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Berlin–Wuppertal Wie ich verschlief und mit meiner Nichte die erste Vereinbarung traf
Оглавление»Verdammte Scheiße!«, rief ich, als ich auf meinen Wecker blickte: Punkt acht Uhr. Mein Herz war mir vor Schreck in meine Harry-Potter-Pyjamahose gerutscht. Genau um acht Uhr morgens hätte ich am Düsseldorfer Flughafen landen sollen. Wie eine Furie sprang ich aus meinem Bett, als auch noch mein Handy klingelte.
›Samsofon ruft an‹, zeigte mir der Bildschirm den eingehenden Anruf meiner Schwester an.
Mit den Worten »O mein Gott« nahm ich das Gespräch entgegen.
»Samira reicht auch«, kam es aus dem Lautsprecher zurück.
»Du willst nicht wissen, was mir passiert ist. Und DAS ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert.«
»Kannst du mir gleich erzählen. Sitzt du schon in der S-Bahn? Wir bereiten gerade das Frühstück vor«, sagte meine Schwester gähnend.
»Wir haben Nutella gekauft«, rief meine fast vier Jahre alte jüngere Nichte Tibby aus dem Hintergrund.
»Ich bin noch zu Hause«, schrie ich hysterisch ins Telefon und fühlte mich am frühen Morgen schon wie eine Versagerin. Wie sollte ich eine Zugreise mit einem Vorschulmädchen in die Arktis packen, wenn ich es nicht einmal pünktlich von Berlin nach Wuppertal schaffte?
»Hä? Du musst doch jetzt gelandet sein.«
Nervös ging ich den Flur auf und ab. »Mein Wecker hat nicht geklingelt.«
Lange Leitung … »Hast du verschlafen?«
»Ja!«
Sie sog scharf die Luft ein. »Also die Mädels warten auf dich.«
So gut wie jedes Telefonat, das ich mit meinen Nichten führe, beginnt mit: »Wann kommst du?« Mit »nächsten Monat« oder »in zwei Wochen« geben die beiden sich nicht zufrieden. Meistens folgt dann noch »Wann genau?« oder »Wie oft muss ich noch schlafen?«. Nicht selten handelt Tibby die Tage mit mir aus. »Du musst noch zwölf Tage schlafen.« »Was? So lang noch? Fünfzehn Tage.« »Bitte, dann fünfzehn Tage.«
»Hallo? Bist du noch dran, oder bist du auf die Stummtaste gekommen?«
»Weißt du …« Ich setzte mich auf mein Bett, bevor ich weitersprach. »… ich habe doch den Interrail-Pass. Ich werde den jetzt schon benutzen.«
»Du willst wirklich Zugfahren? Du wirst die ganze nächste Woche im Zug hocken.«
Ich ging sämtliche Pläne im Kopf durch, doch eine andere Möglichkeit fiel mir nicht ein. Ich hatte Tibby versprochen, einen Mädelsnachmittag mit ihr allein zu unternehmen, bevor ich mit ihrer Schwester in Richtung Norden verschwand, und der würde ins Wasser fallen, wenn ich den Flieger um 14 Uhr nähme. »Ich werde den ICE um 10:26 Uhr nehmen«, beschloss ich und stellte mich wie eine kampfbereite Soldatin hin.
Nachdem ich ausgiebig gefrühstückt hatte, zog ich mir einen bunt gestreiften Kapuzenpulli und eine dunkle Boyfriend-Hose an. Ich liebe diesen Kleidungsstil, weil er einfach gemütlich ist und lässig aussieht. Schnell noch in meine dunkelblauen Chucks geschlüpft, meinen großen Trekking-Rucksack auf den Rücken geschnallt, den kleineren Rucksack auf den Bauch, und schon konnte es losgehen. Wie ein spontan entschlossener Bilbo Beutlin, der an einer geheimen Expedition um den Arkenstein teilnehmen wollte, brach ich aufgeregt und voller Abenteuerlust auf, hüpfte die Treppen runter und lief in schnellen Schritten zum S-Bahnhof.
Es war Ende Februar, ein milder Tag. Der leichte Wind bauschte meine offene Skijacke auf. Meine Rucksäcke wärmten mich wie ein angenehmes Lagerfeuer in einer kühlen Herbstnacht. Die Sonne schien durch den sanften Wolkenschleier. So langsam, langsam kamen auch die im Winter leidenden Meisen wieder aus ihren Verstecken und kündigten den Frühling an.
Schnellen Schrittes ging ich die Treppen zum Gleis runter. Ich beugte mich kurz nach unten, um abzuchecken, welche S-Bahn gerade in den Bahnhof eingefahren war. Entweder war es die in Richtung Westkreuz und somit zum Berliner Hauptbahnhof oder die in die entgegengesetzte Richtung zu Deutschlands Problemzone: Flughafen Schönefeld.
Es war meine Bahn. War ja klar! Ich richtete mich wieder auf, was gar nicht so leicht war mit meinem vollgepackten Rucksack am Bauch und dem noch schwereren Rucksack auf meinem Rücken. Ich sprintete die restlichen Stufen runter, übersprang gelegentlich die eine oder andere Stufe, weil ich wusste: Wenn ich diese Ringbahn fahren ließe, müsste ich bei meinem Glück 20 statt fünf Minuten warten. Dann würde ich meinem Zug bestenfalls hinterherwinken können.
Leider gehöre ich zu den Menschen, die (fast) alles immer auf die letzte Sekunde schaffen, was echt stressig sein kann. Du stehst rechtzeitig auf, um einen gemütlichen Tagesablauf zu haben, dann nimmst du dir für eine Sache mehr Zeit, als eingeplant, etwa um ein YouTube-Video nach dem anderen zu suchten, und schwups, drängt die Uhr. Auch diesmal schaffte ich die S-Bahn auf die Sekunde genau. Erleichtert setzte ich mich auf einen der Viererplätze und platzierte meine Rucksäcke neben mir.
»Gott sei Dank, der Zug fährt aus dem Bahnhof«, dachte ich und fischte meine Kopfhörer aus einer meiner hundert Jackentaschen. Gerade war ich dabei, mich auf die Musik von Barry Louis Polisar zu konzentrieren, als die Ringbahn eine Station vor Westkreuz stehen blieb. Für sage und schreibe fünf Minuten. Und bei mir kommt es doch immer auf jede Minute an!
Genervt verdrehte ich die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Das konnte doch nicht wahr sein! Schließlich setzten sich die Räder in Bewegung, und es ging weiter. Das Ding war nur: Entschied ich mich, weiter zum Hauptbahnhof zu fahren, würde der ICE definitiv ohne mich starten. Also beschloss ich, von Westkreuz nach Berlin-Spandau zu fahren, um weitere 14 Minuten Puffer zu haben. Dachte ich.
Mit meinem Gepäck stand ich an der Tür der S-Bahn und sah aus dem Fenster. Mein Kopf wackelte zum Beat der Musik. »O mein Gott!«, rief ich plötzlich.
»Alles gut?«, fragte mich ein älterer Herr neben mir.
»Der ICE nach Köln steht schon am Gleis«, antwortete ich, eher zu mir selbst. Ich habe doch noch drei Minuten.
Ich war gefühlte fünftausendmal mit dieser Verbindung nach Wuppertal gefahren, deshalb wusste ich, dass dieser ICE keinen längeren Aufenthalt in Spandau machte. Meine Hand glitt direkt zum Türöffner. Obwohl die S-Bahn noch nicht ganz zum Stehen gekommen war, drückte ich nervös auf den Knopf, um rausspringen zu können, sobald die Tür auch nur einen winzigen Spalt geöffnet war.
Wie ein vollbepackter Esel rannte ich das Gleis entlang, sprang die Treppen runter, flitzte um die Ecke zu Gleis 4 hoch. Und dann sah ich den Schaffner, der in seine Pfeife blies.
»WARTE!«, schallte meine Stimme über die Köpfe der Leute hinweg. Ich rannte die letzten Meter, die Türen waren gerade dabei, sich zu schließen, und ich sprang mit meinen Rucksäcken in den ICE. Ich flog förmlich in den Schnellzug. Beinahe hätte ich bei der Landung mein Gleichgewicht verloren. »Yes!«, jauchzte ich triumphierend. Meine alltäglichen Jump-Übungen in S- und U-Bahnen auf letzter Sekunde hatten sich bezahlt gemacht.
Zwei junge Männer applaudierten, und eine Frau mittleren Alters hob den Daumen. Ich lachte bei dem Gedanken, was der Schaffner und all die anderen Mitreisenden hier von mir dachten. Außer Puste suchte ich mir einen Platz und ließ mich, nachdem ich mein Gepäck verstaut hatte, in die blauen Sitze fallen.
Ein korpulenter Mann mit Glatze in typisch dunkelblauer DB-Uniform ging Wagen Nummer 9 entlang. Ja, ich in der ersten Klasse. Nicht weil ich Geld furzen konnte, sondern dank eines Rabattcoupons für meinen Interrail-Pass. Aber dazu komme ich noch. Schließlich hatte ich mich intensiv auf diese Reise vorbereitet, weil ich ein sechs Jahre altes Mädchen mit im Schlepptau haben würde.
Irgendwie erinnerte mich der Schaffner an den dicken Bahnhofsaufseher aus den Harry-Potter-Filmen in der Szene, in der Ron und Harry durch den magischen Eingang zum Gleis 9 ¾ marschieren wollen, der aber – Achtung! Spoiler-Alarm – aufgrund von Dobby, dem Hauselfen, geschlossen bleibt, woraufhin beide gegen die großen Pfeiler krachen. Doch dieser Schaffner wirkte nicht so unfreundlich. Ich sah ihm seine Lebenseinstellung an: Mit Freundlichkeit fährt man am besten.
»Sportliche Leistung«, begrüßte mich der Kontrolleur und streckte die Hand nach meinen Papieren aus.
»Das ist Ihnen wohl nicht entgangen, was?« Mir wurde heiß, und ich glaube, ich war in diesem Moment so rot wie eine ausgereifte andalusische Tomate. Ich presste meine Lippen aufeinander und zwang mich zu einem Lächeln. Nebenbei warf ich einen Blick auf den Bildschirm an der Decke des Zuges. Irgendetwas stimmte da nicht. Zwischen Hamm und Köln fehlten die Stopps in Hagen und Wuppertal.
»Wieso werden Hagen und Wuppertal nicht angezeigt?«, fragte ich, während ich nach meinem Interrail- und meinem Reisepass kramte.
»In Wuppertal gab es einen Erdrutsch, deshalb müssen wir Wuppertal und demnach auch Hagen umfahren«, antworte er direkt in einem Satz, ohne dass irgendwelche Fragen offenblieben.
Ich kann es nicht ab, wenn Menschen um den Punkt herumreden oder wollen, dass man ihnen wirklich alles aus der Nase ziehen muss. Allerdings schoss seine Antwort allzu locker aus ihm heraus, er konnte ja nicht wissen, was sie in diesem Augenblick in mir auslöste. Mir fiel alles aus dem Gesicht. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Magen sich umdrehen, obwohl ich gesund war und ein supergutes Frühstück gehabt hatte. Ich schluckte.
»Wissen Sie«, sagte ich ohne viel Kraft in der Stimme. »Ich glaube, irgendjemand will mich in Wuppertal nicht haben oder die Reise mit meiner Nichte sabotieren.« Wie eine alte Närrin schüttelte ich den Kopf. »Wenn wir nicht mit dem Zug in den Norden kommen, wird für meine Nichte eine Welt zusammenbrechen.«
Sein ratloser Blick verriet mir, dass er nicht wusste, wovon ich sprach, also erzählte ich ihm von meinem katastrophalen Morgen und meinem bevorstehenden Trip. Ich war in den letzten Jahren oft gereist. Entweder aus beruflichen Gründen oder Neugierde. Meine Aufregung hatte sich immer in Grenzen gehalten. Fliegen war für mich wie eine kurze Busreise, und fremde Kulturen waren wie Blumen, an denen ich noch nicht gerochen hatte, aber an deren Geruch ich mich schnell gewöhnte, weil ich gelernt hatte, dass ich meine gewohnte Umgebung anderen Menschen in anderen Ländern nicht aufzwingen konnte. Nur würde ich dieses Mal in Europa bleiben und in der westlichen Kultur. Ich würde durch Länder reisen, die ich schon einmal entdeckt hatte. ABER ich würde meine Nichte dabeihaben. Ein Vorschulmädchen. Wir würden zusammengerechnet mehr als eine Woche nur in Zügen verbringen.
»Für niemanden wird eine Welt zusammenbrechen«, sagte der Schaffner ruhig in seiner Baritonstimme. »Steigen Sie in Hamm aus und dann in die Regionalbahn nach Wuppertal.« Er nickte, als würde er seine eigenen Worte bestätigen wollen.
Ich atmete tief ein und aus. Dann nickte auch ich. »Vielen Dank.«
Kurz nachdem der Schaffner weitergezogen war, beugte sich eine ältere Dame mit grauem Filzhut über die Sitzlehne neben mir. »Entschuldigen Sie, ich habe das gerade mitbekommen. Sie wollen wirklich mit einem Kind eine Zugreise machen? Finden Sie das nicht riskant?«
Der Stimme nach war die Frau jünger, als ich annehmen mochte. Ich verrenkte fast meinen Hals, als ich mich in ihre Richtung drehte, und schaute nach oben. Sie hatte roten Lippenstift auf den Zähnen. »Das würde ich nicht sagen, weil das ganze Leben riskant ist.« Meine Gedanken schweiften wieder zu Bilbo Beutlin. Sobald man aus der Tür geht, betritt man die Straße, und wenn man nicht aufpasst, weiß man nicht, wohin die Füße einen tragen werden.
»Sehr leichtsinnig.« Die Dame schüttelte den Kopf und lehnte sich wieder zurück.
War ich wirklich leichtsinnig, ging es mir durch den Kopf. Hätte ich zu Lias Idee einfach nein sagen sollen? Bevor ich mich wieder in dem Gedanken festfahren konnte, kam der Schaffner und überreichte mir eine Packung Oreo, Multivitaminsaft und eine Flasche Wasser. »Nach Ihrem meisterhaften Sprung in den Zug, werden Sie auch die Fahrt in die Arktis mit Bravour meistern«, sagte er herzlich und versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
Dafür fing ich an zu lachen. Ich malte mir aus, wie für die anderen mein Sprung ausgesehen haben musste, als ich vollbepackt in den ICE reingesprungen war, während die Türen sich langsam schlossen.
Dieses Gefühl, eine Reisende zu sein, hatte ich erst im September 2016 bekommen. Dabei war ich die ganzen Jahre zuvor ständig unterwegs gewesen, ein waschechter Cosmopolitan, Wanderer, Globetrotter, Backpacker und was es sonst noch für Bezeichnungen in der Abenteurer-Reise-Branche gibt. Es war auf dem Lykischen Weg in der südwestlichen Türkei. Mein Wandergefährte und ich marschierten aus einem der 19 Olymps, also einem der Sitze der griechischen Götter der Antike. Tatsächlich gab es 19 dieser Götterwohnheime – gar nicht so schlecht bei gerade mal zwölf Göttern. Wir liefen den Strand der winzigen Ortschaft Çıralı entlang. Trotz des Ausnahmezustands wegen des Putschversuchs tummelten sich Badegäste auf dem wundervollen weißgoldenen Sand. Im Wasser spielten Kinder, junge Frauen und Männer ließen sich ins saphirblaue Mittelmeer gleiten. Es waren mehr als 35 Grad im Schatten.
Und dann waren da noch wir beide. Zwei deutsche Abenteurer, die in voller Wandermontur mit ihren fetten Trekkingschuhen über den weichen glitzernden Sandstrand zwischen den halbnackten Badegästen und ihren kühlen Erfrischungsgetränken liefen.
»Lordy! You’re walking that hiking trail? Lycian way?!«, rief einer aus der Menge heraus, bevor er auf uns zulief und uns den Weg versperrte.
»Ja, und ich würde so gerne jetzt mit dir tauschen«, antwortete ich auf Englisch.
»Den ganzen Weg?«, hakte er nach.
Mein Begleiter und ich nickten synchron. Tatsächlich hatten wir schon mehr als zwei Drittel des Weges hinter uns gelassen.
Alle Blicke waren auf uns gerichtet. Nach ein paar weiteren Floskeln und Komplimenten durften wir weitergehen.
»I like your backpack«, rief mir jemand hinterher.
»Ich auch«, sagte ich grinsend und voller Stolz in der Brust auf meinen grünen Rucksack mit seinen gelben Blümchen.
»Wann gehen wir endlich los, Emma?«, fragte meine kleine Nichte hastig.
O Gott, mein Kopf … »Lass mich doch erst einmal reinkommen, du Nudel.«
»Ich bin keine Nudel«, rief Tibby mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
»Du bist zu spät«, begrüßte mich Lia. »Glaubst du, wir schaffen den Zug morgen?« Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Wir haben noch heute. Morgen ist erst morgen«, versuchte ich sie zu beruhigen.
Sie atmete erleichtert aus. »Puh! Zum Glück ist heute nicht morgen, wir hätten alles verpasst. Auch den Schlafzug in drei Tagen.«
Ich hob eine Augenbraue. Bevor ich etwas erwidern konnte, sprachen die Ladys schon im Chor weiter. Tibby machte sich Sorgen um den Mädelsnachmittag zu zweit, und Lia wurde es flau im Magen bei dem Gedanken, irgendeinen Zug zu verpassen. Dabei mussten die beiden Mädels gleich noch in den Kindergarten, um eine Karnevalsfeier nachzuholen, die einige Male verschoben worden war, da nach und nach Kinder und Erzieher krank geworden waren. Na ja, immerhin fand nun doch noch eine Party statt. Auch wenn es nur zwei Stunden waren. Die Kinder würden Spaß haben, und das war die Hauptsache.
Im Flur standen Puppenhaus, Kuscheltiere, Rucksäcke und vollgepackte Jutebeutel.
»Das«, meine Schwester zeigte auf das Chaos und drehte dabei provokant den Zeigefinger, »möchte Lia mitnehmen.«
OMG! Geschockt riss ich die Augen auf und klimperte mit den Wimpern. »Wie stellt ihr euch das vor? Das ist ja der halbe Haushalt!«
Sie zuckte nur gelassen ihre Schulter. »Das müsst ihr untereinander klären. Ich mische mich da nicht ein.«
Taktik ist das A und O. Bevor Lia und ich uns noch ankeiften, machte ich den Vorschlag, dass sie alles mitnehmen dürfe, was sie auch tragen könne. Das war auch für Lia einleuchtend. Für ihre Kleidung hatte ich schon in Berlin in meinem Rucksack Platz gelassen. Lia stand in einem weiß-schwarz karierten Kleid vor mir. Unter dem rechten Arm steckte ein lilafarbenes Einhorn, unter ihrem linken ein weiteres Kuscheltier, und in ihrer linken Hand hatte sie ein türkisfarbenes Puppenhaus. Sie starrte mich mit ihren dunkelbraunen Augen hilflos an. »Was soll ich denn mitnehmen?«
Ich überlegte ein paar Sekunden. »Hast du noch die Liste?«
Sie nickte und lief an ihren Schreibtisch.
Damit ich Lia in die Vorbereitungen einbeziehen konnte, hatte ich zuvor meiner Schwester eine Liste mit Symbolen geschickt, was sie sich einpacken sollte. Unter anderem war auch ein Teddy-Icon mit von der Partie.
»Weißt du, der Fehler liegt bei mir«, nuschelte ich mehr zur Liste als zu Lia. »Ich hätte noch draufschreiben sollen, wie viel du von jedem mitnehmen darfst.«
Gott sei Dank hatten wir das Thema schnell geklärt, ohne jegliche Diskussion oder irgendein Gejammer, weil sie nicht ihr halbes Zimmer einpacken durfte beziehungsweise konnte. Sie hatte es verstanden, und das beruhigte mich ungemein.