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Wie es begann

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Es war wenige Tage vor der Kapitulation des Afrikakorps und der ihm unterstellten Einheiten. Das erste Bataillon des Afrika-Schützenregiments 961/Division 999 lag in den Bergen bei Tebourba.

Auf der dem Feind abgekehrten Seite des Berghangs, hineingetrieben in Geröll und Steinschutt, liegt der Gefechtsstand der 1. Kompanie. Er ist eng, alles darin ist primitiv und provisorisch. Doch es ist der weitum sicherste Raum. Die in den Schützenlöchern vorn beneiden die Insassen, die sich langweilen und Arbeit vortäuschen. Was gibt es noch zu tun für Schreiberseelen, wenn keine strategische Führung mehr vorhanden ist, wenn alle, ohne es auszusprechen, auf den Schlusspunkt warten? Sie schwitzen im Kompaniestab und trinken guten tunesischen Wein. Im Flachland vor den Bergen gab es genügend verlassene Gehöfte mit riesigen Fässern in den kühlen Kellern. Bis an die Knöchel standen wir im Wein, berichteten die Organisierer. Fast alle trinken. Im Rausch ist das Hundeleben leichter zu ertragen. Oberfeldwebel Tolcke trinkt nicht, er will die Kontrolle über sich nicht verlieren. Es ist mehr Angst ums Leben als um den Verlust der Autorität. Schon im Flachland schlief er als einziger nachts in einem tiefen Splitterloch. Die es in jeder neuen Stellung ausheben mussten, fluchten. Alle anderen lachten über Tolcke, der vorgab, nur im kühlen Erdreich würde er nicht von den Erdflöhen geplagt. Sie legten ihm einen Skorpion ins Erdloch, Tolcke schlief eine Nacht hindurch neben dem giftigen Insekt und wurde nicht gestochen. Gleich und gleich tut sich nichts, sagten die Landser.

Kompanieführer Oberleutnant Unschlitt trinkt am meisten. Er kann am meisten vertragen. Er wird jeden Tag lärmender und jovialer. Um der Misere zu begegnen, reißt er Zoten und nennt es Galgenhumor. Er kümmert sich wenig um die Kompaniegeschäfte. Da ist ja der pedantische, korrekte Tolcke. Der tut schon, was es noch zu tun gibt.

Marsmann kann nichts mehr tun. Der Batteriestrom seines Funkgeräts "Dora" ist am Versiegen. Als der Kompaniefunker beim Bataillon wegen neuer Batterien nachgefragt hat, haben sie ihn ausgelacht. Denn er hat weder ägyptische Zigaretten noch französischen Kognak zum Schmieren, Marsmann gehört nicht zur Stammmannschaft. Er ist einer der vielen Vorbestraften, die, über Nacht "wehrwürdig" geworden, dennoch Hitlersoldaten zweiter Klasse sind. Der offizielle romantische Name ändert nichts an der Tatsache, dass die Afrika-Schützendivision 999 eine Strafeinheit ist. Marsmann glaubt nicht daran, es ändern zu können. Heil aus diesem Krieg möchte er kommen, der kleine Schütze Arsch, der bei 999 am ärmsten dran ist, wie das geflügelte Wort lautet. Eigentlich könnte Marsmann froh sein, dass sein Gerät den Anfang macht mit dem Kriegsende. Aber er muss es ausbaden. Unschlitt brüllt so hässlich: "Wenn du mit deiner Dora zu Hause genauso wenig anzufangen weißt, sollte sie dich jeden Tag mit einem anderen betrügen, du Blindgänger!" Unschlitt will nur einen Witz an den Mann bringen. Es schmerzt trotzdem. Zufällig heißt Marsmanns Frau Dora. Es ist die beste Frau.

Obergefreiter Hesse fummelt mit seinem Vorgesetzten, Unteroffizier Börger, an Soldlisten. Die große Kiste mit den Kompaniepapieren ist zugleich Schreibstube und Tisch. Die Schreibstube ist nur geduldet im Kompaniegefechtsstand. Börger ist einer der Anständigen. Sonst wäre Hesse längst nicht mehr in der Schreibstube. Obwohl beide nur die Kniehosen und die kurzärmeligen Hemden ihrer Tropenausrüstung anhaben, schwitzen sie. Es ist erst April, aber es ist heiß wie im deutschen Hochsommer. Bis hierher in die Berge gelangt kein kühlender Mittelmeerwind. Noch ist nicht Mittag, doch ringsum döst matte Schläfrigkeit. Unschlitt ist wie so oft "hinten" in der Etappe - sofern es die noch im militärischen Sinne gibt -, sein Randalieren stört die trügerische Stille nicht.

Hesse und Börger heben die Köpfe. Aus der Ferne ertönt kaum hörbares Tuckern. Langsam kommt das Tuckern näher; da ruft jemand draußen das verhasste Wort: "Deckung!" Einige Stammleute rennen zum Gefechtsstand, mehrere Schützen zum Wadi und drücken sich dicht an dessen Steilwand.

Rasch kommt das Tuckern näher. Aus der Luft faucht es heran und birst krachend. Eisensplitter sirren und pfeifen. Wieder Fauchen, Pfeifen, Bersten, wieder und wieder, an die zwölf Einschläge, Granaten schweren Kalibers krepieren dicht hintereinander auf dem Pfad. Dann wieder Stille, auch das Tuckern ist gestorben. Dünne Rauchfahnen stinken nach Pulver und Staub.

Oberleutnant Unschlitt kriecht aus der Deckung im Wadi, hinter ihm der Kradmelder. Unschlitt flucht: "Scheiß-Amis! - Als ob wir Schießbudenfiguren wären!" Unvermittelt dreht er sich um zu dem Kradmelder. "Hätte denen so gepasst, uns wegzupusten. - Dein Schlitten ist im Eimer. - Auch nicht schlecht, haben wir hier vorn einen Mann mehr." Am Eingang des Gefechtsstands brüllt Unschlitt: "Oberfeld!"

Sofort steht Tolcke vor ihm. "Herr Oberleutnant?"

Unschlitt wirft einen Blick auf einen Zettel. "Befehl des Bataillons: Das ständige Störfeuer des Feindes auf den einzigen Zufahrtsweg zum Kompaniegefechtsstand verursacht laufend Verluste. Es beweist präzises Zielfeuer, das gelenkt sein muss von einer weit vorgeschobenen Beobachtung mit genauer Einsicht in unser Gelände. Der Beobachterstand ist aufzuspüren und zu vernichten. Das Stoßtruppunternehmen ist von den vordersten Stellungen der Kompanie aus notfalls zu unterstützen."

"Jawoll, Herr Oberleutnant", sagt Tolcke und dann weniger stramm, "wen schlagen Sie als Führer des Unternehmens vor, Herr Oberleutnant?"

Unschlitt fixiert ihn scharf und grinst. Es amüsiert ihn, wie Tolckes Gesicht langsam die Farbe verliert. "Wie wäre es mit Oberfeld Tolcke?"

Tolcke reißt sich zusammen. "Befehl ist Befehl, Herr Oberleutnant. Aber wenn etwas geschieht - dürfte ich darauf aufmerksam machen, dass die Kompaniegeschäfte ... "

"Menschenskind, oller Oberspieß!" Unschlitt lacht sein Seeräuberlachen, "wer denn sonst als Malleck? Wissen Sie einen Besseren für so was als Unteroffizier Malleck?"

Erlöst schüttelt Tolcke den Kopf. "Nein, ich wüsste keinen, Herr Oberleutnant."

Im Gefechtsstand lässt Unschlitt aus "seinem" Kanister einen Trinkbecher voll Wein gluckern, die Hälfte geht daneben. Über die Schulter sagt er zu Tolcke: "Malleck soll sich zwei Männer dazu selbst aussuchen, natürlich Freiwillige."

Tolcke verschwindet, um Malleck den Befehl zu überbringen.

Unschlitt gießt den Viertelliter Wein in sich hinein und verlässt ebenfalls den Gefechtsstand, um im Schatten des einzigen Feigenstrauchs am Hang des Wadis zu schlafen. Solange sich weder Menschen noch Fahrzeuge nähern, ist mit einem Feuerüberfall kaum zu rechnen.

Hesse und Börger sehen sich mit einem vielsagenden Blick an.

"Beobachtungsstand vernichten", knurrt Börger, "auch wieder so 'n Blödsinn, weil sie nichts Besseres wissen. Selbst wenn es gelingt, ist noch alles wie vorher. Die Amis setzen neue Leute ein und wir werden wieder beharkt."

Marsmann nimmt die Kopfhörer ab, die er schnell übergestreift hatte, als er Unschlitt hörte. Die Zeichen, die aus dem Apparat kommen, werden immer leiser. Marsmann zaubert Meldungen, mit denen nichts anzufangen ist, erfindet Aufgefangenes vom Ami, das ebenso wenig besagt. Unschlitt darf nicht wissen, dass "Dora" nicht mehr mitmacht, dann muss Marsmann mitmachen, vorn in den Schützenlöchern. Er wendet nicht den Kopf, als er auf Börgers Geknurr erwidert: "Gelingen wird es schon. Der Name Malleck bürgt für Maßarbeit."

"Überhaupt, wenn Malleck dich mitnimmt", stichelt Börger. Marsmanns Blicke streicheln "Dora". Er hat lautlos und viel auf das Gerät geflucht, aber in diesem Augenblick ist es ihm lieb und teuer. "Der Funker ist der wichtigste Mann im Gefechtsstand", sagt er schadenfroh, "also unabkömmlich."

Ein Schatten erscheint am Eingang, Unteroffizier Malleck schiebt sich herein. Er rückt an einer Kiste, setzt sich darauf, streckt die Beine von sich und ächzt behäbig. "Kinders, wer hätte das gedacht, heißer als am Südpol, was?"

Die Drei schweigen. Marsmann hat wieder die Hörer auf und kritzelt auf einem Funkformular, als käme eben eine Generalstabsmeldung durch den Äther. Vertraulich stößt Malleck ihn an. "Was zu trinken da?"

Marsmann geht zu Unschlitts Kanister und lässt einen Trinkbecher voll laufen. Malleck nimmt kleine Schlucke. "Wenn wir erst den Ami ins Meer gejagt haben - Kinders, das wird ein Spaß beim Schneefegen in der Sahara." Da wieder niemand antwortet, lacht Malleck allein. Dann steht er auf und rückt sein Koppel zurecht. "Tja, Obergefreiter Hesse, dann machen Sie sich mal fertig: kleines Sturmgepäck und MPi. In einer Stunde hauen wir ab. Aber gut rasiert bitte. Die Amis sollen nicht glauben, wir hätten keine Klingen mehr."

Börger fährt herum, seine Augen hinter den Brillengläsern funkeln. "Wieso Hesse?"

Malleck schaut auf Börger herab. "Wieso nicht? In unserem Haufen kann Hesse als einziger Englisch. Gute Empfehlung für solch Unternehmen."

"Ich brauche ihn hier. Seit wann ist es üblich, Schreibstubenleute auf Stoßtruppunternehmen zu schicken?"

"Seit wann ist es üblich, dass sich Schreibstubenhengste gegen den Befehl eines Stoßtruppführers stellen?"

Börger spürt die Entschlossenheit Mallecks und versucht es mit der Kameradentour. "Hör mal, Malleck, du kannst dich wirklich nicht beklagen. Haben wir dich je zu kurz kommen lassen? An die Ausgehscheine in Neapel will ich gar nicht erinnern."

Malleck zwinkert Börger freundlich zu. "Die waren von dir. Aber du sollst ja auch nicht mitkommen."

"Hesse ist der einzige Mann, den ich noch habe."

Malleck tippt sich nachsichtig an die Stirn. "Mir brauchst du doch nichts vorzuzaubern wie dem Oberleutnant. Der Ami, der euch gefangen nimmt, kommt vor ein Feldgericht. Wegen Feindbegünstigung."

"Lass die Flausen, mir ist es ernst, und ... "

"Zum Teufel, mir auch!" Malleck kann ebenso brüllen wie Unschlitt.

"Der Oberleutnant hat extra gesagt: Freiwillige!" "Deshalb habe ich doch Hesse freiwillig ausgesucht. Der soll endlich ein Soldat werden. Die zarte Pflanze vergammelt uns ja sonst in der Schreibstube!" Wiederum lacht Malleck über den eigenen Witz.

"Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen", zischt Börger.

Jetzt flüstert Malleck fast. "Aber mein letztes Wort. Hesse kommt mit und außer Truff kein anderer." Abgehackt wie auf dem Kasernenhof sagt Malleck. "Obergefreiter Hesse!"

Hesse springt auf. "Jawohl, Herr Unteroffizier!"

"In einer Stunde sind Sie marschbereit. Andernfalls werde ich Sie melden wegen Befehlsverweigerung. Verstanden?"

"Jawohl, Herr Unteroffizier!"

Malleck verschwindet, Schweigen ist im Gefechtsstand. Mit hängenden Mundwinkeln philosophiert Marsmann vor sich hin: "Wen Malleck einmal hasst, den hasst er."

Börger ist weiß vor Wut. "Immer habe ich ihm dazwischengefunkt. Jetzt denkt er, kurz vor Toresschluss kann er Hesse noch fertigmachen."

"Er wird ihn schon nicht umlegen", brummelt Marsmann.

"Aber er weiß genau, dass es ein Himmelfahrtskommando ist", Börger wütet, "und da denkt er, wenn ich kaputtgehe, soll es Hesse auch. Ich muss Unschlitt finden."

Hesse, von Dankbarkeit gegen Börger erfüllt, ist die Szene um so unangenehmer. Leise, aber bestimmt sagt er: "Ein Malleck ist dem Oberleutnant mehr wert als zehn Schreibstubenleute. Unschlitt würde Malleck recht geben, und womöglich müssen Sie noch für Truff mit."

Verstört setzt sich Börger wieder. An diese Möglichkeit hat er nicht gedacht. Hesse versucht ihn zu beruhigen. "Es wird nicht so schlimm werden. Den Beobachterposten wird auch Malleck nicht knacken können. Der wird zufrieden sein, wenn er bei der Rückkehr melden kann, er habe ihn entdeckt und schlage direkten Pakbeschuss vor."

Börger scheint überzeugt. Hesse beginnt sich zu rasieren. Er wird sich bemühen, keinem Befehl Mallecks zuwiderzuhandeln. Wer so lange beim Barras ist, lässt sich nicht auf die billige Art hereinlegen. Ich bin mit weniger Illusionen eingezogen worden als die meisten, die geglaubt haben, es wäre nicht für Hitler, sondern für Deutschland, geht es Hesse durch den Kopf. Er hört des Vaters Stimme, als der ihm beim letzten Urlaubsabschied die Hand presste, dräng dich nie nach vom. Ich habe es immer so gehalten, bei 999 nicht zuletzt mithilfe Börgers. Doch was ich Börger eben gesagt habe, ist nur die Hälfte von dem, was ich denke. Wenn ich nicht gehe, muss ein anderer mit. Alle wollen leben.

Hesse zieht sich die Frontkluft an, nimmt seine Maschinenpistole und überprüft sie. Seit sie in den tunesischen Kessel eingeflogen worden sind, hat er sie noch nicht benutzen müssen. In Afrika hat er keinen Menschen getötet. Und wie ist es in Russland gewesen? Er hofft es und weiß, dass es Selbstbetrug ist. Das berühmte Weiße im Auge des Gegners hat er zwar nie gesehen, aber wie oft haben sie drauflosgeschossen. Auf Befehl oder aus Angst und Selbsterhaltung? Beides ist zusammengefallen, ist zu einer Handlung geworden, die kein denkender Mensch ohne Zwiespalt vollführt.

Hesse steht, wie befohlen, bereit. Börger begutachtet ihn, dann gibt er Hesse einen verstohlenen Knuff und flüstert: "Geben Sie auf sich acht."

Hesse nickt und schaut vor Verlegenheit auf die Uhr. Es ist so weit. Er grüßt halb ernst, halb ironisch, macht eine Kehrtwendung und tritt aus dem Gefechtsstand. Malleck und Truff kommen vom Feigenstrauch, Malleck hat sich wohl bei Unschlitt abgemeldet. Hesse geht auf Malleck zu und will sich vorschriftsmäßig melden. Vergnügt winkt Malleck ab. "Schon gut, Obergefreiter Hesse. Jetzt hört der Kasernenhof auf, und der Spaß fängt an."

Einige Stammleute sind plötzlich in der Nähe. Sie tun kameradschaftlich, zuversichtlich. In manchen Gesichtern steht Schadenfreude, in anderen Neugier. Die Neugier erinnert an die von Menschen, die einen Leichenzug betrachten. Auch Tolcke ist wieder aufgetaucht. So lange "dicke Luft" im Gefechtsstand war, hat er sich nicht sehen lassen. Schon morgen können sie gefangen sein. Dann ist es gut, wenn man sich keinen zum Feind gemacht hat.

"Wiedersehen, Oberfeld" , spottet Malleck, "in ein paar Stunden sind wir wieder da. Hoffe auf entsprechenden Empfang."

Ein Stück hinter dem Gefechtsstand macht der Pfad eine Kehre, die unter Feindeinsicht liegt. Vor der Kehre klettern die drei hinunter ins Wadi. Halten sie sich hintereinander an seiner Steilwand, dann kommen sie ungesehen aus der Gefahrenzone. Es ist oft genug erprobt von denen, die nach vorn in die Schützenlöcher müssen. Aus dieser Tatsache lässt sich ungefähr bestimmen, in welcher Richtung sie den Beobachterposten suchen müssen.

Malleck läuft als Erster, anscheinend völlig mühelos. Hesse hinter ihm ist schon nach wenigen hundert Metern in Schweiß gebadet. Truff als Letzter schnauft ab und zu. Ist es Zufall, überlegt Hesse, dass ich mich in der Mitte befinde? Truff ist mir nicht angenehmer als Malleck. Der weiß, was er in seiner Selbstsucht will. Truff hat etwas von einem Roboter. Funkt man ihm eine Anweisung, so erfolgt todsicher die Ausführung. Er spricht nur, wenn er muss. Er hat keine Freunde. Ich weiß nicht, ob er Feinde hat. Er ist kriminell bestraft, ich kann mich nicht erinnern, ob es Raub oder irgend so ein Sittlichkeitsdelikt in der eigenen Familie gewesen ist. Sicher ist nur, dass er bedingungslos auf Rehabilitierung aus ist. Malleck weiß schon, weshalb er ihn ausgesucht hat. Dass Truff im Zuchthaus gewesen ist, sieht ihm niemand an. Die grobschlächtige, ungelenke Figur, das naive, kantige Gesicht wie bei einem harmlosen Holzfällerbuam aus Oberbayern. Wahrscheinlich kommt er aus ärmsten dörflichen Verhältnissen, ist in seine Sache hineingeschlittert, ohne es recht zu wollen.

Sie hören ein Geräusch und bleiben stehen. Aus nächster Nähe kommt der Anruf: "Parole?"

Malleck sagt sie gedämpft und rennt die flache Wand des Wadis hoch. Mit wenigen Sätzen ist er an dem Schützenloch, in welchem Bendler und Balischkat hausen. Herablassend mustert Malleck die Gegend. "Also hier kann euch bestimmt nichts passieren."

Bendler bemüht sich um militärische Forsche. "Rückwärtige Sicherung, Herr Unteroffizier. Haben drei Tage lang ganz vorn gelegen."

"Na klar, jeder Heldensohn soll mal 'ne Weile aus der Schusslinie", sagt Malleck und fragt dann: "Wo liegt Feldwebel Preis?"

Die beiden beschreiben es genau und umständlich.

"Bleibt anständige Strolche", verabschiedet sich Malleck. Bei einem kurzen Blick hinter sich bemerkt Hesse, wie Balischkat ein Kreuz schlägt. Kaum einer der Männer fällt noch auf Mallecks Kameraderie herein. Er möchte Unschlitt kopieren, aber er beißt schmerzhafter zu als der.

Bald treffen sie mehr Leute der Kompanie, deren Schützenlöcher eher Nestern hinter aufgeschichteten Steinen gleichen. Dann stehen sie vor Feldwebel Preis. Sein Unterstand ist es nur dem Namen nach. Preis, obgleich immer mürrisch, ist beliebt. Sein grämliches Gesicht scheint ständig den Vorwurf durch die Welt zu tragen: Ohne den Barras wäre ich ein brauchbarer Mensch geblieben. Er wird nie laut, bei ihm klappt alles. Es ist nicht zu beweisen, aber jeder spürt, dass er am besten mit den Politischen auskommt. Unschlitt weiß schon, denkt Hesse, weshalb er ihn dauernd vorn hält. Ohne Preis würden noch mehr Schützenlöcher verlassen werden. So etwas wird zwar vor der Kompanie geheim zu halten versucht, aber in der Schreibstube wissen wir von nicht wenigen Fällen. Es erfordert Mut, zu den Amerikanern zu gehen, trotz ihrer Flugblätter: "Kommt zu uns!" Besonders wenn man einem wie Preis damit in den Rücken fallen muss.

Schweigend hört sich Preis die Meldung Mallecks an und sagt dann nur: "Na ja, dann seht mal zu. Wir wissen auch nur ungefähr, wo sie hocken müssen. "Wortkarg erläutert er Malleck an Hand der Karte die Gegend, in der sich vermutlich der amerikanische Beobachtungsposten befindet. Sie stimmen ihre Uhren aufeinander ab und vereinbaren für eventuelle Überraschungen Signale mit Leuchtkugeln.

Wiederum hintereinander, Hesse in der Mitte, ziehen die Drei weiter. Der Anstieg wird steiler, es gibt weder Wege noch Trampelpfade. Der dünne, graugrüne Pflanzenwuchs wird kärglicher; nackter tritt das grauweiße Gestein zutage. Auch ohne Krieg sollte diese Ödnis Niemandsland genannt werden, denkt Hesse.

Malleck geht jetzt langsamer und wie leicht geduckt. Nie tritt er so ungeschickt auf, dass ein Stein ins Rollen kommt und Geräusche verursacht. Als es bei Hesse einmal geschieht, wendet sich Malleck zu ihm um und zischt: "Niete!" In Mallecks gespanntem Gesicht ist keine Spur von Jovialität mehr.

Unbarmherzig sticht die Sonne. Öfter verharrt Malleck, lauscht und äugt prüfend in die Runde. Dann soll da eben ein Geräusch hinter der Bergkuppe gewesen sein. Malleck will es todsicher gehört haben, auch Truff. Hesse sagt nichts. Er hat nichts vernommen. Er ist mit sich beschäftigt. Der Schweiß ätzt und klebt auf dem Körper. Er ist der Jüngste und am meisten mitgenommen. Eine Schreibstube bietet kein Körpertraining. Aber er ist nicht einmal beschämt darüber. Wenn Kraft und Gewandtheit zu nichts anderem nütze sind, als leichter Menschen umzubringen?

Sie hocken im schmalen Schatten eines Felsbrockens, Malleck zieht die Karte heraus, legt den Kompass darauf. Lange beobachtet er die vor ihnen liegende Kuppe mit dem Fernglas.

"Da ist nichts", murmelt er, "sie sitzen bestimmt auf der dahinter. Die ist noch höher." Nach einem Blick auf die Karte hat er sich entschieden. "Wir müssen die Vordere umgehen, vom nächsten Einschnitt sehen wir mehr."

In spitzem Winkel zu ihrem Anmarschweg laufen sie wieder zurück. Es geht ein wenig bergab. Hesse ist in der Mitte, Truff wie ein Schatten stets hinter ihm. Nach einer Ewigkeit für Hesse erreichen sie den Einschnitt. Malleck gebietet die erste Ruhepause. Er nimmt einen tiefen Schluck aus der Feldflasche voll Wein. Truff tut es ihm gleich, Malleck öffnet eine runde Blechschachtel mit Fliegerschokolade und bietet den beiden davon an. Truff greift ohne Zögern zu. Hesse lehnt ab und legt sich neben dem Felstrumm in den winzigen Schatten. Viel zu schnell hat Malleck seine Zigarette aufgeraucht. Truff stochert die Pfeife leer. Zufrieden vergleicht Malleck die Karte mit der Gegend. Sie brechen auf. Im Einschnitt arbeiten sie sich vorwärts, es geht leicht bergan. Sie spüren, wie sie langsam die Vorkuppe umrunden, und dann senkt sich der Einschnitt etwas, verbreitert sich zu einem engen Tal, von dessen anderer Seite es hinaufgeht zu jener nächsthöheren Bergkuppe.

Als Malleck das Fernglas sinken lässt, sind seine Augen noch immer zwei enge Sehschlitze. "Sie fühlen sich sehr sicher. Nicht ein bisschen getarnt. Wenn ihr genau hinseht, könnt ihr sie mit bloßen Augen erkennen."

Truff schaut eine Weile in die angegebene Richtung und nickt.

"Scheint 'ne Brustwehr. Amis kann ich nicht sehen."

Malleck lacht höhnisch. "Wahrscheinlich pennen sie dahinter. - Wir müssen uns zu dem vorspringenden Zacken hinarbeiten. Liegt höchstens fünfzig Meter ab von ihrem Beobachtungsstand." Er sieht Hesse an. "Wer jetzt ein Geräusch macht, den murkse ich ab." Er geht als erster los, kriechend, robbend, geduckt rennend, jeden Felsbrocken als Deckung benutzend. Hesse und Truff tun es ihm gleich. Nach einigen hundert Metern versperrt ihnen der Zacken die Sicht auf die Brustwehr. Sie können wieder aufrecht gehen und kommen schneller vorwärts. Als sie bei dem Vorsprung angelangt sind, glänzt Mallecks Gesicht von Schweiß und Genugtuung. Als kümmerte ihn die nahe Bastion mit der unzulänglichen Brustwehr nicht, betrachtet er die Umgegend. Von unten hat bis auf die Felsnase alles glatt ausgesehen. In Wahrheit befinden sie sich in einem Felslabyrinth, das an eine Mondkraterlandschaft denken lässt. "Zwischen die Klamotten ein paar Volltreffer", sagt Malleck, "das gibt 'ne tolle Schrapnellwirkung."

Bei diesen Worten läuft es Hesse kalt den Rücken hinab. Da ihn der Unteroffizier fast genießerisch betrachtet, lässt er sich nichts anmerken. "Na Prost!" Malleck nimmt einen Schluck aus der Feldflasche, einen doppelt so langen wie vorher.

Truff tut es ihm abermals nach. Hesse mag nichts essen und nichts trinken, er ist nur müde. Malleck kraxelt ein wenig herum und sucht einen günstigen Beobachtungspunkt. Nach einer Weile winkt er die beiden zu sich.

Sie schauen hinunter auf den Artillerieleitstand der Amis. Hier ist kein Fernglas nötig. Hinter der Brustwehr aus lose aufgetürmten Steinen spielt sich alles ab wie auf einem Tablett. Drei Soldaten sind dort. Einer sitzt auf einem Feldstuhl hinter dem Scherenfernrohr, die beiden anderen an einem zusammenklappbaren Tischchen vor einem Vorhang aus Tarnleinen. Sie scheinen zu pokern. Hinter dem Vorhang ist ein Unterstand zu vermuten. Der am Scherenfernrohr kaut Gum. Er hat keine Kopfbedeckung auf, aber eine Sonnenbrille vor den Augen.

"Wenn ich bloß wüsste, ob hinter dem Vorhang noch welche sind", rätselt Malleck, "die drei allein würden wir schaffen."

Hesse schluckt, der Magen will sich ihm umdrehen. In den nächsten Minuten wird er einen Menschen anfallen müssen.

"Gefangene sind besser", flüstert Truff, "legen wir die drei bloß um, sagen die hinten, ihr könnt uns viel erzählen."

"Was denn sonst?" fragt Malleck. "Höchstens so weit unschädlich machen, dass wir sie nach hinten kriegen."

Der am Scherenfernrohr schaut auf seine Armbanduhr, macht eine Geste zu den Spielern hin und ruft etwas. Es ist zu hören, Hesse kann es aber nicht verstehen. Die beiden machen das Spiel zu Ende, dann erhebt sich der eine und löst den am Scherenfernrohr ab. Der verschwindet hinter dem Vorhang und kommt mit zwei Flaschen zurück. Er und der am Tisch trinken. Malleck nimmt ebenfalls die Feldflasche. Genießerisch setzt er sie ab. "Das gibt mehr Mumm als Coca-Cola."

Er säuft sich Mut an, denkt Hesse angewidert.

Auf dem Weg, der gewunden abwärts von der Brustwehr wegführt, taucht ein Offizier mit einem Soldaten auf. Die Spieler legen die Karten hin, grüßen lässig. Der am Scherenfernrohr macht Meldung. Der Offizier dankt und spricht mit den beiden am Tisch.

"Mensch", flüstert Malleck aufgekratzt, "hinter dem Vorhang ist keiner. Sonst würde eine verschlafene Figur auftauchen und Meldung machen."

Der Offizier unterhält sich kurz mit den beiden, dann geht er mit ihnen und seinem Begleiter den Weg hinab, wo sie hinter einer Kehre verschwinden.

"Großartig", Malleck sprüht vor Glücksgefühl, "ehe die wiederkommen, müssen wir den Knaben haben. - Truff, du deckst vom Überhang über dem Unterstand bis zur Kehre, Hesse unseren Rückzug."

Wie Schlangen verschwinden Malleck und Truff zwischen dem Gestein, kurz darauf sieht Hesse sie auf den Überhang zurobben.

Der Mann am Scherenfernrohr sitzt ahnungslos unter dem Sonnendach aus Tarnleinen und schlägt ab und zu nach einer Fliege. Er ist ebenfalls ohne Kopfbedeckung, aber er kaut keinen Gum und trägt keine Sonnenbrille. Er ist sonnenverbrannt, groß und kräftig. Er hat es sich bequem gemacht. Er braucht keine Waffe, weil neben ihm das Telefon steht. Er bietet ein friedliches Bild und erinnert an einen Forscher vor dem Mikroskop. Das Terrain um den deutschen Kompaniegefechtsstand ist sein Forschungsgebiet. Zeigt sich nur eine dieser zweibeinigen Mikroben dort, dann gibt er wenige Zahlen durch den Draht, und heißer Stahl sucht die Mikrobe auszulöschen. Es ist ein kaltes, erbarmungsloses Geschäft. Der Soldat kennt die Flüche derer dort unten. "Feige Bande - mit Kanonen auf einzelne Soldaten schießen!" Vielleicht hebt der Sergeant ein wenig schuldbewusst die Schultern, - sorry, Boys - aber wer ist zuerst in Afrika wie die Heuschrecken eingefallen? Ich habe nie die Absicht gehabt, hier den Maschinentod zu lenken. Dass wir es tun müssen, verdanken wir eurem Führer. Er hat unseren Waffenindustriellen die Chance des großen Profits verschafft. Dafür machen sie mehr Granaten, als wir je verpulvern können. Und so verpulvern wir. Übrigens ist eine Granate billiger als Ausbildung und Ausrüstung eines Soldaten. Wir Amerikaner verstehen zu rechnen.

Vielleicht denkt der Soldat auch an die zauberhafte Gebirgslandschaft der Betongiganten von Manhattan, aufgeschichtet von Menschenhand, aber hundertmal interessanter als diese Steinwüste hier, dass er jetzt im sprühenden New York das Leben genießen könnte, anstatt sich zu langweilen bei dem "dirty business" gegen diesen Hitler und seine damned Nazis. Der Soldat mag an vieles denken, nur an eines denkt er nicht, dass er in den nächsten Sekunden vor der schwersten Entscheidung seines Lebens stehen wird.

Atemlos sieht Hesse, wie sich Malleck katzengleich vom Überhang herabgleiten lässt. Das letzte Stück muss er springen. Geröll prasselt ihm nach. Der Soldat schnellt von seinem Hocker. Als er sich umwendet, sieht er Malleck, der sich eben aufrichtet, sieht den Dolch in Mallecks Hand, will sich dennoch auf ihn stürzen. Da gewahrt er den Lauf der Maschinenpistole Truffs, der knurrt: "Hände hoch!" Er zögert eine Sekunde. Wenn er den mit dem Dolch angreift, muss der oben schießen, und die Kameraden sind alarmiert. Aber es kostet das Leben. Dieser Gedanke lähmt. Wie viele ist er ein guter Soldat, aber kein Held. Er hat oft genug Filme gesehen mit ähnlichen Situationen. Immer haben die Überrumpelten die Hände gehoben. Es ist idiotisch, sich wegen einer Lesebuchgeschichte den Tod in den Leib jagen zu lassen. Er hat eine Sekunde gezögert, und das ist schon die Entscheidung gewesen. Malleck weist ihm die Richtung und treibt ihn vor sich her.

Jetzt rutscht Truff vom Überhang, wirft Scherenfernrohr und Telefon in den Abgrund und folgt den beiden.

"Na, hat das mal wieder geklappt?" Malleck strahlt Hesse an, der bleicher ist als der Gefangene. "Jetzt kommt deine Arbeit, Söhnchen. Sage ihm, wenn er Fisimatenten macht, kriegt er meinen Dolch in die Rippen."

Hesse tut es und muss sich Mühe geben, dass seine Stimme nicht zittert.

Von drüben sind Rufe und Stimmen zu hören.

"Ab durch die Mitte, ehe sie uns hier einkreisen." Malleck läuft voraus, hinter ihm der Gefangene, dann kommen Hesse und Truff.

Malleck nimmt nicht denselben Weg zurück, hält sich im Felsgewirr unterhalb der Kuppe, das sich lang hinzieht. Es ist ein Umweg, aber sie sind vor jeder Sicht gedeckt.

Malleck läuft, wie von Furien gehetzt. Er will sich den Triumph nicht mehr rauben lassen. Jetzt müssen sie ihn befördern. Er hat ausgeführt, woran keiner da unten geglaubt hat, keiner, auch Unschlitt nicht. Plötzlich erzittert die Luft. Es faucht und orgelt über die vier hinweg, zerbirst weit vor ihnen in krachenden Fontänen von Feuer, Staub und Gestein. Der Höllenlärm nimmt zu, einzelne Abschüsse sind nicht mehr zu unterscheiden, aus dem Himmel fällt ein Vorhang aus Stahl, macht das Tal vor ihnen zu einer Landschaft des Weltuntergangs.

Keuchend bleibt Malleck stehen, sein Gesicht ist verzerrt von Hass und Enttäuschung. "Die Schweine müssen ein Funkgerät im Unterstand gehabt haben. Warum hast du das nicht vernichtet?" herrscht er Truff an. "Jetzt haben wir die Scheiße auf dem Hals!"

"Sie haben befohlen, Telefon und Scherenfernrohr unschädlich zu machen, Unteroffizier."

"Schnauze!", schreit Malleck und wendet sich an den Gefangenen.

"Deine Brüder bilden sich ein, der Feuerüberfall könnte dir helfen? Irrtum, mein Lieber. Ehe ich krepiere, kriegst du zehnmal einen kalten Arsch."

Eher verwundert als erschrocken, zuckt der Gefangene mit den Schultern. "I don't speak german."

"Halt die Fresse!" Malleck schaut sich hastig um. Der Feuerregen nimmt noch zu. Malleck weist zu einer höhlenartigen Ausbuchtung. Alle vier rennen darauf zu. Mit unmissverständlicher Gebärde fordert Malleck dort den Gefangenen auf: "Los, Papiere her, Notizbücher und sonstigen Klimbim."

Hesse übersetzt es, und bereitwillig übergibt der Gefangene seinen Soldier-Pass und die Brieftasche.

"Truff, klopfe ihn nach Waffen ab - und was er sonst nicht herausgerückt hat."

Es finden sich ein Etui mit Füller und Stift, ein Notizbüchlein und ein Portemonnaie. Währenddessen sieht sich Malleck den Pass an. Mühsam buchstabiert er: "J-o-h-n S-i-m-o-n H-a-m-p-s-t-e-a·d. Sergeant ist der Bursche, ein feiner Fang."

Malleck zeigt auf die Uhr mit dem metallenen Elastikband am Armgelenk des Sergeanten. "Hergeben."

Der Gefangene hat schon kopfschüttelnd zugesehen, wie Malleck das andere persönliche Eigentum in die Taschen gesteckt hat. Jetzt sagt er gelassen: "No."

"Hesse, sag ihm, er ist Gefangener und hat zu gehorchen."

Hesse übersetzt und muss dabei schreien. Das Getöse der Detonationen hat zugenommen. Der Feuervorhang ist zu einem Teppich todbringender Explosionen geworden, der das Tal ausfüllt und langsam auf die vier zuwandert. Malleck beobachtet es nervös und streckt die Hand aus. "Wird's bald?"

"That's against the Geneva Convention!" flucht der Sergeant.

Er hat die Lähmung der Überrumpelung überwunden, die er sich nicht verzeihen kann, ebenso wenig wie er diesem Nazistrolch verzeiht, dass der ihn gegen jede Fairness auszurauben gedenkt.

"Was meckert er?" schreit Malleck in das Ohr Hesses, und der schreit zurück: "Er sagt, die Uhr dürfe ihm niemand abnehmen, das verstoße gegen die Soldatenehre und die Genfer Konvention."

Hesse hofft, dass die Erweiterung des Satzes um die Soldatenehre Malleck umstimmen könne, aber er erreicht das Gegenteil. Malleck schäumt. Er reißt die MPi in die Hüfte und brüllt: "Du bist unser Gefangener - und nicht in Genf. Ich zähle bis drei!"

Ohne aufgefordert zu sein, übersetzt Hesse hastig und bittet den Sergeanten eindringlich, jetzt nachzugeben, später würde er die Uhr zurückbekommen.

Sergeant Hampstead hat heute einmal gezögert. Diese Schwäche soll sich nicht wiederholen. Er wird nicht abermals auf einen Bluff hereinfallen.

Mallecks Hirn funktioniert in kaltem Hass. Dieses Schwein tut, als handelt es sich um eine Heldenszene im Theater, will mich zum Hanswurst machen vor den beiden. In wenigen Sekunden krepieren hier die ersten Granaten. Da geht's ums Leben. Ich will befördert werden, nicht verrecken. Dann lieber der. Mit ihm wird die Rückreise sowieso lebensgefährlich. Seinen Pass habe ich und seinen Krimskrams, ebenso klarer Beweis wie ein lebender Ami. Malleck hebt ein wenig den Lauf der MPi. "Also?"

Der Sergeant sieht ihm trotzig ins Gesicht. "No!"

Malleck zählt nicht bis drei. Sein kurzer Feuerstoß geht unter in der Lärmorgie. Mit entsetzt aufgerissenen Augen sinkt der Sergeant um.

"Deckung!" gurgelt Truff, und die drei werfen sich zur Erde, drücken sich hinter schützende Steine. Felssplitter sirren.

Hesse spürt einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf, und die Betäubung überfällt ihn so schnell, dass er den begonnenen Gedanken nicht mehr zu Ende denken kann.

Als er wieder zu sich kommt, reißt er den Stahlhelm herunter und befühlt seinen Kopf. Eine Beule, kein Blut. Wahrscheinlich ein Felsbrocken. Der Stahlhelm hat das Gröbste abgehalten. Hesse hebt ein wenig den Kopf und lauscht. An die hundert Meter entfernt, trommelt das Sperrfeuer ins taube Gestein. Von Malleck und Truff ist keine Spur. Schwerfällig, mit schmerzendem Schädel erhebt sich Hesse und ruft. Nichts, nur das Inferno, das an ein abziehendes Gewitter erinnert, tobt dort hinten. Plötzlich fährt ihm der Gedanke durchs Hirn: der Sergeant.

Er liegt, wie er umgesunken ist, mit blutdurchtränkter Kleidung.

Hesse reißt ihm das Hemd auf und drückt das Ohr an die Brust. Er kann in der Aufregung keinen Herzschlag hören, aber er spürt, da ist noch Leben. Mit fahrigen Händen reißt er die Verbandpäckchen aus dem Brotbeutel, verbindet die Wunde an der Schulter und die oberhalb der Hüfte. Dann ist der Verbandmull aufgebraucht. Mit dem eigenen Hosenträger bindet Hesse den Oberschenkel ab, dessen Wunde am stärksten blutet. Der Sergeant stöhnt auf und kommt zu Bewusstsein. Hesse stützt ihm den Kopf und hält ihm die Feldflasche an die Lippen. Der Sergeant schluckt mehrmals gierig, dann sinkt er wieder in Ohnmacht. Er lebt, hämmert es in Hesse. Heftig wirft er das Koppel neben die Maschinenpistole und rennt los.

Mit rasenden Pulsen steht er vor jenem Ausguck. Funken tanzen ihm vor den Augen, sein Atem ist ein Röcheln, das Herz scheint aufgequollen und droht ihn zu ersticken. Mit zusammengebissenen Zähnen klimmt er hinauf, stellt sich aufrecht auf den Felsen und winkt. "Hello, soldiers, don't shoot! - hello - hello!"

Wo das Scherenfernrohr gestanden hat, sitzt jetzt einer mit einem großen Feldstecher. Er bemerkt Hesse zuerst, und im nächsten Augenblick sieht der Steinwall aus, wie mit Soldatenköpfen bestückt. Gewehre gehen in Anschlag.

"Don't shoot!" Hesses Stimme überschreit sich zu heiserem Krächzen. Er klettert vom Felsen und rennt geradewegs durch die Mulde auf den Steinwall zu. Die Knie werden wie Gummi, vor Erschöpfung stürzt er nieder, japsend, lang ausgestreckt, bleibt er liegen. Kurz darauf ist er umringt. Sie stehen und schauen auf ihn wie auf eine Erscheinung. Ein stämmiger Corporal fragt: "What's the matter with you?"

Stoßweise, in abgebrochenen Sätzen spricht Hesse. Schnell, ganz schnell. Der Sergeant müsse sofort ins Lazarett.

In ihren Gesichtern hockt Misstrauen. Eine Falle der damned Germans?

Ob er sie zum verwundeten Sergeanten führen wolle, fragt der Corporal.

Heftig bejaht Hesse.

Ein Offizier kommt vom Steinwall. Der Corporal meldet ihm, und der Lieutenant erteilt umsichtige Befehle. Sie traben mit Hesse davon. Zwei GIs gehen voraus, in entsprechendem Abstand folgt eine Sicherungsgruppe, die Schnellfeuergewehre im Anschlag.

Als sie den Sergeanten auf eine Trage betten, erwacht er aus seiner Bewusstlosigkeit und deutet Durst an. Der Lieutenant befeuchtet ihm die Lippen. Im Dauerlauf verschwinden zwei Riesenkerle mit dem Schwerverletzten auf der Trage. Die anderen nehmen Hesse in die Mitte und gehen jetzt langsam. Sie geben ihm Zigaretten. Er raucht eine an, hustet die Entschuldigung heraus, dass er Nichtraucher sei. Sie lachen und klopfen ihm auf die Schulter. "You're a honest fellow, aren't you?"

Amerikanische Odyssee

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