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29. Januar 2012, REGINE

Schneematsch spritzt auf, als das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzt. Mein Herz hämmert. Hitzewellen überfluten mich. Ich hasse Landungen, besonders im Winter. Mit zitternden Händen zerre ich Reisetasche und Steppmantel mühsam aus dem Gepäckfach heraus. Verstohlen wische ich mir den Schweiß von der Oberlippe.

„Grüß Gott.“ Der Beamte an der Passkontrolle wirkt bleich unter dem Neonlicht. Seine Augen verschwinden fast zwischen Schlupflidern und Tränensäcken. Er mustert mich prüfend und vergleicht mein Gesicht mit dem Passfoto, auf dem ich wie eine polizeilich gesuchte Terroristin aussehe. Ohne mit der Wimper zu zucken, erwidere ich seinen Blick.

Ich reise leicht, nur mit Handgepäck, weil ich bloß wenige Tage in München bleiben werde. Zielstrebig laufe ich zum Ausgang, vorbei an den vor den Monitoren der Gepäckausgaben Wartenden. Nicht viel hat sich hier verändert in den letzten zehn Jahren. Aber Flughäfen gleichen sich ohnehin in ihrer sterilen Anonymität.

Wie auf Autopilot finde ich meinen Weg hinunter zu der S-Bahn. Ein Zug Richtung Marienplatz wartet mit laufenden Motoren. Ich suche mir in einem leeren Wagen einen Platz fern der Tür, stelle die Reisetasche zwischen meine Beine und den kleinen Rucksack auf den Sitz neben mir, um meine Privatsphäre deutlich abzustecken, und ziehe den Mantel fest um mich.

Prompt lässt sich zwei Minuten später ein junger Mann, das dunkle Haar fast kahl rasiert, auf den Sitz mir gegenüber fallen. Menschen sind Gruppenwesen. Er streckt die Beine breit von sich und schließt die Augen. Verärgert starre ich in die Dunkelheit hinaus, um seinen Anblick und die kratzenden Geräusche aus seinen Kopfhörern auszublenden.

Joe hatte mich am frühen Morgen aus meinem rastlosen Schlaf auf dem Sofa geweckt und mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben, bevor er mit beiden Hunden und ohne Frühstück das Haus verließ.

„Pass gut auf dich auf“, murmelte er. „Wann geht dein Flug?“

„Um Viertel nach zwei von Norwich, dann um fünf weiter ab Amsterdam“, gähnte ich.

„Melde dich“, rief er beim Hinausgehen.

Ich war froh, dass er den Abschied kühl und knapp hielt, was weitere Diskussionen über meine Reise vermied.

Die S-Bahn gleitet durch das dunkle Münchner Umland. An grell erleuchteten Haltestellen in Unterföhring und Englschalking steigen einzelne Passanten zu.

Bilder steigen in mir auf, lange verdrängte Erinnerungen an das letzte Mal, als ich Julia gesehen habe. Da war sie dreizehn, und zwischen uns hatte sich über die letzten Jahre eine liebevolle, kumpelhafte Freundschaft entwickelt. Etwas geschah an dem Tag, und im Bruchteil einer Sekunde zerbrach diese Nähe und konnte nie wieder gekittet werden. Alles meine Schuld, durch nichts zu entschuldigen. Von erwachsenen, verantwortungsbewussten Menschen sollte man etwas anderes erwarten.

Mona war wieder schwanger, im sechsten Monat. Mit einem Baby, das keine Zukunft hatte. Aber das wusste sie zu dem Zeitpunkt noch nicht. Sie war aufgedunsen wie eine Göttin der Fruchtbarkeit und strahlte vor Glück. Denn das Wesen in ihrem Bauch war ein richtiges Wunschkind, auf das sie jahrelang hingearbeitet hatte. Ob auch ein Wunschkind für Joachim, bezweifelte ich. Er sagte mir, sie habe ihn immer wieder unter Druck gesetzt. Aber ist ein Mann unter Druck fähig zum Sex?

Am Marienplatz steige ich um und versinke gleich wieder in meinen Gedanken. Wenige Minuten später schrecke ich hoch, weil die Bahn seit einigen Momenten zum Stillstand gekommen ist. Verwirrt versuche ich mich zu orientieren.

„Ist das hier die Giselastraße oder schon Münchner Freiheit?“ frage ich mit lauter Stimme den Mann mit den Kopfhörern. Doch der öffnet nicht einmal die Augen, und so schnappe ich mir kurzerhand meine Taschen, springe auf und stürze im letzten Moment hinaus, ohne zu wissen, ob dies die richtige Haltestelle ist. Ein Instinkt aus der Vergangenheit muss mich gewarnt haben, denn tatsächlich bin ich an meinem Ziel angelangt.

Während die Rolltreppe mich an die Oberfläche befördert, überlege ich kurz, für das letzte Stück ein Taxi zu nehmen. Blödsinn, für die paar Minuten Fußweg, denke ich, bereue meine Entscheidung dann aber schnell. Der Schneeregen durchnässt mich innerhalb weniger Augenblicke. Die Hose klebt an meinen Waden, und die triefenden Stiefeletten reiben mir die Füße auf, als ich die Leopoldstraße entlanglaufe, geblendet vom Neonlicht der Geschäfte, Kinos, Kneipen und Schnellimbisse. Die Rädchen der Trolley-Reisetasche bleiben hoffnungslos im Matsch stecken, so dass ich mich entschließe, mein Gepäck zu tragen.

Vermummte Passanten in dicken Mänteln und gefütterten Anoraks hetzen an mir vorbei. Der Schirm einer Frau verfängt sich in meinen Haaren.

„Passen Sie doch auf!“ schnauzt sie und zerrt an ihrem Schirm. In der anderen Hand schleppt sie mehrere prallgefüllte Plastiktüten.

„Vorsicht! Nicht so wild…!“ Ich halte ihren Schirm über meinem Kopf fest, woraufhin die Frau nur noch fieberhafter fuchtelt.

Ich lasse die Reisetasche fallen und löse mein Haar aus dem Schirmgestell. Die Frau schnaubt und stapft schimpfend weiter, ohne sich zu entschuldigen. Ein Mann murmelt vor sich hin, als er an mir vorbeischlurft. Johlende Jugendliche taumeln aus einer Kneipe; ich presse mich an eine Hauswand, um sie vorbeizulassen, ohne angerempelt zu werden.

An einem Kebab-Stand drängelt sich eine Gruppe kichernder junger Japanerinnen, während hinter der Theke ein bärtiger Mann im T-Shirt mit einem Säbelmesser Fleischstreifen von dem Spieß herunterschneidet. Amüsiert mustert er die Kundinnen. Der Duft von Grillfleisch und Knoblauch mischt sich mit dem Gestank der Abgase der sich vor den Ampeln drängenden Autoschlangen.

Das Wabern von Gerüchen, Lärm, Neonlicht und Menschenmengen verursacht mir Übelkeit. Wehmütig denke ich einen Moment lang an den sternenübersäten Nachthimmel über meinem stillen Garten in Norfolk. Ich fühle mich unwirklich leicht, als könnte ich in den schwefelgelben Münchner Abendhimmel davonschweben.

Dann endlich biege ich ab. Lärm und Glitter der Hauptstraße sind erstorben. Ein düsterer Häuserwall umgibt mich, nur von halb heruntergelassenen Rollläden durchbrochen, aus denen Lichtspitzen dringen. Endlich stehe ich vor Nummer vierundvierzig, dem Haus mit einer türkischen Änderungsschneiderei im Erdgeschoss. Ich trete zurück, werfe einen Blick hinauf zu den erleuchteten Fenstern im dritten Stock und zögere einen Moment, bevor ich auf die mit Winterfels/Glashauser beschriftete Klingel drücke.

„Ja bitte?“ meldet sich eine heisere Frauenstimme.

„Regine hier, Julias Tante.“

"Nehmen Sie den Lift bis zum dritten Stock.“

Der Türsummer ertönt; ein erleuchteter Lift wartet am Ende der Eingangshalle. Als ich oben ankomme, lehnt eine jungenhafte Figur in Jogginganzug, Socken und mit zerzaustem dunklen Haar in der Wohnungstür gegenüber.

„Karen. Kommen Sie herein.“ Sie streckt mir die Hand entgegen. Ihr Händedruck ist fest, aber gleichzeitig schiebt sie mich unmerklich fort. Sie nimmt mir den nassen Mantel ab und hängt ihn über einen Heizkörper im Flur.

Kalter Plan

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