Читать книгу Die Eroberung von Plassans - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 6

KAPITEL III

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Am nächsten Tag verbrachte Mouret den Morgen damit, seinen neuen Mieter zu belauern. Dieses Nachspionieren füllte die leeren Stunden aus, die er sonst in der Wohnung damit zu verbringen pflegte, daß er sich mit Kleinigkeiten abgab, herumliegende Sachen aufräumte, Streitereien mit seiner Frau und seinen Kindern suchte. Von nun an würde er eine Beschäftigung haben, einen Zeitvertreib, der ihn aus seinem alltäglichen Leben herauszog. Er liebte die Pfarrer nicht, wie er sagte, und der erste Priester, der in sein Dasein hereinplatzte, interessierte ihn in ungewöhnlichem Maße. Dieser Priester brachte einen geheimnisvollen Geruch, ein beinahe beunruhigendes Unbekanntes in sein Heim. Obwohl er den Freigeist spielte, sich als Voltairianer hinstellte, empfand er dem Abbé gegenüber ein Erstaunen, einen spießbürgerlichen Schauder, in dem eine Spitze kecker Neugier durchbrach.

Kein Geräusch kam aus dem zweiten Stock. Mouret lauschte im Treppenhaus; er wagte es sogar, auf den Dachboden hinaufzusteigen. Als er den Schritt verlangsamte, während er den Flur entlangging, erregte ihn ein Pantoffelschlurfen aufs äußerste, das er hinter der Tür zu hören glaubte. Da er nichts Genaues hatte erhaschen können, ging er in den Garten hinab, spazierte hinten unter der Gartenlaube umher, blickte hoch und trachtete, durch die Fenster hindurchzusehen, was in den Zimmern geschah. Aber er gewahrte nicht einmal den Schatten des Abbé. Frau Faujas, die zweifellos keinerlei Vorhänge besaß, hatte einstweilen Bettlaken hinter den Scheiben aufgehängt.

Beim Mittagessen wirkte Mouret sehr verärgert.

„Sind die da oben gestorben?“ fragte er, während er den Kindern Brot schnitt. „Hast du nicht gehört, wie sie sich bewegen, Marthe?“

„Nein, mein Freund, ich habe nicht darauf geachtet.“

Rose rief aus der Küche:

„Sie sind schon eine ganze Weile nicht mehr im Hause; wenn sie immer noch laufen, sind sie weit.“

Mouret rief die Köchin und fragte sie ganz genau aus.

„Sie sind weggegangen, Herr Mouret; die Mutter zuerst, der Pfarrer danach. Ich hätte sie nicht gesehen, so leise gehen sie, wären ihre Schatten nicht über den Fliesenfußboden meiner Küche gehuscht, als sie die Tür geöffnet haben. Ich habe auf die Straße geschaut, um nachzusehen; aber sie waren auf und davon, und zwar blitzschnell, versichere ich Ihnen.“

„Das ist sehr überraschend . . . Aber wo war ich denn?“

„Ich glaube, der Herr war hinten im Garten, um nach den Trauben im Laubengang zu sehen.“

Das versetzte Mouret vollends in eine abscheuliche Laune. Er zog über die Priester her: Das seien alles Geheimniskrämer; sie führen so viele Sachen im Schilde, in denen sich der Teufel nicht auskenne; sie heuchelten eine lächerliche Prüderie, und zwar derart, daß niemand je gesehen habe, wie sich ein Pfarrer das Gesicht wasche. Schließlich bereute er, an diesen Abbé, den er nicht kannte, vermietet zu haben.

„Das ist auch deine Schuld“, sagte er zu seiner Frau und erhob sich vom Tisch.

Marthe wollte sich dagegen verwahren, wollte ihn an ihre Auseinandersetzung vom Vorabend erinnern, aber sie blickte auf, sah ihn an und sagte nichts.

Er entschloß sich indessen, nicht auszugehen, wie es seine Gewohnheit war. Er ging hin und her, vom Wohnzimmer zum Garten, schnüffelte herum, behauptete, daß alles herumliege, daß im Haus alles drunter und drüber gehe; dann ärgerte er sich über Serge und Octave, die, wie er sagte, eine halbe Stunde zu früh zum Gymnasium aufgebrochen seien.

„Geht Papa heute nicht fort?“ fragte Désirée ihre Mutter ins Ohr. „Er wird uns schön ärgern, wenn er bleibt.“ Marthe hieß sie schweigen.

Endlich sprach Mouret von einem Geschäft, das er im Laufe des Tages zum Abschluß bringen müsse. Er habe keinen freien Augenblick, er könne sich nicht einmal einen Tag zu Hause ausruhen, wenn er das Bedürfnis dazu empfinde. Untröstlich darüber, nicht auf der Lauer bleiben zu können, brach er auf.

Als er am Abend heimkam, hatte er ein regelrechtes Neugierfieber.

„Und der Abbé?“ fragte er, noch ehe er seinen Hut abgenommen hatte.

Marthe arbeitete an ihrem gewohnten Platz auf der Terrasse. „Der Abbé?“ wiederholte sie mit einiger Überraschung. „Ach ja, der Abbé . . . Ich habe ihn nicht gesehen, ich glaube, er hat sich eingerichtet. Rose hat mir gesagt, daß Möbel gebracht worden sind.“

„Da haben wir, was ich befürchtete“, rief Mouret. „Ich hätte dasein wollen; denn schließlich sind die Möbel meine Sicherheit . . . Ich wußte genau, daß du dich nicht von deinem Stuhl wegrühren würdest. Du bist nicht ganz bei Trost, meine Gute . . . Rose! Rose!“ Und als die Köchin da war: „Für die Leute vom zweiten Stock sind Möbel gebracht worden?“

„Ja, mein Herr, auf einem Wägelchen. Ich habe das Wägelchen von Bergasse, dem Trödler, erkannt. Ich sage Ihnen, schwer beladen war’s nicht. Madame Faujas ging hinterher. Bei der Steigung in der Rue Balande hat sie dem Mann, der hinten schob, sogar ein bißchen geholfen.“

„Haben Sie die Möbel wenigstens gesehen, haben Sie sie gezählt?“

„Gewiß, Herr Mouret; ich hatte mich an die Tür gestellt. Sie haben alles an mir vorbeigetragen, was selbst Madame Faujas kein Vergnügen gemacht zu haben schien. Warten Sie . . . Zuerst hat man ein eisernes Bett hinaufgebracht, dann eine Kommode, zwei Tische, vier Stühle . . . Meiner Treu, das ist alles . . . Und keine neuen Möbel. Ich würde dafür keine dreißig Taler geben.“

„Aber Sie hätten meiner Frau Bescheid sagen müssen; unter solchen Bedingungen können wir nicht vermieten . . . Ich werde mich auf der Stelle mit Abbé Bourrette aussprechen.“

Er ärgerte sich und wollte hinausgehen; da gelang es Marthe, ihn plötzlich aufzuhalten, indem sie sagte:

„Hör doch, ich vergaß . . . Sie haben sechs Monate im voraus bezahlt.“

„Ach! Sie haben bezahlt?“ stammelte er in fast verärgertem Ton.

„Ja, die alte Dame ist heruntergekommen und hat mir das hier überreicht.“ Sie kramte in ihrem Nähtisch und gab ihrem Gatten fünfundsiebzig Francs in Hundertsousstücken, die sorgfältig in ein Stück Zeitung eingewickelt waren.

Mouret zählte das Geld und murmelte dabei:

„Wenn sie zahlen, können sie tun, was sie wollen . . . Einerlei, das sind komische Leute. Es kann nicht jeder reich sein, das stimmt; nur ist das kein Grund, sich auf solche Art und Weise ein verdächtiges Benehmen zuzulegen, wenn man kein Geld hat.“

„Ich wollte dir auch sagen“, begann Marthe wieder, als sie sah, daß er beruhigt war, „die alte Dame hat mich gefragt, ob wir geneigt seien, ihr das Gurtbett zu überlassen; ich habe ihr geantwortet, daß wir es nicht brauchen, daß sie es behalten könne, solange sie wolle.“

„Das hast du gut gemacht, man muß sie sich verpflichten . . . Ich habe es dir gesagt, es ärgert mich an diesen verteufelten Pfarrern, daß man nie weiß, was sie denken noch was sie tun. Abgesehen hiervon, gibt es unter ihnen oft sehr ehrenwerte Menschen.“

Das Geld schien ihn getröstet zu haben. Er scherzte, quälte Serge mit dem Bericht der „Missionen in China“, den dieser gerade las. Während des Essens tat er so, als kümmere er sich nicht mehr um die Leute vom zweiten Stock. Als aber Octave erzählt hatte, er habe Abbé Faujas aus der bischöflichen Residenz kommen sehen, konnte sich Mouret nicht mehr halten. Beim Nachtisch nahm er das Gespräch vom Vorabend wieder auf. Dann schämte er sich irgendwie. Unter der Unbeholfenheit eines Kaufmanns im Ruhestand hatte er einen klugen Geist; vor allem hatte er einen gesunden Menschenverstand, eine Geradheit des Urteils, die ihn inmitten der Provinzklatschereien meistens das rechte Wort finden ließ.

„Alles in allem“, sagte er beim Schlafengehen, „ist es nicht gut, seine Nase in die Angelegenheiten anderer zu stecken . . . Der Abbé kann machen, was ihm gefällt. Es ist langweilig, immer von diesen Leuten zu reden; ich wasche mir nun die Hände in Unschuld.“.

Acht Tage vergingen. Mouret hatte seine gewohnten Beschäftigungen wieder aufgenommen; er strich im Haus herum, stritt mit den Kindern, verbrachte seine Nachmittage außerhalb, um zum Vergnügen Geschäfte abzuschließen, von denen er nie sprach, aß und schlief wie ein Mann, für den das Dasein ein sanfter Abhang ist, auf dem es keinerlei Erschütterungen und Überraschungen gibt. Die Wohnung schien wieder tot. Marthe saß an ihrem gewohnten Platz auf der Terrasse an ihrem Nähtischchen. Désirée spielte an ihrer Seite. Die beiden Jungen brachten zur gleichen Stunde die gleiche Ausgelassenheit mit. Und Rose, die Köchin, wurde böse, schalt auf jedermann, während der Garten und das Wohnzimmer ihren verschlafenen Frieden wahrten.

„Ich will nicht wieder davon anfangen“, meinte Mouret wiederholt zu seiner Frau, „aber du siehst wohl, daß du dich täuschtest, als du glaubtest, es würde unser Leben stören, den zweiten Stock zu vermieten. Wir leben ruhiger als zuvor, das Haus ist kleiner und glücklicher.“

Und er blickte zuweilen zu den Fenstern des zweiten Stockwerkes hoch, an denen Frau Faujas schon am zweiten Tag grobe baumwollene Vorhänge angebracht hatte. Nicht eine Falte dieser Vorhänge bewegte sich. Sie hatten ein stillzufriedenes Aussehen, jene strenge und kalte Züchtigkeit einer Sakristei. Hinter ihnen schien sich eine klösterliche Stille und Reglosigkeit zu verdichten. Dann und wann waren die Fenster halb geöffnet und ließen zwischen dem Weiß der Vorhänge den Schatten der hohen Zimmerdecken erkennen. Aber Mouret mochte sich noch so oft auf die Lauer legen, nie gewahrte er die Hand, die das Fenster öffnete oder schloß; er hörte nicht einmal das Knirschen des Fensterriegels. Kein menschliches Geräusch drang aus der Wohnung herab.

Am Ende der ersten Woche hatte Mouret Abbé Faujas noch nicht wieder gesehen.

Dieser Mann, der neben ihm lebte, ohne daß er auch nur seinen Schatten erblicken konnte, verursachte ihm schließlich eine Art nervöser Unruhe. Trotz der Anstrengungen, die er unternahm, um gleichgültig zu wirken, verfiel er wieder auf seine Verhöre, begann er eine Untersuchung.

„Siehst du ihn denn nicht?“ fragte er seine Frau.

„Gestern habe ich geglaubt, ihn zu sehen, als er nach Hause gekommen ist; aber ich bin nicht ganz sicher . . . Seine Mutter trägt immer ein schwarzes Kleid; vielleicht war sie es.“ Und als er sie mit Fragen bedrängte, sagte sie ihm, was sie wußte. „Rose versichert, daß er jeden Tag aus dem Haus geht; er bleibt sogar lange auswärts . . . Was die Mutter anbetrifft, so geht bei ihr alles nach der Uhr; morgens um sieben Uhr kommt sie herunter, um ihre Besorgungen zu machen. Sie hat einen stets verschlossenen großen Korb, in dem sie wohl alles mitbringen muß: Kohlen, Brot, Wein, Lebensmittel, denn man sieht nie irgendeinen Lieferanten zu ihnen kommen . . . Übrigens sind sie sehr höflich. Rose sagt, daß sie sie grüßen, wenn sie ihr begegnen. Aber meistens hört sie sie nicht einmal die Treppe herunterkommen.“

„Sie müssen eine komische Kocherei machen da oben“, murmelte Mouret, dem diese Auskünfte nichts besagten.

Als Octave an einem anderen Abend sagte, er habe gesehen, wie Abbé Faujas in die Kirche Saint-Saturnin hineinging, fragte ihn sein Vater, wie er ausgesehen habe, wie die Vorübergehenden ihn angeblickt hätten, was er wohl in der Kirche getan habe.

„Oh! Sie sind zu neugierig“, rief der junge Mann lachend. „Er sah nicht schön aus mit seiner in der Sonne ganz roten Soutane; das ist es, was ich weiß. Ich habe sogar bemerkt, daß er längs der Häuser in dem spärlichen Schattenstreifen ging, wo seine Soutane schwärzer wirkte. Wissen Sie, er sieht nicht stolz aus, er senkt den Kopf, er trabt schnell . . . Zwei Mädchen haben zu lachen angefangen, als er den Platz überquerte. Er hat den Kopf gehoben und sie mit viel Sanftmut angeschaut, nicht wahr, Serge?“

Serge erzählte seinerseits, daß er auf dem Heimweg vom Gymnasium Abbé Faujas, der aus der Kirche Saint-Saturnin zurückkam, mehrmals von weitem begleitet habe. Er gehe durch die Straßen, ohne mit irgend jemandem zu sprechen; er scheine keine Menschenseele zu kennen und Scham über den heimlichen Spott zu empfinden, den er rings um sich fühle.

„Aber man spricht in der Stadt doch über ihn?“ fragte Mouret aufs höchste interessiert.

„Zu mir hat niemand über den Abbé gesprochen“, antwortete Octave.

„Doch“, entgegnete Serge, „man redet über ihn. Abbé Bourrettes Neffe hat mir gesagt, daß er in der Kirche nicht sehr gut angesehen sei; man liebe diese Priester nicht, die von weit her kämen. Zudem sehe er so elend aus . . . Wenn man sich an ihn gewöhnt hat, wird man ihn in Ruhe lassen, diesen armen Mann. In der ersten Zeit muß man wohl viel verstehen.“

Marthe riet den jungen Leuten nun, nicht zu antworten, wenn sie jemand über den Abbé ausfrage.

„Oh! Sie können antworten“, rief Mouret. „Wir wissen über ihn ganz sicher nichts, was ihn Unannehmlichkeiten aussetzen würde.“

Mit dem besten Glauben der Welt und ohne an Böses zu denken, machte er von diesem Augenblick an seine Kinder zu Spionen, die er dem Abbé an die Fersen heftete. Octave und Serge mußten ihm alles wiedererzählen, was in der Stadt gesagt wurde; überdies erhielten sie den Auftrag, dem Priester nachzugehen, wenn sie ihm begegnen sollten. Aber diese Nachrichtenquelle war schnell erschöpft. Die gedämpfte Aufregung, die durch die Ankunft eines fremden Vikars in der Diözese verursacht worden war, hatte sich gelegt. Die Stadt schien „dem armen Mann“, dieser schäbigen Soutane, die im Schatten ihrer Gäßchen dahinglitt, Gnade erwiesen zu haben; sie hegte weiterhin für ihn nur eine große Geringschätzung. Andererseits begab sich der Priester schnurstracks zur Kathedrale und kam von dort immer durch dieselben Straßen zurück. Octave sagte lachend, er zähle die Pflastersteine.

Daheim wollte Mouret Désirée, die nie fortging, zum Auskundschaften benutzen. Abends nahm er sie mit hinter in den Garten, hörte ihr zu, wie sie über das plapperte, was sie tagsüber getan und gesehen hatte; er versuchte, das Gespräch auf die Leute vom zweiten Stock zu bringen.

„Hör mal“, sagte er eines Tages zu ihr, „wenn morgen das Fenster offensteht, wirst du deinen Ball in das Zimmer werfen und hinaufgehen, um ihn zurückzuerbitten.“

Am nächsten Tag warf sie ihren Ball hinauf; aber sie war noch nicht auf der Freitreppe, als der Ball, von einer unsichtbaren Hand zurückgesandt, wieder auf der Terrasse aufsprang. Ihr Vater, der auf die Artigkeit des Kindes gerechnet hatte, um die seit dem ersten Tag abgebrochenen Beziehungen wieder anzuknüpfen, gab jetzt die Hoffnung auf; er stieß offensichtlich auf den unzweideutig gefaßten Willen des Abbé, sich daheim verbarrikadiert zu halten. Aber dieser Kampf machte seine Neugier nur glühender. Es kam so weit mit ihm, daß er in den Ecken mit der Köchin klatschte, zum lebhaften Mißvergnügen Marthes, die ihm Vorwürfe über seinen Mangel an Würde machte; aber er brauste auf, er log. Da er sich im Unrecht fühlte, unterhielt er sich mit Rose über die Faujas nur noch im geheimen.

Eines Morgens machte Rose ihm ein Zeichen, ihr in die Küche zu folgen.

„Nun, Herr Mouret!“ sagte sie und schloß die Tür. „Seit über einer Stunde lauere ich darauf, daß Sie aus Ihrem Zimmer herunterkommen.“

„Hast du etwas erfahren?“

„Sie werden gleich sehen . . . Gestern abend habe ich mehr als eine Stunde mit Madame Faujas geplaudert.“

Mouret fuhr vor Freude zusammen. Er setzte sich auf einen Küchenstuhl, dessen Strohgeflecht ausgefranst war, mitten zwischen Wischlappen und Abfälle vom Vorabend.

„Sag schnell, sag schnell“, flüsterte er.

„Also“, begann die Köchin wieder, „ich war an der Tür zur Straße, um Herrn Rastoils Dienstmädchen guten Abend zu sagen, als Madame Faujas heruntergekommen ist, um einen Eimer Schmutzwasser in den Rinnstein zu entleeren. Anstatt sofort wieder hinaufzugehen, ohne den Kopf zu wenden, wie sie es gewöhnlich tut,ist sie einen Augenblick dageblieben, um mich anzuschauen. Da habe ich zu verstehen geglaubt, sie wolle sich mit mir unterhalten; ich habe ihr gesagt, daß es tagsüber schön gewesen sei, daß der Wein gut sein würde . . . Sie antwortete, ohne sich zu beeilen: ,Ja, ja‘, mit der gleichgültigen Stimme einer Frau, die kein Land besitzt und die solche Sachen überhaupt nicht interessieren. Aber sie hatte ihren Eimer hingestellt, sie ging nicht fort; sie hat sich sogar neben mir an die Mauer gelehnt . . .“

Kurzum, was hat sie dir erzählt?“ fragte Mouret, den die Ungeduld marterte.

„Sie verstehen, ich bin nicht so dumm gewesen, sie auszufragen; da wäre sie abgezogen . . . Ohne es mir anmerken zu lassen, habe ich sie auf Dinge gebracht, die sie angehen könnten. Als der Pfarrer von Saint-Saturnin, dieser brave Herr Compan, vorbeigekommen ist, habe ich ihr gesagt, er sei sehr krank, er werde es nicht mehr lange machen, man könne ihn an der Kathedrale schwer ersetzen. Sie war ganz Ohr, versichere ich Ihnen. Sie hat mich sogar gefragt, was für eine Krankheit Herr Compan habe. Wie eben eines das andere gibt, habe ich dann zu ihr von unserem Bischof, von Monsignore Rousselot, gesprochen. Das ist ein sehr braver Mann. Sie wußte sein Alter nicht. Ich habe ihr gesagt, daß er sechzig Jahre alt ist, daß auch er recht weich ist und sich ein wenig an der Nasenspitze herumführen läßt. Man rede genug über Herrn Fenil, den Generalvikar, der im Bistum alles macht, was er will . . . Sie war gefesselt, die Alte; sie wäre da auf der Straße bis zum nächsten Morgen geblieben.“ Mouret machte eine verzweifelte Handbewegung.

„In alledem sehe ich“, rief er, „daß du ganz alleine geredet hast . . . Aber sie, sie, was hat sie gesagt?“

„Warten Sie doch, lassen Sie mich ausreden“, fuhr Rose seelenruhig fort. „Ich habe mein Ziel erreicht . . . Um sie dazu zu bringen, daß sie sich mir anvertraut, habe ich zu ihr schließlich von uns gesprochen. Ich habe gesagt, daß Sie Herr François Mouret seien, ein früherer Geschäftsmann aus Marseille, der es in fünfzehn Jahren verstanden habe, im Wein-, Öl- und Mandelhandel ein Vermögen zu erwerben. Ich habe hinzugefügt, Sie hätten es vorgezogen, Ihre Jahreszinsen in Plassans zu verzehren, einer ruhigen Stadt, in der die Eltern Ihrer Frau wohnen. Ich habe sogar ein Mittel gefunden, ihr beizubringen, daß Ihre Frau Ihre Cousine ist, daß Sie vierzig Jahre alt sind und Ihre Frau siebenunddreißig ist; daß Sie eine sehr gute Ehe führen; daß man Sie im übrigen nicht oft auf dem Cours Sauvaire trifft. Kurzum, Ihre ganze Geschichte . . . Sie hat sich sehr interessiert gezeigt. Sie antwortete, ohne sich zu beeilen, immer: ,Ja, ja‘. Wenn ich anhielt, nickte sie so mit dem Kopf, um mir zu sagen, daß sie höre, daß ich weiterreden könne . . . Und bis die Nacht hereinbrach, haben wir uns so, mit dem Rücken an der Hauswand, wie gute Freundinnen unterhalten.“ Von Zorn erfaßt, war Mouret aufgestanden.

„Wie!“ schrie er. „Das ist alles! — Sie hat Sie eine Stunde lang schwatzen lassen, und sie hat Ihnen nichts gesagt!“

„Sie hat, als es dunkel geworden war, zu mir gesagt: ,Die Luft wird kühl.‘ Und sie hat ihren Eimer genommen und ist wieder hinaufgegangen . . .“

„Hören Sie, Sie sind ein Schaf! Diese Alte da würde zehn von Ihrer Sorte verkaufen. Na ja! Die können nun lachen, wo sie über uns alles wissen, was sie wissen wollten . . . Verstehen Sie, Rose, Sie sind ein Schaf!“

Die alte Köchin war nicht gerade langmütig; sie begann ungestüm umherzulaufen, stieß die Pfannen und Töpfe durcheinander, drehte die Wischlappen zusammen und warf sie hin. „Wissen Sie, Herr Mouret“, stammelte sie, „wenn Sie in meine Küche gekommen sind, um mir Grobheiten zu sagen, war es nicht der Mühe wert. Da können Sie wieder gehen . . . Was ich getan habe, habe ich einzig und allein getan, um Sie zufriedenzustellen. Würde Ihre Frau uns hier zusammen finden und sehen, was wir machen, würde sie mit mir schimpfen; und sie hätte recht, denn das ist nicht gut . . . Schließlich konnte ich ihr die Worte nicht von den Lippen reißen, dieser Dame. Ich habe die Sache angepackt, wie sie jedermann anpackt. Ich habe geredet, ich habe Ihre Angelegenheiten erzählt. Da ist Ihnen eben nicht zu helfen, wenn die Dame ihre Angelegenheiten nicht erzählt hat. Fragen Sie sie doch danach, wenn Ihnen das so am Herzen liegt. Vielleicht sind Sie nicht so dumm wie ich, Herr Mouret . . .“ Sie hatte die Stimme erhoben.

Mouret hielt es für klug, sich davonzustehlen, wobei er die Küchentür wieder zumachte, damit seine Frau nichts hörte.

Aber Rose riß die Tür hinter seinem Rücken wieder auf und rief ihm in den Hausflur nach:

„Daß Sie’s wissen, ich kümmere mich um nichts mehr; Sie können Ihre schmutzigen Aufträge geben, wem Sie wollen.“ Mouret war geschlagen. Er blieb über seine Niederlage verbittert. Aus Groll gefiel er sich darin zu sagen, diese Leute aus dem zweiten Stock seien sehr unbedeutende Leute. Nach und nach verbreitete er unter seinen Bekannten eine Meinung, die die Meinung der ganzen Stadt wurde. Abbé Faujas wurde als ein mittelloser Priester ohne jeden Ehrgeiz angesehen, der gänzlich außerhalb der Ränke der Diözese stehe; man glaubte, er schäme sich seiner Armut, weil er die schlechtesten Arbeiten an der Kathedrale annahm, sich so tief wie möglich in den Schatten drückte, wo er sich wohl zu fühlen schien. Eine einzige Neugier blieb, nämlich die, zu erfahren, warum er von Besançon nach Plassans gekommen war. Heikle Geschichten waren im Umlauf. Aber die Vermutungen erschienen gewagt. Mouret selbst, der seinen Mietern zum Zeitvertreib nachspioniert hatte, ganz so, als wenn er Karten oder Billard gespielt hätte, begann zu vergessen, daß er einen Priester bei sich beherbergte, als ein Ereignis sein Leben von neuem mit Beschlag belegte.

Als er eines Nachmittags nach Hause ging, erblickte er vor sich Abbé Faujas, der die Rue Balande hinanstieg. Er verlangsamte den Schritt. Er musterte ihn in Ruhe. Seit einem Monat, solange der Priester in seinem Hause wohnte, war es das erste Mal, daß er ihn so am hellen Tag sah. Der Abbé trug noch immer seine alte Soutane; er schritt langsam dahin, seinen Dreispitz in der Hand, barhäuptig trotz des scharfen Windes. Die Straße, deren Steigung sehr steil ist, blieb menschenleer mit ihren großen kahlen Häusern, deren Fensterläden geschlossen waren. Mouret, der den Schritt beschleunigte, ging schließlich auf den Zehenspitzen, aus Angst, der Priester könne ihn hören und enteilen. Aber als sie sich Herrn Rastoils Haus näherten, ging eine Gruppe Menschen, die vom Place de la Sous-Préfecture herkam, in dieses Haus hinein. Abbé Faujas hatte einen kleinen‘ Umweg gemacht, um jenen Herren auszuweichen. Er sah zu, wie die Tür geschlossen wurde. Jäh stehenbleibend, wandte er sich dann zu seinem Hauswirt um, der auf ihn zukam.

„Wie glücklich ich bin, Sie so zu treffen“, sagte er mit seiner großen Höflichkeit. „Ich hätte mir erlaubt, Sie heute abend zu stören . . . Am letzten Regentag haben sich an der Decke meines Zimmers Wasserflecke gebildet, die ich Ihnen zeigen möchte.“ Mouret stand vor ihm hingepflanzt und stammelte, daß er zu seiner Verfügung stehe. Und als sie zusammen nach Hause kamen, fragte er ihn schließlich, zu welcher Stunde er sich einfinden könne, um sich die Decke anzusehen.

„Aber gleich jetzt, bitte“, antwortete der Abbé, „sofern Sie das nicht zu sehr stört.“

Atemlos ging Mouret hinter ihm nach oben, während Rose, die starr vor Erstaunen war, ihnen auf der Küchenschwelle von Stufe zu Stufe nachblickte.

Die Eroberung von Plassans

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