Forester heute Abend ganz gewaltig gewütet haben. Irgendein Arsch hat sogar dem Pastor Eins übergezogen. Aber der hat ein dickes Fell, mein Junge.“

Hödel und Ariane mussten einen Lachkrampf unterdrücken. Hödel ersäufte seinen Lachanfall mit Bier. Ariane knebelte sich mit einem Hot Dog.

„Und warum hat das Kino schon dicht gemacht?“ fragte Hödel.

„Keiner ist gekommen. In dieser Gegend gibt es nur noch Arschficker. Nächstes Jahr spiele ich zum Saisonende „Winnetou“’, lamentierte Ferry Schwarz. Er beäugte die beiden Mädchen im Cockpit der Pritsche. „Hey Mädels! Will eine zu mir rüberkommen?“ fragte er ungeniert.

„Thanks mobster“, gab Ariane zurück.

„Schnauze!“ Ferry feuerte seinen Pappbecher nach Hödels Pritsche ab.

„Kick all the mobsters form the hitlist“, konterte Janet.

“Was ist mit Gary und den anderen?” fragte Ariane und trank ihr Coke aus.

„Waren heute noch nicht hier, Süße. Die werden, wie die anderen Schwulis im Stadtkino wichsen“, antwortete Ferry. Seine Kellnerin kam zum Caravan geflitzt, um ihrem Chef den Hamburger und einen Liter Bier zu bringen. Er bedankte sich bei ihr mit einem Klaps auf den Hintern und das Mädchen zog powedelnd ab.

Es war nach ein Uhr früh, als Pepe Roja mit seiner Gang, in vier ramponierten GTIs aufkreuzte. Sie bestellten Hot Dogs, drei Kilo Pommes Frites und zwei 10 Liter Kübel Bier.

Innerhalb von zehn Minuten legten sie die Autositze für ein Countryquicky um. Zwei Landbarone parkten ihren Traktor zwischen der Pritsche und den GTIs und versperrten Hödel die Sicht.

„Hey, fahr einen Meter vor“, protestierte Hödel.

Als Antwort zeigten ihm die Bauernbuben die gestreckten Mittelfinger. Hödel setzte mit der Pritsche zurück und parkte rechts neben den GTIs, durchs Fenster konnte er Jack Langs Arsch kreisen sehen.

„Hey, Honey wird dir die Spannerei nicht langsam fad?“ fragte Janet plötzlich. Sie betonte jedes Wort mit starkem amerikanischem Akzent, der Hödel sofort weich machte. Ausländerinnen zogen ihn einfach an, bei Janet war es nicht anders.

„Wenn du mit mir fickst, höre ich sofort auf“, antwortete er und zog seinen Hosenstall auf.

Janet gab ihm einen Klaps auf die Eier. „Morgen, Honey pie, jetzt wollen wir nach Hause.“

Hödel hätte ihr für diese List, ihn zur Abfahrt zu bewegen eine kleben können, aber, er hielt sich zurück. Ariane war schockiert und fauchte Hödel an.

„Ruhe, jetzt!“ fuhr Janet dazwischen. „Du bist sofort still“, schnauzte sie Ariane an, hysterische Ziegen brachte sie in Rasch. „Los, fahren wir endlich nach Hause.“

Angewidert, so angepfiffen zu werden, startete Hödel den Lieferwagen als ein Filmbild auf die Leinwand geworfen wurde.

Ferry Schwarz’ Stimme dröhnte aus dem Lautsprecher.

„Hey Boys, für drei Eier läuft gleich „Feuchte Spiele in Leder“, verkündete er und schickte mit einem Wink seine Kellnerin los, um den Eintritt abzukassieren.

„Du Arsch! Wegen so nem Scheiß störst du mich beim Country Quick and Quack“, schrie Pepe Roja und drohte mit der Faust. Er schnappte die anbrausende Kellnerin, befingerte sie an Po und Busen. Das Mädchen kreischte. Pepe versuchte sie durchs Autofenster in den GTI zu ziehen.

„Ich rat es dir im Guten, Freundchen, lass das Mädel in Frieden“, rief Ferry Schwarz und startete den Film.

Pepe wollte heute Abend keinen Streit mehr entfachen, er hatte wichtigeres mit der Puppe vor, die neben ihm auf dem Beifahrersitz das Bier ausschlürfte. Er ließ die Kellnerin los, die sofort ins Drive In flüchtete.

Ferry ging gewichtig von Auto zu Auto um abzukassieren. Er beugte sich zu den Mädchen in Hödels Pritsche hinunter: „Wollt Ihr den Film sehen? Er ist wirklich erstklassig.“

„Thanks“, antwortete Janet.

Die Enthemmten

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