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Der Prinz von Kamerun

Sie standen vor einem Gemälde von Gauguin, als Belinda beschloss, die Bombe platzen zu lassen.

„Es könnte sein“, sagte sie leise, „dass ich mich ein bisschen verliebt habe.“

„Was?“, fragte Karin mit lauter Stimme.

„Pssst“, machte Belinda und zog Karin weg von dem Gemälde in eine ruhigere Ecke.

„Ich habe mich vielleicht verliebt.“

Karin riss ihre Augen auf. „Was? Wann? In wen?“ Belinda legte sich noch ihre Worte zurecht, als Karin die nächste Frage abfeuerte. „Warum erzählst du mir das erst jetzt?“ Eine Besuchergruppe in der Nähe schaute zu ihnen herüber.

„Wollen wir im Museums-Café einen Kaffee trinken?“, fragte Belinda.

„Jetzt aber flott“, sagte Karin, als sie ihren Cappuccino vor sich stehen hatte. „Wann? Wie? In wen?“

Belinda räusperte sich, dann sagte sie langsam. „In einen Mann.“

Karin lachte laut auf. „Wer hätte das gedacht!“ Ihre Finger tippten auf die Tischplatte. „Jetzt spuck‘s schon aus. Wann hast du ihn kennengelernt – und vor allem

wie?“

„Im Internet“, sagte Belinda mit belegter Stimme, „vor 31 Tagen.“

„Vor einem Monat! Und das erzählst du mir erst jetzt!“ Belinda löffelte ihren Cappuccino-Schaum.

„Wie oft habt ihr euch schon getroffen?“

„Noch nie.“

Karin schüttelte den Kopf. „Noch nie? Seltsam. Warum nicht?“

„Er ist gerade sehr beschäftigt.“

„Womit?“

„Mit seiner Doktorarbeit.“

„Aha“, sagte Karin und zog die Augenbrauen hoch. „Angehender Arzt?“

„Nein. Er promoviert in Kunstgeschichte.“

„Also angehender Hartzer“, sagte Karin und schüttelte den Kopf so heftig, dass ihre Locken flogen. „Du hättest zum Friseur gehen sollen vor dem Fototermin fürs Profilbild.“

Belinda sagte nichts.

„Wie heißt er?“, fragte Karin nach einer Weile.

Belinda rührte in ihrer Tasse, bevor sie antwortete: „Bongo.“

„Süßer Kosename für einen Doktoranden.“

„Nein, er heißt wirklich so. Bongo. Der Glückliche bedeutet das. Oder auch Antilope.“

„Wie auch immer“, sagte Karin und trommelte auf die Tischplatte, „Karten auf den Tisch. Foto, bitteschön!“ Belinda wusste, dass es kein Entrinnen gab, scrollte auf ihrem Smartphone und reichte es Karin.

Als die Bedienung kam um abzukassieren, starrte Karin noch immer auf das Handy-Foto. „Und du glaubst, der sei echt?“, fragte sie.

Zuhause, noch in Mantel und Schuhen und noch bevor sie ihren Kater begrüßt hatte, klappte Belinda ihren Laptop auf. Sie biss auf ihrer Unterlippe herum, während das Mail-Programm hochfuhr. Bitte, lass eine Nachricht da sein! Bitte, bitte, lass ihn nach einem Date fragen. Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Nach einer gefühlten Ewigkeit meldete das Programm drei neue Nachrichten. Belinda hielt die Luft an, während sie die Absender scannte. Zwei Mails waren von Karin. Dann atmete sie tief aus. Ein Betreff hieß: Amoureux. Absender: Bongo. Sie streifte ihre Pumps ab, schlüpfte aus dem Mantel, setzte sich und begann zu lesen.

Seine E-Mail war lang, wie immer. Seine Worte wohlgewählt, die Formulierungen ungewöhnlich, seine Metaphern neuartig und unverbraucht. Wie eine warme Dusche rieselten seine Worte auf sie herab. Sie seufzte. Ihr Kater maunzte und rieb seinen Kopf an ihrer Fessel. Als er noch immer keine Aufmerksamkeit bekam, sprang er auf ihren Schoß und platzierte sich dann auf ihrem Laptop. „Gleich Mikesch, gleich“, sagte sie und schob ihn zur Seite. Was schrieb er da? Ein Rendezvous! Er wünschte sich ein Treffen! Kommenden Samstag! Auf Belindas Dekolleté bildeten sich rote Flecken.

Bis Samstag wurde Mikesch wenig Aufmerksamkeit zu teil. Doch als Belinda Samstagnacht nach Hause kam, schnappte sie sich ihren Kater, hob ihn hoch und tanzte mit ihm durch die Wohnung, bis es Mikesch zu viel wurde. Sie setzte ihn ab, warf sich aufs Sofa und ließ jedes Detail ihres Rendezvous‘ noch einmal Revue passieren. Sein Lächeln, als er sie im Restauranteingang erblickte. Die geschmeidige Bewegung, mit der er sich vom Tisch erhob. Der Klang seiner Stimme, seine Worte und wie er sie modulierte, all die wundervollen, klugen und ungewöhnlichen Dinge, die er sagte. Sein Duft, als er sie zum Abschied auf die Wange küsste. Nur an das Essen konnte sie sich nicht erinnern. „Aber wer braucht schon Essen!“, sagte sie lachend zu Mikesch. Er sah sie so lange vorwurfsvoll an, bis Belinda eine Dose Whiskas aus dem Kühlschrank holte.

Am nächsten Morgen rief sie Karin an.

„Es war wundervoll. Er ist nicht nur echt, sondern auch ein Bild von einem Mann! Und wie er redet, wie er sich bewegt…“

„Natürlich spricht er deutsch! Ebenso gut wie französisch. Er hat in Deutschland und Frankreich studiert!“

„Was ist denn das für eine Frage? Selbstverständlich hat er mich eingeladen und die Rechnung beglichen! Schließlich ist er ein Prinz!“

„Ja, du hast richtig gehört. Sein Vater ist König von Kamerun. Also ist Bongo ein Prinz! Prinz Bongo Kum'a Mgape!“

„Selbstverständlich glaube ich das!“

Nach einer knappen Verabschiedung legte Belinda auf.

Die nächsten drei Tage verbrachte Belinda in einer Art Schwebezustand. Sie las die langen Mails von Bongo, brütete über adäquate Antwortsätze und befragte Mikesch, wann immer sie bei einer Formulierung im Zweifel war. Ein Augenzwinkern von ihm deutete sie als Zustimmung.

Karins Nachrichten auf ihrer Mailbox ignorierte sie.

Am vierten Tag war keine E-Mail in ihrem Postfach. Am fünften Tag auch nicht. Am sechsten Tag ohne Nachricht von ihm fauchte Mikesch den Laptop an. „Es ist nicht nett, sich so lange nicht zu melden, nicht wahr?“, fragte Belinda.

Am siebten Tag endlich eine Nachricht von Bongo. Sie war lang und kompliziert. Belinda las sie mehrmals und konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen. Dann druckte sie die Mail aus und markerte die wichtigsten Stellen mit einem gelben Leuchtstift an.

Du bist schöner als eine Antilope.

Eine kleine Leihgabe.

König im Moment ohne Mittel – kein Regen, Felder vertrocknet, Hirse- und Bananen-Ernte mager, Ziegen verhungert.

Druck-, Satz- und Bindekosten für Dissertation: 5000 Euro.

Meine Bankverbindung:

Es blieb kompliziert, auch nach der Markierung der Kernaussagen. Mikesch war an diesem Tag keine Hilfe. Wann immer sie ihn etwas fragte, schaute er mit bettelndem Blick auf den Kühlschrank.

Belinda bat Karin um ein Treffen.

„Schwierig im Moment, bin sehr eingespannt“, sagte Karin, sie klang verschnupft.

„Aber du bist meine Freundin, ich brauche deinen Rat!“ „Worum geht’s denn?“

„Um Bongo. Um eine seltsame E-Mail von ihm.“

„Ich komme sofort.“

Sie saßen sich am Glastisch von Belindas Wohnzimmer gegenüber. Zwischen ihnen die ausgedruckte Mail. Karin blickte Belinda fest in die Augen.

„Hab ich mir gleich gedacht“, sagte sie.

„Was gedacht?“, fragte Belinda.

„Dass er dein Geld will.“

„Eine Leihgabe“, korrigierte Belinda, „für den Druck seiner Doktorarbeit.“

„Glaubst du das wirklich?“

Belinda wandte ihr Gesicht ab von Karins strengem Blick. Sie hätte jetzt gerne Mikesch gestreichelt, aber der versteckte sich immer, wenn Karin kam.

„Seine Mail enthält sieben Rechtschreibfehler“, sagte Karin.

„Nur wenn man die Getrennt- und Zusammenschreibung mitzählt.“

Karin stöhnte. „Schon mal etwas von der Nigeria-Connection gehört?“

Belinda schüttelte den Kopf.

„Das sind Internet-Betrüger, die den Leuten hanebüchene Geschichten auftischen und ihnen das Geld aus der Tasche ziehen.“

Am Abend, nach einem längeren Zwiegespräch mit Mikesch, überwies Belinda von ihrem Online-Konto 5000 Euro an Prinz Bongo Kum'a Mgape.

Eine Woche später schrieb Belinda eine SMS an Karin: Lass uns heute Abend eine Flasche Sekt köpfen. Es gibt etwas zu feiern!

Karins Antwort: Hast du dein Geld zurückbekommen? Bitte sei pünktlich, schrieb Belinda nur und drückte auf Senden.

Belinda hatte eine weiße Tischdecke aufgelegt, eine einzelne langstielige Rose ragte aus der Porzellan-Vase. Die Sektkelche waren schon gefüllt. Belinda prostete Karin zu. Karins Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Belinda nippte genüsslich an ihrem Glas.

„Ich habe einen kleinen Snack vorbereitet“, sagte sie und erhob sich, um zur Küche zu gehen. Karin hielt sie am Arm fest. „Nun spuck’s schon aus!“

Belinda lachte. „Wie kann man nur so ungeduldig sein…“ Sie schüttelte Karins Hand ab und ging in die Küche. Mikesch kroch aus seinem Versteck und flitzte ihr nach.

Sie kam zurück mit einem Tablett, bestückt mit zwei Schälchen Hirsebrei, angerichtet auf einem Bett aus hauchdünn geschnittenen Bananenscheiben. Und mit einem Buch in blauem Einband. Belinda stellte das Tablett ab und hielt Karin das Buch unter die Nase.

Langsam und stockend las Karin den Titel vor: Comment la beauté féminine est perçue dans différentes cultures du monde. Wie weibliche Schönheit in den Kulturen der Welt wahrgenommen wird. Autor: Bongo Kum'a Mgape.

Karin blätterte in dem Buch. „Seite drei“, sagte Belinda lächelnd. Karin setzte ihre Brille auf. Gewidmet Belinda, stand da, ihrer inneren und äußeren Schönheit. Karin schluckte. Dann erhob sie ihr Glas. „Auf deine Schönheit. Und auf deine Menschenkenntnis.“

Fünf Tage später. Belindas Wohnung blitzte, Mikeschs Fell glänzte. In freudiger Erwartung fuhr Belinda ihren Laptop hoch. „Sie haben eine neue EMail.“ Der Inhalt war kompliziert. Was Belinda verstand, war, dass das nächste Rendezvous verschoben werden musste. Sie druckte die Mail aus, holte ihren gelben Leuchtstift und markerte die Kernaussagen an.

Möglichkeit zu Doppel-Promotion (Cotutelle de thèse) an Université de Lyon.

Schöner als ein neugeborenes Zicklein.

10000 Euro für dreimonatigen Promotionsaufenthalt in Lyon.

Bankverbindung wie gehabt.

(Nur Leihgabe, König schickt bald Geld, Dürre vorbei) Bisou.

Doppel-Promotion! Was für eine Chance, was für ein Glück, dachte Belinda. Dann dachte sie an Karin. Was sie wohl sagen würde. Nachdenklich saß sie vor ihrem Laptop, als Mikesch auf ihren Schoß hüpfte. Er sah sie lange an.

„Du hast völlig recht“, sagte Belinda zu ihm, während sie sein seidiges Fell streichelte. „So ist der Mensch: Immer denkt er das schlechteste.“ Der Kater schnurrte leise, der Regen prasselte an die Fensterscheibe und Belinda gab die PIN für ihr Online-Konto ein.

Elvira Kolb-Precht

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