Читать книгу Das Ziada Projekt - Enza Renkal - Страница 7
6.
ОглавлениеDas Bedürfnis, mich zu erleichtern, weckte mich auf und ich stieg unbeholfen aus dem Volvo. Es war noch dunkel. Viel hatte ich nicht geschlafen, aber ich fühlte mich heute schon deutlich besser. Ich streckte meine Muskeln, verrichtete die Notdurft zwischen den Autos und musterte meine Umgebung, so gut es in der Dunkelheit ging. Zurück im Auto überprüfte ich die Uhrzeit über die Cockpit-Uhr des Volvos. 5.39. Ich kontrollierte die Alufolie an meinem Handgelenk, startete den Motor und parkte aus. Den anderen Bedürfnissen nach Essen und Trinken würde ich erst nachgehen, wenn ich einen ordentlichen Abstand zur Stadt bekommen hätte.
Ich ließ das Radio aus, genoss die Stille und die noch leeren Straßen. Ein leichtes Unbehagen kam auf, dass ich nicht bereits gestern Linberg noch verlassen hatte, aber den Schlaf hatte ich dringend gebraucht. Ich kontrollierte meinen Rückspiegel öfters als nötig, aber auch nach eineinhalb Stunden Fahrt war ich immer noch ein einsames Auto auf der Landstraße. Wo fuhr ich eigentlich hin? Weit genug weg von der Stadt war ich, oder? Als auf der rechten Seite ein Waldweg abzweigte, hielt ich kurz an und kramte aus dem Handschuhfach eine Karte.
Der nächste größere Ort war ungefähr zwanzig Minuten von mir entfernt. Im Umkreis von mehreren Kilometern war keine einzige Ortschaft. Hier war ein guter Ort, um vorerst unter-zutauchen. Ich bog in den Waldweg ab und fuhr nach ein paar Kurven, so dass ich mir sicher sein konnte, von der Straße aus nicht mehr gesehen zu werden, auf ein Stück Waldboden, das relativ stabil aussah. Sich hier und jetzt festzufahren, wäre ziemlich doof. Ich nahm mein Gepäck vom Sitz neben mir und öffnete den Kofferraum. Vor mir lag nun eine ganze Menge an Utensilien, denn das Auto war zu jedem Zeitpunkt bereit gewesen, mich nicht nur aus der Stadt zu bringen, sondern auch mit Allerlei zu versorgen.
Ich entleerte zunächst den Rucksack und sortierte den Inhalt auf die entsprechenden Stapel, die ich angelegt hatte. Auf dem Stapel für medizinische Versorgung lagen nun drei erste Hilfe Kasten, zwei dünne Decken, eine Signalrakete und eine eingeschweißte Liste mit den wichtigsten Telefonnummern. Auf den Stapel für Klamotten konnte ich nur die Wolldecke legen, aber er war bereits ausreichend umfangreich. Zu dem Stapel mit Verpflegung kam nun das Essen und Trinken dazu. Ich wollte mir von beidem etwas nehmen, aber ich genehmigte mir nur einen Schluck Wasser. Erst musste alles seine Ordnung haben. Ich sortierte den Inhalt der Sporttasche auf die Stapel, griff dann nach einem Müsliriegel und setzte mich auf die Kante des Kofferraums.
Mit langsamen Bissen aß ich den Riegel auf und zerknüllte dann das übrig gebliebene Plastik. Ich stopfte es in meine Jackentasche und runzelte die Stirn, da meine Finger ein Stück Papier streiften. Was war das? Den Inhalt aus meiner Tasche fischend, breitete ich ihn im Kofferraum aus. Zu der zerknüllten Müsliverpackung gesellte sich das Bild des Ziels und das Stück Papier, das ihm aus der Brusttasche gefallen war. Ich führte das Porträt näher an meine Augen. Ich scannte sein Gesicht mehrfach. Sah mir jede kleine Falte an und konzentrierte mich so sehr, dass es beinahe schon weh tat. Aber die Mühe wurde nicht belohnt, sein Gesicht war mir vollkommen unbekannt. Da konnte ich das Bild noch Stunden anstarren; es gab keine Erinnerung.
Ich schielte auf das gefaltete Papier und wägte ab, wie weit ich eine potenzielle Privatsphäre verletzen würde, wenn ich auch das Papier näher untersuchen würde. Aber da der Besitzer meinen Namen kannte, warf ich meine Bedenken über Bord und faltete es auseinander. Es war ein Brief, der bis auf drei handschriftliche Wörter am Computer verfasst wurde. Auf den Inhalt konnte ich mich nicht konzentrieren, da mich die drei Wörter aus zwei Gründen förmlich ansprangen.
Erstens, es war mein vollständiger, alter Name. Emille Lillan Falk. Und zweitens, während ich das Gesicht des Ziels auch nach minutenlangem Anstarren nicht erkannte, dauerte es nun keine Sekunde, bis sich ein vertrautes Gefühl in mir beim Anblick der Handschrift breit machte. Sie kam mir bekannt vor. Wenn ich die Handschrift des Ziels kannte, musste es eine Verbindung geben. Aber wieso erinnerte ich mich nicht an ihn? Wieso war mir alles andere an ihm unbekannt? Wieso gab es keine Erinnerungen? Nur seine Handschrift löste in mir etwas Unspezifisches, aber Positives aus. Ich fuhr mir frustriert mit der Hand durchs Haar und blickte erneut auf den Brief und auf das Porträt.
»Wer bist du?«, flüsterte ich das Bild an.
Ich verstaute den Brief und das Porträt wieder in meiner Jackentasche, schlug den Kofferraum zu und setzte mich wieder ins Auto. Hier im Wald würde ich auf diese Frage keine Antwort erhalten. Ich konnte mich nicht weiter abkapseln. Leander war so oft Teil von meinen Lösungen. Ich brauchte ihn.
Endlich mit einem Plan in der Hand nahm ich die Alufolie von der Uhr. Sollten sie mich doch orten, in zwei Minuten war ich hier weg und hatte einen ordentlichen Vorsprung. Die Folie hatte nicht nur das GPS gehindert, sondern auch den Empfang neuer Nachrichten, denn kaum hatte ich die Folie entfernt, vibrierte sie und signalisierte mir neue Nachrichten.
Ich bringe dich um, Vite. R.M
Wenn er das noch schreiben konnte, schien es meinem Chef ja bestens zu gehen.
Habs mir anders überlegt. Habe deine Ortung manuell deaktiviert bis morgen Abend. Hab mich selbst aus dem Krankenhaus entlassen. Müssen reden. Morgen 12 Uhr, Treffpunkt ST7M. R.M
Ich blickte auf die Uhrzeit. Die Nachricht war gestern Abend abgeschickt worden. Wenn ich Ric Vertrauen würde, dann hätte ich bis heute Abend Zeit, das Problem an der Uhr zu lösen, bevor es wieder aktiv war. Er wollte sich heute mit mir treffen.
Der Treffpunkt ST7M war eine Abkürzung für das siebte Straßenviertel. Über ganz Linberg lag gewissermaßen ein Schachbrett und jedes Feld hatte eine Nummerierung. Im betreffenden Feld war mit dem letzten Buchstaben dann der exakte Treffpunkt angegeben. In diesem Fall stand das M für die Machiavelli-Brücke. Ich schrieb eine Antwort.
Reden ist ok. Treffen nicht. Bin nicht mehr in Linberg. L.A
Keine 30 Sekunden nach dem Absenden, kam eine neue Nachricht, allerdings nicht von Ric. Mein Herz machte einen Stolperer als ich sah, dass sie von Leander war.
Komm zurück. Ric und ich treffen dich heute Mittag am Treffpunkt. Bitte. L.L
Hastig schrieb ich ihm zurück.
Bist du allein? L.A
Ich wollte mit Leander telefonieren, um zu hören, wie es ihm ging, aber nicht, wenn er in der Gegenwart unseres Chefs war. Diesmal brauchte die Antwort länger.
Nein, bin bei Ric. Kommst du? L.L
Ich ließ meine Finger über der Tastatur schweben und überlegte. So sehr ich eine Begegnung mit Ric verabscheute nach dem gestrigen Tag, musste ich Leander sehen. Ich blickte erneut auf die Uhr. Ich hatte reichlich Zeit, aber ich wollte erst sicher gehen, dass der Treffpunkt sicher war und es kein Hinterhalt war.
Ja, aber erst um halb eins. Bis dann. L.A
Ich wickelte zur Sicherheit wieder die Alufolie um die Uhr und fuhr zurück auf die Straße. Anstatt nun nach links abzubiegen, um auf direktem Weg nach Hause zu gelangen, lenkte ich in die entgegengesetzte Richtung. Ich würde einen parallelen Weg zurücknehmen. Nur um das letzte Risiko zu umgehen. Ich hatte reichlich Zeit, um vor dem Treffen den Zeitpunkt zu inspizieren und die wollte ich nutzen.
In der nächsten Ortschaft holte ich mir beim Bäcker einen Kaffee und drei belegte Brötchen, bevor ich, mit einer Hand lenkend und mit der anderen Hand essend, auf einem kleinen Umweg zu einer Tankstelle zurück in die Stadt fuhr. So war der Tank für den nächsten Ausflug wenigstens schon mal wieder so gut wie vollgetankt. Ich parkte den Volvo diesmal auf der anderen Stadtseite in einem kleinen verlassenen Hinterhof, der bereits das Heim von drei verlassenen Fahrrädern war. Ich musterte sie und kam zu dem Entschluss, dass ich eins davon einfach ausleihen könnte, um zu dem Treffpunkt zu fahren.
Die Machiavelli-Brücke war definitiv kein Zufall. Die Brücke war ein gut einsehbarer Ort. Wenn ich jemanden in Zuversicht wiegen wollte, dann würde ich selbst einen solchen Treffpunkt auswählen. Natürlich könnte man dann die jeweiligen Seiten versperren, aber damit würde man bei Passanten bereits zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Ich hatte es mir auf einem Parkhausdach gemütlich gemacht, neben mir lag das Fahrrad, auf meinem Rücken hatte ich einen kleinen Rucksack mit einer vollausgestatteten Assistenz, also von jedem meiner Stapel eine Kleinigkeit. Für alle Fälle.
Mit dem letzten belegten Brötchen in der Hand, saß ich auf einer kleinen Mauer und lehnte meinen Oberkörper gegen einen der Betonpfeiler. Ich hatte von hier oben auch ohne Hilfsmittel wie einem Fernglas eine gute Aussicht, wenn ich den Kopf um die Ecke schob. So konnte ich, wenn ich wollte nach unten sehen, ohne von dort gesehen zu werden. Ich hatte noch eineinhalb Stunden Zeit bis zum Treffen. Wie ich meinen Freund kannte, würde Leander aber schon 20 Minuten früher da sein. Mein Chef hingegen pflegte eine ordentliche Portion an Unpünktlichkeit. Meine Hoffnung, dass Leander bereits früher da sein würde und ich so allein mit ihm sprechen könnte, zerplatzte allerdings, als auch eine Viertelstunde vor der verabredeten Zeit noch keiner da war.
Die Hände an meiner Hose abwischend, stand ich auf und rollte mit dem Fahrrad durch das Parkhaus nach unten. Ich lehnte es neben andere Fahrräder und hoffte, dass es so niemanden auffallen würde, dass es nicht abgeschlossen war. Vielleicht konnte ich es noch einmal gebrauchen.
Mein Blick schweifte erneut über die Brücke und diesmal konnte ich erkennen, wie zwei bekannte Gestalten von der anderen Seite die Brücke betraten. Langsam näherte ich mich Ric und Leander und blieb in der Nähe einer Gruppe von Jugendlichen stehen.
Das Augenrollen von Ric blieb mir nicht unbemerkt, doch ich blieb demonstrativ stehen. Er hatte diesen öffentlichen Treffpunkt ausgesucht und war das Risiko von Zeugen eingegangen. Dennoch war mehr als deutlich, dass er nicht begeistert war, dass nun fünf junge Männer, jeder mit einem Dosenbier in der Hand, gewissermaßen Teil unserer Gesellschaft war.
»Wie geht es dir, Leander?«, fragte ich meinen Freund und ignorierte Ric fürs Erste.
»In Ordnung«, entgegnete Leander ausweichend und mied meinen Versuch Augenkontakt aufzubauen.
Ich griff nach dem Ärmel von Leander, um ihn von Ric wegzuziehen und ein paar private Momente mit meinem Freund zu haben, doch die große Hand von Ric legte sich auf Leanders rechte Schulter. Ich starrte die Hand an, sie berührte mich nicht, dennoch erweckte der Anblick ein ungutes Gefühl in meinem Bauch.
»Wir bleiben alle schön hier«, presste Ric zwischen seinen Zähnen hervor. Er war stinksauer auf mich. Ich musterte ihn kurz und schnell. Sein rechtes Handgelenk inklusive Unterarm war in Gips. Beide Handflächen waren von Schürfwunden überzogen und er stand unsicher auf seinem rechten Bein.
Zu meiner Überraschung wandte sich Leander schnell aus dem Griff von Ric, indem er einen Schritt zur Seite tat. Leander hatte ganz offensichtlich selbst etwas gegen die Berührung.
»Nun«, räusperte sich Leander gegenüber Ric. »Ich würde gerne einen kurzen Moment mit Lilly haben, wenn es dir recht ist. Ich möchte nur eine ehrliche Antwort haben, wie es ihr geht und solange sie dich sieht, wird sie nicht ehrlich sein.« Nach der einsilbigen Antwort, wie es ihm ging, war ich froh ein paar mehr Worte von Leander zu hören.
»Recht ist es mir nicht, Vite. Aber gut. Drei Minuten.«
Demonstrativ rollte ich die Augen; Ric sollte ruhig sehen, was ich gerade von ihm hielt. Wir gingen so weit von Ric weg, dass ich mir sicher sein konnte, mit einer gedämpften Stimme nicht mehr von ihm belauscht werden zu können. Doch anstatt zu reden, nahm mich Leander zuerst in eine feste Umarmung, die ich nach kurzem Zögern erwiderte. Es tat unerwartet gut.
»Alles gut bei dir, Leander? Wie geht es dir? Konntest oder wolltest du gerade nicht ehrlich antworten?«
»Mir ging es schon mal besser. Die haben gestern wirklich viele, eigenartige Fragen gestellt. Erst haben sie nach Daten gefragt, die eigentlich in meiner Akte stehen sollten. Und dann wollten sie über alte Kindheitserinnerungen sprechen. Sie haben versucht mich über dich auszuhorchen. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass es gar nicht um mich ging. Die Fragen wurden nur zur Ablenkung gestellt. Nach einer dreiviertel Stunde haben sie mich über einen anderen Ausgang zu einer Lagerhalle gebracht, bevor ich wieder nach Hause durfte. Sie meinten, sie müssten zuerst mein Zuhause überprüfen, ob es weiterhin für mich als Sammler sicher sei. Sie redeten von einer Routine. Ich müsse mir keine Sorgen machen.«
»Und Ric?«
»Ric kam gestern spät abends zu mir. Offensichtlich verletzt, aber wenigstens schon versorgt. Er wollte nicht sagen, was passiert war und war eigenartig froh mich zu sehen. Dann hat auch er angefangen, mich über dich auszufragen. Wollte wissen, wo du bist. Hast du etwas mit seinen Verletzungen zu tun? Seine Wut dir gegenüber ist nicht zu übersehen.«
Ich erwiderte den Blick meines Freundes. »Ja.«
Entsetzt starrte Leander mich an und packte mich am Arm, um mich noch weiter von Ric wegzudrücken. Ich hörte seinen lauten überraschten Ausruf kaum, sondern konnte nur die Berührung auf meinem Körper wahrnehmen. Die Berührung und das gleiche Klingeln wie bereits gestern bei Ric. Die Beklemmung hinderte mich am Atmen.
»Lass mich los«, schrie ich übertrieben laut Leander an. »Sofort!«
Gestern war das Klingeln ein böser Vorbote gewesen. Der Anfang eines Ausbruchs von Gewalt. Ich konnte meinem Freund nicht dasselbe antun. Oder konnte ich es? Würde ich es?
Als hätte er heißes Eisen berührt, ließ mich Leander augenblicklich los und wich von mir zurück. Ich senkte den Blick, stützte mich am Geländer der Brücke ab und versuchte wieder normal zu atmen. Das Klingeln hörte umgehend auf und als ich den Kopf hob, starrte ich in die Gesichter von Leander, der Gruppe Jugendlicher und von meinem Chef, der in wenigen Augenblicken die Distanz zu uns überwunden hatte und sich schützend vor Leander stellte.
»Du wirst Leander nicht das Gleiche antun wie mir, Vite. Was stimmt mit dir nicht, Anders?«
Ja. Was stimmte nicht mit mir?!
»Das will ich selbst wissen«, giftete ich meinen Chef schlecht gelaunt an. »Ich weiß selbst, dass etwas nicht stimmt. Etwas nicht richtig ist! Hilf mir oder geh mir aus dem Weg!«
»Wovon redet ihr?«, mischte sich Leander zu Recht ein. »Was stimmt nicht?«
»Berühre Anders nie wieder! Hättest du sie eben nicht selbst losgelassen, hätte sie dich genauso ins Krankenhaus gebracht, wie mich gestern, als ich sie unsanft gepackt habe. Das stimmt nicht mit ihr!«
»Hätte ich nicht«, schnauzte ich Ric an, warf aber Leander einen sanften Blick zu. Ich konnte nicht erwarten, dass die beiden mir glaubten. Ein Teil von mir wusste, dass ich Leander sehr wohl verletzt hätte. Zu meinem Erstaunen drehte sich Leander zu Ric.
»Unsanft gepackt? Soll das jetzt ein nettes Wort für Gewalt sein? Was hast du mit Lilly gemacht, dass sie so ausgestickt ist?! Dass sie dich dermaßen verletzt hat?«
Ich hatte Leander noch nie so beschützend erlebt und es verursachte ein wohliges Gefühl in meiner Brust. Ric verschränkten die Arme, so gut es mit dem Gips ging, vor seiner Brust.
»Wenn hier jemand gewalttätig ist, dann Anders!«
»Ric!«, fuhr Leander ihn an und seine Härte zeigte unmittelbar seine Wirkung.
»Sie hat mir aufgelauert! Sie hat mich beobachtet. Ich hatte jedes Recht, sie zu konfrontieren.«
»Mit Worten oder mit Taten?«, fragte Leander bissig.
Mit einem kurzen Augenschließen versuchte sich Ric zu beruhigen, aber als er wieder zu uns blickte, schien er nur noch wütender.
»Mit beidem. Bin nicht stolz drauf. Aber dass was du getan hast«, Ric starrte mich feindselig an und hob seinen Pullover bis zu Hälfte an und entblößte damit ein Hämatom, so groß wie zwei Handflächen, »war zu viel. Du kannst froh sein, dass bei mir keine inneren Organe geschädigt wurden und ich deinen Übergriff der Verwaltung nicht gemeldet habe. Zumindest noch nicht.«
Zugegebenermaßen schockierte mich das Hämatom mehr als der Gips oder die Schürfwunden, aber auch diese Tatsache änderte nichts an meiner Stimmung Ric gegenüber.
»Sollte ich deswegen hierher kommen? Wolltest du mir sagen, dass ich froh über deine ach so großartige Güte sein soll? Soll ich mich entschuldigen, dass ich dir gegenüber handgreiflich wurde, nachdem du deinerseits handgreiflich warst? Wie du mir, so ich dir, Moretti.«
Seine Augen verdunkelten sich und er zog etwas aus seiner Jackentasche.
»Nein. Ich weiß doch, dass du dazu nicht fähig bist. Ich bin mit Leander hier, weil ich für euch beide einen Auftrag habe. Das sind eure nächsten Ziele. Zwei Sammler, zwei Ziele. Das hier«, er reichte das obere Bild mir, »hat die erste Priorität. Das andere«, er reichte es Leander, »wird euch vermutlich helfen, das erste zu finden. Ich habe keine Koordinaten für euch. Der Auftrag läuft unter der Hand und sollte bis Sonntag erledigt sein. Der innere Kreis weiß von nichts. Ihr sprecht mit niemanden über diese Sache. Fragen?«
Ich blickte auf das Bild in meiner Hand. Ein bekanntes Gesicht starrte zurück. Es war das gestrige Ziel, dass mich Emille genannt hatte. Das kleine Porträt lag bereits in meiner Jackentasche. Das hatte schon fast etwas von Sammelkarten.
»Dr. Martin?«, hörte ich Leanders Stimme leise neben mir. Ich schaute auf. Wieso sollte er unser Ziel sein? Jetzt waren es also zwei Ziele, die ich kannte.
»Dr. Martin steht offensichtlich zu dem anderen Ziel, das Anders in der Hand hält, in Verbindung. Findet ihr den Doktor, findet ihr auch dein Ziel von gestern.«
Ich hielt das Bild hoffnungsvoll in meiner Hand hoch und versuchte nicht vor Aufregung zu zittern.
»Wer ist das? Name?«
»Gibt es nicht. Die Akte ist leer. Nichts. Nur ein paar Abzüge dieses Fotos.«
»Das ist derjenige, der gestern deinen, ähm, der dich irgendwie eventuell kannte?«, versuchte sich Leander aus der Affäre zu ziehen.
»Alles gut«, beschwichtigte ich Leander. »Ric weiß Bescheid. Das ist das Ziel, das meinen alten Namen kannte. Mit dem Kerl hat das ganze Chaos angefangen.«
»Richtig«, mischte sich Ric ein. »Genau deswegen will ich, dass ihr den Typen findet. Im Nabel stimmt etwas nicht und ich denke, dass dieser Mann etwas damit zu tun hat. Ich habe bereits eine Wohnung besorgt, in die ihr dann das Ziel bringen könnt. Ich werde dann die Befragung übernehmen.«
»Mach mal langsam mit deinen italienischen Pferdchen«, ging Leander dazwischen. »Du gibst uns hier zwei Bilder, keine Koordinaten, nur ein Name. Und alles im Hintergrund? Wir werden ab heute Abend wieder GPS überwacht und du sprichst schon von einer Befragung?«
Nickend stimmte ich Leander zu. »Da kann ich eigentlich nur noch eine Sache ergänzen. Unter den Umständen wird das nicht bis Ende der Woche klappen. Was ist mit unseren anderen Aufträgen?«
»Ihr seid Profis. Auch wenn ihr befreundet seid, das ist nicht der Grund, warum ich euch dafür ausgewählt habe. Ihr werdet diesmal als Team funktionieren und euch ergänzen. Ich habe die Erwartung, dass ihr es bis Sonntag geschafft habt. Wir haben heute erst Dienstag. Wenn es nicht klappen sollte, werde ich die Aufträge nächste Woche doppelt vergeben. Sowohl an euch als auch an andere Sammler. Dann werden die Aufträge erledigt, ohne dass ihr dafür etwas tun müsst. Und an dem GPS-Problem bin ich bereits. Für ein paar Stunden ist die manuelle Deaktivierung möglich, aber nicht über 24 Stunden. Aber ich finde eine Lösung. Lasst das meine Sorge sein. Wie gesagt, der Nabel weiß nichts.«
»Wenn du uns nichts über das gestrige Ziel sagen kannst, dann sag uns wenigstens etwas über Dr. Martin«, forderte ich Moretti auf.
»Er ist eine 2/. und sitzt unter Parker. Er ist für die gesundheitlichen Untersuchungen der Ziele zuständig.«
»Wo finden diese Untersuchungen statt?«, fragte Leander.
»Über die Ziele weiß ich gar nichts. Nicht mein Gebiet.«
»Wenn das nicht dein Gebiet ist, wieso fieberst du dann einer Befragung mit einem Ziel, einem scheinbar sehr wichtigen Ziel, entgegen? Sag uns die ganze Wahrheit, sonst werde ich einen Teufel tun und diesen Auftrag ausführen. Wenn der Nabel von dem ganzen nichts weiß, kannst du uns auch mit rein gar nichts zu diesen Aufträgen zwingen.«
Leander warf Ric einen Sorry-aber-wenn-Lilly-nicht-dabei-ist-dann-bin-ich-es-auch-nicht Blick zu. Moretti fuhr sich mit der linken Hand durch sein zerzaustes Haar.
»Ich hasse dich, Vite. Weißt du das eigentlich? Ich hasse dich wirklich. Spätestens seit gestern.«
»Kann ich mit leben. Ziemlich problemlos sogar.«
»Gut. Die ganze Wahrheit. Aber nicht hier in aller Öffentlichkeit. Ich sehe euch in dem Appartement. Adresse ist auf der Rückseite des Bildes. 16 Uhr.«
Ohne ein weiteres Wort ließ uns Ric mit zwei Bildern und einer Adresse in der Hand allein. So wie es aussah, war es das mit der freien Woche.