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Vorwort

Beim Sortieren meiner ganzen Notizen und Tagebücher und bei meinem Versuch, euch die Expedition mit dem Schnee-Express und meiner Nichte so detailliert wie möglich zu schildern, ist die Reise nach Monaten wieder in mir hochgekommen, und einige Szenen haben große Emotionen in mir ausgelöst. Die Augenblicke, die ich mit Lia während unseres Eisenbahnabenteuers teilen durfte, bedeuten mir sehr viel, weil meine Nichte ihr erstes großes Abenteuer mit mir erlebt hat und wir beide viel Spaß, aber auch etwas Leid hatten, wenn es uns mal nicht so gut ging.

Vielleicht werden einige von euch meine Schwester oder mich als leichtsinnig bezeichnen, das haben wir schon oft zu hören bekommen. Ich kann heute sagen, es war definitiv nicht leichtsinnig, weil Lia der beste Reisebegleiter und Co-Abenteurer war, den ich bisher haben durfte. Wenn ihr Lia heute fragt, wie sie die Reise fand, dann wird sie euch sagen: »Das war voll cool und hat viel Spaß gemacht!«

Mehrere Tage im Zug zu verbringen hat mir sehr viel Stoff zum Nachdenken eingebrockt. Warum wollen Erwachsene und Kinder unterwegs sein? Wie kommen wir auf die Idee, unser gemütliches Zuhause zu verlassen? Welche Motivation steckt dahinter? Als studierte Historikerin hatte ich das Privileg, die Menschen von vor Tausenden von Jahren gewissermaßen kennenlernen zu dürfen. Die alten Griechen waren zum Beispiel im mediterranen Raum auf Reisen, um sich zu entspannen oder gesund pflegen zu lassen. Im ausgehenden Mittelalter wanderten andere Menschen auf der arabischen Halbinsel und in Asien, um nach kulturellen Erfahrungen zu suchen und ihr Wissen zu erweitern, wie Marco Polo, Christoph Columbus, Ibn Battuta. Ähnlich wie im Februar 2019 meine Nichte Lia. Auch sie hat nach Wissen gesucht: Wo gibt es viel Schnee? Und kann man da mit dem Zug hinfahren?

Entdecken, Reisen und Abenteuer sind eng miteinander verbunden. Die älteste Straße der Welt, die heute noch intakt ist, ist die Via Appia in Rom, die Hunderte Jahre vor Christus durch die Römer erbaut wurde. Daraus können wir schließen, dass die Römer zu den bekanntesten Reisevölkern gehören. Ein gut ausgebautes Straßennetz war der Grund, warum sie sich sicher und schnell fortbewegen konnten. Die Römer reisten, um ihre Neugierde zu stillen. Sie wollten lernen, wie viele andere Völker und Kulturen vor ihnen. Die Römer glaubten, dass Reisen eines der besten Mittel war, um andere Kulturen kennenzulernen und ihre Kunst, Architektur und Sprachen zu beobachteten.

Und das stimmt auch. Kinder wollen es, und wir Erwachsenen wollen es auch. Irgendetwas ist in uns, dass wir die Welt kennenlernen wollen. Zuerst reisten wohlhabende Menschen in ihren gut ausgestatten Fuhrwerken und Schiffen. Dies änderte sich im Mittelalter und die, die weniger hatten, bekamen auch endlich die Möglichkeit, unterwegs zu sein. Ja, auch im Mittelalter, das von vielen angeprangert wird als schwarze Zeit, weil die Religion das Zentrum des Lebens war, waren die Europäer viel unterwegs: etwa auf Pilgerreisen. Viele mögen es heute nicht verstehen, aber die Menschen reisten Hunderte, teilweise auch Tausende Kilometer, um eine Reliquie oder einen heiligen Ort zu besuchen.

Natürlich könnt ihr euch vorstellen, dass in Europa der Jakobsweg mit dem Ziel Santiago de Compostela zu erreichen war. Heute noch wandern einige die Jakobswege. Ich lief den Abschnitt von Trier nach Metz zum ersten Mal zwischen meinen Abiturprüfungen und bin froh, dass ich dieses Erlebnis danach fortsetzen konnte. Es war wie ein Zauber, der sich auf mich legte. Die Natur, die wundervollen Menschen, die mir auf jeder Etappe sagten, dass sie schon von mir gehört hätten. »Das junge Mädel mit der Jakobsmuschel um Hals«, nannte mich an der luxemburgischen Grenze ein Siebzigjähriger in gelber Regenjacke. »Ich bin den Weg auch schon gepilgert. Hast du schon etwas von der Magie gespürt?«, fragte er mich mit einem Lächeln im Gesicht. »Ja, das habe ich.« Er nahm mich kurz in die Arme, drückte mir einen Apfel in die Hand und ging anschließend weiter. »Buen camino, Mädchen.« Diese Begegnung rufe ich mir manchmal ins Gedächtnis zurück. Das Gesicht des Mannes habe ich immer noch vor meinen Augen: die kleinen Falten, die großen blauen Augen und dieses sympathische Lächeln.

Um Menschen die Reisen zu erleichtern, fing man an ein System aufzubauen, um mit Tourismus Geld zu verdienen, indem man Gästehäuser und Pilgerherbergen anbot. Städtetrips, heutzutage eine der begehrtesten Formen zu reisen, entstanden ebenfalls Hunderte Jahre vor unserer Zeit. Junge Aristokraten wollten die berühmten europäischen Hauptstädte wie Paris, London und Rom kennenlernen, um der Geschichte, Architektur und Kunst willen. Der erste Kaiser Russlands bereiste Westeuropa, weil er neugierig war und alles über dieses Gebiet wissen wollte.

Aber der wichtigste Beitrag zum Reisen kam mit dem Eisenbahnsystem, weil die Menschen nun anfingen, aus Spaß zu verreisen. Wir können also sagen, dass Mitte des 19. Jahrhunderts der Tourismus radikal anstieg, weil sich so gut wie jeder Reisen leisten konnte und sie auch nicht mehr so anstrengend für ärmere Schichten waren. Es gab jetzt einen Weg, um ganz locker und flockig durch die europäischen Länder zu reisen. Herrlich, oder?!

So entstand auch das Gruppenreisen unter dem ersten Reisebüro: Thomas Cook. An den Namen können sich vermutlich insbesondere die Pauschalreisenden unter uns erinnern. Ihr wisst ja, dann ging alles ganz schnell. Die Entwicklung des Verkehrs wurde weiter ausgebaut, um das Reisen noch komfortabler und für jedermann zu gestalten. Heute haben wir coole Apps, mit denen wir im Nullkommanichts und so billig Reisen buchen können – das ist der Hammer! Wir können uns entscheiden, ob wir in zwei Tagen mit dem Flugzeug einmal um die Welt fliegen wollen, ob wir wandern, das Auto nehmen, in die Pedalen treten oder lieber unser wundervolles Schienennetzwerk nutzen wollen.

Jeder hat heutzutage die Möglichkeit zu reisen. Auch Kinder. Lasst euch nicht verunsichern. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, in dem man die Dinge bereut, die man nicht getan hat, aus Angst oder weil man sich die Zeit dafür nicht nehmen wollte. Vielleicht liegt der Schlüssel darin, wieder aus der Geschichte zu lernen und das zu tun, was unsere Vorfahren so gerne gemacht haben: entdecken.

Ach ja, Freunde, meine Schwester hat mir während meiner Arbeit an diesem Buch gesagt, dass ich auf jeden Fall anmerken soll, dass sie in der Schwangerschaft und auch danach weder geraucht, Drogen konsumiert noch Alkohol getrunken hat. »Ich habe noch nicht einmal Salami gegessen und Kaffee getrunken«, waren ihre Worte, nachdem sie so einige Abschnitte gelesen hatte und über den Unfug und die verrückten Ideen und Aussagen ihrer beiden Mädels lachen musste.

Ich bin der Überzeugung – und das wissen wir alle –, dass jedes Kind eine Macke hat. Sagen wir mal, jeder Mensch hat so etwas. Ich meine, die Kinder, denen ich auf der Schnee-Express-Expedition mit Lia begegnet bin, waren manchmal auch ganz … ganz speziell … amüsant und herrlich … zum Kaputtlachen, Freunde!

Ich will euch nicht weiter aufhalten.

Die Story soll jetzt endlich anfangen.

Doch bevor es richtig losgeht …

Mama? Oma? Am besten hört ihr hier schon auf zu lesen. Wie sich im Laufe der Schreiberei herausgestellt hat, werdet ihr noch das ein oder andere Hühnchen mit mir zu rupfen haben. Na ja, obwohl, Oma, wir wurden doch schon von der russischen Mafia in St. Petersburg verfolgt …

Ich bin schon in mehr als 50 Ländern gewesen, die größere Abenteuer mit mir vorhatten als eine Zugreise mit meiner kleinen Nichte in den Norden Norwegens. Dachte ich. Tatsächlich habe ich mich getäuscht! Meine Wunschrealität entspricht nicht der Realität eines sechs Jahre alten Mädels.

Jede Reise, die man macht, lässt vergangene Reisen wieder aufleben. Bei mir ist es zumindest so, und ich denke, dass ich da auch für andere Weltenbummler rede. In Kasachstan saß ich zwei Tage im Knast. Im berühmten Valley Forge (Pennsylvania, USA) wurde ich von einem Polizeitrupp gesucht, und in Schottland musste ich einmal das Weite suchen, um einem Fuchsrudel zu entkommen. Aber was ist ein Abenteuer schon ohne Risiken? Richtig: nichts! Außer ein Besuch in Disneyland. Und für Disneyland können wir auch nach Paris fahren.

Tante Emma und der Schnee-Express

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