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Ein Jahr später

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Auch diesen Winter fallen die Flocken schwarz. «Eingeschneit», sagt Mutter. Vater «Bunkerschlaf». Ich schweige. Im Gemüsekeller stehen drei Notbetten mit drei Bettflaschen aus Metall.

Mutter und ich in langen, barchentenen Hemden, Vater in langen Trikotunterhosen und Wollhemd, so liegen wir auf diesen Latten. Warten auf den Schlaf. Warten. Warten auf den stündlichen Anruf von der Polizei, sagen, dass es uns noch gibt, sagen «Gute Nacht». Warten auf das eine Wort. In unseren Köpfen ein Geschwür, von der Kehle gehalten. Wir horchen. Horchen auf das Schlagen in unserer Brust, auf den Atem des Anderen, ein leises Schnarchen, horchen auf die stehende Luft, auf unser Eingeschlossensein. Und horchen auf das Licht des Tages. Das vertraute Ticken der Stubenuhr hinter den Balken, erstickt.

Das Aufschrecken beim ersehnten Klingeln. Das Flackern des Lichts, die grünblassen Gesichter. Nacht für Nacht. Jetzt dieser Anruf ausserhalb der geraden Stunden, eine Dame meldet ein Ferngespräch aus London, bleiben Sie bitte am Apparat. Dann meine Schwester Afra, sie will alles wissen, wo und wie, und dass sie ganz fest an uns denken wolle und dass sie auch an das Jahr zuvor, an den Januar 1951 denke. Jetzt klingt ihre Stimme heiter, fast fröhlich. «Mutter, ich habe mich verliebt, und ich bin glücklich. Mutter, ich habe mich in einen Neger verliebt, er ist schön, Mutter. Adieu meine Lieben, schlaft gut.»

Wir sitzen auf unseren Betten, Mutter wischt mit den Händen über ihr Gesicht, Vaters Augen gross und offen. Wieder dieses Horchen. Suchen nach dem Schlaf. Ich, ein junges Mädchen, an den Neger denkend, ein Häppchen fremdes Glück im Keller erstickt.

An diesem Morgen fühlt sich das Hinaufsteigen in die Küche leichter an, das Licht blauweiss wie die Magermilch. Ich sehe Albert, unseren Knecht, der in seiner Kammer geschlafen, die Kühe gemolken, und die jungen Katzen, die mit ihren Pfoten am Rande der Tanse hängen und ihre tägliche Magermilch trinken. Ein Blick aus dem Fenster, auch heute fallen die Flocken schwarz. Draussen klettert der Schnee an den Fenstern empor, bleibt ein paar Sekunden hängen, fällt in sich zusammen. Liegt am unteren Rande, beginnt zu wachsen, fällt. Da steht das Kind, und die Flocken tanzen, wachsen. Und die Menschen beginnen mit den Flocken zu tanzen, wachsen, verweilen, fallen. Frauen, Männer, Kinder, der Neger und das Glück wirbeln durcheinander, tanzen miteinander, bleiben unten am Fenster …

Dann dieses Klingeln. Wir kennen es, wir wollen es nicht hören. Mutter, Vater, Afra, der Neger, Albert und ich, wir sind hier, und alles ist gut, und wie glücklich wir sind, und das Tanzen geht weiter, die Augen leuchten und die Musik wird immer lauter, schneller … Ein fürchterliches Grollen, Schreie aus dem Schnee, Tassen, Teller, Lampen klirren. In den Augen des Kindes nichts als Schnee, Schnee aus Grau, Schnee aus Blau, Schnee aus Rot, und die Dunkelheit springt aus allen Ecken.

Dies war im Jahr zuvor.

Da höre ich eine Stimme, zunächst leise, dann lauter. Jemand nimmt mich sanft an der Hand. «Komm wir essen.» Albert an der Zentrifuge, während die Katzen mit den Pfoten ihre Mäuler, ihre Ohren putzen. Auf dem Teller die Butter, die Konfitüre, in den Tassen dampft frischer Kaffee. Vater, Mutter, Albert und ich am Tisch.

Die Lawine unten.

Im Tal der Betrieb der sbb eingestellt.

Das Bündel Zeit

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