Читать книгу Die Eroberung von Plassans - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 9

KAPITEL VI

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Am folgenden Abend holte Abbé Bourrette Abbé Faujas gegen neun Uhr ab; er hatte ihm versprochen, ihn in den Salon der Rougons einzuführen und dort vorzustellen. Als er ihn mitten in seinem großen kahlen Zimmer stehen und bereits fertig angekleidet antraf, wie er sich schwarze, an den Fingerspitzen ausgeblichene Handschuhe anzog, betrachtete er ihn mit einer leichten Grimasse.

„Haben Sie keine andere Soutane?“ fragte er.

„Nein“, antwortete Abbé Faujas seelenruhig, „diese ist noch anständig, glaube ich.“

„Zweifellos, zweifellos“, stammelte der alte Priester. „Es herrscht eine sehr scharfe Kälte. Nehmen Sie nichts um die Schultern? — Also gehen wir.“

Es waren jetzt die ersten Fröste. Abbé Bourrette, der in einen gesteppten seidenen Überrock warm eingehüllt war, kam außer Atem, als er Abbé Faujas folgen wollte, der nur seine dünne, abgetragene Soutane anhatte. An der Ecke des Place de la Sous-Préfecture und der Rue de la Banne blieben sie vor einem ganz aus weißen Steinen errichteten Haus stehen, einem der schönen Häuser der Neustadt mit in Stein gehauenen Rosetten an jedem Stockwerk. Ein Diener in blauer Livree empfing sie im Vestibül; er lächelte Abbé Bourrette zu, während er ihm den gesteppten Überrock abnahm, und schien sehr erstaunt beim Anblick des anderen Abbé, dieses großen, gleichsam mit Axthieben behauenen Teufels, der bei einer solchen Kälte ohne Mantel ausgegangen war. Der Salon lag im ersten Stock.

Abbé Faujas trat erhobenen Hauptes mit ernster Ungezwungenheit ein, während sich Abbé Bourrette, der sehr aufgeregt war, wenn er zu den Rougons kam, obwohl er auf keiner ihrer Abendgesellschaften fehlte, aus der Affäre zog, indem er in einen anliegenden Raum entschlüpfte. Faujas durchschritt langsam den ganzen Salon, um die Herrin des Hauses zu begrüßen, die er inmitten einer Gruppe von fünf oder sechs Damen erahnt hatte. Er mußte sich selbst vorstellen; er tat es mit drei Worten.

Félicité hatte sich schnell erhoben. Sie musterte ihn mit einem raschen Blick vom Kopf bis zu den Füßen, kehrte zum Gesicht zurück, durchforschte mit ihrem Frettchenblick seine Augen, wobei sie lächelnd flüsterte:

„Ich bin entzückt, Herr Abbé, ich bin wirklich entzückt . . .“ Unterdessen hatte der Priester beim Durchqueren des Salons Verwunderung hervorgerufen. Eine junge Frau, die jäh den Kopf gehoben hatte, machte sogar eine verhaltene Schreckensgebärde, als sie diese schwarze Masse vor sich erblickte. Der Eindruck war ungünstig; er war zu groß, zu breitschultrig; er hatte ein zu hartes Gesicht, zu derbe Hände. Unter dem grellen Licht des Kronleuchters wirkte seine Soutane so jämmerlich, daß die Damen eine Art Scham darüber empfanden, einen so schlecht gekleideten Abbé zu sehen. Sie hielten sich ihre Fächer vors Gesicht, sie fingen wieder an zu tuscheln, wobei sie danach trachteten, ihm den Rücken zuzukehren. Die Männer hatten bezeichnenderweise den Mund verzogen und kurze Blicke gewechselt.

Félicité spürte, wie wenig wohlwollend dieser Empfang war. Sie schien dadurch gereizt; sie blieb mitten im Salon stehen, sprach laut und zwang ihre Gäste, die Komplimente anzuhören, die sie an Abbé Faujas richtete.

„Der liebe Bourrette“, sagte sie mit schmeichlerischer Stimme, „hat mir erzählt, welche Mühe er hatte, Sie zu überreden . . . Eigentlich müßte ich Ihnen deshalb grollen, Herr Abbé. Sie haben kein Recht, sich so der Welt zu entziehen.“

Der Priester verneigte sich, ohne zu antworten.

Lachend fuhr die alte Dame mit besonderem Unterton in gewissen Worten fort:

„Ich kenne Sie besser, als Sie glauben, trotz Ihrer Sorgfalt, uns Ihre Tugenden zu verbergen. Man hat mir von Ihnen erzählt; Sie sind ein Heiliger, und ich will Ihre Freundin sein . . . Wir werden über all das sprechen, nicht wahr? Denn nun gehören Sie zu den Unsrigen.“

Abbé Faujas starrte sie an, als habe er in der Art, wie sie ihren Fächer handhabte, irgendein Freimaurerzeichen erkannt. Er antwortete und senkte dabei die Stimme:

„Madame, ich stehe zu Ihrer vollen Verfügung.“

„So verstehe ich es auch“, erwiderte sie lauter lachend. „Sie werden sehen, daß wir hier das Wohl aller wollen . . . Aber kommen Sie, ich will Sie meinem Mann vorstellen.“

Sie schritt durch den Salon, störte mehrere Personen, um Abbé Faujas einen Weg zu bahnen, schenkte ihm eine Beachtung, die alle Anwesenden vollends gegen ihn aufbrachte. Im Nebenraum waren Whisttische aufgestellt. Sie ging geradewegs auf ihren Mann zu, der mit der ernsten Miene eines Diplomaten spielte. Er machte eine ungeduldige Handbewegung, als sie sich zu seinem Ohr herabneigte; aber sobald sie ihm einige Worte gesagt hatte, erhob er sich rasch.

„Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!“ flüsterte er. Und nachdem er sich bei seinen Spielpartnern entschuldigt hatte, schüttelte er Abbé Faujas die Hand. Rougon war damals ein beleibter bleicher Mann von siebzig Jahren; er hatte das feierliche Aussehen eines Millionärs bekommen. Man fand in Plassans im allgemeinen, daß er einen schönen Kopf habe, den weißen und stummen Kopf einer politischen Persönlichkeit. Nachdem er mit dem Priester einige höfliche Worte gewechselt hatte, nahm er seinen Platz am Spieltisch wieder ein.

Noch immer lächelnd, war Félicité soeben in den Salon zurückgegangen.

Als Abbé Faujas endlich allein war, schien er nicht im mindesten verlegen. Er blieb einen Augenblick stehen, um den Spielern zuzusehen; in Wirklichkeit musterte er die Tapeten, den Teppich, die Möbel. Es war ein kleiner sandelholzfarbener Salon mit drei Bücherschränken aus nachgedunkeltem Birnbaum, die mit kupfernen Beschlägen verziert waren und die drei große Flächen des Raumes einnahmen. Man hätte meinen können, es sei das Arbeitszimmer eines höheren Justizbeamten. Der Priester, der zweifellos großen Wert darauf legte, eine vollständige Besichtigung vorzunehmen, durchquerte von neuem den großen Salon. Er war grün, ebenfalls sehr streng, aber stärker mit Vergoldungen beladen, und ähnelte gleichzeitig der behördlichen Gewichtigkeit eines Ministeriums und dem auffallenden Luxus eines großen Restaurants. An der anderen Seite befand sich noch eine Art Boudoir, in dem Félicité tagsüber ihre Besucher empfing; ein strohfarbenes Boudoir, in dem die Möbel mit violetten Ranken bestickt, und das so mit Sesseln, Puffs und Kanapees vollgestellt war, daß man kaum darin umhergehen konnte.

Abbé Faujas setzte sich in die Kaminecke, als wolle er sich die Füße wärmen. Er saß so, daß er durch eine weit offene Tür eine gute Hälfte des grünen Salons sehen konnte. Der so freundliche Empfang durch Frau Rougon beschäftigte ihn; er schloß halb die Augen, befaßte sich eingehend mit einem Problem, dessen Lösung ihm entging. Nach einer Weile hörte er beim Träumen hinter sich Stimmen; sein Sessel mit der riesigen Rückenlehne verbarg ihn völlig; und er senkte die Lider noch mehr. Gleichsam durch die starke Hitze des Feuers eingeschläfert, hörte er zu.

„Ich bin damals ein einziges Mal zu ihnen gegangen“, fuhr eine fette Stimme fort. „Sie wohnten gegenüber auf der anderen Seite der Rue de la Banne. Sie waren wohl damals in Paris, denn ganz Plassans hat zu jener Zeit den gelben Salon der Rougons gekannt; ein jämmerlicher Salon mit zitronengelber Tapete zu fünfzehn Sous die Rolle; mit Möbeln, die mit Utrechter Samt bezogen waren, und mit behaglichen Sesseln. Schauen Sie sie sich jetzt an, den Schwarzkopf in kastanienbraunem Satin da hinten auf diesem Puff. Sehen Sie, wie sie dem kleinen Delangre die Hand hinhält. Mein Wort! Sie wird sie ihm gleich zum Kuß reichen.“

Eine jüngere Stimme feixte und murmelte:

„Sie müssen hübsch gestohlen haben, um einen so schönen grünen Salon zu haben, denn Sie wissen ja, das ist der schönste Salon der Stadt.“

„Die Dame“, begann der andere wieder, „hat immer leidenschaftlich gern Gäste empfangen. Wenn sie keinen Sou hatte, trank sie Wasser, um ihren Gästen abends Zitronengetränke anzubieten . . . Oh! Ich kenne sie haargenau, die Rougons; ich hatte ihren Werdegang verfolgt. Das sind Leute, die vor nichts zurückschrecken. Sie waren rasend vor Begierden, daß sie imstande gewesen wären, an einer Waldecke jemand mit dem Messer umzubringen. Der Staatsstreich hatte ihnen geholfen, einen Traum von Genüssen zu befriedigen, der sie seit vierzig Jahren folterte. Deshalb sind sie so gefräßig, deshalb schlagen sie sich so den Magen mit guten Dingen voll! Sehen Sie, dieses Haus, das sie heute bewohnen, gehörte damals einem Herrn Peirotte, einem Steuereinnehmer, der bei der Geschichte in Sainte-Roure während des Aufstandes 1851 getötet wurde. Ja, meiner Treu! Sie haben in jeder Beziehung Glück gehabt. Eine verirrte Kugel hat sie von diesem lästigen Mann befreit, den sie beerbt haben . . . Na schön! Hätte Félicité zwischen dem Haus und dem Amt des Steuereinnehmers zu wählen gehabt, so hätte sie sicherlich das Haus genommen. Seit nahezu zehn Jahren wandte sie kein Auge von ihm ab, war von dem rasenden Gelüst einer schwangeren Frau erfaßt, wurde beim Anblick der reichen Vorhänge krank, die hinter den Fensterscheiben hingen. Das waren ihre Tuilerien, wie es in einer Bemerkung hieß, die nach dem zweiten Dezember in Plassans umlief.“

„Aber woher haben sie das Geld genommen, um das Haus zu kaufen?“

„Ah! Das, mein Bester, ist eine dunkle Geschichte . . . Ihr Sohn Eugéne, der, der in Paris eine so erstaunliche politische Karriere gemacht hat, Abgeordneter, Minister, Geheimer Rat in den Tuilerien, erwirkte für seinen Vater, der hier eine sehr hübsche Posse gespielt hatte, mit Leichtigkeit eine Steuereinnehmerstelle und das Kreuz der Ehrenlegion. Was das Haus anbelangt, so wird es durch Absprachen bezahlt worden sein. Sie werden sich bei irgendeinem Bankier etwas geliehen haben . . . Heute sind sie jedenfalls reich, sie spekulieren, sie holen die verlorene Zeit wieder auf. Ich denke mir, daß ihr Sohn mit ihnen in Briefwechsel geblieben ist, denn sie haben noch nicht eine einzige Dummheit begangen.“ Die Stimme schwieg, um fast sogleich mit ersticktem Lachen fortzufahren: „Nein, ich lache unwillkürlich, wenn ich sehe, wie diese verdammte Grille Félicité ihre Herzoginnenmiene aufsetzt! Ich erinnere mich immer noch an den gelben Salon mit seinem abgenutzten Teppich, seinen schmutzigen Konsolen, dem mit Fliegendreck übersäten Musselin seines kleinen Kronleuchters . . . Da empfängt sie jetzt die beiden Fräulein Rastoil. Je! Wie sie mit der Schleppe ihres Kleides herumwedelt . . . Diese Alte, mein Bester, wird eines Tages mitten in ihrem grünen Salon vor Triumph platzen.“ Abbé Faujas hatte den Kopf behutsam so gedreht, daß er sehen konnte, was in dem großen Salon vor sich ging. Er gewahrte Frau Rougon, die dort inmitten des Kreises, der sie umgab, wahrhaft prächtig wirkte; sie schien auf ihren Zwergenfüßen größer zu werden und alle Rücken rings um sich mit dem Blick einer siegreichen Königin zu beugen. Zuweilen verging sie für Sekunden vor Wonne, wobei ihre Augenlider zuckten im goldenen Widerschein der Decke, in der ernsten Anmut der Wandbespannungen.

„Ah! Da ist Ihr Vater“, sagte die fette Stimme. „Da kommt der gute Doktor herein . . . Es ist sehr seltsam, daß der Doktor Ihnen diese Dinge nicht erzählt hat. Er weiß darüber besser Bescheid als ich.“

„Ach! Mein Vater hat Angst, daß ich ihm Unannehmlichkeiten bereite“, erwiderte der andere heiter. „Sie wissen, daß er mich verwünschte, dabei fluchte, ich brächte ihn um seine Patienten . . . Entschuldigen Sie mich bitte, ich erblicke eben Herrn Maffres Söhne, ich will ihnen die Hand geben.“

Das Rücken von Stühlen war zu hören, und Abbé Faujas sah, wie ein großer junger Mann mit schon müdem Gesicht den kleinen Salon durchquerte. Der andere Herr, der mit den Rougons so munter umgesprungen war, erhob sich gleichfalls. Eine Dame, die vorbeikam, ließ sich von ihm sehr liebliche Dinge sagen, sie lachte, sie nannte ihn „lieber Herr de Condamin“. Da erkannte der Priester den gutaussehenden Mann von sechzig Jahren wieder, den Mouret ihm im Garten der Unterpräfektur gezeigt hatte. Herr de Condamin setzte sich an die andere Ecke des Kamins. Dort war er völlig überrascht, Abbé Faujas zu erblikken, den ihm die Sessellehne verborgen hatte; aber er ließ sich keineswegs aus der Fassung bringen. Er lächelte und sagte mit der Dreistigkeit eines liebenswürdigen Mannes:

„Herr Abbé, ich glaube, daß wir eben gebeichtet haben, ohne es zu wollen . . . Es ist eine große Sünde, nicht wahr, über seinen Nächsten üble Nachrede zu führen? Glücklicherweise waren Sie da, um uns Absolution zu erteilen.“

Sosehr der Abbé auch sein Gesicht in der Gewalt hatte, er konnte nicht verhindern, daß er leicht errötete. Er verstand vortrefflich, daß Herr de Condamin ihm vorwarf, den Atem angehalten zu haben, um zu lauschen. Aber dieser war nicht der Mann, einem Neugierigen zu grollen, im Gegenteil. Er war entzückt über dieses bißchen Mitwisserschaft, das er zwischen dem Priester und sich eben hergestellt hatte. Das berechtigte ihn, ungezwungen zu reden, den Abend mit dem Erzählen von Skandalgeschichten über anwesende Personen totzuschlagen. Das war sein bestes Vergnügen. Dieser in Plassans neu angekommene Abbé schien ihm ein ausgezeichneter Zuhörer zu sein; um so mehr, da er häßlich aussah, aussah wie jemand, der dazu gut ist, alles mit anzuhören, und der eine wahrhaft zu schäbige Soutane trug, als daß die Vertraulichkeiten, die man sich mit ihm erlauben würde, Weiterungen nach sich ziehen könnten.

Nach Verlauf einer Viertelstunde hatte es sich Herr de Condamin bequem gemacht. Mit seiner großen weltmännischen Höflichkeit erklärte er Abbé Faujas Plassans.

„Sie sind fremd unter uns, Herr Abbé“, sagte er. „Es würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen bei irgend etwas nützlich sein könnte . . . Plassans ist eine Kleinstadt, in der man sich mit der Zeit eine Bleibe einrichtet. Ich stamme aus der Umgebung von Dijon. Na ja! Als man mich hier zum Oberforstmeister ernannt hat, verabscheute ich die Gegend, ich fand es hier sterbenslangweilig. Das war am Vorabend des Kaiserreichs. Vor allem nach 1851 hat die Provinz nichts Heiteres gehabt, versichere ich Ihnen. In diesem Departement hatten die Einwohner eine hündische Angst. Der Anblick eines Gendarmen hätte sie unter die Erde kriechen lassen . . . Das hat sich nach und nach beruhigt, sie haben den gewöhnlichen Alltagstrott wiederaufgenommen, und, mein Gott, ich habe mich schließlich darein gefügt. Ich lebe draußen, ich mache lange Spazierritte, ich habe mir einige Verbindungen geschaffen.“ Er senkte die Stimme und fuhr in vertraulichem Ton fort: „Wenn ich Ihnen raten darf, Herr Abbé, seien Sie vorsichtig. Sie können sich nicht vorstellen, in welches Wespennest ich beinahe gefallen wäre . . . Plassans ist in drei völlig unterschiedliche Stadtviertel eingeteilt: die Altstadt, wohin sie nur Tröstungen und Almosen zu bringen haben; das Saint-Marc-Viertel, das der Landadel bewohnt, ein Ort der Langeweile und Rachsucht, dem sie nicht zuviel mißtrauen können; und die Neustadt, das Viertel, das noch jetzt um die Präfektur herum gebaut wird, das einzig mögliche, das einzig passende . . . Ich hatte die Torheit begangen, in das Saint-Marc-Viertel hinunterzuziehen, wohin mich, wie ich glaubte, meine Verbindungen rufen mußten. Oh, jawohl! Ich habe nur Witwen von Stande, dürr wie Bohnenstangen, und in Armut dahinlebende Marquis gefunden. Alle Welt weint der guten alten Zeit nach. Nicht die geringste Geselligkeit, kein noch so kleines Fest; eine heimliche Verschwörung gegen den glücklichen Frieden, in dem wir leben . . . Ich hätte mir beinahe Ungelegenheiten bereitet, mein Ehrenwort. Péqueur hat sich über mich lustig gemacht . . . Herr Péqueur des Saulaies, unser Unterpräfekt, kennen Sie ihn? — Da bin ich über den Cours Sauvaire gezogen, ich habe dort am Platz eine Wohnung genommen. Sehen Sie, in Plassans ist das Volk nicht vorhanden, der Adel ist unverbesserlich; erträglich sind nur einige Emporkömmlinge, reizende Leute, die sich für die Leute von Rang und Würden in große Unkosten stürzen. Unsere kleine Beamtenwelt ist sehr glücklich dran. Wir leben unter uns, wie es uns behagt, ohne uns um die Einwohner zu bekümmern, als ob wir unser Zelt in erobertem Land aufgeschlagen hätten.“ Er lachte vor Behagen, streckte sich noch mehr und hielt seine Fußsohlen gegen die Flamme; darauf nahm er vom Tablett eines Dieners, der gerade vorbeikam, ein Glas Punsch, trank langsam, wobei er Abbé Faujas weiterhin verstohlen von der Seite betrachtete.

Dieser fühlte, daß es die Höflichkeit von ihm erforderte, sich einen Satz einfallen zu lassen.

„Dieses Haus wirkt sehr angenehm“, sagte er, sich halb zum grünen Salon umdrehend, in dem sich die Unterhaltung belebte.

„Ja, ja“, antwortete Herr de Condamin, der dann und wann innehielt, um ein Schlückchen Punsch zu trinken, „die Rougons lassen uns Paris vergessen. Man würde hier niemals meinen, in Plassans zu sein. Das ist der einzige Salon, in dem man sich vergnügt, weil es der einzige ist, in dem alle Meinungen in nahe Berührung miteinander treten . . . Péqueur gibt gleichfalls sehr nette Gesellschaften . . . Das muß die Rougons tüchtig was kosten, und sie streichen keine Kanzleigelder ein wie Péqueur; aber sie haben Besseres als das, sie haben die Taschen der Steuerpflichtigen.“ Dieser Scherz entzückte ihn. Er stellte das leere Glas, das er in der Hand hielt, auf den Kamin; und näherrückend, sich niederbeugend, fuhr er fort: „Was es hier an Vergnüglichem gibt, sind die fortwährenden Komödien, die sich abspielen. Wenn Sie die Personen kennen würden! — Dort hinten sehen Sie Madame Rastoil zwischen ihren beiden Töchtern, diese etwa fünfundvierzigjährige Frau, die einen Kopf wie ein blökendes Schaf hat . . . Nun ja! Haben Sie das Zucken ihrer Augenlider bemerkt, als sich Delangre ihr gegenüber hingesetzt hat? Jener Herr, hier links, der wie ein Hanswurst aussieht . . . Sie haben sich vor einigen zehn Jahren intim gekannt. Es heißt, eines der beiden Fräulein sei von ihm, aber man weiß nicht mehr recht, welches . . . Das drolligste ist, daß Delangre um die gleiche Zeit herum kleine Sorgen mit seiner Frau gehabt hat; man erzählt, daß seine Tochter von einem Maler sei, den ganz Plassans kennt.“

Abbé Faujas hatte geglaubt, eine ernste Miene aufsetzen zu müssen, um solche vertraulichen Geständnisse entgegenzunehmen; er schloß die Lider gänzlich; er schien nicht mehr zuzuhören.

Herr de Condamin fuhr fort, als wollte er sich rechtfertigen: „Wenn ich mir erlaube, so von Delangre zu sprechen, so deshalb, weil ich ihn gut kenne. Er ist verflixt tüchtig, dieser Teufelsmensch! Ich glaube, sein Vater war Maurer. Vor etwa fünfzehn Jahren führte er die kleinen Prozesse, von denen die anderen Rechtsanwälte nichts wissen wollten. Madame Rastoil hat ihn tatsächlich aus dem Elend herausgezogen; sie schickte ihm sogar das Winterholz, damit er es schön warm hatte. Durch sie hat er seine ersten Gerichtsfälle gewonnen . . . Beachten Sie, daß Delangre damals die Geschicklichkeit besaß, keinerlei politische Meinung zu zeigen. Als man 1852 einen Bürgermeister suchte, hat man deshalb auch unverzüglich an ihn gedacht; er allein konnte eine solche Stellung annehmen, ohne einen der drei Stadtteile in Schrecken zu versetzen. Seit jener Zeit ist ihm alles gelungen. Er hat die schönste Zukunft. Das Unglück ist, daß er sich mit Péqueur nicht sehr versteht. Sie streiten zusammen immer über Dummheiten.“ Er hielt inne, als er den großen jungen Mann zurückkommen sah, mit dem er eine Weile zuvor geplaudert hatte. „Herr Guillaume Porquier“, sagte er und stellte ihn dem Abbé vor, „der Sohn von Doktor Porquier.“ Als Guillaume sich gesetzt hatte, fragte er ihn grinsend: „Na! Was haben Sie da nebenan Schönes gesehen?“

„Wahrhaftig nichts“, antwortete der junge Mann in scherzhaftem Ton. „Ich habe die Paloques gesehen. Madame Rougon bemüht sich immer, sie hinter einen Vorhang zu verstecken, um Unheil zu verhüten. Eine schwangere Frau, die sie eines Tages auf dem Cours Sauvaire erblickt hat, hätte beinahe eine Frühgeburt gehabt . . . Paloque läßt Präsident Rastoil nicht aus den Augen, weil er zweifellos hofft, ihn vor Angst, die nach innen schlägt, umkommen zu lassen. Sie wissen, daß dieses Scheusal Paloque damit rechnet, als Präsident zu sterben.“

Beide erheiterten sich. Die Häßlichkeit der Paloques war in der kleinen Beamtenwelt Gegenstand ewiger Spötteleien. Die Stimme senkend, fuhr der junge Porquier fort:

„Herrn de Bourdeu habe ich auch gesehen. Finden Sie nicht, daß der Mann seit der Wahl des Marquis de Lagrifoul noch magerer geworden ist? Bourdeu wird sich nie darüber hinwegtrösten, nicht mehr Präfekt zu sein; er hat seinen Orleanistengroll in den Dienst der Legitimisten gestellt, in der Hoffnung, das würde ihn geradewegs in die Kammer bringen, wo er die so sehr vermißte Präfektur wieder ergattern könnte . . . Deshalb ist er auch darüber fürchterlich gekränkt, daß man ihm den Marquis vorgezogen hat, einen Dummkopf, einen Erzdummkopf, der überhaupt nichts von Politik versteht, während er, Bourdeu, sehr tüchtig, ungemein tüchtig ist.“

„Er ist todlangweilig, der Bourdeu, mit seinem zugeknöpften Gehrock und seinem flachen Altliberalenhut“, sagte Herr de Condamin mit einem Achselzucken. „Ließe man diese Leute gehen, machten sie aus Frankreich eine Sorbonne von Advokaten und Diplomaten, in der man sich gewaltig langweilen würde, versichere ich Ihnen . . . Ach! Ich wollte Ihnen sagen, Guillaume, man hat mir von Ihnen erzählt; Sie scheinen ein hübsches Leben zu führen.“

„Ich?“ rief der junge Mann lachend.

„Ja, Sie, mein Bester; und ich habe diese Dinge wohlgemerkt von Ihrem Vater. Er ist untröstlich, er beschuldigt Sie zu spielen, die Nacht im Klub und anderswo zu verbringen . . . Stimmt es, daß Sie hinter dem Gefängnis ein anrüchiges Café entdeckt haben, wo sie mit einer ganzen Schar von Strauchdieben hingehen, um Ihr Geld zu verjuxen? Man hat mir sogar erzählt . . .“

Da Herr de Condamin zwei Damen hereinkommen sah, sprach er leise weiter dicht an Guillaumes Ohr, der mit dem Kopf nickte und losprustete vor Lachen. Dieser beugte sich seinerseits nieder, um zweifellos einige Einzelheiten hinzuzufügen. Und näher aneinanderrückend, ergötzten sich beide längere Zeit mit funkelnden Augen an diesem Geschichtchen, mit dem man sich vor Damen nicht herauswagen konnte.

Abbé Faujas war währenddessen dort geblieben. Er hörte nicht mehr zu; er verfolgte Herrn Delangres Bewegungen, der im grünen Salon hin und her lief und Liebenswürdigkeiten verschwendete. Dieses Schauspiel nahm ihn derart gefangen, daß er nicht sah, wie ihn Abbé Bourrette zu sich heranwinkte. Der Abbé mußte herkommen, ihn am Arm berühren und ihn bitten, ihm zu folgen. Er führte ihn mit den Vorsichtsmaßregeln eines Mannes, der irgendeine heikle Angelegenheit zu sagen hat, bis in das Spielzimmer.

„Mein Freund“, flüsterte er, als sie in einer Ecke allein waren, „Sie sind zu entschuldigen, es ist das erste Mal, daß Sie hierherkommen; aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich überaus kompromittiert haben, indem Sie solange mit diesen Leuten sprachen, von denen Sie eben weggegangen sind.“ Und da Abbé Faujas ihn sehr überrascht ansah, fuhr er fort: „Diese Leute sind nicht gut angesehen . . . Gewiß, ich beabsichtige nicht, ein Urteil über sie zu fällen, ich will an keinerlei übler Nachrede teilhaben. Aus Freundschaft für Sie mache ich Sie darauf aufmerksam, das ist alles.“

Er wollte sich entfernen, aber der andere hielt ihn zurück und sagte lebhaft:

„Sie beunruhigen mich, lieber Herr Bourrette. Drücken Sie sich bitte deutlich aus. Es scheint mir, daß Sie mir auch ohne üble Nachrede Aufklärung verschaffen können.“

„Nun gut!“ erwiderte der alte Priester nach einigem Zögern, „der junge Mann, Doktor Porquiers Sohn, betrübt seinen ehrenwerten Vater aufs tiefste und gibt der studentischen Jugend von Plassans die schlimmsten Beispiele. In Paris hat er nichts als Schulden zurückgelassen, hier stellt er die Stadt auf den Kopf . . . Was Herrn de Condamin angeht . . .“ Er hielt abermals inne, weil ihn die ungeheuerlichen Dinge, die zu erzählen hatte, in Verlegenheit brachten; dann fuhr er fort und senkte dabei die Lider: „Herr de Condamin ist mit Worten sehr leichtfertig, und ich fürchte, er hat kein Gewissen. Er verschont niemanden, er erregt bei allen ehrbaren Seelen Ärgernis . . . Kurzum, ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen das beibringen soll, man sagt, er habe eine wenig rühmliche Ehe geschlossen. Sehen Sie diese junge, noch nicht dreißigjährige Frau, die so umringt ist. Nun ja! Er hat sie uns eines Tages nach Plassans gebracht, man weiß nicht recht woher. Vom Tage nach ihrer Ankunft an war sie hier allmächtig. Sie war es, die ihrem Mann und Doktor Porquier Orden verschafft hat. Sie hat Freunde in Paris . . . Ich bitte Sie, erzählen Sie diese Dinge nicht weiter. Madame de Condamin ist sehr liebenswürdig, sehr mildtätig. Ich gehe manchmal zu ihr, ich wäre untröstlich, wenn sie mich für ihren Feind hielte. Wenn sie Fehler hat, die zu verzeihen sind, so ist es unsere Pflicht, ihr zu helfen, zum Guten zurückzukommen, nicht wahr? Was den Gatten anbelangt, so ist er ein schlechter Mensch, unter uns gesagt. Seien Sie ihm gegenüber kühl.“

Abbé Faujas sah dem würdigen Bourrette in die Augen. Er hatte eben bemerkt, daß Frau Rougon mit besorgter Miene ihrem Gespräch von ferne folgte.

„Hat Madame Rougon Sie nicht gebeten, mir einen guten Wink zu geben?“ fragte er plötzlich den alten Priester.

„Sieh mal einer an, wieso wissen Sie das?“ rief dieser sehr erstaunt aus. „Sie hatte mich gebeten, nicht von ihr zu sprechen; aber da Sie ja erraten haben . . . Sie ist eine gute Frau und wäre sehr bekümmert, wenn sie sähe, daß ein Priester bei ihr eine schlechte Rolle spielt. Sie ist leider gezwungen, alle möglichen Leute zu empfangen.“

Abbé Faujas dankte und versprach, vorsichtig zu sein. Die Spieler rings um die beiden hatten nicht aufgeblickt. Er ging in den großen Salon zurück, wo er sich wieder in feindseliger Umgebung fühlte; er stellte sogar mehr Kälte, mehr stumme Verachtung fest. Wo er vorbeikam, schoben sich die Röcke beiseite, als würde er sie beschmutzen; die Fracks wandten sich mit leichtem Grinsen ab. Er aber wahrte eine prachtvolle Erhabenheit. Als er zu hören meinte, wie in der Zimmerecke, in der Frau de Condamin thronte, das Wort Besançon mit besonderer Betonung ausgesprochen wurde, schritt er geradewegs auf die Gruppe zu, die sich um sie gebildet hatte; aber bei seinem Nähern legte sich die Unterhaltung mit einemmal, und vor boshafter Neugier glänzend, blickten ihn alle Augen scharf an. Sicher sprach man über ihn, erzählte man irgendeine häßliche Geschichte. Als er dann hinter den beiden Fräulein Rastoil stand, die ihn nicht bemerkt hatten, hörte er, wie die Jüngere die Ältere fragte:

„Was hat er denn in Besançon gemacht, dieser Priester, von dem alle Welt spricht?“

„Ich weiß nicht recht“, antwortete die Ältere. „Ich glaube, er hat in einem Streit beinahe seinen Pfarrer erwürgt. Papa sagt auch, daß er sich auf ein großes Industriegeschäft eingelassen hat, das schiefgegangen ist.“

„Aber er ist dort im kleinen Salon, nicht wahr? — Man hat eben gesehen, wie er mit Herrn de Condamin lachte.“

„Nun, wenn er mit Herrn de Condamin lacht, hat man recht, ihm zu mißtrauen.“

Dieses Geschwätz der beiden Fräulein trieb Abbé Faujas Schweiß auf die Schläfen. Er verzog keine Miene; sein Mund wurde schmal, seine Wangen nahmen eine erdige Tönung an. Jetzt hörte er, wie der ganze Salon von dem Pfarrer sprach, den er erwürgt, von verdächtigen Geschäften, auf die er sich eingelassen hatte. Herr Delangre und Doktor Porquier blieben ihm gegenüber streng; Herr de Bourdeu ließ geringschätzig den Mund hängen, während er leise mit einer Dame sprach; Herr Maffre, der Friedensrichter, betrachtete ihn frommerweise heimlich, beschnüffelte ihn von fern, ehe er sich entschied zuzubeißen; und am anderen Ende des Raumes streckten die beiden Scheusale, das Ehepaar Paloque, ihre galligen Gesichter vor, auf denen die boshafte Freude über die mit leiser Stimme weitergegebenen Grausamkeiten entbrannte. Abbé Faujas zog sich langsam zurück, als er sah, wie sich Frau Rastoil, die einige Schritte entfernt gestanden hatte, wieder zwischen ihre beiden Töchter setzte, um sie gleichsam unter ihre Fittiche zu nehmen und vor seiner Berührung zu beschirmen. Er stützte sich mit dem Ellbogen auf das Klavier, das er hinter sich entdeckte; er blieb da, erhobenen Hauptes, das Gesicht hart und stumm wie ein Gesicht aus Stein. Sicherlich bestand eine Verschwörung; man behandelte ihn als Ausgestoßenen.

In seiner Reglosigkeit machte der Priester, dessen Blicke unter seinen halbgeschlossenen Lidern den Salon durchwühlten, eine sogleich wieder unterdrückte Gebärde. Er hatte hinter einer wahren Barrikade von Röcken Abbé Fenil erkannt, der in einem Sessel ausgestreckt lag und taktvoll lächelte. Als sich ihre Augen begegneten, sahen sie sich einige Sekunden mit der schrecklichen Miene zweier Duellanten an, die einen Kampf auf Leben und Tod beginnen. Dann entstand ein Rauschen von Stoff, und der Generalvikar verschwand wieder in den Spitzen der Damen. Unterdessen hatte es Félicité geschickt bewerkstelligt, sich dem Klavier zu nähern. Sie stellte die Ältere der beiden Fräulein Rastoil dort auf, die recht nett Romanzen sang. Als sie dann sprechen konnte, ohne gehört zu werden, zog sie Abbé Faujas in eine Fensternische.

„Was haben Sie denn Abbé Fenil getan?“ fragte sie ihn.

Sie sprachen sehr leise weiter. Der Priester hatte zuerst Überraschung geheuchelt; aber als Frau Rougon einige Worte geflüstert hatte, die sie mit einem Achselzucken begleitete, schien er mitteilsam zu werden, plauderte er. Sie lächelten beide, schienen Höflichkeiten auszutauschen, während das Aufblitzen ihrer Augen diese gespielte Banalität Lügen strafte. Das Klavier verstummte, und die Ältere der beiden Fräulein Rastoil mußte „Die Taube des Soldaten“ singen, die damals großen Erfolg hatte. „Ihr erstes Auftreten ist ganz und gar mißlungen“, flüsterte Félicité, „Sie haben sich unmöglich gemacht, ich rate Ihnen, für einige Zeit nicht wieder hierherzukommen . . . Sie müssen sich beliebt machen, verstehen Sie? Gewaltstreiche würden Ihr Verderben sein.“

Abbé Faujas verharrte sinnend.

„Sie meinen, diese häßlichen Geschichten sollen von Abbé Fenil erzählt worden sein?“ fragte er.

„Oh! Er ist zu schlau, um sich so herauszustellen; er wird diese Dinge seinen Beichtkindern in die Ohren geblasen haben. Ich weiß nicht, ob er Sie durchschaut hat, aber er hat Angst vor Ihnen, das ist sicher; er wird Sie mit allen denkbaren Waffen bekämpfen . . . Das Schlimmeist, daß er den vornehmsten Leuten der Stadt die Beichte abnimmt. Er hat Marquis de Lagrifoul bei der Wahl aufstellen lassen.“

„Es war falsch von mir, zu dieser Abendgesellschaft zu kommen“, ließ sich der Priester entschlüpfen.

Félicité kniff die Lippen zusammen. Sie entgegnete rasch:

„Es war falsch von Ihnen, sich mit einem Menschen wie diesem Condamin zu kompromittieren. Ich habe mein möglichstes getan. Als die Ihnen bekannte Person mir aus Paris geschrieben hat, habe ich geglaubt, Ihnen nützlich zu sein, indem ich Sie einlud. Ich bildete mir ein, Sie würden es verstehen, sich hier Freunde zu schaffen. Das war ein erster Schritt. Aber statt daß Sie zu gefallen suchen, bringen Sie alle Welt gegen mich auf . . . Warten Sie! Entschuldigen Sie meine Offenheit, ich finde, daß Sie dem Erfolg den Rücken zukehren. Sie haben nichts als Fehler begangen, indem Sie sich bei meinem Schwiegersohn einmieteten, indem Sie sich zu Hause verkriechen, indem Sie eine Soutane tragen, die den Bengels auf der Straße Freude macht.“

Abbé Faujas konnte eine ungeduldige Handbewegung nicht zurückhalten. Er begnügte sich zu antworten:

„Ich werde aus Ihren guten Ratschlägen Nutzen ziehen. Nur helfen Sie mir nicht, das würde alles verderben.“

„Ja, diese Taktik ist klug“, sagte die alte Dame. „Kehren Sie in diesen Salon nur siegreich zurück . . . Ein letztes Wort, lieber Herr. Diese Person in Paris legt großen Wert auf Ihren Erfolg, und darum interessiere ich mich für Sie. Nun ja! Glauben Sie mir, spielen Sie nicht den schwarzen Mann; seien Sie liebenswürdig, gefallen Sie den Frauen. Merken Sie sich das gut, gefallen Sie den Frauen, wenn Sie wollen, daß Plassans Ihnen gehört.“

Die Ältere der beiden Fräulein Rastoil beendete ihre Romanze und schlug einen letzten Akkord an. Man klatschte zurückhaltend Beifall. Frau Rougon hatte Abbé Faujas verlassen, um die Sängerin zu beglückwünschen. Darauf hielt sie sich in der Mitte des Salons und drückte den Gästen, die sich zurückzuziehen begannen, die Hand. Es war elf Uhr.

Der Abbé wurde sehr ärgerlich, als er bemerkte, daß der ehrenwerte Bourrette die Musik benutzt hatte, um zu verschwinden. Er rechnete darauf, mit ihm zu gehen, was ihm einen anständigen Abgang verschaffen sollte. Wenn er jetzt allein aufbräche, wäre das eine völlige Niederlage; man würde am nächsten Tag in der Stadt erzählen, daß man ihn hinausgeworfen habe. Er flüchtete sich wieder in eine Fensternische, spähte nach einer Gelegenheit aus, suchte eine Möglichkeit, einen ehrenhaften Rückzug anzutreten.

Indessen leerte sich der Salon, es waren nur noch einige Damen dort. Da bemerkte er eine ganz schlicht gekleidete Frau. Es war Frau Mouret, die durch leicht gewelltes gescheiteltes Haar jünger wirkte. Sie überraschte ihn sehr durch ihr ruhiges Gesicht, in dem zwei große schwarze Augen zu schlafen schienen. Er hatte sie den Abend über nicht erblickt. Sie war zweifellos in ihrer Ecke geblieben, ohne sich zu rühren, weil sie darüber verärgert war, untätig so die Zeit zu verlieren und die Hände in den Schoß zu legen. Als er sie musterte, stand sie auf, um sich von ihrer Mutter zu verabschieden.

Diese genoß eine ihrer stärksten Freuden, nämlich zu sehen, wie die vornehme Gesellschaft von Plassans unter Verbeugungen abzog, sich bei ihr bedankte für ihren Punsch, ihren grünen Salon, die angenehmen Stunden, die man soeben bei ihr verbracht hatte; und sie dachte daran, wie die vornehme Gesellschaft ihr einst auf dem Leib herumgetrampelt hatte, wie sie es derb ausdrückte, während zur Stunde die Reichsten kein Lächeln fanden, das für diese liebe Frau Rougon zärtlich genug war.

„Ah! Madame“, murmelte der Friedensrichter Maffre, „hier vergißt man den Lauf der Stunden.“

„Sie allein verstehen einen Empfang zu geben in dieser Gegend, wo die Füchse einander gute Nacht sagen“, flüsterte die hübsche Frau de Condamin.

„Wir erwarten Sie morgen zum Abendessen“, sagte Herr Delangre. „Es gibt, was gerade auf den Tisch kommt, wir machen keine Umstände wie Sie.“

Marthe mußte durch diese Huldigungsszene hindurchgehen, um zu ihrer Mutter zu gelangen. Sie küßte sie und wollte sich zurückziehen; da hielt Félicité sie zurück, wobei sie sich suchend nach jemandem umsah. Als sie Abbé Faujas gewahrte, sagte sie lachend:

„Herr Abbé, sind Sie ein galanter Mann?“

Der Abbé verneigte sich.

„Dann tun Sie mir doch bitte einen Gefallen und begleiten Sie meine Tochter. Sie, der Sie im selben Hause wohnen, wird das nicht stören; es gibt da ein Stückchen finstere Gasse, die wahrhaftig nicht beruhigend ist.“

Marthe versicherte mit ihrer friedfertigen Miene, sie sei kein kleines Mädchen, sie habe keine Angst; aber da ihre Mutter darauf bestand und sagte, sie sei dann ruhiger, nahm sie die guten Dienste des Abbé an. Und als dieser mit ihr wegging, flüsterte Félicité, die sie bis auf den Treppenabsatz begleitet hatte, lächelnd dem Priester mehrmals ins Ohr:

„Erinnern Sie sich an das, was ich gesagt habe . . . Gefallen Sie den Frauen, wenn Sie wollen, daß Plassans Ihnen gehört.“

Die Eroberung von Plassans

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