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In mir erfroren die Holunderblüte

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Heiri und Margarethe und ihr kleiner Sohn Heireli, unsere Nachbarn.

Ruedi, Heiris Bruder und Knecht, mit Marie, seiner Braut. Alle auf dem Berg, alle unter demselben Dach.

In der Küche ein grosser, schwarzer französischer Holzkochherd, zeitweise züngeln ein paar Flammen bedrohlich neben der Pfanne in den dunklen Raum hinein. Ein kupfernes Wasserschiff auf der linken Seite, darauf der weisse Emailkrug mit dem Kaffee für den ganzen Tag. Unter der Treppe zur oberen Kammer ein Küchentisch, darüber die grüne Petroleumlampe aus Heiris Familie.

Auf der Bergseite eine Bank, ein Holzhocker auf der Talseite.

Daneben die niedrige Stube, in der Mitte ein Schiefertisch mit vier Holzstabellen, der Kachelofen mit der Ofenbank. Die Wärmeluke in Heiris und Margarethes Schlafkammer steht noch offen.

Unter den kleinen Schiebefenstern ein hellblauer Plüschdiwan aus Margarethes Familie. Marga­re­the liebt diesen blauen Diwan, und heimlich kon­­trolliert sie die Hosen, die sich daraufsetzen möchten.

Margarethe ist eine Frau aus dem Tal, genauer aus dem Grosstal in der Nähe der Stadt Glarus.

Es ist Feierabend. Der Berg, die Steine, das Gras und die Menschen still. Nur der Brunnen vor dem Haus plätschert.

Ruedi sitzt vor dem Haus, auf der kleinen verwitterten Bank. Sein Gesicht noch jung, wären da nicht die tiefen Furchen auf seiner Stirn. Der Kopf ruht auf seiner Brust, und von der Nase droht ein Wassertropfen zu fallen.

In seiner linken Hand die Tabakspfeife, kalt, seit gestern kein Gruss.

Neben ihm liegt sein Schwyzerörgeli. Ein feines Lederband hält die Luft und die Töne verschlossen.

Heireli, ein lustiger Kerl, steht vor der Bank, seine Hände stecken in den Hosentaschen, und seine Augen ruhen auf Ruedi.

«Ruedi, komm essen, die Polenta steht auf dem Tisch, für dich und Vater bleibt noch ein Stück Speck.»

Wie eine lästige Fliege weist Ruedi Heireli von sich. Kein Wort, kein Blick, nur diese Geste, dieses Wegwischen mit seiner rechten Hand. Heireli verschwindet in der Küche, seine Augen dunkel.

Margarethe und Heiri am Küchentisch warten. Die Polenta auf ihren Tellern kalt.

In der Küche brennt ein Petroleumlicht.

Fünfzig Jahre später erzählt mir Heireli. Seine Worte wühlen sich nach aussen, stolpern über seine Lippen.

An diesem Morgen in der Früh, es sei ein kühler Morgen gewesen, habe Marie auf dem blauen Diwan gesessen, ihr blonder Zopf im Nacken zerzaust. Sie habe leise geweint, ihre Hände seien sanft über den blauen Diwan, über ihren Bauch gestrichen.

«Immer dieses Weiss. Diese Kälte, dieser Schnee, in mir erfroren die Holunderblüte. Der Berg in meiner Brust gibt keine Ruhe, und die Luft in mir will nicht mehr weichen.»

So habe sie leise vor sich hin gesprochen, und in ihren Augen habe ein Schneelicht geflackert.

Heireli war damals zehn Jahre alt, und noch heute könne er dieses Bild malen. Er habe Marie nicht wiedergesehen. Sie habe den schmalen Weg ins Tal genommen, ins Tal der Linth, des silbergrauen Flusses.

Das Bündel Zeit

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