Читать книгу Amerikanische Odyssee - E.R. Greulich - Страница 7
Neuer Job - alte Sorgen
ОглавлениеWuntram stand mit verschränkten Armen neben dem Fenster. Bauer saß auf dem einzigen Stuhl in der Ecke. Die beiden sahen sich an, als Hesse eintrat.
Hesse befreite sie aus der Verlegenheit. "Warum so feierlich? Captain Shelter hat dem Camp-Spokesman mitgeteilt, euer zum Canteen-Clark vorgeschlagener Lad ist für den Job leider zu dämlich. Sorry Boys, aber ich habe einen Besseren. - Stimmt 's?"
"So ähnlich." Bauers Miene hellte sich auf, als er sah, dass es Hesse nicht sehr tragisch nahm.
Wuntram kaute auf der Unterlippe und hielt noch immer die Arme verschränkt, eine seltene Haltung bei dem Emsigen. Es war, als träten die kaum merklichen Höcker auf jeder Seite seiner Stirn stärker hervor, wenn er angestrengt überlegte. Er hätte schwören mögen, in Hesse den richtigen Mann für die Kantine gefunden zu haben. Nun hatte auch der sich nicht als wendig genug erwiesen. Das war ja eben der springende Punkt, auch mit solchen Figuren wie Shelter auszukommen. Die Freunde von links machten es sich immer zu leicht - wie jetzt Bauer. Aber Politik heißt die Kunst des Möglichen. Auch Hesse hatte sie nicht beherrscht, und der Lagersprecher musste es mit Prestigeverlust im Headquarter büßen. Wuntram rieb sich nachdenklich das Kinn. "Ich erhielt die Mitteilung vom Headquarter, der PW Hesse ist leider kein gelernter Buchhalter, deshalb für die Arbeit nicht geeignet. Captain Shelter hat eine Fachkraft in dem PW Suling gefunden."
"Ist dieser Suling nicht von Klees Kompanie?" fragte Hesse.
"Er ist das Hätschelkind des Herrn Feldwebels", bestätigte Bauer, "hat an die zwanzig Jahre in den USA gelebt. Nach den Blitzsiegen Hitlers hat er wieder sein deutsches Herz entdeckt und ist über Japan heimgekehrt ins Reich."
"Und die Amis haben ihn nicht wegen Landesverrats erschossen", brummte Kressert über die Schulter und schob unwirsch den halb übersetzten Artikel beiseite, als habe er die Lust verloren, weiter daran zu arbeiten.
"Nein", Bauer schlug sich mit der Faust aufs Knie, "denn er sagte sich, genieße die Segnungen von Gods own Country ohne dessen Staatsbürgerpflichten. Dafür wird er jetzt mit einem Vertrauensposten im PW-Camp belohnt."
Wuntram sah eine jener Debatten voraus, die er hasste. Er fiel Bauer ins Wort. "Ich denke, Hesse geht in die Bibliothek. Eine Kraftprobe mit Shelter wäre Irrsinn. Wir müssen uns auf die Lagersprecherwahl konzentrieren. Sollte der Kandidat der Yes-Men siegen, können wir einpacken wie in McLoin. Wir müssen einen Antifaschisten durchbringen."
Hesse war es, als sähe er die Drei wie in glashellem Spiritus. Drei, die für viele standen, mochten sie zur KPD, zur SAP gehören, oder zur SPD tendieren, wie er es von Kressert annahm. Sie hatten ihn hergerufen, um sich über seinen weiteren Einsatz schlüssig zu werden, nun befanden sie sich schon wieder mitten in der Politik. Über dem Allgemeinen vergaßen sie leicht den Einzelnen. Hesse stellte es lächelnd zum wiederholten Male fest.
"Wenn wir einen durchbringen, bist du es", sagte Kressert und verbarg die Verehrung für Wuntram hinter Sachlichkeit. Wuntram zeigte seinen Ärger über die gut gemeinte Deutlichkeit nicht. "Der Mann ist nicht so wichtig wie der Wahlsieg."
"Keine falsche Bescheidenheit." Bauer sagte es ohne Spott.
"Schaut auf die Hände, nicht aufs Maul, ist ein gutes Bebel-Wort. Du hältst vom Tun mehr als vom Reden, das wissen alle."
Die Freude über Bauers Worte verdeckte Wuntram mit dem Einwand: "Genauso gut wissen aber auch alle, dass ich von der SAP komme. Das können einige deiner Freunde nicht verwinden."
Hesse sah an Bauers Gesicht, wie er sich beherrschte, keine Grundsatzdiskussion zu beginnen. "Einer mag gläubiger Katholik sein oder eine schwarz-weiß-rote Armbinde tragen. Wenn er gegen Hitler kämpft, gehört er zu den Antifaschisten. Das ist die Grundeinstellung des Nationalkomitees "Freies Deutschland". Damit müssen sich auch die Sektierer abfinden."
Wuntram lächelte skeptisch. "Wir werden ja sehen, Ob du dich bei deinen Genossen durchsetzt."
Kressert kam auf den Anlass des Gesprächs zurück. Er war fast gleichaltrig mit Hesse, hatte einen ähnlichen Lebensweg, und wie jenem drängten sich ihm in letzter Zeit viele Fragen auf. Aber er rief sich selbst zur Ordnung. "Hesse geht also in die Bibliothek?"
Wuntram nickte. Er verabschiedete Hesse und Bauer, seinen Stellvertreter in der Kompanie, zog einen Stuhl an den primitiven Schreibtisch und sagte zu Kressert. "Jetzt weiter im Text."
Bauer und Hesse gingen zu ihrer Baracke. Das Gespräch zwischen den beiden Älteren beschäftigte Hesse. Von Bauer wusste er einiges, doch so unumwunden hatte er das noch nicht gehört: Die Kommunisten arbeiten auch mit Schwarzweißroten zusammen, wenn die gegen Hitler sind. Das hieß im extremen Fall, Hesse erkennt seinen Todfeind Malleck als Bundesgenossen an, vorausgesetzt, der kreuzte eines Tages seinen Weg und erklärte, er wäre gegen Hitler. Das aber würde Hesse nie tun können. Also war an Bauers These etwas faul. Es zeigte sich wieder einmal: Politik war eine suspekte Sache. Trotzdem fragte er: "Wieso glaubt Wuntram nicht daran, dass alle Kommunisten für ihn stimmen werden?"
Bauer fuhr sich durch das Haar, und die jungenhafte Gebärde schien im Widerspruch zu seinen grauen Schläfen zu stehen. "Teilfragen werfen Grundfragen auf. Welchen Zipfel du auch anpackst, immer merkst du, dass sich das ganze Tischtuch bewegt. Die SAP sagte, man muss den sozialdemokratischen Arbeitern den Weg nach links erleichtern. Bilden wir zwischen SPD und KPD eine Mittelpartei, so werden wir zum Zentrum der Einheit."
"Eigentlich einleuchtend."
Ungeduldig fuhr Bauer fort: "Die KPD sagte, nicht Parteigründungen helfen gegen den Faschismus, sondern die Aktionseinheit."
"Die Arbeitereinheit haben beide nicht zustande gebracht."
"Ihren Teil Schuld daran trägt auch die SAP."
"Bei so klarer Vorausschau hätten dreiunddreißig eigentlich die Kommunisten siegen müssen, nicht die Nazis."
"Du siehst die Teilstrecke, leider nicht die ganze Fahrt."
Hesse krauste Nase und Stirn, ahmte den Tonfall Bauers nach. "Du lernst und lernst es nicht, dialektisch zu denken."
Bauer musste lachen. "Da hast du schon ein Stück der Antwort, weshalb wir dreiunddreißig nicht gesiegt haben. Seit wir uns kennen, mühe im mich ab, das Misstrauen aus deinem Kopf zu schaffen, das dir eingeflößt ist mit der Muttermilch. Bauer ist gar kein übler Kerl, persönlich ist er mir manchmal sogar sympathisch, aber - leider ist er ein Kommunist ... "
Hesse wollte aufbegehren, doch Bauer herrschte ihn scherzhaft an: "Still, wenn das reife Alter spricht. Aus purem politischem Misstrauen verschweigst du Dinge, die dich quälen. Soll ich dir sagen, warum? Der Bauer verquickt selbst das Persönliche mit der Politik. Und das führt zu Konsequenzen. Konsequenzen sind unbequem."
Bauers Folgerungen waren wirklich unbequem, und Hesse sagte schnell. "Ich weiß nur, dass leider nicht alle Kommunisten so sind wie du. Sonst brauchte Wuntram kaum zu befürchten, dass ... "
"Lass dich nicht verwirren", unterbrach ihn Bauer. "Wuntram bezog sich da auf interne Lagerdinge, meinte die A-Kompanie. Es wäre vorstellbar, dass ihr Kompaniesprecher Zecke aus falsch verstandener Disziplin zusagt, wenn ihn seine Kameraden als Lagersprecherkandidaten vorschlagen."
"Und falls es so kommt?"
Bauer verbarg seine Freude darüber, dass derselbe Heinz Hesse, der ständig gegen die Politik quengelte, so an der Lagerpolitik Anteil nahm. "Dann müssen wir mit ihm sprechen, bis er einsieht, dass es ein Fehler ist." Bauer fand den Jüngeren aufgeschlossener als sonst. "Heute bist du ja noch arbeitslos", sagte er, "hättest du Lust, mir zu helfen?"
Hesse sah es Bauer an, dass dem daran gelegen war, deshalb ging er mit in die Kompanieschreibstube. Als sie dort eintraten, hob der amerikanische Kompanieführer, Captain Bliss, fragend den Kopf. Bliss war ein großer, massiger Mann mit der grauen Bürste des Sechzigers. Störrisch-buschige Augenbrauen und hängende Mundwinkel unter fleischiger Nase erinnerten an das Bild eines Menschenfressers aus dem Märchenbuch. Der handgemalte Spruch über seinem Schreibtisch lautete: Wer gut arbeitet, wird hier die Hölle einer guten Zeit haben.
Bauer meldete korrekt. "Zurück vom Camp-Spokesman, Sir.
Dieser hoffnungsvolle Guy wird ab morgen einen anderen Job haben. Er kann Maschine schreiben und stenografieren, spricht besser englisch als ich. Jetzt will er mir ein bisschen helfen."
Die misanthropischen Falten im Gesicht des Captain blieben, doch seine grauen Augen funkelten erfreut. "Dann geht ran, Boys, und macht alles ordentlich." Als habe Bliss nur auf die Rückkunft Bauers gewartet, schob er den Schreibkram beiseite und stand schwerfällig auf. Scheinbar unwirsch, brummte er, als Bauer ihm die Uniformjacke hielt und die Mütze vom Haken langte. Ohne Gruß verließ er den Raum. Sein bedachtsamer Gang ließ an einen Grizzlybären denken.
"Wie du mich über den grünen Klee gelobt hast", entrüstete sich Hesse.
"Es ist die lautere Wahrheit", verteidigte sich Bauer, "und nützlich, wenn Old Wackelei langsam die fähigen Leute unserer Kompanie kennenlernt."
"Er erinnert wirklich an einen alten Trapper und Fallensteller" fand Hesse.
"Trotz seiner Tücken ist er der beste Captain, dem ich in der ganzen Gegend hinter der Liberty-Statue begegnet bin. In seiner Hochachtung vor der Arbeit ist er beinahe Kommunist."
Hesse zwinkerte mit einem Auge. "Wenn sie andere für ihn tun."
"Ohne den Braunauer und seinen Krieg wäre Old Wackelei schon pensioniert und würde im Susquehanna Lachse angeln."
Sergeant Fulton, der Assistent von Captain Bliss, kam in die Schreibstube. Fulton war weder dick noch dünn, weder groß noch klein. Farblos war sein Haar, und aus Farblosigkeit schien der ganze Mensch gemacht. Er sprach nur, wenn es sein musste, und hatte die Kunst, beim Militär nicht aufzufallen, virtuos entwickelt. Da zwischen seinem Vorgesetzten und der Kompanie ein gutes Verhältnis bestand, bemühte sich Fulton, nicht zu stören. Wäre es anders gewesen, hätte sich Fulton bemüht, auch dabei nicht zu stören.
Nach dem Abendessen zog ein Ereignis die PWs in seinen Sog: Eröffnung der Kantine. Auch Hesse ließ sich dort hintreiben und redete sich ein, nur aus Neugier. In Wahrheit war er nicht abgeneigt, irgendeine Leckerei zu kaufen. Immer hatte er sich geärgert, wenn der Vater ihn ein Süßmaul genannt hatte, und er entschuldigte sich, es käme daher, dass er nicht rauche.
In Massen drängten sich die Kaufwütigen auf dem freien Platz vor der Kantine. Es war fünf nach sieben, und die Kantinentür war noch immer geschlossen. Ein PW legte die Hände um den Mund und rief: "Suling, wach auf, dein Wecker ist stehen geblieben!" Zehn nach sieben setzte ein gellendes Pfeifkonzert ein. Suling erschien, sperrte bewusst langsam die Tür auf und stand mit verschränkten Armen in der Öffnung wie der Besitzer eines Supermarktes. Den Schreienden zeigte er einen Vogel und rief. "Anstellen - sonst wird nichts verkauft!" Wie vor einer Woge schwemmte es ihn hinein, und er musste sich hinter den Ladentisch flüchten, um in der Menge nicht unterzugehen.
Hesse beobachtete amüsiert die Szenen, die sich jetzt auch im Verkaufsraum abspielten.
Kressert trat zu Hesse und zeigte unverhohlene Freude über das missglückte Debüt des neuen Canteen-Clarks. Lachend versicherten sie einander, lieber würden sie noch tagelang auf einen Einkauf verzichten, als sich in das haarsträubende Gedränge zu quetschen. Kressert spielte auf das Gespräch am Nachmittag an. "Wenn die Älteren auspacken, fühle ich mich unbehaglich. Man könnte Angst kriegen, was wir in deutscher Geschichte nachzuholen haben."
Es war Hesse aus dem Herzen gesprochen. Dunkelheit und Kälte waren vergessen, er starrte durch die Tür in die erleuchtete Kantine. Das Bild hatte etwas von einem grellen Stummfilm, der mit einer überlauten Geräuschkulisse unterlegt war. Suling raste wie ein aufgeregtes Eichhörnchen hinter dem Verkaufstisch hin und her.
Hesse wandte sich Kressert zu und versicherte: "SAP, KPD, SPD und Schwarzweißrote, Nationalkomitee und Sektierer, da soll sich einer zurechtfinden. Die Nazis haben aus uns Idioten gemacht. Es ist zum Kotzen. Die ganze Politik ist zum Kotzen."
Kressert verbarg nicht sein Befremden. "Mit dieser Einstellung wirst du dir kaum das nötige politische Wissen aneignen."
"Der Ami hat doch gar kein Interesse daran", murrte Hesse.
"Das Wort, der Ami, ist ebenso oberflächlich wie der Jude, der Neger. Es gibt überall sone und solche."
"Leider haben die Solchen meist zu bestimmen."
"Das beeindruckt mich so an Wuntram. Er versucht, sich an die Vernünftigen zu halten, aber auch mit den anderen auszukommen."
Hesse sah, wie Suling jetzt etwas in die Menge schrie, und die PWs gaben nach draußen weiter, Top-Tabak und Zigarettenpapier seien ausverkauft. Die Wut der Enttäuschten richtete sich gegen den unschuldigen Suling. Hesse registrierte es trotzdem mit Genugtuung. Er fand außerdem, er müsse den altklugen Bemerkungen Kresserts einen Dämpfer aufsetzen, und entgegnete ihm: "Bauer würde sagen, das birgt die Gefahr der Prinzipienlosigkeit."
Kressert lächelte ein wenig mitleidig. "Dabei ist er noch einer der Beweglichsten. Bin gespannt, wer sich bei den Kommunisten in Bezug auf die Lagersprecherwahl durchsetzen wird. Morgen früh beim Appell wird sie offiziell bekannt gegeben."
"Demnach haben sie im Headquarter ihren Mann gefunden?"
"Allerdings. Klee heißt der Gegenkandidat."
"Wuntram wird ihn um Längen schlagen."
"Nicht, wenn Zecke ebenfalls kandidiert."
"Das glaubst du doch selbst nicht."
"Die maßgeblichen Kommunisten sitzen jetzt bei Zecke. Wäre es so einfach, sie hätten die Besprechung längst beendet."
Hesse schwieg betroffen. Es war ihm unvorstellbar, dass es Bauer mit seinen Freunden nicht gelingen könnte, Zecke umzustimmen. Hesse kannte Zecke nur von fern, wusste aber von seiner hohen Zuchthausstrafe und dass er bei 999 um ein Haar erschossen worden wäre. Jemand hatte Zecke gewarnt. Als sie gekommen waren, um ihn zu verhaften, war er in amerikanische Gefangenschaft geflüchtet. Wie hoch überragte Zecke einen Hesse an persönlicher Tapferkeit. Dieser Mann sollte nicht zu überzeugen sein?
Kressert wie Hesse sahen, dass sie heute nicht in aller Ruhe einkaufen konnten, und wandten sich ab vom Getümmel. Vor der Baracke Kresserts sagte Hesse impulsiv: "Du wirst es erleben, dass du zu schwarz siehst."
"Hoffentlich." Kresserts rundes Gesicht unter dem hellblonden Haar sah nicht hoffnungsvoll aus.
Der Lagerbibliothekar Kuhn begrüßte Hesse am nächsten Morgen herzlich. Kuhn gehörte wie Ede zum Jahrgang neunzehnhundertneun. In seiner langsamen, bedachten Sprache war das harte R der Wasserkante unüberhörbar. Vom Tag der ersten Ausleihe an gehörte Hesse zu den Stammkunden der Bibliothek. Bei Literaturgesprächen waren sie sich nähergekommen. Kuhn bedauerte es nicht, dass ihm Shelter indirekt den Gehilfen Hesse beschert hatte. Eine Bücherkartei musste angelegt werden, ebenso eine Leserkartei. Kuhn hatte sofort nach dem Eintreffen der ersten Bücherkiste mit dem Ausleihen begonnen. Der Buchbestand war inzwischen beachtlich gewachsen. Der YMCA, der christliche Verein junger Männer der USA, nahm die kulturellen Belange der Kriegsgefangenen ernster als Captain Shelter. Für jede Bücherkiste bedankte sich Kuhn mit einem Brief, nörgelte nicht, sondern machte behutsam auf die Besonderheit des Lagers aufmerksam. So kam auch langsam ein Bestand zusammen, den Kuhn den "Schatz" der Bibliothek nannte. Es waren Werke, in der Aurora-Bücherei erschienen, von antifaschistischen Autoren wie Weiskopf, Seghers, Kisch und Balk. Außerdem wurden für deutsche PWs Lizenzausgaben des Querido-Verlages und des Verlages S. Fischer gedruckt, Bücher von Autoren wie Thomas Mann, Brecht, Werfel sowie Übersetzungen von Hemingway, Steinbeck, Saroyan und einer Reihe anderer amerikanischer Schriftsteller.
Eine rote Sonne stand im kalten Winterdunst, ihre sanften Strahlen glitten über Reihen von Bücherrücken, ließen Stäubchen in ihrer Bahn tanzen, hellten dunkle Ecken auf. Im Lager war es still. Die Arbeitskommandos befanden sich außerhalb des Zauns. Erst nach dem Abendappell begann die Ausleihe.
Corporal Trailshag kam. Er begrüßte die beiden salopp und so unbefangen, dass es den Anschein haben konnte, der Corporal wisse nichts von der Affäre Hesse-Shelter. Kuhn und Trailshag sprachen ungezwungen miteinander.
Der Corporal berichtete amüsant von seinen Jobs an Theatern des New Yorker Broadway als Hilfsinspizient, Beleuchter und allerhand hinter den Kulissen. Mehrere Aufführungen der Theatre Workshop Piscators in New York hatte er gesehen. Er gab Kritiken über Brechts "Galileo Galilei" wieder, der mit Charles Laughton in der Hauptrolle in Kalifornien uraufgeführt worden war.
Aufpassen, warnte sich Hesse, der Boy wirkt so natürlich. Seine Kunstbegeisterung scheint echt, aber seine freimütige Art dürfte Masche sein, mich auszuholen. Wir könnten Brüder sein, wäre er nicht um einiges rundlicher. Er ist höchstens fünf Jahre älter als ich, hat aber schon amerikanischen Speck angesetzt. Fehlte nur noch, dass sein Haar von gleicher Farbe wie das meine und etwas gewellt wäre.
Trailshag richtete seine munteren Augen auf den Schweigsamen. "Zufrieden mit dem neuen Job?"
"Ohne Frage." Je kürzer ich antworte, desto weniger kann ich mich verquatschen, dachte Hesse.
"Ein neuer Job - aber unter dem alten Vorgesetzten", bemerkte Kuhn vielsagend.
Trailshag winkte ab. "War die Semmel schon ein einziges Mal in der Bibliothek?"
"Noch nie", sagte Kuhn.
Trailshag schlug sich auf die Schenkel. "Vor Büchern graust es ihm noch mehr als vor dem Theater."
Hesse wehrte sich gegen die aufkeimende Sympathie für den Corporal. Doch er ließ sich hinreißen zu sagen: "Sie haben eine hohe Meinung von Captain Shelter."
Der Corporal sah ihn aufmerksam an. "Kennen Sie die Geschichte vom King Midas? So einer ist die Semmel. Ob Potato-Chips, Rasierklingen, Autos oder Feuerzeuge, alles muss in ihren Händen zu Gold werden. Da dies mit der Kunst etwas umständlicher ist, gibt es für diese Sorte nur eins, entweder auch zu Gold oder totmachen."
Hesse seufzte übertrieben. "Jetzt weiß ich noch genauer, weshalb ich für Shelter ungeeignet war."
Todernst widersprach Trailshag. "Nicht wegen Ihrer Kunstbegeisterung - sondern weil Sie es ihm offen gesagt haben."
In edler Selbsterkenntnis entgegnete Hesse: "So mutig bin ich gar nicht. Ich habe nur nicht immer "yes, Sir" genickt."
Trailshag lachte jungenhaft. "Ein Hasenherz freut sich, wenn es ein anderes findet. Sage ich ihm etwa meine Meinung ins Gesicht? Das hatte ich mir schon am Broadway abgewöhnt." Plötzlich schwand das Lachen aus seiner unbekümmerten Miene. "Ich hätte ihm längst mal eingeheizt, um versetzt zu werden. Aber hier sind zu feine Boys an der Arbeit. Dieser Ede Nemlich mit seinem Team ... Wenn alle so wären ... "
"Ich hoffe, Sie sind mit Bibliothekar und Bibliothek auch nicht unzufrieden", scherzte Hesse.
Trailshag nickte bestätigend. "Aber so andere ... Nominieren den Klee zum Lagersprecher. Brrr. Die Deutschen sind unbelehrbar."
"Bauer würde sagen, das ist weniger eine Nationalitäten-·als eine Klassenfrage", warf Hesse ein.
Nachdenklich wiegte der Corporal den Kopf. "Sehr bestechend, ein bisschen was habe ich auch von Marx gelesen. Um Gods sake, kolportieren Sie es nicht. Dann bin ich hierzulande ein Kommunist, dabei bin ich wirklich keiner. Das steht nicht in Amerika. Der Wohlstand ist zu groß. Gegen den Kommunismus wurde das Land kolonisiert. Die Indianer lebten noch in brüderlicher Urgemeinschaft. Ihre Anspruchslosigkeit und Primitivität waren wenig attraktiv."
"So an den Kommunismus heranzugehen finde ich ebenfalls primitiv", sagte Kuhn.
Unwillkürlich dämpfte Trailshag die Stimme. "Eines ist nicht abzustreiten, nur in den weniger zivilisierten Ländern ist der Kommunismus an die Macht gekommen. Russland ist das beste Beispiel. Das nächste Große wird China sein. Wo die Leute hungern, ist was zu machen. Doch wo die Arbeiter gebrauchte Autos fahren, wollen sie sich fabrikneue kaufen können, aber nicht die alten Chaisen auch noch verlieren."
Hesse fand es überzeugend, aber er erinnerte sich an Gespräche mit Bauer. Deshalb wagte er den Einwurf: "Ist das nicht so etwas wie diese - diese Elendstheorie?"
"In der Tat." Trailshag sah Hesse amüsiert an, als wollte er sagen: Hast auch schon von dieser Verführung genascht. "Die Communists sind nie verlegen um Antworten. Aber in ihrer Art sind sie genauso unbelehrbar wie die Klee-Männer. Den Beweis liefert Zecke. Ich kenne ihn nicht, aber bin überzeugt, charakterlich steht er höher als Mister Klee. Trotzdem macht er so was. Glaubt Zecke wirklich, die Mehrzahl im Lager sind Communists? Selbst wenn er gewählt würde, das lässt sich kein amerikanischer Camp-Häuptling bieten, nicht mal unser Colonel."
Fast ungläubig stieß Hesse hervor: "Ist es denn endgültig heraus?"
Der Corporal blickte erstaunt. "Heute früh Morgengespräch im Headquarter. Was meint ihr, wie sich da einige die Hände gerieben haben."
"Sie müssen aber zugeben", Kuhn wandte sich an Trailshag, "dass nicht alle Kommunisten im Lager so sind."
Trailshag lächelte geringschätzig. "Warum sind sie nicht so schlau wie Wuntram? Selbst der ist einigen Herren im Headquarter zu links und dem liberalen Stircke gerade noch tragbar."
Kuhn war dem Corporal dankbar. "Wuntram hätte die beste Chance gehabt."
Hesse schwieg vor Zorn. Er empfand Hochachtung vor Leuten wie Zecke. Dass sie ihn derart enttäuschten, war zum Heulen. Es war eben doch so: Wer sich mit der Politik befasste, machte sich zum Narren.
Der Mittagsgong erklang. Trailshag sprang auf. "Bye, bye!" An der Tür legte er den Finger auf den Mund. "Please, Guys, dieses Literaturgespräch bleibt unter uns."
Fast bewundernd sah ihm Hesse nach. Warum ist er nur Unteroffizier und nicht Offizier? Wie viel mehr könnte er dann für uns ausrichten. Wenn wir uns erst näher kennen, ob er für mich etwas über Eliza ermitteln würde, vielleicht einen Brief an sie hinausschmuggeln? Hesse erschrak über sich. Diesen Gedanken gibt mir die Sehnsucht nach Eliza ein. Eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als den anständigen Burschen damit zu belästigen.