Читать книгу Kalter Plan - Elsa Spach - Страница 8
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Eine Rekordhöhe von etwa drei Zentimetern Schnee ist gefallen, was die Labradore völlig durchdrehen lässt. Für ein paar Minuten vergessen sie ihr fortgeschrittenes Alter, wegen dem sie sonst würdevoll dahertrotten. Sie jagen einander, überschlagen sich auf den Feldern, wirbeln Schnee auf und hetzen davon in Richtung Strand. Ich pfeife auf beiden Mittelfingern, woraufhin sie wie im Flug stoppen und wieder auf mich zu rasen. Ihre Gesichter sind weiß bestäubt, die Mäuler wie zu einem glücklichen Lachen weit aufgerissen. Sie schnappen nach ihren wohlverdienten Hundekeksen, dann halte ich sie bei mir. Die beiden wissen, dass sie sich den Robben nur vorsichtig nähern dürfen und Abstand wahren müssen. Ohnehin zeigen sie kein großes Interesse mehr an diesen übergewichtigen Wesen, deren torfiger Geruch mir schon in die Nase dringt, bevor ich sie sehe.
Die Jungen sind zutraulicher und neugieriger als die Alten. Aber als Poppy versehentlich auf einen verschlafenen Heuler in einer Dünenmulde trifft, wird sie angefaucht und weicht erschrocken zurück. Das Meer liegt im Kälteschlaf, wie eine unendliche glitzernde Silberfolie, die am Horizont mit dem Himmel verschwimmt.
Der Winter hat dieser Welt alle Farben ausgesogen und scharfe Kontraste geschaffen. Massive Wellenbrecher aus dunklem Hartholz schieben sich von dem Strand her weit ins Meer hinein. Sie teilen Sand und Wasser in unzählige Abschnitte, um die Wucht der Wellen zu mildern und das dem Ozean abgerungene Land zu schützen.
Einige hundert Meter entfernt erkenne ich eine weitere Robbenkolonie, die ich zunächst für Felsbrocken gehalten habe. Schemenhaft zeichnen sich dort zwei Spaziergänger ab, ein Mann und eine Frau mit langem Haar. Sie bewegen sich langsam zwischen den dunklen Massen umher, als suchten sie etwas. Mit zusammengekniffenen Augen blinzele ich gegen das Licht. Der Mann kommt mir plötzlich bekannt vor. Jetzt rücken sie eng zusammen, als sprächen sie miteinander. Sie lehnt ihren Kopf zu ihm, legt ihm einen Arm um die Schultern und deutet auf etwas vor ihnen.
Ich wühle in der Manteltasche, bis ich mein Fernglas gefunden habe. Mein Herz stolpert, als ich die karierte Fellmütze mit den Ohrenklappen erkenne, seinen hochgewachsenen schlaksigen, leicht nach vorn gebeugten Körper, die Art, wie er den Kopf neigt, um der Frau zuzuhören. Dann sagt er etwas, und sie lacht. Das kann Joe gut, Frauen zum Lachen bringen.
Jetzt fällt es mir wieder ein. Sie muss die Studentin sein, die seit zwei Wochen ein Praktikum im Tierrettungszentrum macht. Er hat sie die Tage kurz erwähnt. Aber er hat nicht hinzugefügt, wie hübsch sie zu sein scheint. Dass sie langes rötliches Haar hat und dass er mit ihr die Robben inspiziert. Warum auch. Die Betreuung der Robben gehört schließlich zu den wichtigsten Aufgaben der Arche. Und sie haben immer wieder neue Studenten, die dort ein Praktikum absolvieren. Längst weiß ich, dass ich mein Misstrauen, meine Eifersucht niemals werde besiegen können. Zuviel ist geschehen, damit muss ich leben.
Poppy ist bei mir stehengeblieben. Sie schaut mich auffordernd an. Ruby beobachtet mich vom Meer her, wo sie gerade einen kleinen Schwimmausflug unternommen hat. Mag das Wasser noch so eisig sein, die Brandung noch so stürmisch – Ruby stürzt sich unweigerlich hinein, als müsse sie sich etwas beweisen. Zum Glück haben die beiden Joe nicht entdeckt, sonst würden sie zu ihm stürmen. Ich will vermeiden, dass er uns sieht.
„Keine Lust mehr, Poppy? Also gut, gehen wir zurück.“ Als hätte sie mich gehört, galoppiert Ruby zu uns herauf. Sie ist pitschnass und zittert am ganzen Körper, aber leider habe ich kein Tuch mitgenommen, um sie trockenzureiben. Macht nichts; Labradore sind hart im Nehmen. Trotzdem sorge ich mich um Ruby. Ihr Körper erscheint so ausgemergelt unter dem struppigen Fell, obwohl sie eine gute Fettschicht besitzt.
Die beiden machen kehrt und traben auf dem Pfad durch die Dünen zurück in Richtung Elmhill. Fast unheimlich, wie mühelos sie jedes Wort verstehen.
Unsere Gäste kehren in der Dämmerung müde von ihren Ausflügen zurück. Morgen werden sie abfahren, dann gibt es zwei Wochen lang erst einmal keine Buchungen.