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Sonntag. Sie machte sich daran, ihre Wohnung aufzuräumen. Trug Rucksäcke ins Büro, dann wieder in den Korridor zurück. Ordnete Klemmkeile und Friends nach Grösse, klickte sie an Karabinerhaken, stopfte das Klettermaterial in Säcke, leerte sie wieder aus. Das Klirren des Metalls erregte sie, steigerte ihre Unruhe. Der Nebel war zum Ersticken.

Sie schob eine CD in den Player, Joe Cocker, «Need your love so bad …» Die schwülstige Stimme des alten Mackers trug sie nach Sheffield, an sein Konzert nach dem Kletterwettkampf in der Foundry. Cocker stammte aus der alten Industriestadt am Rand des Peak Distrikts. Sheffield war das Mekka der britischen Kletterszene. Da wimmelte es von verrückten Typen, die nichts im Kopf hatten als «rock, fuck and shit». Andrea war gut geklettert, hatte sogar Weltcuppunkte geholt. Und anschliessend ein paar Tage in den Wänden des Peaks am körnigen Gritstone geschnuppert. Mit Stef.

Sie schaltete den Computer ein, klickte sich ins Netz und betrachtete die Wetterkarte. Es würde aufhellen am Nachmittag, Föhn aufkommen am Montag, die Temperatur steigen. Sie wählte Amstads Nummer. Seine Frau nahm ab. Der Bergführer sei mit Rolf Frick von der Kletterschule nochmals hinaufgestiegen.

«Hinauf?»

«Zu der Toten.»

«Wird man sie heute bergen? Muss ich helfen?»

«Nicht nötig. Morgen fliegt der Helikopter.» Die Stimme der Frau klang spröd und abweisend.

Andrea vermied es, sie mit Du anzusprechen.

«Ich habe einen Gast morgen.»

«Es ist alles organisiert. Die Männer schaffen das gewiss alleine.»

Sie hängte auf. Alles klar. Man brauchte sie nicht. In der Stimme der Frau schwang ein Unterton. Misch dich nicht ein! Tote bergen ist Männersache. Wie der Berg überhaupt. Im Führerkurs waren am Anfang solche Bemerkungen gefallen. Ein Witz wurde herumgeboten: Dich hat man nur aufgenommen, weil Andrea auch ein Männername ist und du auf der Foto mit deinem Bürstenschnitt wie ein Bub aussiehst. Sie fand das widerlich, zahlte es den Männern heim im Fels, wo sie am stärksten kletterte. Schon bald waren die Bemerkungen verstummt.

Sie startete das Mailprogramm. Tippte: «Lieber Stef». Löschte. Ersetzte das «Lieber» durch «Hallo». Dann war auch schon Ende. Sollte sie ihm danken, dass er sie empfohlen hatte? Ein Zeichen geben: Wir könnten doch wieder Freunde sein. Du gehst deinen Weg, ich den meinen. Wir hatten doch auch gute Zeiten zusammen. Am Computer konnte man nicht am Bleistift nagen, deshalb knabberte sie am Daumennagel.

Joe Cocker säuselte und stöhnte und krächzte, wie damals im Stadion in Sheffield, im Flutlicht der Scheinwerfer, umhüllt von einer Wolke von Haschischrauch. «What do I tell my heart? …»

Weisst du noch, Stef? Unser Peak! Schafherden auf kargen Weiden, umgeben von Trockenmauern, Eichenwälder im Herbstlaub, dunkelbrauner Gritstone, der sich in kilometerlangen Felsbändern dahinzieht. Kletterer krabbeln über raue Platten und durch Risse hinauf wie bunte Ameisen, die in der Sonnenwärme ihren unsichtbaren Duftspuren folgen.

Andreas Gesicht spiegelte sich im Bildschirm. Schemenhaft das dunkle Stoppelhaar, das ihre abstehenden Ohren so richtig zur Geltung brachte. Die Nase mit der viel zu breiten Wurzel machte auch der gepiercte Diamant nicht edler. Sie sah wirklich aus wie ein Rotzjunge, fehlten nur noch die Pickel.

«Du machst dich absichtlich hässlich», hatte Stef gelegentlich bemerkt. Wenn er nicht seine zärtliche Anwandlung hatte und sie die schönste Frau der Welt fand mit dem stärksten Busen und den tiefsten Augen. Bloss eine Spur zu klein, um als Model Karriere zu machen. Mit einer neckischen Neigung zur Rundheit, wie sie Männer so lieben. Scheissmänner! Sie war jedenfalls gross genug, um in der Wand Griffe zu erreichen, mit elastischen Zügen, die der hochgeschossene Lackel niemals packte. Sie war klein, stark, ein Kraftpaket, eine gespannte Feder. Schön oder hässlich, es war einerlei.

Andrea ging ins Bad, rieb den Ellbogen mit Salbe ein. Er schmerzte noch immer. «Bergführerin in ihrer Wohnung abgestürzt!» Sie stellte sich die Schlagzeile in der Sonntagszeitung vor. Echt zum Grölen. Doch in der Zeitung stand wohl eine andere Nachricht. «Frau auf Wanderung von Stein erschlagen!»

Die Wohnung war ein Käfig geworden, in dem sie ziellos umhertigerte. Wohin sie auch schaute, sie sah die Frau auf ihrem kalten Totenbett liegen. Gross, schlank, mit rötlich schimmerndem Haar und teuren Kleidern, Marke Kleeblatt. Eine schöne Frau. Sie wusste nicht einmal ihren Namen.

Steinschlag

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